75 Jahre NRZ

Wir sind in unserem Sport relativ unabhängig. Bei uns sagt nicht die biologische Uhr mit Mitte 30, so das war’s. Es hängt davon ab, wie sich meine Pferde weiter entwickeln. Reiten werde ich mein Leben lang. Wann ich meine Karriere beende, kann ich nicht nach Jahr und Tag benennen. Es wird aber nicht von einem bestimmten Sieg oder so ab- hängig sein. Mein Kopf wird sagen, so, jetzt reicht es. So lange es noch ordentlich aussieht, werde ich noch ein paar Tage weiter machen. Sie haben Dutzende Pferde erzo- gen. Kann man aus diesen Erfah- rungen etwas für die Kindererzie- hung nutzen? In der Kindererziehung bin ich nicht so gut wie in der Pferdeerzie- hung. Wahrscheinlich bin ich mit Frederik nicht so konsequent. Und das schlechte Gewissen spielt auch eine Rolle, weil ichmanchmal nicht so viel Zeit mit meinem Kind ver- bringen kann, wie ich es möchte. Wir sind keine normale Familie. Unser Wochenendausflug heißt Turnier. Bisher findet er das aber Gott sei Dank gut. Sie sind Managerin eines Pferde- betriebs mit vielen Angestellten, Sie sind die beste Reiterin der Welt, Sie haben Mann und Kind. Wie bekommen Sie das alles unter einen Hut? Das geht nur, weil alle das gesamte Projekt mittragen. Frederik fährt sehr gerne mit, mein Lebensgefähr- te steht hundertprozentig hinter mir. Ich wohne mit meinen Eltern auf unserem Hof zusammen, aber trotzdem so weit auseinander, dass es nicht zu eng wird. Ich bin in einer sehr privilegierten Situation. Ich bin sehr glücklich, das machen zu können, was ich liebe. Es gibt Sportler, die nach einem Sieg kühl bleiben. Sie lassen da- gegen Ihre Emotionen heraus. Nach Niederlagen wird man mich nicht weinen sehen, da würde ich mich eher eingraben. Aber vor Freu- de, vor Rührung weine ich oft, weil ich sehr nah amWasser gebaut bin. Ich bin eine Frohnatur, ichhabe kei- nen Grund, griesgrämig zu sein. Im Stall trete ich aber auch schon mal vor Wut gegen eine Tür, wenn etwas nicht gut gelaufen ist. Sie haben große Emotionen ge- zeigt, als Sie in Aachen mit Bella Rose nach deren jahrelanger Ver- letzungspause ein grandioses Comeback gefeiert haben. Ist sie Ihr Lieblingspferd? Ja. Ich habe nie gesagt, ich habe ein Lieblingspferd. Das ist so wie bei einer Mutter, die sagen würde, sie hätte ein Lieblingskind. Was sollen dann die anderen sagen, die dane- Erfolgreiches Jahr: Die Olympia-Ringe aus Stoffblumen an der Mauer eines Stalls auf dem Hof von Werth weisen auf die Siege hin. FOTO: LARS HEIDRICH Gold mit der Mannschaft: Isabell Werth, Dorothee Schneider, Sönke Rothenberger und Kristina Bröring-Sprehe in Rio. FOTO: DPA schon falsch sein. Am Ende habe ich eine Lösung gefunden. 2006 ha- be ichhier inAachen vor 40.000Zu- schauern mit ihm ein unvergessli- ches Comeback gefeiert. Sie werden 52. Da blickt man nicht nur zurück, sondern auch nach vorne. Denken Sie auch schon mal ans Karriere- ende? Lieblingspferd: Mit der Stute „Bella Rose“ hat Werth schon zahlreiche Titel gewonnen. FOTO: DPA NBX__NRWTZ_71_1419-142110588 | Samstag, 03. Juli 2021 Die erfolgreichste Reiterin der Dressur-Geschichte Von Thomas Lelgemann Rheinberg. Das Jahr 2016 IsabellWerthunglücklich pferdeDon Johnson und fielen verletzt aus. Doch mit ihrem Hof in Rheinb stetige Ausbildung jung setzt, konnte sie 2016 do ihrem Jahr machen. Mit holte sie bei den Olympis len in Rio de Janeiro Ma gold und Einzelsilber – u so zur Rekordolympiasie Seit über 30 Jahren ist Reitsport erfolgreich, zu i Olympiasiegen komm Weltmeister- und 17 Eu tertitel. BeimChio inAac zwölfmal im Einzel gewo fünf verschiedenen Pfe Interview erzählt Werth sie auf die letzten Jahre bl – und was noch kommt. Sie sind die erfolgreich surreiterin der Welt. Wie mit diesem Superlativ? Isabell Werth: Ganz ehrlic ke darüber nur sehr, se nach. Es freut mich, und mich auch stolz, dass sic harte Arbeit der vielen Jah tel niedergeschlagen Nicht die Anzahl der M ist mir wichtig, sondern und Weise, wie ich versc Pferde nach oben gebrac Es macht mir Spaß, Visio entwickeln und deshalb ich auch nicht müde, so zu machen. Was ist Ihre besondere be? Es ist natürlich ein Ta- lent, eine Intuition, sich in Pferde hinein zu füh- lenundProbleme zu löse Es ist einGesamtpaket üb re. Ich bin meiner Freu Mäzenin Madeleine Win ze unendlich dankbar, dass sie mir immer wieder die geeigneten Pferde zur Verfügung stellt. Sie haben viele Pferde geritten. Wie unterscheiden sie sich? Die erfolgreichsten haben eine gro- ßeGehfreude, eine gewisseGeniali- tät, eine riesige Leistungsbereit- schaft. Sie können aber unter- schiedliche Charaktere haben. Wei- hegold ist zuverlässig, Bella Rose hat ihr eigenes Temperament. Sat- chmo war genial, aber zwischen- durch auch ein bisschen wahnsin- nig. Ich habe zwei Jahre lang keine Lösung gefunden, wie ich mit die- sem Pferd zurecht kommen soll. War das Ihr schwerster Fall? Ja. Für alle Pferde, die danach ka- men, war es ein sehr großer Vorteil, weil ich mit Satchmo so viel gelernt habe. Ich habe in ihn hineinge- horcht, alles überdacht. Was ges- tern richtig war, konnte morgen Aufgewachsen auf dem elterlichen Bauernhof n Isabell Werth wurde 1969 in Is- sum-Sevelen geboren und wuchs auf dem elterlichen Bauernhof in Rheinberg auf. Wie die meisten Reiter hat sie ganz klein angefan- gen, Pferde gehörten zu ihren Spielgefährten. Gerade fünfjäh- rig drehte Isabell auf Ponystute Illa ihre Runden, später gab es erste Turniererfolge auf Pony Funny. n Werths Leidenschaft gehörte dem Spring- und Vielseitigkeits- reiten – bis „der Doktor“ sie unter seine Fittiche nahm. Silves- ter 1986, Isabell war gerade ein- mal 17 Jahre alt, fragte der Rhein- berger Nachbar, Stahlmanager und Dressurexperte Dr. Uwe Schulten-Baumer , ob die Schüle- rin nicht Lust habe, einige seiner Pferde zu reiten. ben stehen? Fre- derik ist Einzel- ind, da besteht cht das Problem. Leider. Ich hätte gern mehr Kinder und ein paar Me- daillen weniger. Aber Bella Rose ist mein Lieblings- pferd. Ich war elekt- risiert, als ich sie als dreijährige Stute erstmals gesehen habe. In ihrer drei- jährigen Verlet- zungspause habe ich mich so um sie gekümmert wie um kein anderes. Sie hat Charisma. Sie vereint alle Vorzü- ge, die andere nur teilweise haben. Wer könnte Bella Rose irgendwann ablösen? Ich habe mit dem zehnjährigen Be- lantis und der sie- benjährigen Superb zwei Pferde imStall, die sehr viel ver- sprechen. Ihren 50. Geburts- tag haben Sie beim Chio in Aachen ge- feiert, den 40. ganz anders. Damals mussten Sie wegen eines Dopingfalls bei Ihrem Pferd Whisper vor dem Verbandsaus- schuss aussagen. War dies der schwerste Moment in Ihrer Karrie- re? Ja. Ich wusste es gar nicht mehr, dass es am Geburtstag war. Daran kann man sehen, dass man schlim- me Ereignisse in sich begräbt. Sie haben eine sechsmonatige Sperre erhalten, weil in Ihrem Pferd Spuren des Mittels Fluphe- nazin gefunden wurden. Wie se- hen Sie den Dopingfall im Nachhi- nein? Das wünsche ich meinem ärgsten Feind nicht. Ich hatte gar nicht die Chance, das in der Öffentlichkeit richtig zu erklären. Ich habe ein Pferd behandelt und dachte, alles sei in Ordnung. Und trotzdem ist die Welt über mich hergefallen. Am Ende habe ich dieZeit durchgestan- den dank eines kleinen Kreises, der mich unterstützt hat. Es hat mich sehr vorsichtig gemacht, was die Be- handlung der Pferde betrifft. Mitt- lerweile haben viele verstanden, dass zwischen Doping und Thera- pie bei Pferden ein ganz schmaler Grat herrscht. Silber im Einzel in Rio, zwei Mal Gold 1996 in Atlanta und zahllose Siege beim Aachener Chio (im Uhrzeigersinn): Isabell Werth ist die erfolgreichste Dressurreiterin der Ge- schichte – und seit über 30 Jahren im Geschäft. Ihre Pferde stehen auf dem Hof in Rheinberg (oben links). FOTO: DPA begann für . Ihre Top- Bella Rose weil Werth erg auf die er Pferde ch noch zu Weihegold chen Spie- nnschafts- nd wurde gerin. Werth im hren sechs en neun ropameis- hen hat sie nnen, mit rden. Im , wie ickt ste Dres- leben Sie h, ich den- hr selten es macht h all die re in Ti- haben. edaillen die Art hiedene ht habe. nen zu werde weiter Ga- n. er die Jah- ndin und ter-Schul- Isabell Werth ist ein Phänomen. Seit mehr als 30 Jahren ist die Rheinbergerin im Reitsport eine feste Größe. 2016 siegte sie in Rio de Janeiro zum sechsten Mal bei den Olympischen Spielen, das ist Rekord. Und ans Aufhören denkt die 51-Jährige noch lange nicht Weltspitze: Mit ihrem Pferd „Wei- hegold“ gewann Werth 2016 Gold mit der Mannschaft und Einzelsilber. FOTO: DPA k ni Seite 70 und 71

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