75 Jahre NRZ
Kein Tag ist wie der andere Lokalredakteurin Rita Meesters erzählt von besonderen Reportagen im Morgengrauen, täglicher Routine und vielen Entscheidungen plant haben?Muss etwasWichtiges recherchiert und dafür eine Ge- schichte verschobenwerden?Nein, heute bleibt eswie geplant.Mehrere Kollegen kümmern sich um die jüngsten Corona-Lockerungen: Welche Kultur- und Freizeiteinrich- tungen öffnen, was ist erlaubt? Unser Volontär hört sich in den Schulen um, die wieder imPräsenz- unterricht sind. Fühlen sich die Lehrer und Schüler sicher? Welche Regeln gelten für die nächsten Wo- chen? Was muss sofort ins Netz? Ein weiterer Kollege hat am Amts- gericht einen Prozess gegen einen Weseler verfolgt, der mehr als 2000 Dateienmit kinderpornografischen Inhalten gesammelt hat, und ich schreibe zuerst einen Termin vom Vorabend: Ein alteingesessenesWe- seler Café wird nach der Corona- Zeit nicht mehr öffnen. Solche Nachrichten stoßen immer auf gro- ßes Leser-Interesse. Erst danach ist die Rehkitz-Geschichte an der Rei- he, die erst für den Samstag einge- plant ist. Viele der sonst im Lokalen übli- chen Themen waren zuletzt wegen Corona dünn gesät: Die Kultur musste eine Zwangspause einlegen, Pressekonferenzen fanden nur ein- geschränkt und häufig per Video und auf die Facebookseite der NRZ Wesel. Online first nennt sich unser Modell, und es bedeutet: Alle Texte werden direkt nach dem Schreiben undGegenlesen fürs Internet aufbe- reitet und publiziert – je wichtiger eine Nachricht ist, desto rascher soll sie den Leser erreichen. Erst im zweiten Schritt werden die Texte für die Printausgabe ange- passt. So sind die Online-Abonnen- ten zuerst auf dem Laufenden. In der 14-Uhr-Schalte legen wir die Themen für den nächsten Tag fest: Neben der Rehkitzrettung soll es um unerwünschte Auskiesungs- pläne inWesel gehen, umKulturan- gebote für Kinder und Jugendliche, um ein Hochzeitspaar, das mit der NRZ-Kutsche ins Eheleben startet. Für mich endet der Tag wegen des frühen Einsatzes ausnahmsweise schon amNachmittag, während der Kollege, der die Hamminkelner Ratssitzung um 17 Uhr besucht hat, ein bisschen „nachsitzen“ muss. Denn der Text muss noch geschrie- ben und die turbulente Sitzung kommentiert werden. Da kann ein Arbeitstag schon mal etwas länger dauern. Aber dafür gibt es einen an- derenVorteil unseres Jobs, wie auch neulich ein Leser zu mir sagte: „Sie kommen ja viel rum, das ist sehr in- teressant.“Genau - und irgendwann ist auch Corona vorbei. statt, Feste wurden reihenweise ab- gesagt. Der Terminkalender blieb oft leer – unsere Lokalausgabe je- doch nicht, denn rund um die Pan- demie und ihreFolgengibt es immer etwas zu berichten und Fragen zu beantworten. Jetzt erwacht nach und nach alles zum Leben. Dazu überlegen wir uns Geschichten, die wir in denwöchentlichen Planungs- konferenzen besprechen sowie eigene Serien. Bis zur zweiten Konferenz um 14 Uhr sind die ersten Texte fertig und Online gestellt. Der Gerichtsbe- richt, der erfahrungsgemäß viel ge- klickt wird, ebenso wie die Story über das Aus für das alteingesessene Café und mehrere Polizeimeldun- gen sind auf der Internetseite der NRZWesel abrufbar. Auch der Auf- macher über die aktuelle Coronala- ge sollte schnellstmöglich ins Netz Stefan Möllenbeck mit Redakteurin Rita Meesters. FOTO: ERWIN POTTGIESSER NBX__NRWTZ_10_1652 Vor der Haustür bleibt es spannend Von Duisburg bis Hünxe, von Düsseldorf bis Kleve: Jeden Tag sind unsere Redakteure vor Ort, um zu schauen, was die Menschen auf dem Land und in der Stadt beschäftigt. Vieles hat sich im vergangenen Jahr verändert, der Spaß an der Aufgabe ist geblieben Von Ralf Kubbernuß An Rhein und Ruhr. Warum werden die Kindergartenbeiträge schon wieder angehoben? Und was sagt der Bürgermeister eigentlich dazu? Welches Geschäft eröffnet neu? Was ist das für eine Baustelle - und wie lange wird sie noch für Staus sorgen? Fragen wie diesen gehen die Redakteurinnen und Redakteu- re in unserenLokalredaktionen täg- lich nach. Sie tragen Informationen vor Ort zusammen, überprüfen Sachverhalte, beleuchten Hinter- gründe, schauen den Politikern auf die Finger und sorgen dafür, dass unsere Leser über das, was vor ihrer Haustüre passiert, auf dem Laufen- den gehalten werden. Denn alles, was in der Stadt oder im Dorf passiert, betrifft unsere Le- ser ganz direkt und unmittelbar. Das große Interesse an lokalen In- formationen habenwir zuletzt wäh- rendder Corona-Pandemie gespürt: Wie hoch ist die Inzidenz in meiner Stadt?Wo kann ich mich testen las- sen? Wo wird geimpft? Lokales ist für die NRZ als regionale Tageszei- tung wesentlich, es gehört zu unse- rem Kern. Wie für Inhalte aus Deutschland und der ganzen Welt gilt auch fürs Lokale: Wir wollen keine Meinung machen, haben kein Sendungsbe- wusstsein. Aber wir wollen durch umfassende Informationen aus- drücklich zurMeinungsbildung bei- tragen, durch Kommentare, Analy- sen und Glossen außerdem Posi- tion beziehen, Impulse geben, zu kritischer Diskussion anregen. Nicht immer ist dieses Feld frei von Spannungen, wenn wir denen, über die wir bisweilen auch kritisch be- richten, persönlich auf der Straße oder im Rathaus begegnen… Ganz nah an den Menschen Von Düsseldorf bis Kranenburg, von Essen bis Neukirchen-Vluyn: Kein anderes Medienunternehmen beschäftigt im Verbreitungsgebiet der NRZ so viele Redakteure, ist so nah an den Themen und den Men- schen vor Ort. Die Auswahl dessen, was für unsere Leser interessant ist, gehört zu unseren Aufgaben im Lo- kalen wie auch im Überregionalen. Bei unserer täglichen Arbeit legen wir besonderen Wert darauf, dass wir unaufgeregt und seriös berich- ten, Informationen, die wir erhal- ten, überprüfen, bevor wir sie selek- tieren und weitergeben. Das ist unser Anspruch und unterscheidet uns von Sozialen Netzwerken, in denen so manche Information auf Gerüchtebasis schnell zur ver- meintlichen Nachricht wird. Ähnlich rasant wie die digitalen Entwicklungen hat sich unsere Arbeit verändert. Der Takt ist deut- lich schneller geworden, die Zeit- spanne, in der eine gerade noch neue Nachricht alt wird, deutlich kürzer. Über unsere digitalen Kanä- le versorgen wir unsere Leser schnell mit wichtigen Informatio- nen, vertiefen die Themen dann über die erste Nachricht hinaus, fas- sen nach, berichten umfassender und liefern Zusammenhänge. Bis ein Artikel in der gedruckten Zei- tung erscheint, haben wir unsere Leser manchmal nach der ersten Nachricht mit zwei, drei oder vier Sachständen online informiert und auf dem Laufenden gehalten, in so- zialenNetzwerken auf unsere seriö- sen Inhalte aufmerksam gemacht. Was die Zukunft auch bringt, si- cher ist: Die Arbeit in unseren Lo- kalredaktionenwird sichweiter ver- ändern und mindestens so aufre- gendund spannendbleiben, wie das Leben vor der Haustür selbst. Ganz wichtig: Die Leser kennenlernen. Hier hat Ralf Kubbernuß die Familie Köhnen anlässlich eines Gewinnspiels getroffen. FOTO: KAI KITSCHENBERG Eingespieltes Team: Der Austausch zwischen den Lokalredaktionen und Ralf Kubbernuß, stellvertretender Chefredakteur, findet derzeit oft digital statt. FOTO: LARS HEIDRICH MIT PROFIL FÜR DIE REGION Ralf Kubbernuß n Der stellvertretende Chef- redakteur lebt mit seiner Ehe- frau und den beiden Töchtern in Duisburg am Rhein. Nach dem Studium volontierte Ralf Kubbernuß bei der NRZ, baute dann die Projektredaktion der NRZ auf, bevor er fast zehn Jah- re die Lokalredaktion für Dinslaken, Voerde und Hünxe leitete. n Im Herbst 2016 wurde der heute 51-Jährige in die Chef- redaktion der NRZ berufen, wo er unter anderem für Digitales, Lokales und Personalangelegen- heiten zuständig ist. Von Rita Meesters Wesel/Hamminkeln. Umkurz vor vier am Morgen schellt der Wecker – dass Journalisten mitunter unge- wöhnliche Arbeitszeiten haben, warmir bei der Berufswahl bewusst. Doch dieser Termin ist selbst nach mehr als 20 Jahren besonders: Um fünf Uhr stehe ich an diesemkühlen Frühlingsmorgen in Hamminkeln an einer Wiese und beobachte die Rehkitzretter des Hegerings Ham- minkeln bei ihrer Arbeit. Bereut habe ich es nicht: Vor Ort sein für interessante Reportagen ist immer noch das Schönste an der Arbeit im Lokalen – Wesel und Umge- bung sind eben ländlich geprägt. Üblicherweise beginnt unser Arbeitstag nicht vor neun Uhr. Da habe ich an diesem Donnerstag be- reits drei Stunden auf den Wiesen hinter mir und mit den ehrenamtli- chen Helfern gesprochen, die vier Jungtiere mit Hilfe einer Drohne im Gras geortet und vor demTod in der Mähmaschine bewahrt haben. Bin mit ihnen durch hochgewachsene nasse Wiesen gewatet, hatte nach ein paar Metern das Wasser in den Schuhen stehen, eiskalte Füße und eine triefende Jeans. Egal, der An- blick eines ängstlichen Rehkitzes, das – nachdem klar war, dass die Mähmaschine wegen des Wetters nicht kommen würde – wieder auf der Wiese ausgesetzt werden konn- te, wärmte zumindest in der Herz- gegend. So beginnen die Arbeitsta- ge eher selten. Denn Corona hat seit mehr als einem Jahr auch unsere Arbeit fest im Griff. Statt in der Redaktion sit- zen wir noch immer häufig im Ho- meoffice. Das hat die Kommunika- tion verändert: Die Absprachen unter den bis zu sechs Redaktions- kolleginnen und -kollegen, die sich um die Kommunen Wesel, Ham- minkeln, Hünxe, Schermbeck plus die Kreispolitik kümmern, findet hauptsächlich über unsere Chat- gruppe statt.Weil dasmitunter kom- pliziert ist, treffen wir uns zweimal täglich per Video-Konferenz. In der ersten Schaltemorgens um halb elf schauen wir hauptsächlich auf den aktuellen Tag: Bleiben alle Themen so, wie wir sie gestern ge- Die Kitzretter vom Hegering Hamminkeln suchen mit der Drohne nach Re- hen, bevor die Felder gemäht werden. FOTO: ERWIN POTTGIESSER
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