75 Jahre NRZ

NBX__NRWTZ_68 Sechsfach-Mord machte die Mafia sichtbar 54 Schüsse aus Rache: Am 15. August 2007 starben in Duisburg sechs Männer der ‘Ndrangheta im Kugelhagel eines verfeindeten Clans. Bis heute gibt es kein vergleichbares Verbrechen in der Bundesrepublik Von Ulla Saal Duisburg. 54 Schüsse zerrissen in den frühen Morgenstunden des 15. Augusts 2007 die Stille der Nacht in Duisburg-Neudorf, und sie hallen bis heute nach. Sechs Italiener, alle Mitglieder der kalabrischen Mafia ’Ndranghe- ta, starben damals neben der Pizze- ria „Da Bruno“ imKugelhagel eines verfeindeten Clans. Es war nicht nur eines der spektakulärsten Ver- brechen in der Kriminalgeschichte Duisburgs, sondern auch das bis da- to brutalste Agieren der Mafia in Deutschland, wodurch auch die Öf- fentlichkeit erstmals wahrnahm, wie tief die organisierteKriminalität aus Italien in die deutsche Gesell- schaft eingedrungen ist. Zudem lernte sie, dass die bis zu diesem Massaker hierzulande unbekannte ‘Ndrangheta zu den mächtigsten kriminellen Organisationen zählt, deren Kernzelle der 4000-Seelen- Ort San Luca in Kalabrien ist. Dort nahmen auch die Mafia-Morde von Duisburg ihren Anfang. Am Abend des 14. Augusts 2007 wird im „Da Bruno“ gefeiert. Die BrüderMarco (19) undFrancescoP. (21) aus Duisburg, Sebastiano S. (38), Francesco G. (16) und Marco M. (25) gehören zur geschlossenen Gesellschaft, die mit Azubi Tomma- so V. in seinen 18. Geburtstag hi- neinfeiern. Um 2.10 Uhr verlassen alle das Lokal und gehen zu ihren beiden Autos, die in einer Durch- fahrt nebendemKlöckner-Haus ge- parkt sind. Kaum haben sie die Mo- toren gestartet, eröffnen die Täter aus nächster Nähe das Feuer. Fünf Männer sind sofort tot, einer wird reanimiert, erliegt aber kurz darauf seinen schweren Verletzungen. Fünf Männer sind sofort tot Noch am Tattag reisen italienische Ermittler an, um die Duisburger Mordkommission „Mülheimer Straße“ unter der Leitung von Heinz Sprenger zu unterstützen. Die Italiener ermitteln bereits seit zwei Jahren gegen die ‘Ndrangheta und ordnen ihr das Verbrechen zu. Die Getöteten hatten sie bereits zu- vor im Fokus, denn einer von ihnen war als Auftragsmörder bekannt. Auch das Lokal, dessen Wirt eben- falls zu den Opfern gehört, war den italienischen Ermittlern schon län- ger einBegriff, weil sie in einem unterirdischen Bunker in San Luca eine Visitenkarte des Restaurants gefunden hatten. Dass sie deshalb auch einen der beiden Wagen, mit denen die Opfer hatten wegfahren wollen, mit einem GPS- Sender ausgestattet hat- ten, verschwiegen die italienischen Ermittler allerdings ihren deut- schen Kollegen. Weil das einVerstoß gegen gelten- des Recht war, wurdendie durchdie Aufzeichnung zusammengetrage- nen Beweise von der hiesigen Staatsanwaltschaft nicht an- erkannt. „Die Erkenntnisse der ver- deckten Maßnahme der Italiener flossen aber zumindest in unsere weiteren Ermittlungen ein“, sagte Sprenger später. So war nicht nur schnell die Identität der Opfer zu klären, sondern das Verbrechen auch eindeutig der ‘Ndrangheta zu- zuordnen. Und rasch stellte sich he- raus, dass die Geburtstagsfeier eigentlich ein Aufnahmeritual für den 18-Jährigen Tommaso aus Mül- heim war. Bei ihm wur- de ein Heiligenbildchen mit angesengtem Kopf von San Michele, dem Schutzpatron der italie- nischen Polizei, gefun- den. Einklarer Beleg da- für, dass der jungeMann in dieser Todesnacht „getauft“ und so in die Mafia aufgenommen worden war. Weit weniger deutlich waren die Spuren, die die Täter hinterlassen hatten. Videokameras im Umfeld hatten sie zwar aufgenommen, doch die Bilder waren extrem pi- xelig und schemenhaft.Mit Zeugen- aussagen und vereinten Kräften – teilweise waren bis zu 140 Ermittler mit dem Fall beschäftigt – gelang es dennoch eines der beiden Flucht- fahrzeuge (einen schwarzen Re- nault Clio) und zwei Wochen später einen der Hauptverdächtigen zu identifizieren: Giovanni Strangio, Inhaber einer Pizzeria in Kaarst. Wochen zuvor war in Italien ein Telefonat abgehört worden, bei dem er angekündigt hatte, nach Deutschland zu reisen, um die Er- mordung der Frau seines Clan- Chefs zu rächen. DieMordkommis- sion findet DNA von Strangio in dessen Düsseldorfer Wohnung und Monte später in dem gefundenen Fluchtauto. Strangio bleibt ver- schwunden. Die Polizei vermutet ihn in den Niederlanden. 2008 gelingt es den Ermittlern, Strangios Schwager Giuseppe Nir- ta festzunehmen. Er bricht das Schweigegelübde der Mafia nicht, doch in dessen Wohnung entde- cken die Polizisten Hinweise auf einenweiteren Schwager Strangios: Francesco Romeo. Er führt sie un- wissentlich zu Strangios Versteck in Amsterdam, wo niederländische Kollegen gemeinsam mit Sprenger und seinen Leuten ihn am12. März 2009 festnehmen können. 500.000 Euro fürs Pizzabacken Strangio leistet keine Gegenwehr und erklärt dem Einsatzkomman- do, dass er die 500.000 Euro in bar, die in seiner Wohnung neben ge- fälschten Ausweispapieren und einer Waffe gefunden werden, mit Pizzabacken verdient habe. Stran- gio wird später wie alle anderen Festgenommenen an Italien ausge- liefert. Fast vier Jahre nach der Tat wird er im Juli 2011 zu lebenslanger Haft verurteilt. Im Februar 2010 schlägt die Poli- zei imsüditalienischenReggioCala- bria zu und nimmt zehn Männer, die mutmaßlich Angehörige der ‘Nrangheta sind, fest, darunter Se- bastiano Nirta, der ebenfalls als To- desschütze von Duisburg gilt. Auch er wird zu lebenslanger Haft ver- urteilt, später aber freigesprochen. InHaft bleibt er trotzdemwegen sei- ner Zugehörigkeit zur ‘Nrangheta. Nach der Festnahme 2010 wird die Ermittlungsakte geschlossen. DieDuisburgerMafia-Morde gelten als aufgeklärt. „Nun sind alle Ver- antwortlichen des Attentats von Duisburg gefasst“, erklärte damals Italiens Innenminister Maroni. Ein Irrtum! Denn imMärz dieses Jahres wird in einer Klinik in Lissa- bon Francesco Pelle (44) verhaftet. Seit 2019 war er abgetaucht. Zuvor hatte ein italienisches Gericht ihn zu lebenslanger Haft verurteilt, weil er den Befehl gab, die 33-jährige Maria Strangio zu ermorden. Sie wurde am 25. Dezember 2006 vor ihrer Haustür erschossen. Der Sechsfach-Mord von Duisburg war der Racheakt dafür. Denn der 25- jährige Marco M., der zu den Op- fern dieser Hinrichtung gehört, war der Todesschütze von Maria. Das war „geschäftsschädigend“ Vergleichbare Taten hat es in Deutschland nicht mehr gegeben. „Sechs Tote in aller Öffentlichkeit waren für die Mafia unglaublich ge- schäftsschädigend“, sagte einmal der inzwischen verstorbene Heinz Sprenger. Denn im Gegensatz zu Rockern oder arabischen Clans arbeitet die Mafia lieber im Verbor- genen und ist umeine seriöse Fassa- de bemüht. „Es darf aber keiner glauben, dass dieMafiaweniger prä- sent ist in Deutschland. An der Ge- samtlage hat sich nichts geändert“, warnte Sprenger seinerzeit. So sehen das auch heute die Ex- perten. Thomas Jungbluth, Abtei- lungschef beim LKA, weiß nur zu gut, dass die Mafia in Deutschland auf „Unscheinbarkeit“ setzt. Doch die Hinweise zumutmaßlichenMa- fia-Mitgliedern steigen nach seiner Aussage kontinuierlich an. Und den meisten Zuwachs hat die ‘Ndran- gheta. Es gebe auch Hinweise aus Italien, dass die ‘Ndranghetisti in Deutschland ein hochrangiges Füh- rungs- und Schlichtungsgremium eingerichtet haben, so Jungbluth. Dass dies seinen Sitz in Duisburg haben soll, nennt Jungbluth Speku- lation. Doch er sagt auch: „Dass in Duisburg 2007 eine Taufzeremonie stattgefunden haben soll, zeigt die Bedeutung dieser Stadt.“ Der Haupttäter Gio- vanni Strangio wurde 2009 gefasst. F.: NRZ CHRONIK 15. August 2007 Nach einer Feier im Restaurant „Da Bruno“ an der Mülheimer Straße in Duisburg- Neudorf sterben am frühen Morgen sechs Italiener im Kugelhagel. Die Leitung der Mordkommission liegt bei Heinz Sprenger von der Duis- burger Polizei. Noch am Mordtag kommen auch Ermittler aus Italien nach Duisburg. Sie stufen das Ver- brechen als Teil einer Fehde rivali- sierender Mafia-Clans aus Kalab- rien ein. 16. August 2007 Einen Tag nach der Bluttat fällt die Entschei- dung, dass die Ermittlungen in den Händen der Duisburger Mordkom- mission bleiben und nicht dem LKA oder dem BKA übertragen werden. 30. August 2007 Die Ermitt- ler haben inzwischen ein deutli- ches Bild von den Ereignissen in der Tatnacht. Die angebliche Ge- burtstagsfeier war ein Ritual, mit dem der 18-jährige Tommaso V. aus Mülheim in die ‘Ndrangheta aufgenommen wurde. 31. August 2007 Das Amts- gericht Duisburg erlässt Haftbefehl gegen Giovanni Strangio (28) we- gen Mordes. Er gilt als einer der mutmaßlichen Täter. Die Polizei veröffentlicht ein Foto von ihm und leitet eine Großfahndung ein. 1. März 2008 Nach Erkennt- nissen der Ermittler ist der zweite mutmaßliche Täter Giuseppe Nirta, der Schwager des Hauptverdächti- gen Giovanni Strangio. Strangio ist nach wie vor auf der Flucht. 12. März 2009 Giovanni Strangio wird in den Niederlanden gefasst. In Amsterdam wird er von niederländischen und deutschen Polizisten festgenommen. Sein Schwager hatte die Ermittler unwis- sentlich auf seine Spur gebracht. 11. Februar 2010 In Kalab- rien nimmt die italienische Polizei zehn mutmaßliche ‘Nrangheta-Mit- glieder fest, darunter Sebastian Nirta (38), der ebenfalls als mut- maßlicher Täter der Duisburger Morde gilt. Seit 2008 sitzt bereits der in Amsterdam festgenommene Giuseppe Nirta in Italien im Ge- fängnis. Er gilt als dritter Mann des Todes-Trios von Duisburg und soll sich gegenüber einem Kronzeugen als „Mann der Duisburger Bluttat“ gebrüstet haben. Die Ermittlungs- akten werden geschlossen, das Verbrechen gilt als aufgeklärt. Juli 2011 Giovanni Strangio wird in der kalabrischen Stadt Locri wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt. Dezember 2013 Ebenfalls in Locri lautet das Urteil des Gerichts für Sebastiano Nirta „lebensläng- lich“. Giuseppe Nirta wird in Bezug auf die Duisburger Mafiamorde freigesprochen. Er muss dennoch für zwölf Jahre in Haft wegen Zuge- hörigkeit zur ‘Ndrangheta. Juli 2015 Ein Berufungsgericht in Reggio Calabria spricht Sebas- tiano Nirta in zweiter Instanz vom Mordvorwurf frei. Bestätigt aber seine Verurteilung zu zwölf Jahren Haft wegen seiner Zugehörigkeit zur ‘Ndrangheta. März 2021 In Lissabon (Portu- gal) wird Francesco Pelle (44) fest- genommen. Er ist einer der Haupt- akteure des Streits zwischen den verfeindeten Clans, der in dem Blutbad von Duisburg mündete. Pelle wurde in Italien dafür ver- urteilt, dass er den Mord an der Frau eines Mafia-Mitglieds befoh- len hatte. Die Duisburger Morde waren die Rache-Aktion dafür. Die „Vendetta von San Luca“ n Die blutige Fehde zwischen den verfeindeten ‘Ndrangheta-Clans Pelle-Vottari-Romeo und Nirta- Strangio aus dem kalabrischen 4000-Seelen-Ort San Luca soll am 11. Februar 1991 auf einer Karne- valsfeier begonnen haben, auf der Eier geworfen wurden. n Nach einer Schlägerei zwischen Mitgliedern der Familien wurden Tage später zwei junge Männer – Francesco Strangio (20) und Do- menico Nirta (19) ermordet aufge- funden. n Weitere brutale Folgen dieser Auseinandersetzung sind nicht bekannt, und in dem kalabrischen Dorf soll Ruhe eingekehrt sein. n Am 25. Dezember 2006 flammt die Fehde aber mit Macht wieder auf, als die 33-jährige Maria Strangio, Ehefrau des Mafia-Bos- ses Giovanni Nirta , vor ihrem Haus niedergeschossen wird. n Den Auftrag dazu gab Francesco Pelle , der in Italien dafür zu le- benslänglich verurteilt wurde. Der Mordauftrag soll die Rache dafür gewesen sein, dass er als Folge einer Schießerei an den Rollstuhl gefesselt ist. n Der Duisburger Sechsfach-Mord gilt als Vergeltungsakt für die Er- mordung von Maria Strangio. n Seit 2019 befand sich Frances- co Pelle auf der Flucht. Im März dieses Jahres wurde er in einer Klinik in Lissabon verhaftet, in der er wegen einer Coronaerkrankung behandelt wurde. Nach der Festnahme von Giovanni Strangio zeigen Heinz Sprenger (r.), Lei- te der Mordkommission, und Chef-Ermittler Holger Haufmann, mit welcher Waffe die Opfer niedergestreckt wurden. FOTO: STEPHAN EICKERSHOFF 1946 BIS 2021: DIE CHRONIK „Es darf aber kei- ner glauben, dass die Mafia weniger präsent ist in Deutschland.“ Heinz Sprenger , Leiter der Mordkommission Am 15.8.2007 wurden sechs Menschen neben der Pizzeria „Da Bruno“ an der Mülheimer Straße erschossen. F: DPA

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