75 Jahre NRZ

misse meine Kita-Kinder sehr“, ge- steht der 74-Jährige. Er versucht, das Fehlen der Vorlesestunden in der Kita aufzufangen, indem er sei- nen Enkeln, zwei und fünf Jahre alt, per Videoanruf vorliest. Eine Aus- sicht, bald wieder im Kindergarten vorlesen zu können, besteht erst nach den Ferien wieder. „Meine Frau und ich haben glücklicherwei- se unsere Erstimpfung bereits erhal- ten. Das ist einwichtiger Schritt, um einen gewissen Schutz zu haben, falls wir irgendwann mal wieder in die Kita dürfen. Dann weiß man ja aber auch noch nicht: Bleiben die Kitas wirklich geöffnet? Wir rech- nen nicht vor Ende der Sommerfe- sagt der Vorsitzende. Auch biete der Verein gelegentlich Seminare zum Thema Lesen an: Wie kann ichmei- ne Stimme beimVorlesen schonen? Wie kann ich sie anders einsetzen, um eine bestimmte Atmosphäre zu erzeugen? Aber bei diesen Work- shops sei die Zahl der Teilnehmer durch Corona sowieso begrenzt und die Workshops, wenn erlaubt, kaum nachgefragt gewesen. „Das Wichtigste ist für uns nun, dass Corona aufhört undwir wieder in die Schulen und Kitas können“, sagt Schippmann. Dem „Schrei nach Digitalisierung von Vorlese- stunden“ stehe der Vorsitzende „eher skeptisch“ gegenüber. „Man muss doch gemeinsam schmökern können, es geht um das Persönli- che, die Begegnung und Interaktion mit den Kindern, die dieses Leseer- lebnis besonders machen“, ist Schippmann überzeugt. Das Essener Lesebündnis ist auf der Suche nach ehrenamtlichen Vorlesepaten. „Wir brauchen Nach- wuchs, jeder kann mitmachen und sich gerne über unsere Internetseite melden“, sagt Hans Schippmann. Vor allem türkisch sprechende Vor- leser sind sehr willkommen. i Mehr auf www.essener-lesebuendnis.de . Zusammen durch die Zeit ohne gemeinsames Vorlesen Hans-Josef Kniel ist Vorlesepate beim Essener Lesebündnis – ebenso wie 260 andere Ehrenamtler NBX__NRWTZ_38_1652 Von Nina Meise Essen. Fünf freche Mäuse oder das Sams – das sind die „speziellen Ren- ner“ des Essener Hans-Josef Kniel. Der 74-Jährige ist einer von derzeit 260 ehrenamtlichen Vorlesepaten des Essener Lesebündnis, die in Kindertagesstätten und Schulen im Essener Stadtgebiet ehrenamtliche Vorlesestunden durchführen. „Das Sams mag ich, weil meine Enkelin da ge- rade voll drauf abfährt, und die Bilderbücher über die Mäuse sind einfach schön, weil sie einfallsreich, anregend und kreativ sind und den Kindern zeigen sol- len, dass man auch, wenn man klein ist, viel schaffen kann“, erklärt Kniel, weshalb er genau diese beiden Bücher so gerne mag. Zehn Jahre ist er be- reits Vorlesepate in ein und derselben Kita. Doch seit März 2020 hat er, coronabedingt, die Kinder nicht mehr gese- hen. „Die Situation wird immer trauriger. Ich ver- rien damit, unsere Arbeit fortführen zu können“, zeigt sich der Essener betrübt. Kniel hätte nie gedacht, dass er „seine Kita-Kinder so lange nicht sehen würde“. So wie Kniel sind auch viele wei- tere Ehrenamtliche des Essener Le- sebündnisses enttäuscht über die er- zwungene Corona-Pause. „Die Vorleser trifft Corona sehr hart, viele sind in den Kitas und Schulen richtig als Kollegen integriert“, sagt Hans Schippmann, erster Vorsitzender des Essener Le- sebündnis. Das Persönliche fehlt derzeit Er versuche, gemeinsammit seinemTeam, dieVorlesepa- ten immer wieder zu kon- taktieren und auf Abstand zumotivieren, um„gemein- sam mit ihnen die leselose Zeit zu überbrücken“. Zu- demwird weiterhin einmal imMonat eine Vereinszeit- schrift rausgegeben, die den Vorlesepaten Kinder- büchertipps für die Zeit geben soll, wenn sie ihr Vorlesen in Schule und Kita weiterführen dürfen. „Wir hoffen, dass die Leu- te bei der Sache bleiben“, Hans-Josef Kniel liest gerne aus den Sams-Büchern vor. FOTO: RALF ROTTMANN Wie der Verein LesArt der Pandemie trotzt zu drehen und hochzuladen“, er- klärt Schneider. Begleitung durch Hund geplant Momentan freue er sich jedoch auch einfach darüber, trotz Pande- mie, überhaupt irgendwie „das lite- rarische und kulturelle Leben in Kamp-Lintfort fördern und die Kreativität der Zuhörer und Leser anregen zu können“. Für die Zeit nach Corona hat sich der Verein schon eine besondere Überra- schung für die Kinder in den Kitas und Schulen überlegt. Dann soll ein Therapiehund die Vorlesepaten für ein Jahr in die Schulen begleiten. „Die Kinder warten bereits schon auf diesen Einsatz“, freut sich Vor- standsmitglied Katharina Gebauer auf die Zeit nach der Pandemie. René Schneider und Katharina Gebauer von LesArt in der Mediathek in Kamp-Lintfort: Hier finden meist die Lesungen statt. Der Verein hat wegen der Pandemie viele Angebote aufs Digitale umgestellt. FOTO: BERND THISSEN In der Mediathek in Kamp-Lintfort finden normalerweise regelmäßig Veranstaltungen statt. FOTO: VOLKER HEROLD/FFS Von Nina Meise Kamp-Lintfort. Buchbesprechungen von Neuerscheinungen, Bastelak- tionen und Lesungen von Kinder- und Erwachsenenliteratur – all das läuft bei dem in Kamp-Lintfort an- sässigen Verein LesArt seit einem Jahr rein digital. „Corona hat uns kalt erwischt. Wir hatten im vergangenen Jahr, bevor die Pandemie aus- brach, bereits viele Projekte in Schulen undKin- dergärten in Prä- senz geplant“, be- richtet Katharina Gebauer, Mitglied des Vereinsvor- standes. Für sie und das gesamte LesArt-Team war jedoch schnell klar: „Wir wollten den Kopf nicht in den Sand stecken.“Deswegen stell- te der Verein seine regelmäßigen Vorleseangebote für die großen und kleinen Lesefreunde kurzerhand komplett aufs Digitale um. Lesun- gen undBuchvorstellungenwurden in der Mediathek in Kamp-Lintfort aufgenommen und auf den You- tube-Kanal sowie die Internetseite hochgeladen. „Unsere Bastel- und Vorleseaktionen hatten zum Teil 1400 Zuschauer“, zeigt sich Gebau- er begeistert über das rege Interesse der Menschen an den Online-Ange- boten des Vereins. Vorlesetag auch digital ein Erfolg Gerade der traditionelle Vorlesetag des Vereins, der einmal im Jahr im November stattfindet, war auch di- gital „sehr schön“. Natürlich sei aber die „Sehn- sucht riesig, wie- der Präsenzver- anstaltungen an- bieten zu kön- nen“, sagt Vor- standsvorsitzen- de René Schneider. Der Verein denke je- doch darüber nach, wenn die Pandemie weiter ab- klingt, digitale Lesungen, ergän- zend zu Präsenzveranstaltungen, anzubieten. „Mit den Online-Ange- boten erreichen wir auch ein breite- res Publikum, das haben wir durch die Pandemie gemerkt“, sagt Schneider. Dennoch fehlten die Begegnun- gen – auch mit den ehrenamtlichen Vorlesern. „Wir treffen uns alle ein- mal imMonat per Videokonferenz, um in Kontakt zu bleiben und sich austauschen zu können“, sagt Ge- bauer. Zudem biete LesArt seinen 22 aktiven Vorlesern regelmäßig Online-Fortbildungen mit einer Schauspielerin zumThema Sprach- und Stimmbildung an. Um diese Angebote weiter ausbauen zu kön- nen, benötigt der Verein aber natür- lich auch immer wieder Geld, das normalerweise durch Eintrittsgel- der für Lesungen von Autoren ein- genommen wird. „Hier könnten wir uns auch vor- stellen, dass wir Links oder QR-Co- des verkaufen, die dann zu einer Online-Veranstaltung führen. Aber auch hierfür müssen unsere Ehren- amtlichen, die dann die Veranstal- tungen durchführen, geschult und entsprechend ausgestattet werden. Derzeit nutzen wir ausschließlich privates Equipment, um die Videos „Unsere Bastel- und Vorleseaktionen hatten zum Teil 1400 Zuschauer.“ Katharina Gebauer, Mitglied des Vorstands bei LesArt LesArt gibt es seit 2002 n Den Verein LesArt gibt es seit Sommer 2002. Ziel war von Be- ginn an die Förderung der Lese- kultur in all ihren Facetten. Al- les startete damals mit einem Ideen-Workshop : Vom Vorlesen für andere bis zur Vorstellung von Buch-Neuerscheinungen reichten damals die Vorschläge der Teilnehmer. Vieles von dem, was heute den LesArt-Ver- anstaltungskalender füllt, geht auf Anregungen dieser ersten Runde zurück. LesArt führt wegen Corona derzeit alle Lesungen digital durch. Das funktioniert erstaunlich gut und mit vielen Zuschauern. Trotzdem soll es nach der Pandemie eine besondere Überraschung für Kinder geben WIR FEIERN DAS LESEN Immer aktuell Matthias Alfring- haus (58), Re- daktionsleiter Moers. „1984: Die Geschichte von George Or- well über einen unbescholtenen Bürger, der in die Fänge eines Überwachungsstaates gerät, hat mich nicht mehr losgelas- sen, seit ich das Buch in der Schule lesen durfte. Ja, richtig: durfte. Lektüre im Schulunter- richt ist ja nicht immer eine spannende Sache und wird nicht selten zu Recht als zäh empfunden, doch 1984 ist an- ders. Wahrscheinlich nicht ganz zufällig heißt der Held des Romans Smith, also im Deutschen etwa Müller, Meier, Schulze. Was Winston Smith in dem Roman passiert, mag für Leserinnen und Leser zum Zeit- punkt der Veröffentlichung En- de der 1940er-Jahre vielleicht etwas unglaubwürdig geklun- gen haben. Weil Smith seine Privatsphäre gegen einen Kont- rollapparat verteidigen will, ge- rät er in dessen Visier und wird sogar gefoltert. Wer 1984 heu- te liest, wird viele Dinge erken- nen, die längst leider Wirklich- keit geworden sind – vom Ein- dringen der Geheimdienste ins Private bis zu den alternativen Fakten Trumps. Das Buch ist eine Mahnung, stets wachsam zu bleiben. Übrigens: Begon- nen hat es George Orwell 1946, dem Gründungsjahr der NRZ. Bunte Mischung im Bücherregal Petra Herzog (61), Leiterin der Redaktion Wesel: „Mancher hat mich schon für verrückt erklärt. Dennoch habe ich sie noch alle: die Dolly- und Hanni und Nanni-Bücher von Enid Blyton genauso wie Magda Trotts Pucki-Bücher und Erich Kästners „Das fliegende Klas- senzimmer“. Ich kann sie ein- fach nicht fortgeben. Und so stehen sie in meinem Bücher- schrank im Arbeitszimmer. Le- sen, das war und ist für mich immer ein Ausflug in andere Welten, von denen man nie ge- nug bekommen kann. Egal, ob die Tierbücher, die ich mir vom Konfirmationsgeld meines Großonkels gekauft habe, kit- schige Romane von Rosamunde Pilcher, Sachbücher von Peter Wohlleben, Manfred Lütz, Ri- chard David Precht und ande- ren, Krimis von Agatha Christie oder Reiseliteratur – die Bü- cherwand ist gut gefüllt und hat noch manches Ungelesene zu bieten. Denn oft fehlt die Zeit, um mal länger mit einem Buch abzutauchen. Deshalb mag ich auch Kurzgeschichten. Momen- tan liegt „Die mit dem Hund tanzt“ von Maike Maja Nowak auf dem Nachttisch. Es sind Er- zählungen, die eine Verbindung zu meinem Vierbeiner Oscar schaffen, der immer gern dabei ist, wenn sich Frauchen gemüt- lich zurücklehnt und liest.“ Im Jubiläumsjahr der NRZ erzählen die Kolleginnen und Kollegen aus den Redaktionen von ihren ganz besonderen Lese-Erlebnissen. „Ich lese gern“ Buchgeschichten aus der Redaktion 75 JAHRE

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