75 Jahre NRZ

Mit Profil für die Region n Sebastian Sasse , Autor des Arti- kels, ist Historiker und Journalist. Er hat über zwei Jahre lang die Geschichte von Dietrich Oppen- berg erforscht. Dafür sichtete er die Tagebücher des Gründers, wertete Zeitungen und Tonband- aufnahmen aus und interviewte zahlreiche Zeitzeugen und Weg- gefährten. n Im Jahr 2016 mündeten die Re- cherchen in das Buch „Mit Profil für die Region“, erschienen im Essener Klartextverlag. n Sebastian Sasse ist als Redak- teur für Politik und Wirtschaft so- wie als „ Chef vom Dienst “ bei der „Tagespost“ in Würzburg tätig. Sebastian Sasse FOTO: V. HARTMANN Dietrich Oppenberg steht für einen dritten Weg Oppenberg steht für einen dritten Weg. Er ist zwar der Vertrauens- mann der SPD, und es steht schnell fest, dass er die kaufmännische Lei- tung für die geplante SPD-nahe Zei- tung übernehmen soll. Oppenberg ist aber auch von Anfang an klar, dass diese neue Zeitung kein reines Parteiblatt sein soll. Sie soll ein kla- res politisches Profil haben, aber kein parteipolitisches. Und sie soll Leser in allen gesellschaftlichen Schichten finden. Damit grenzt er sich auch von den Altverlegern ab, die auf eine Wiederbelegung der unpolitischen Generalanzeiger-Presse der Vor- kriegszeit abzielen. Oppenberg setzt sichmit seiner Linie durchund schreibt Pressegeschichte. Und dann erscheint am 13. Juli 1946 die erste Ausgabe der NRZ. Dass sich ihre Gründungsgeschich- te auch heute noch in den publizisti- schen Leitsätzen der Zeitung wider- spiegelt, ist die Lebensleistung Diet- rich Oppenbergs. Von Sebastian Sasse O b es der schöns- te Tag seines Le- bens war? Der 13. Juli 1946war fürDiet- rich Oppenberg in jedem Fall der Tag, der sein Le- ben für die nächsten Jahrzehnte bestimmen sollte. Von nun an war der 28-Jährige Verleger, und seinem publizisti- schen Baby sollte bis zu seinem Tod seine ganze Fürsorge gelten. Es war keine einfache Geburt. Doch im Rück- blick überrascht, wie schnell sich gerade mal etwas weniger als ein Jahr nach dem Zusam- menbruch des NS-Re- gimes und dem Ende des Zweiten Weltkrie- ges sich hier mit der NRZ eine neue demo- kratische Presse kons- tituierte. Noch wenige Monate zuvor hatte der junge Mann um sein Leben und das seiner Familie bangen müssen, jetzt spielte er eine zentrale Rolle da- bei, das Neue, das in diesen Nachkriegs- jahren entstand, durch seine Ideale mit- zugestalten, die ihn seit seiner Kindheit geprägt hatten. Die Nationalsozialisten verhafteten den 19-Jährigen Oppenberg, 1917 geboren, wuchs in einer sozialdemokratisch gepräg- ten Familie in Essen auf. Sein Vater Arnoldwar aktiverGewerkschafter, verlor aber in der Wirtschaftskrise der Zwischenkriegszeit, wahr- scheinlich auch wegen dieses Enga- gements, seine Arbeitsstelle als Dre- her bei Krupp. Fortan musste Op- penbergs Mutter Elise die Rolle der Ernährerin der Familie überneh- men, sie arbeitete als freie Handels- vertreterin. Diese materiellen Ein- schränkungen führten dazu, dass der junge Dietrich nicht so seinen Bildungshunger stillen konnte, wie er es sich gewünscht hätte: Nach der Mittleren Reife begann er eine Lehre in einer Anwaltskanzlei. Und dann kam das „Dritte Reich“. Oppenberg war seit seinem zwölften Lebensjahr in der Arbei- terjugendbewegung aktiv und auch nach Hitlers Machtübernahme blieb er seiner politischen Grund- überzeugung treu. Die Gegenwelt bildeten Bücher – eine zentrale Er- fahrung für den späteren Verleger, demdie Leseförde- rung immer ein wichtiges Anliegen bleiben sollte. Zu- sammen mit Freunden besorgte sich Dietrich ille- gale Literatur. 1936 wurde die Gruppe von der Geheimen Staats- polizei ausgeho- ben. Am 19. De- zember wurde der 19-Jährige von der Dortmunder Staatspolizei ver- haftet. Vorberei- tung zum Hoch- verrat, zwei Jahre und neun Monate Zuchthaus, lautete das Urteil des Oberlandesge- richts im August 1937. Oppenberg verbrachte die Haftzeit als Land- und Waldarbeiter in der ostwestfäli- Der Tag seines Lebens Am Anfang stand eine demokratische Entscheidung auf den Trümmern des Krieges. Der erste Erscheinungstag der NRZ markierte im Leben von Dietrich Oppenberg einen Einschnitt. Von nun galt der ganze Einsatz des jungen Verlegers seinem publizistischen Baby schen Senne. Dazu kam: Oppenbergs Mutter Elise war Jüdin. Trotz der schwierigen und sehr gefährlichen Umstän- de gelang es der Familie, sie über die zwölf Jahre hinweg zu schützen. Oppenberg selbst wurde nach seiner Haftentlassung im Septem- ber 1939 als ehemaliger politischer Gefangener und „Halbjude“ für „wehrunwürdig“ er- klärt. 1940 findet er eine neue Stel- le, die seinen weiteren beruflichen Lebensweg entscheidend bestim- men wird: Er beginnt imReismann- Grone-Haus in der Essener Sach- senstraße 36 zu arbeiten. Dort er- scheinen in dieser Zeit die „Rhei- nisch-Westfälische Zeitung“ und der „Essener Anzeiger“. Er bekommt früh einen tiefen Einblick in das Verlagsgeschäft Ein ungewöhnlicher Arbeitsplatz für einen gerade entlassenen politi- schenGefangenen. Denn der Grün- dungs-Verleger des Hauses, Theo- dor Reismann-Grone, hatte mit sei- nen völkischen und nationalisti- schen Ansichten das publizistische Profil nachdrücklich geprägt, der Historiker Eberhard Kolb nennt ihn „einen geistigen Wegbereiter Hitlers“. Die genauen Umstände unter denen Oppenberg diese neue An- stellung gefunden hat, sind heute leider nicht mehr genau zu rekonst- ruieren. Fest steht nur: Trotz dieser schwierigen Ausgangslage konnte der junge Mann sich hier beruflich bewähren. Oppenberg bekommt einen tiefen Einblick in das Verlags- geschäft, in die Struktur eines Ver- lagshauses, in den Vertrieb und in das Druckwesen. Vor allem aber lernt Oppenberg die Belegschaft kennen und kann sich offenbar in dieser Betriebsgemeinschaft schnell Anerkennung erwerben. Seinen Kollegen den Arbeitsplatz zu erhalten, wird denn dann auch später zu dem Antriebsmotor für ihn, eine neue Zeitung zu gründen. 16. April 1945: Essen erlebt die letzten Tage des Krieges. Erst kurz zuvor ist die Stadt Opfer eines schweren Bombenangriffes gewor- den, auch das Verlagshaus ist schwer beschädigt. Die 78 verblie- benen Mitarbeiter versammeln sich in der Sachsenstraße und wählen Dietrich Oppenberg zu ihrem Spre- cher. Kurz vorher hatten sie verhin- dern können, dass die Druckma- schinen, wie von der nationalsozia- listischen Führung angeordnet, de- montiert werden. Sie wollen weiter arbeiten. Ihre Perspektive: Auch nach dem Krieg werden Zeitungen gedruckt werden. Darauf wollen sie vorbereitet sein, verzagen nicht und beginnen, das Verlagsgebäude wie- der aufzubauen. Mittendrin Oppenberg: „Ich hat- te immer einen Hammer und eine Kneifzange in der Hand“, erinnert er sich später.“ Die Idee geht auf: Zunächst druckt die ameri- kanische Besatzungsmacht hier ihre „Ruhr-Zeitung“, dann kommen die Briten. Auch deren Pressepolitik zielt auf die Gründung neuer Zeitungen ab. Und nun entwickelt Op- penberg eine langfristige publizistische Strategie. Da- bei muss er sich an zwei Fron- ten bewähren. Die Briten orientie- ren sich bei der Vergabe neuer Zei- tungslizenzen an den Wahlergeb- nissen der Parteien, die nun wieder zugelassen sind. Den Parteien soll jeweils ein Zeitungstitel zugeordnet werden, den Wahlergebnissen ent- sprechend erfolgt die Papierzutei- lung. Auf der anderen Seite wollen aber auch wieder die sogenannten Altverleger, also die Verleger, die be- reits in der Vergangenheit Zeitun- gen herausgegeben haben, zurück ins Geschäft. NRZ-Gründer Dietrich Op- penberg in der Redaktion seiner Zeitung. Das Foto aus unserem Archiv ist nicht genau datiert, stammt aber aus den 40er Jahren. FOTO: NRZ-ARCHIV „Ich hatte immer einen Hammer und eine Kneif- zange in der Hand.“ Dietrich Oppenberg über die Anfänge und den Aufbau des Verlagsgebäudes 1946. Am 13. Juli erscheint die erste Ausgabe der NRZ, vier Seiten stark und mit der Schlagzeile „Die deutsche Frage erneut vertagt“. Größtes Problem in dieser Zeit: Nach dem Krieg herrscht eine große Papierknappheit. Nachdem eine Fabrik im Dezember ihre Lieferungen einstellt, gehen der jungen Zeitung kurz nach Weihnachten die Papiervorräte aus. Trotz dieser Probleme er- reicht die NRZ im Jahr 1946 eine Auflage von 100.000 Ex- emplaren. Dietrich Oppenberg blieb der Herausgeber der NRZ bis zu seinem Tod am 14. März des Jahres 2000. FOTO: ARCHIV Die Chronik Reitsport-Legende Isabell Werth hat 2016 bei Olympia in Rio de Janeiro Geschichte geschrieben S. 71 Moerser Kultfigur Hanns Dieter Hüsch hinterlässt immer noch Spuren in seiner Heimat- stadt Moers. S. 67 NBX__NRWTZ_49_1652

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