75 Jahre NRZ
nicht immer in Erinnerungen zu le- ben. Man müsse sich von manch Materiellem verabschieden, auch Verletzungen von früher vergessen. Nur so könne man lernen, nicht zu verbittern. Ist das nur scheinbar ein Widerspruch zu den Thesen des Glücksforschers? Vielleicht... Stelter listet die runden Geburts- tage auf: „Mit 30 war’s eine Katast- rophe, noch so viel in Bewegung. Mit 40 war’s okay. Das Reihenhaus war da, beruflich lief es gut, auch in der Familie. Mit 50 kommt das Ge- fühl, dass die Hälfte rum ist, sogar schon weit mehr. Aber mit 60 muss ich niemandem mehr etwas bewei- sen“, bilanziert Bernd Stelter. „Nicht einmal mir selbst!“ Der familiäre Druck ist weg, die Kinder brauchen einen nicht mehr. Oberhausen. Als Kabarettistin muss man frech sein, als ehemalige Kolle- gin darf man das auch. Schließlich hat Gerburg Jahnke früher Artikel für dieNRZ inOberhausen verfasst. Nun schreibt sie wieder mal ein Stückchen in der NRZ. „Die kleine kritische Bemerkung war einfach nicht löschbar“, warnt sie uns freundlich. Über die Kritik denken wir gerne nach und freuen uns sehr über den schönen Text: „Wenn ich dann mal ein Buch le- se, was ich des Öfteren tue, begebe ich mich bei gutem Wetter – leider selten in den letzten Monaten – auf die Terrasse. Glücklicherweise überdacht. Dann kommt das Rot- kehlchen einmal amTag zur großen Körper-Wasch-Aktion. Übrigens in der Trinkschale der Kater. Rotkehl- chen waschen sich sehr gründlich: unter den Armen, am Hals und am Hinterteil. Um hintenrum auch sauber zu werden, schwenken sie das, was beim Menschen der Popo Gerburg Jahnke FOTO: OLAF FUHRMANN Zehn Jahre Stammgast bei Rudi Carrells „7 Tage, 7 Köpfe“ n Bernd Stelter wurde am 19. April 1961 in Unna geboren. Nach der Schule studierte er zunächst Volkswirtschaft. Schon in den 80er-Jahren kamen erste LPs he- raus mit teils lustigen, teils politi- schen Liedern. Schon da mode- rierte er gelegentlich im WDR 4. n Seinen ersten TV-Auftritt hatte er 1990 als Kandidat beim „Glücksrad“. Bekannt wurde er durch Auftritte bei Fernsehsitzun- gen des Kölner Karnevals und als Mitglied der Stammbesetzung von Rudi Carrells „7 Tage, 7 Köpfe“ . n Immer wieder geht er mit sei- nen Programmen auf Tour , mode- riert TV-Shows oder tritt in Quiz- Sendungen auf. n Seit dem Jahr 2004 erschienen mehrere Bücher von Bernd Stelter , unter anderem seine Holland- und Campingplatz-Krimis . Gerade ist der dritte Band erschienen: „Mie- ses Spiel um schwarze Mu- scheln“. n Bernd Stelter ist verheiratet, hat zwei erwachsene Kinder. Er lebt in Bornheim - und immer wieder gerne als Dauercamper in einem Mobilheim an der niederländi- schen Nordseeküste. von ihr. Da taucht man in eine ande- re Welt ein. Ich mag aber auch ihre Krimis für Erwachsene – zum Bei- spiel ‘Blinde Vögel’. Ich frage jetzt immer schon nach, wann das nächste Buch von ihr erscheint.“ Andrea Spatzek FOTO: ARD „Wenn ich dann mal lese...“ Die Kabarettistin Gerburg Jahnke gratuliert – und übt auch leise Kritik wäre, hin und her. Allerdings wirkt es bei dem Vögelchen nicht sexy. Sondern sehr lustig. Das weiß der Vogel aber nicht. Dergestalt abge- lenkt muss ich dann die letzte Seite noch mal lesen. Morgens lese ich indoor, zum Kaffee. Ja, ich glaube, ich bin eine der letzten Printausgabenleserin- nen der NRZ. Ein Ritual, ein Luxus, leider oft kein Vergnügen. Was an den Geschehnissen liegt, wofür die Zeitung nichts kann. Und an der bisweilen unpräzisen Recherche, woran die Zeitung definitiv etwas ändern könnte. Aber wollen wir eine 75-Jährige schimpfen? Zum Geburtstag? Nein. Ich gratuliere herzlich. Und wünsche mir noch viele Jahre Lesestoff!“ In eine andere Welt Schauspielerin Andrea Spatzek („Lindenstraße“) Andrea Spatzek (62), spielte 35 Jahre die Gabi Zenker in der TV-Serie „Lin- denstraße“: „Ich lese am liebsten in der Badewanne, undmuss dabei im- mer sehr aufpassen, dassmeinBuch nicht nasswird. Darumhabe ich im- mer ein Handtuch an der Seite lie- gen, und wenn das Buch sehr span- nend ist, muss ich zwischendurch immer mal wieder etwas heißes Wasser nachlaufen lassen. Früher habe ichauch gerne imBett gelesen, aber da schlafe ich nun nach weni- gen Abschnitten immer ein. Durch eine Empfehlung meiner Buchhändlerin habe ich die Auto- rin Ursula Poznanski kennenge- lernt. Sie schreibt Jugendbüchermit sehr phantasievollen Geschich- ten.’Erebos’ ist ein berühmter Titel NBX__NRWTZ_32_1652 „Jetzt fängt eine gute, entspannte Zeit an“ Ein Gespräch mit dem Komiker, Sänger, Moderator und Autor Bernd Stelter über das Lesen, über seinen Campingplatz in Zeeland und das schöne Gefühl, in diesem Jahr 60 geworden zu sein Von Peter Toussaint Bornheim. Man muss schon zwei- mal hingucken. „Mensch, ist der schlank geworden!“, denkt man, wenn man auf das Foto schaut, das uns Bernd Stelter von seinem„Lieb- lingsleseort“ geschickt hat. Da sitzt er entspannt im Garten seines Ein- familienhauses in Bornheim, pros- tet dem Betrachter zu und hält ein BuchdesGlücksforschersMeikWi- king in der Hand. Aber dazu kom- men wir noch. „Mehr als 20 Kilo sind runter“, sagt er nicht ohne Stolz. Das hatte er schonmal geschafft und sogar ein Buch drüber geschrieben. Dann kam Pfund für Pfund wieder zu- rück, aber diesmal hat der Karneva- list, Komiker, Sänger, Fernsehmo- derator und Erfolgsautor keine Angst vorm Jojo-Effekt. „Ich ernäh- re mich vernünftiger und lauf jeden Tag 10.000 Schritte“, erzählt er uns. Sein Handy kontrolliert’s und zeichnet es auf. Das passt als Überleitung zum Thema „Lesen“. Denn viele Bücher hört Stelter lieber, als dass er sie liest. Das war früher so auf den lan- gen Autofahrten zumnächsten Auf- tritt. Und jetzt, woCorona denTour- neeplan durcheinanderwirbelt, hört er die Bücher, während er in Bornheim am Rhein entlang geht. Aber das Buch von Wiking hat er sich in gedruckter Form gekauft – wohl auch, umauf den Seiten unter- streichen und Notizen machen zu können. „Die Kunst der guten Erin- nerung“ ist der Titel. Wiking leitet das Kopenhagener Institut für Glücksforschung. Seine These: Er- innerungen sind wichtig für unser Glück. Sie sind die „Superkraft des Menschen“, die es ihm ermöglicht, in der Zeit zu reisen und sich als die gleiche Person im Laufe der Zeit zu verstehen und zu erleben. „Darüber muss ich viel nachden- ken“, sagt Bernd Stelter, der den Glücksforscher demnächst gerne besuchen möchte, um für sein neu- es Buch zu recherchieren. Im April ist er 60 geworden und ist über- zeugt: „Jetzt fängt eine gute, eine sehr entspannteZeit an.“Aber dazu sei es notwendig, loszulassen und Stelters Tochter ist Lehrerin, der SohnWeinküfermeister. Und beruf- lich will er auch nach Corona nicht mehr in die Workaholic-Phase zu- rück – außer vielleicht in der Karne- valssession. Da können es dann im Januar und Februar wieder 130 Ter- mine sein. Erst imDezember will er dann anfangen, das Programm zu schreiben. „Vorher hat’s keinen Zweck“, weiß er. Die Pointen zün- den am besten, wenn sie aktuell sind. Im Frühjahr ist gerade der dritte Holland-Camper-Krimi von Stelter erschienen: „Mieses Spiel um schwarze Muscheln“ – wie immer mit viel Lokalkolorit. Zum Schrei- ben zieht sich Stelter am liebsten auf seinen Campingplatz in Zee- land zurück. „Morgens fahre ichmit demFiets in der Gegend herumund recherchiere die Schauplätze, und am Nachmittag schreibe ich dann weiter am Buch.“ Ein paar Krimis hat er noch imKopf, aber endlos ge- he das sicher nicht weiter. „Der 23. Fall ist dann nicht mehr lustig.“ An den Niederlanden mag er, dass alles ein bisschen kleiner ist. „In Zeeland gibt es keine Hochhäu- ser“, erzählt er. Und am Meer fühlt er sich selbst ganz klein. „Das er- det.“ Das Gefühl, auf den Deich zu gehen und zu wissen, dass man gleich die Wellen sieht, beschreibt er mit dem Gefühl, das er auf dem Weg zur Tanzstunde hatte, in dem Wissen, gleich seine Tanzpartnerin zu treffen. „Das ist so großartig, dass es fast schon weh tut.“ Dort, in Zeeland, kann Bernd Stelter sehr gut das trainieren, was er für wichtig hält, um jenseits der 60 mit Freude ein gutes Leben füh- ren: „Körperlich fit, emotional be- weglich und geistig fit sein.“Neugie- rig zu bleiben und die Bereitschaft, Neues zu lernen, gehören für den 60-Jährigen dazu. Einen Sprach- kurs inNiederländisch hat er schon früher belegt. Jetzt ist es ein Lehr- gang in Weinkunde, eine Ausbil- dung als „Junior-Sommelier“. Zur geistigen Fitness gehört für ihn auch das Lesen. Vor demMobil- heim auf dem Campingplatz – und zu Hause im Garten in Bornheim, wenn die Sonne scheint, gerne auch wieder im Strandkorb. „Mit 60 muss ich niemandem mehr etwas bewei- sen – nicht einmal mir selbst.“ Bernd Stelter über das Altern Bernd Stelter sitzt an seinem Lieblingsort im Strandkorb in seinem Garten. Zur Zeit liest er „Die Kunst der guten Erinnerung“ von Meik Wiking. FOTO: PRIVAT „Das ist so groß- artig, dass es fast schon weh tut.“ Bernd Stelter über das Gefühl, das ihn übermannt, wenn er in Zeeland das Meer hinter dem Deich sieht WIR FEIERN DAS LESEN Hunger auf gute Geschichten Gabi Gies, Re- dakteurin in Moers: „Mit Lieblingsbü- chern ist es bei mir ähnlich wie mit Lieb- lingsliedern: Ich horte meine Favoriten in einer kunterbun- ten, sehr persönlichen Sammlung. Als ich als Kind endlich lesen gelernt hatte, tat sich für mich eine neue Welt auf. Ich war mit James Krüss im „Leuchtturm auf den Hummerklippen“, habe „Pip- pi Langstrumpf“ geschätzte 30 Mal verschlungen und mit großem Bedauern registriert, dass „Die unendliche Ge- schichte“ nicht unendlich ist. Später haben mich Isabel All- ende und Gabriel García Már- quez in ihre Welten gezogen, Annie Proulx hat mir mit „Bro- keback Mountain“ die schönste Liebesgeschichte der Welt geschenkt. Was alle meine Lieblings- bücher gemeinsam haben, ist die Art, wie ich sie lese. Hat das Buch mich gefangen, mag ich es kaum aus der Hand legen. Und dann ist es plötzlich nach zwei Nächten schon zu zwei Dritteln ge- lesen. Weil ich nicht will, dass die Geschichte endet, verlangsame ich das Lese- tempo. Ich versuche, mir den Rest des Buches einzuteilen – wie eine Tafel gute Schoko- lade. Eines der letzten Bü- cher, das ich so goutiert ha- be, war übrigens „Der Gesang der Flusskrebse“ von Delia Owens. Guten Appetit!“ Ich bin ein Vollbuchjunkie Andreas Geb- bink (44), Re- dakteur in Kle- ve: „Für mich müssen es Sachbücher sein. Ich liebe Bücher. Sie gehören zu mei- nem Leben unbedingt dazu, und sie prägen mich: Als Kind aus einer Arbeiterfamilie war und ist Lesen für mich ein Stück Befreiung. Deshalb müssen Bücher auch immer einen Nutzen haben, um mei- nen Wissensdurst zu stillen. Oft genug kaufe ich mehr Bü- cher als ich Zeit habe. Aber wem ergeht das nicht so? Aktuell liegen auf meinem Nachttisch drei Werke: Mar- kus Gabriel hat mich mit ‘Mo- ralischer Fortschritt in dunk- len Zeiten’ fasziniert, also ver- suche ich mich auch mal an den ’Fiktionen’. Amartya Sen ist in diesem Jahr natürlich Pflicht: ‘Warum es keinen Krieg der Kulturen gibt’. Und auf einen Klassiker der Poli- tikwissenschaft freue ich mich: John Rawls ‘Eine Theo- rie der Gerechtigkeit’. Was könnte in diesen Zeiten aktu- eller sein? Leider habe ich auch nach all den Jahren des intensiven Lesens immer noch nicht das Gefühl, sehr viel vom Baum der Erkenntnis gegessen zu haben: Ich vergesse immer so viel. Aber das ist eine klassi- sche Journalistenkrankheit...“ „Ich lese gern“ Buchgeschichten aus der Redaktion 75 JAHRE
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