75 Jahre NRZ
Von Thomas Plaß- mann gezeichnet, v.l.: Stephan Herm- sen, Jacqueline Siepmann, Maike Maibaum und Matthi- as Maruhn. MONTAGE: LENA LENGNER Jede Menge leckere Marmelade Im Jahr 1963 machte Gerd Fischer mit „Bei uns zu Haus“ den Anfang. Kolumnen und Glossen haben seither bei der NRZ eine gute Tradition. Wir haben vier Kolleginnen und Kollegen gebeten, für diese Jubiläumsbeilage einen Text zum Thema „Feiern“ beizusteuern Von Peter Toussaint An Rhein und Ruhr. Wenn die Nachricht das Schwarzbrot in der Zeitung ist, dann ist die But- ter die gehaltvolle Reportage – und die leckere Marmelade obendrauf ist dann die Glosse oder die Kolumne. Sie muss man nicht lesen, um gut informiert zu sein. Glossen liest man imbesten Fall, weil man Spaß daran hat, weil man sich freuen und mit einem Schmunzeln in den Tag starten möchte. Bei der NRZhaben die Kolum- nen eine lange Tradition. Los ging esmit „Bei uns zuHaus“ von Gerd Fischer, dem langjährigen Leiter derKulturredaktion. Er er- innerte sich später an die Anfän- ge: „Irgendwann Ende 1963 kam mir die Idee, mal eine kleine Ge- schichte zu schreiben über ein Problemchen des familiären Le- bens. Das gefiel einigen Leuten so, dass ich auch noch eine zwei- te schrieb und eine dritte, und schließlich waren es über 500 ge- worden...“ Und schon Kollege Fischer no- tierte damals, was seither alle Ko- lumnistinnen und Kolumnisten umtreibt, die um einer Pointe wil- len so manches aus dem Privaten öffentlich machen: „Vor allem die heftig heranwachsende Susanne empfand es mehr und mehr als ungehörig, bei jeder Gelegenheit auf ihre Rolle als journalistisches Wesen angesprochen zu werden. In der Grundschule fragte die neue Lehrerin: ‘Bist du die Susan- ne Fischer von Bei uns Zu Haus?’ Bei der Sexta-An- meldung: ‘Bist du die Susanne Fischer von ...’ In der Tanzschule: ‘Fräulein Susan- ne, sind Sie etwa ...’ Bei der Kandi- datur für die Schülermitverwal- tung: ‘Ist dein Vater die Type, die den abgeschlafften Quatsch auf der letzten Seite schreibt?’.“ Irgendwann hatte Gerd Fischer das Gefühl, es sei alles aufge- schrieben. Dann hat er die Kolum- nenschreibfeder an Jörg Bartel weitergereicht, der zunächst unter der Überschrift „Kinder“, später dann unter dem Titel „Kolumbus &Co“ (weil er doch in der Kolum- busstraße wohnte) schrieb. Inzwischen steht Maike Maibaum mit ihren „Geschenkt“-Kolumnen je- den Samstag auf Seite 1 der Wo- chenendbeilage – undnichtwenige Leserinnen und Leser empfinden ihre Texte zum Wochenend-Auf- takt als willkommenes Geschenk. Längst sind andere Glossen und Kolumnen hinzugekommen: „Ja- sis Woche“ zum Beispiel. Und der „Platzhalter“ von Stephan Herm- sen. Auf Matthias Maruhns „Bank- geheimnisse“ freuen sich die Lese- rinnen und Leser am Donnerstag, und seit fast 20 Jahren erscheint je- den Tag eine „Extra Drei“-Glosse auf der dritten Sei- te. Es gibt also neben all der Nach- richten-Schreiberei, dem Reportie- ren und Kommentieren immer noch feste Plätze für „abgeschlafften Quatsch“ – oder wie wir es lieber se- hen: für die Marmelade auf dem Frühstücksbrot. Undweil wir vermuten, dass es vie- len Leserinnen und Leser auch gut schmeckt, haben wir zwei Kolumnis- tinnen und zwei Kolumnisten gebe- ten, für diese Jubiläumsausgabe einen Text zum Thema „Feiern“ bei- zusteuern. Wir wünschen gu- ten Appetit! Die NRZ-Bibliothek n In diesen Tagen wird sie fer- tig: die NRZ-Bibliothek der Ko- lumnistinnen und Kolumnisten. n In einem Schuber sind sechs Buchtitel enthalten: „ Ge- schenkt “ von Maike Maibaum, „ Bankgeheimnis “ von Matthias Maruhn, „ Kolumbus & Co “ von Jörg Bartel, „ Kraut & Rüben “ von Jens Dirksen, „ Angespitzt“ von Thomas Plaßmann und die besten „ Extra Drei “-Glossen von der Seite 3. n Den Schuber mit allen sechs Bänden können Sie in unseren Leserläden in Essen und Moers und im Buchhandel bekom- men. Er kostet 49,90 Euro. n Aus Anlass des NRZ-Jubilä- ums verlosen wir 75 Schuber mit allen sechs Büchern. Wie Sie bei der Verlosung mitmachen können, steht auf Seite 40 die- ser Sonderausgabe. D ie besten Partys sind ja die, bei denen ir- gendwas in die Hose geht. Und zwar möglichst nicht der frisch auf den Pappteller gehäufte Kartoffelsalat. Weil, eine Weisheit nicht nur für Journalisten, schlechte Erfahrun- gen bleiben besser haften. Wenn also eine Panne passiert – dann bleibt auch die Party im Hirn. Und mit etwas Glück sind die Pannen derart, dass sie zur Pointe taugen. Zugegeben, ich habe schon im zarten Alter von acht Jahren von einer solchen Partypanne profitiert. Meine Eltern feierten freitags das Richtfest des gerade eben emporwachsenden Einfamilienhauses. Und samstags hätte ich zur Schule gehen sollen. Das war damals noch so. Jedenfalls war das Richtfest gebührend begos- sen und der Wecker abgestellt worden … und ich konnte selig die Schule verpennen. Im Partykeller jenes Einfamilienhauses habe ich übrigens am 18. Geburtstag recht unver- hofft einige sehr einsame Stunden verbracht. Erfüllt vom Bildungsauftrag und wissend, dass man schon mehr als nur Bierkisten und Musik bieten muss, wenn eine Party was taugen soll, hatte ich ein klitzekleines Quiz, verbunden mit einer nächtlichen Wanderung für die Teilneh- mer, ausgearbeitet. Nun, die Aufgaben waren etwas kniffliger als gedacht, die Wege etwas länger als vermutet und so dauerte es ein we- nig länger als geplant, also so bis drei, vier Uhr, ehe zumindest einige Partygäste wieder auftauchten... Ebenfalls sehr schön war die Party ein Jahr nach dem Abitur. Die fand in Peters Partykeller statt. Irgendwie war das Gerücht entstanden – und alle kamen. Nur Peter war nicht zuhause. Die ebenso verdatterten wie gastfreundlichen Eltern von Peter öffneten dennoch die Tür und irgendwie haben wir dann auch noch Geträn- ke, Musik und was zu futtern organisiert. Was bei den NRZ-Geburtstagen der letzten 75 Jahre so alles schief gegangen ist, weiß ich natürlich nicht (außer einer entsetzli- chen Niederlage beim Fußballturnier zum 60. Geburtstag seinerzeit gegen die Kollegen aus Emmerich). Aber ich bin mir sicher: Auch diese Feier wird uns auf die einprägsamste Weise misslingen. Und zum 100. verraten wir auch, was genau schieflief. Hoffentlich geht’s schief! F eiern? Das waren doch diese Zusammen- künfte von Leuten, bei denen ausgelassen geredet, getrunken und getanzt wurde, bevor ih- nen ein Virus den Garaus machte. Und die dem- nächst – hoffentlich – wieder stattfinden wer- den. Und dann sollten wir gut vorbereitet sein. Deswegen hier drei Faktoren, die für das Gelin- gen von Festen eine Rolle spielen können (die Fortsetzung folgt beim nächsten NRZ-Jubiläum). Die Wohnung: Sie haben es auch in dieser Sai- son nicht geschafft, Ihre sichtlich in die Jahre ge- kommene Küche zu renovieren? Gut so. Hier darf man nämlich jenseits aller politschen Korrekt- heit behaupten: je oller, desto doller. Die aller- besten Partys finden nämlich in Küchen statt – und zwar in unaufgeräumt gemütlichen. Viele schwärmen noch Jahre später von durchfeierten Nächten, die sie zwischen Essensresten und dre- ckigem Geschirr verbracht haben. Der Außenbereich: Im Idealfall verfügen Sie als Gastgeber angesichts der hiesigen Wetterver- hältnisse über eine überdachte Terrasse, es reicht aber auch der Windfang im Hauseingang. Dort versammeln sich in der Regel die Raucher, von denen es mehr gibt, als man denkt. Denn zu den Gewohnheitsrauchern gesellen sich dann gerne die Geselligkeits-, die Lust- und die Ab- und-Zu-Raucher, selbst geruchsunempfindliche Nichtraucher mischen sich unters qualmende Volk, vor allem, wenn es sich in der geschützten Ecke festgequatscht hat. Immer wieder hört man von Feiergesellschaften, die sich nach kurzer Zeit vollständig nach draußen verlagern. Und da- für muss es noch nicht mal Sommer sein. Über- dachte Außenplätze in blauem Dunst und netter Gesellschaft rangieren in der Beliebtheitsskala nur knapp hinter schrömmeligen Küchen. Die Musik: Ein ganz heikler Punkt. Die einen zappeln am liebsten zu Hits der aktuellen Charts herum, andere kommen erst bei 70er-Jahre-Soul- klassikern so richtig in Schwung. Und irgendei- ner hat immer was zu meckern. Zu lahm, zu laut, zu langweilig. Allen kann man es sowie nie Recht machen. Deswegen sind Mottopartys eine gute Alternative. Wenn dann bei der Heavy-Metal-Revival-Sause stundenlang Motörhead und Iron Maiden das Partyvolk niedergrölen, kann sich immerhin niemand be- schweren. Mit Iron Maiden in der Küche F alls Sie mich nie singend und mit einem Cocktailglas in der Hand angetroffen ha- ben: Ich bin eine Partylöwin. Also ein We- sen, das schon brüllt, wenn es das Wort „Party“ nur hört. Feiern sind furchtbar. Ich hab nix anzuziehen. Die Haare liegen nicht. Und was soll mein schöner Sessel den gan- zen Abend ohne mich machen? Wenn ich rausgehe, müsste ich plaudern. Mit tausend Leuten! Mein Problem ist, dass ich Menschen… mag! Sehr! Nix auf dieser Welt ist spannen- der, wahnsinniger, lustiger, dümmer, genia- ler, rührender... Deshalb fehlt mir ein we- sentliches Talent fürs Feiern: Small Talk. Ich kann nur XXL-Labern. Von Hölzken auf Stöck- sken. Mit und über Pit und Jan, wobei ich mindestens den Weltfrieden, Was-machen- die-Kinder?, die Zukunft des Print-Journalis- mus und die letzten drei Urlaube durchhe- cheln muss. Wenn ich auf eine Party gehe, treffe ich Freunde, Kollegen, Bekannte, die ich – schon vor Corona – viel zu lange nicht gese- hen habe. Deshalb möchte ich mit jedem REDEN, nicht drei Höflichkeiten austau- schen. Auch darüber lässt sich diskutieren: Frau- en leisten Kommunikationsarbeit, Männer stehen gesellig rum und lächeln schlau in ihr Bier. Nach zwei Stunden, in denen ich versucht habe, 25 Schicksale zu ergründen, sinke ich in einen Sessel. Feiern sind furcht- bar, ich hätte jetzt gerne die einsame Park- bank von Forrest Gump, ab und an nimmt je- mand Platz und man kann gemeinsam das Leben vorbeispazieren lassen. Wie gerufen… eine alte Freundin flieht ebenfalls vor dem Vielzuviel, wir quatschen über Gott und die Welt und das Wetter. Noch zwei Ermattete kommen dazu, irgendwer verteilt Martinis, wir lösen die Klimakrise, stellen fest, dass wir vor Partys nix an- zuziehen finden und die Haare noch nie richtig gelegen haben und dass uns das völlig wurscht ist. Feiern sind furchtbar schön, wenn sie bis in die frühen Mor- genstunden dauern. Und wollen wir jetzt endlich mal alle tanzen?! Feiern sind furchtbar A lso eine der schönsten Partys in meinem Leben fand in jüngster Zukunft statt. Mei- ne Frau und ich haben das Wohnzimmer freige- räumt, falls das Wetter zickt, aber es wird ein milder Sommertag und die vielen Lampions ge- ben unserem Gärtchen einen Hauch von Eden. Beim Essen ist Schmalhans Küchenmeister, ein Teller mit Samosas, dazu selbst gemachter Kar- toffelsalat, ein Topf Würstchen für die Nichtve- getarier, Fassbier, Weißwein. Heute ist nicht die Zeit für Grillgut oder guten Gin, heute wird gefei- ert. Punkt acht klingeln die Gäste. Hereinspa- ziert. Willkommen. Mit dem Duft einiger Räu- cherstäbchen breitet sich Vorfreude im Garten aus. Wir sind 18 Personen an dem Abend, aus neun Haushalten, mehr sind erst ab morgen er- laubt, alle sind zweimal geimpft. Vom Alter her stehen wir auf der Schwelle zum letzten Drittel Leben, partytechnisch geprägt von der Musik der frühen 70er. Mein Bruder hat seine Anlage und fette Boxen mitgebracht. Ich beginne mit In-A-Gadda-Da-Vida, dann I’m Going Home und Locomotive Breath. Mit dem ersten Ton setzen sich alle in Bewegung. Wer noch Haare hat, schüttelt sie wie einst im Mai, andere tanzen Pogo und mit jedem Sprung weitet sich der Riss im Panzer, bis er polternd bricht. Wir zappeln den Stillstand der Monate einfach fort. Ich schiebe „Stairways To Heaven“ zur Erho- lung hinterher, einige Herren atmen schwer, jetzt übernimmt mein jüngerer Bruder, der auch gerne mal moderne Sachen aus den 90ern auf- legt. Schon kurz vor zwölf. Wir laufen nach vorne auf die Straße, setzen geübt die Masken wieder auf, die Türen der Nachbarschaft öffnen sich und die Menschen strömen wie einst zu Silves- ter auf die Straße. Wir zählen runter. Drei. Zwei. Eins. Jubel hebt an. Hundert Gläser klimpern. Ein jüngerer Nachbar steigt auf die gelbe Tonne und ruft: „Corona ist im Käfig und wir sind frei.“ Endlich. Wir nehmen die Masken ab. Mit Bedacht. Dann umar- men wir uns. Einige küssen sich, andere zeigen mit Tränen Freude. Die Zukunft hat uns wieder. So wird es wohl gewesen sein. Ganz bestimmt. Die Zukunft hat uns wieder Matthias Maruhn Stephan Hermsen Jacqueline Siepmann Maike Maibaum MIT PROFIL FÜR DIE REGION NBX__NRWTZ_16_1652
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