75 Jahre NRZ

Brandanschlag von Hünxe rüttelte ganzes Dorf wach Bei dem rechtsextremen Angriff auf eine Flüchtlingsunterkunft wurden zwei Mädchen schwer verletzt. Ein NRZ-Mitarbeiter von damals erinnert sich an den Oktober 1991 schaft im Rathaus, etliche Helferin- nen undHelfer aus denKirchen bei- der Konfessionen suchten sofort nach Lösungen. Sie öffneten ihr Pfarr- und das Gemeindehaus für Geflüchtete und für die Ausge- brannten. Hörten zu. Hielten Mahnwachen und Gottesdienste. Über die Schülervertretung und über kirchliche Kontakte haben wir im Jahre darauf in Dinslaken Haus- gabenhilfen für Flüchtlingskinder in der Unterkunft „An der Flieh- burg“ organisiert. Daraus sind le- benslange Beziehungen erwachsen. Weh tut zu wissen, dass überre- gionale Medien ein anderes Bild Hünxes transportieren wollten. „Biedermann und die Brandstifter“, lautete deren Story, und auch der ehrenamtliche Bürgermeister Rein- hold Peters musste im Fernsehen 1991. Die jungen NRZ-Redak- teure Jörg Bartel, Cornelia Fär- ber und Alexander Richter, ge- winnen gemeinsam den renom- mierten Theodor-Wolff-Preis. Ausgezeichnet werden Beiträ- ge, die für einen wachen Jour- nalismus beispielhaft erschei- nen. Ihr Thema: der Müll – den Reportern ging es um Umwelt- und Naturschutz. dafür herhalten. Rhetorisch quälte er sich und litt im Interview. Noch Jahre später hat er mir bei Begeg- nungen erzählt, wie ihn das aufge- wühlt hatte. Er verstarb 2014. Selbstkritisch haben wir in der Redaktion über die Angemessen- heit der lokalen Berichterstattung gestritten. Weshalb mich wütend macht, wenn Leute heute irgendwo „Lügenpresse“ skandieren. Der jet- zige Hünxer hauptamtliche Bürger- meister, Dirk Buschmann, ist ein früherer Mitschüler. Wir haben uns jüngst über 1991 ausgetauscht. Auch über die Gedenktafel und Ak- tivitäten für Geflüchtete vor Ort in 2021. Mir imponiert, wie er mit Pfarrerin Hanna Maas und mit den vielen ebenfalls äußerst unter- schiedlichen Mitwirkenden dafür sorgt, dass auch im Herbst diesen Jahres wieder erinnert und gedacht wird. Hünxe hat sich dafür ent- schieden, diese auch in Zukunft wahrzunehmen. Drei Jugendliche warfen die Brandsätze n In der Nacht vom 2. auf den 3. Oktober 1991 wurde in Hünxe ein Brandanschlag auf das dortige Asylbewerberheim verübt. Drei Ju- gendliche warfen nach einer Par- ty Brandsätze in die Wohnung einer libanesischen Familie, durch die die seinerzeit achtjähri- ge Tochter lebensgefährlich ver- letzt wurde. Sie musste noch lan- ge in einer Spezialklinik behan- delt werden. Auch die zweite Tochter, damals zehn Jahre, erlitt schwere Verletzungen. n Die drei jungen Täter (zwischen 18 und 19 Jahren) wurden wegen versuchten Mordes angeklagt und zu Freiheitsstrafen zwischen fünf und dreieinhalb Jahren verurteilt. Einer der Täter nahm sich nach der Tat das Leben. NBX__NRWTZ_63_1419-142109567 | Samstag, 03. Juli 2021 Seite 62 und 63 25 Jahre nach dem Brandanschlag fand ein Gedenkzug durchs Dorf statt Ganz vorne: Bürgermeister Dirk Buschmann. FOTO: LARS FRÖHLICH Von Stefan Querl Hünxe. „Eine Tat zieht ihre Konse- quenzen, im Menschen und außer dem Menschen, gleichgültig, ob sie als bestraft, ‚gesühnt‘, ‚vergeben‘ oder ‚ausgelöscht‘ gilt.“ Friedrich Nietzsche hat diesenGedanken for- muliert. Seine Philoso- phie war ein Unter- richtsthema bei mir in der Schu- le. Am Theo- dor-Heuss- Gymnasium in Dinsla- ken, als ich 17 war und zur Zeitung wollte. „Auf Worte folgen schließlich gute Taten“, hoffte ich. Bis für mich eine Welt zusammenbrach, nach der Nacht zum 3. Oktober 1991. Zwanzig Jahre arbeite ich jetzt bei der Stadt Münster in der NS-Erin- nerungsstätte Villa ten Hompel. Neben dem Studium hatte ich für die NRZ geschrieben. Durch das Ereignis von Hünxe bin ich zum Journalismus, zur politischen Bil- dung gekommen. Der Traum, zur Zeitung zu gehen, wurde nach dem Albtraum für mich Realität. Viele Anrufe bei der Polizei In der Phase zwischen dem An- schlag und den Festnahmen hatte ich die Pressesprecher der Kreis- polizei inWesel, Jochen Bartels und Horst Groß, ständig behelligt mit bohrenden Fragen. Mit der Unge- duld eines heranwachsenden Bes- serwissers, der örtliche Neonazi- Strukturen sofort aufgedeckt und mit aller Macht bekämpft wissen wollte. Der als „rasender Reporter“ in TKKG- oder Drei-Fragezeichen- Manier seine Recherchen auf eige- ne Faust ausprobierte. Freilich noch völlig ohne Internet und Smartphones, was entschei- dend zu erwähnen ist, um folgende Situation zu verstehen: Horst Groß rief mit der Nachricht von den Fest- nahmen der drei Täter im Sekreta- riat meiner Schule an, um mich mit zur ersten Pressekonferenz zu bit- Fassungslosigkeit bei den Anwohnern: Sie konnten sich nicht vorstellen, dass ein solcher Anschlag in Hünxe passiert. FOTO: ROLAND SCHEIDEMANN chen Überdruss einmal äußerte, war Hünxe 1991 keine Kristall- nacht. Aber es gibt Entwicklun- gen, „die einen gruseln lassen“, wie es mein Kollege Bodo Malsch, Duisburger Gerichtsre- porter am Landgericht neulich for- mulierte, als ich ihn anrief und zu Hünxe fragte. Als er über die Duis- burger Verhandlung gegen die jun- gen Attentäter schrieb, liefen am Landgericht noch Strafprozesse gegen alte NS-Täter. „Bestrafen? Sühnen? Vergeben? Taten auslö- schen?“ Solche Fragen lassen mich zwiegespaltener denn je zurück. In der Redaktion wurde über die Berichterstattung diskutiert Wie konsequent Kirchen- und Kommunalgemeinde unmittelbar nach der Brandnacht handelten und halfen, beseelt mich allerdings immer wieder. Beim Schock über die Molotow-Cocktails, alkoholi- siert geworfenauf dieAsylbewerber- Unterkunft, wollten viele Hünxer nicht verharren. Gemeindedirektor Hermann Hansen und die Beleg- Rußgeschwärzte Fenster zeugen von dem Anschlag. F: ROLAND SCHEIDEMANN Antisemitismus- Beauftragter in Münster n Stefan Querl aus Dinslaken war Mitarbeiter der NRZ am Nie- derrhein und Redakteur im Pro- jekt ZEUS – Zeitung und Schule der verlagseigenen Journalis- tenschule Ruhr in Essen. Er ist seit Juni Mitglied des Landes- vorstandes in dem Arbeitskreis der nordrhein-westfälischen NS-Gedenkstätten und Erinne- rungsorte . Die Stadt Münster hat ihn am 9. November 2020 zum Beauftragten gegen Antise- mitismus ernannt. Anzeige ten, in der die Staatsanwaltschaft mit der Polizei den Ermittlungs- erfolg verkünden wollte. Die Anschlagsserie im gesamten Land riss nicht ab. Knapp 14Mona- te nach dem verheerenden Feuer von Hünxe brannte ein Haus in Mölln. In der schleswig-holsteini- schen Stadt, die bis dahin Heimat der Familie von IbrahimArslan gewesenwar. Der heute 36-jähri- ge türkisch- stämmige Deutsche und ich lern- ten uns 2014 kennen, als ich ihnmit Stu- dierenden aus Münster intervie- wen durfte. Er be- schrieb, wie die Feuer- wehr ihn als Kind aus der Le- bensgefahr und dem brennenden Haus der Familie gerettet hatte. Für drei seiner Verwandten kam jede Hilfe zu spät. Mit einem „Heil Hit- ler“ hatten die Brandstifter von Mölln den Notruf gewählt und sich ihrer Tat noch gebrüstet. Sie erhiel- ten, wie die drei jungen Hünxer Tä- ter, dafür Haftstrafen. Ibrahim Arslan versteht, warum andereOpfer schweigen. Sowie die Hünxer Familie, deren Fotos einst die Bildstrecken in Illustrierten füll- ten, um die es aber stiller geworden ist. „Das gilt es zu respektieren“, fin- det der Überlebende vonMölln, der sich selbst zumZiel gesetzt hat, Op- fer zu vernetzen. Ihnen eine Stimme zu geben. Dabei unterstütze ich ihn nach Kräften. Über das deutschlandweite Netzwerk namens „Gegen Verges- sen – Für Demokratie“. Bis zur Wahl zum Bundespräsidenten war Joachim Gauck Vorsitzen- der in dem Netzwerk. Wie sich Hünxe seit dem 3. Oktober 1991 verän- derte, wie der Ort Konsequenzen zog, interessierte ihn. Anders, als ich im ju- gendli- „Ja, weil ich darüber sprechen muss, was man uns angetan hat in Mölln.“ Ibrahim Arslan hat den Anschlag in Mölln überlebt und spricht jetzt über rechte Gewalt KREBS IN EXPERT ENHÄNDEN www.darmzentrumwesel.de Empfohlen und zertifiziert durch die Dt. Krebsgesellschaft Robotik-assistierte, minimal-invasive Tumorchirurgie Durch die Dt. Krebsgesellschaft anerkanntes Zweitmeinungszentrum www.onkologischeszentrumwesel.de Ganzheitliche Behandlung bösartiger Tumore Zertifiziert durch die Dt. Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie – als Einziges am rechten Niederrhein Integraler Bestandteil des Tumorzentrums Wesel www.brustkrebszentrumwesel.de Zertifiziert (Ärztekammer Westfalen-Lippe, Dt. Krebs- gesellschaft, Dt. Gesellschaft für Senologie) Differenzierte modernste Diagnostikmethoden Ästhetisch-rekonstruktive Brustchirurgie (u.a. 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