75 Jahre NRZ

schwieriger, zuverlässige Boten zu finden. Viele melden sich spontan krank, die Zeitung muss trotzdem raus. Auf die alten Zusteller ist aber immer Verlass.“ Es ist ein harter Job. „Was viele nicht sehen: Andere haben bei Schneestürmen frei, aberwir dürfen nicht zuhause bleiben. Wir laufen auch bei schlimmstem Wetter und auch dann, wenn die Straßen nachts noch nicht einmal gestreut sind.“Mehr Nachsicht und Respekt von Seiten der Kunden wären manchmal schön, meint Messing. „Da kommt er!“, ruft Olaf in die- sem Moment und zeigt auf einen weißen Sprinter. Den Fahrer kennt er sogar. „Der ist nett und erkundigt sich immer nachder Familie.“Doch viel Zeit zum Plaudern bleibt nicht. Die große Uhr am Marktplatz zeigt 2:15, schon eine Stunde hinter dem Zeitplan. Die Klappe des Sprinters geht auf, zack, zack landen große, gebündelte Pakete auf dem Boden vor einer Supermarktfiliale. Jetzt muss alles schnell gehen. Auf den einzelnen Stapeln liegen weiße Zet- tel mit den Nummern der Lieferge- biete, Olaf greift sich zwei Bündel und trägt siemit schnellenSchritten zu seinemWagen. Auf eine Liste mit Anschriften verzichtet er. „Die habe ich alle im Kopp“, erklärt er grinsend. Was dann folgt, ist ein immer gleicher Reigen aus Stoppen, Warnblinker einschalten, aus dem Wagen sprin- gen und Zeitungen einwerfen. Oft sind es nur ein paar Meter, die die Häuser trennen, dannwieder ganze Straßenzüge, bis Olaf sein Auto zum Halten bringt. Nach ein paar Minuten atmet er schneller. Während andere schlafen, macht Olaf Ausdauersport. Insgesamt 27 Jahre hat er im Gerüstbau gearbei- tet, an Kraftwerken gebaut. Die har- te Arbeit hat Spuren an seinem Rü- cken und den Gelenken hinterlas- Und an der Decke fliegen die Zeitungen auf verschnörkelten Bahnen über die Köpfe hinweg Haben Blattmacherinnen undBlatt- macher Schluss, fängt der Betrieb im Druckhaus gerade erst an. Im vergangenen Jahr wurden weitere Maschinen aus der aufgelösten Essener Druckerei übernommen, die Produktionsstätte imHagener Gewerbegebiet musste vergrößert werden. „Die Zeitung wird uns di- gital übermittelt, das kann von Es- sen nach Hagen um die zehn Mi- nuten dauern“, sagt Stefan Merti- neit, der an diesem Abend alles koordiniert. SinddieDatenda, be- ginnt sofort die Beschichtung der Druckplatten. „Wir sind mit den Mitarbeitern an der Belichtung in direktem Austausch, geht etwas schief, können wir direkt eingrei- fen“, erklärt er seine Arbeit. Matt- graue Aluminiumplatten laufen über ein Fließband in eine Anlage ein. Durch einen hochauflösen- denLaserwerdendie Seiten inden Druckfarben Cyan, Magenta, Gelb und Schwarz auf die Druck- platte übertragen... Dann hat der Andruck begon- nen. An der Decke fliegen die ge- druckten und gefalteten Zeitun- gen auf verschnörkelten Bahnen über die Köpfe hinweg bis zur an- deren Seite der Halle – bis an die frische Luft. Sie laufen in eine Zählmaschine, werden automa- tisch verschnürt und fließen dann über ein Fließband durch eine Lu- ke nach draußen. Dort stehen die ersten Sprinter schon bereit, mit offener Luke direkt vor dem Ende des Fließbands. Die Lieferwagen werden beladen, Motoren starten. Die NRZ ist auf demWeg zu ihren Lesern. vad FOTO: LARS HEIDRICH / FUNKE FOTO SERVICES Von Vera Denkhaus Duisburg. Vier Duisburger Reviere fährt Olaf Szon an sechs Tagen die Woche an, Montag bis Samstag. Egal ob Regen, Glatteis oder Hitze- welle, die Zeitungen landen im Briefkasten. Auch an Christi Him- melfahrt steht sein dunkelblauer Kombi auf dem Hamborner Alt- markt. Kurz nach Mitternacht hat er sich von zuhause auf denWeg ge- macht, um hier spätestens um 0:45 Uhr auf die Zeitungslieferungen aus Hagen zu warten. „Normalerweise stehen hier am Wochenende viele Autos rum“, er- klärt Olaf, während er mit seinen neon-orangen Schuhen und seiner schwarzen Funke- Mediengruppen- Jacke aus dem Wagen steigt. Ent- spannt lehnt er sich ans Auto. Durch die zu diesem Zeitpunkt gel- tende Ausgangssperre sind Markt und Straßen menschenleer. Es ist ungewöhnlich kühl fürMai, die Bei- die können wir leider nicht errei- chen, um nachzufragen“, erklärt sie. Das Problem: Je länger sich die Anlieferung verzögert, desto schneller und gestresster läuft die Auslieferung an die einzelnen Haushalte. Langsam macht sich Frustration bemerkbar. Der Beruf hat sich verändert Ist es eigentlich ein gefährlicher Job, nachts, allein auf den Stra- ßen? „Ich fahre seit 25 Jahren, je- de Nacht. Man darf gerade als Frau keine Angst haben“, betont Jutta Messing. Mulmige Situatio- nen gibt es aber. „Ich hatte mal eine Route durch einWaldgebiet und mir ist im Dunkeln eine Stimme gefolgt.“ Manchmal werden ihr Hindernisse in den Weg gelegt. Umgestürzte Ein- kaufswagen, um sie zum Aus- steigen zu zwingen. Oder Men- schen lungern umdieZeitungs- stapel am Abholort herum. „Ich vermeide Risiken und fahre dann lieber erst eine weitere Runde, als in diesen Momenten die Konfronta- tion zu suchen.“ Wie hat sich der Beruf im letzten Vierteljahrhundert verändert? „Durch das E- Paper werden weniger Print- ausgaben bestellt. Die Häu- ser liegen weiter auseinan- der, die Reviere werden grö- ßer“, erklärt Messing. Die Folge: Die Fahrten werden anstrengender. Mittlerweile seien viele Zusteller Rentner. 80-Jährige, die nachts die Zei- tung austragen, um sich etwas dazu zu verdienen. „Es wird Eine Liste mit Anschriften braucht Olaf Szon nicht. Er hat alle Adressen der Abonnenten im Kopf. FOTO: LARS HEIDRICH Sortieren, stapeln, ausliefern und meistens muss all das ganz schnell gehen. FOTO: LARS HEIDRICH ne werden langsam schwer beim Warten. Plötzlich erklingt leise Popmusik auf dem Marktplatz, ein Mann mit gelber Warn- weste bleibt mit seinem Fahrrad samt Anhänger vor Olaf stehen. „Das ist Markus, ein Kollege“, er- klärt Olaf grinsend. In manchen Nächten treffen die zwei aufeinander, war- ten gemeinsam und plau- dern über Gott und dieWelt. Wenig später fährt ein klei- ner Lastenwagen vor, Chefin Jut- ta Messing steigt aus. „Sie ist hier unser Schmuckstück“, meint Olaf lächelnd. Gemeinsam warten die drei, während die Zeit verstreicht. Auch um viertel vor zwei ist noch kein Transporter in Sicht. „Irgend- was muss in Hagen schiefgelaufen sein“, meint die Chefin. Kontakt zu den Fahrern gibt es keinen. „Das sind alles externe Dienstleister und „Wir laufen auch bei schlimmstem Wetter und auch dann, wenn die Straßen nachts noch nicht einmal gestreut sind.“ Jutta Messing Zustellerin sen. Nachts fährt er durch die Stra- ßen, „tagsüber habe ich noch ein Kleingewerbe und kümmere mich jeden Tag um meine kranke Mut- ter“, erzählt Olaf und nimmt einen tiefen Schluck aus seinem Energy- drink. Wie er das durchhalte? „Mit Aufputschmitteln“, lacht er. „Also mit ein paar von diesen Dosen und einer Menge Kaffee.“ Arbeiten, wenn andere schlafen Der Job habe auch gute Seiten. „So an sich ist der Beruf eigentlich echt schön. Man hat seine Ruhe und wenn man alles ordentlich macht, läuft es. Die Bezahlung ist immer pünktlich, und ich kann mein eige- nes Ding machen“, erklärt Olaf. „Und manchmal trifft man auf Kollegen oder die Chefin und quatscht ein biss- chen. Jutta holt einen immer runter, wenn man schlecht drauf ist. Sie hat so eine gelas- sene Stimme.“ Währenddessen ziehen eini- ge Polizisten ihre Runden, um die Ausgangssperre zu kontrol- lieren. Wer jetzt noch auf der Straße ist, bekommt mehr Auf- merksamkeit. Ein Streifenwa- gen wird langsamer und bleibt in Olafs Nähe stehen. Schnell hält er eine NRZ vor seinen Kör- per.HalbSchutzschild, halbAus- weis. Die Beamten nicken freundlich und fahren weiter. Mittlerweile ist es 2:40 Uhr. Ham- born ist ruhig, selbst in der Bäckerei brennt noch kein Licht. Eine Frau mit hochgebundenen Haaren schiebt vorsichtig ihre weiße Gardi- ne zur Seite und blickt neugierig auf die Straße runter. Olaf bemerkt sie nicht. „Jetzt muss ich mal ein biss- chen Gas geben“, meint er und legt die nächsten Strecken joggend zu- rück. Die verspätete Anlieferung rui- niert den Zeitplan. Drei Gebiete lie- gen noch vor ihmund umsechs Uhr muss er mit seiner Runde fertig sein. „Aber heute werde ich es nicht ganz schaffen.“ Danach geht es nach Hause, zurück zu seiner Freundin. Hat sie Verständnis für seinen nächtlichen Job unddie gegensätzli- chen Arbeitszeiten? „Wir sind seit 17 Jahren zusammen, und sie ist mein absoluter Glücksgriff“, sagt Olaf mit strahlenden Augen. Dann verschwindet er in der Dunkelheit. Der letzte Schritt: Rein in den Briefkasten und weiter geht’s zum nächs- ten Haus. FOTO: LARS HEIDRICH Olaf Szon übernimmt immer die Tour in Duisburg -Hamborn und teilt dort die NRZ aus. FOTO: LARS HEIDRICH MIT PROFIL FÜR DIE REGION NBX__NRWTZ_14_1652 Wer bringt Ihnen eigentlich die Zeitung? In Duisburg-Hamborn ist Olaf Szon dafür zuständig. Sechs Nächte pro Woche bringt er mit seinem Kombi die NRZ in die Briefkästen der Abonnenten. Es ist ein anstrengender Job, aber einer, der dem Zusteller meist Spaß macht. Wir haben ihn auf seiner Tour begleitet

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