Sonderbeilage | 75 Jahre WAZ

„Wir leben in Zeiten des globalen Wandels. Seit Beginn des Anthropozäns hat sich unser Planet in allen biologischen Maßstäben – von Molekülen über Menschen bis hin zu Ökosystemen – in einem noch nie dagewesenen Tempo verändert und wirft grundlegende Fragen über die Zukunft unseres Planeten auf. Das Wohlergehen der menschlichen Gesellschaft hängt dabei unmittelbar von der Qualität und Gesundheit der Umwelt ab, in der wir leben. Der Kern des ,Research Center One Health Ruhr – fromMolecules to Systems’ ist es daher, die grundlegenden Mechanismen von Gesundheit und Krankheit zu untersuchen. Dabei dient dasÖkosystemalsKontext, sodassauchdiekomplexenWechselbeziehungenzwischen Umweltgesundheit und menschlicher Gesundheit berücksichtigt werden. One Health Ruhr befasst sich zum einenmit grundlegendenmolekularen und systemischenMechanismen, die körperliche undmentaleFunktionenaufrechterhalten.Zum anderen geht es umStörungen innerhalb von Systemen, die Abweichungen vom Normalzustand und dadurch Krankheiten imweitesten Sinne verursachen. Unter dieser ganzheitlichen Betrachtungsweise verbindet One Health Ruhr die zentralen Bereiche Molekularbiologie, Wasserforschung, molekulare Krebsforschung sowie die Neurowissenschaft in einem Wissenschaftshub, in dem die Grenzen getrennter Disziplinen überwunden werden.DieübergreifendenZielevonOneHealthRuhr spiegeln dabei nicht nur aktuelle internationale Herausforderungen der Wissenschaft wider, sondern repräsentieren vor allemdie besonderenStärkenderWissenschaftslandschaft UA Ruhr.“ Foto: UK Essen/Martin Kaiser Von hier aus in die Zukunft Mit fünf neuen Forschungszentren und vielen Millionen Euro von der Landesregierung will das Revier an die Weltspitze Christopher Onkelbach Essen. Als „Germany‘s Rust Belt“ ist das Ruhrgebiet im englischen Sprachraum bekannt. Als „Rost-Gürtel“ also, was sich auf seine Vergangenheit aus Kohle und Stahl und die inzwischen rostigen ehemaligen Industrieanlagen bezieht. Da passt es ins Bild, dass mit Prof. Martin Stratmann ein Korrosionsforscher die Zukunft der Region mitgestaltet hat. Der gebürtigeEssener ist seit 2014Präsident der Max-Planck-Gesellschaft (MPG) und eine der einflussreichsten Persönlichkeiten der deutschen Wissenschaft. Seine Karriere startete er als Chemiestudent an der Ruhr-Uni Bochum. Als Direktor des Max-PlanckInstituts für Eisenforschung inDüsseldorf beobachtete er denWeg des Ruhrgebiets von einerMontan- zu einer Wissenschaftsregion aus unmittelbarer Nähe. Und dieseEntwicklungwirdinnaherZukunft einengewaltigen Schub erhalten, ist Stratmann überzeugt. Als Co-Moderator für das Thema Wissenschaft bei der 2018 von der Landesregierung gestarteten Ruhrkonferenz zur Zukunft des Ruhrgebiets gab der MPGPräsident mit der ehemaligenWissenschaftsministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen den Anstoß für eine Forschungs-Allianz der drei Unis Bochum, Dortmund und Duisburg-Essen. Das Ziel des Projekts: Mit einer Investition des Landes in Höhe von 75 Millionen Euro soll die Forschung auf internationales Spitzenniveau gehoben und das Ruhrgebiet als Region von Wissenschaft, Forschung und innovativen Unternehmen global sichtbar werden. Ab 2025 wird der Verbund voraussichtlich mit weiteren 48Millionen Euro gefördert – pro Jahr. Blaupause für das „Ruhrgebiet 2.0“ Mit dem neuen Forschungsverbund werden die Stärken der drei Unis, die seit 2007 in der Universitäts-AllianzRuhr (UARuhr) verbundensind, thematischgebündelt undgestärkt.Konkretwerdenmit denGeldernzwischen Duisburg und Dortmund vier Forschungszentren zu Gesundheit, Chemie und Nachhaltigkeit, vertrauenswürdigeAlgorithmen, Materialforschung sowie ein geistes- und sozialwissenschaftliches College aufgebaut. Rund 50 Professuren sowie zahlreiche Stellen für wissenschaftliche Mitarbeiter werden geschaffen. „Das ist eine Riesenchance für das Ruhrgebiet“, sagt MPG-Präsident Stratmann. Es war maßgeblich seine Vision, die Stärken der drei Unis mit 120.000 Studierenden und 14.000 Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen ingemeinsamenZentrenzukonzentrieren. Die Ruhrkonferenz bot die einmaligeMöglichkeit, so Stratmann, diese neue Forschungsstruktur imRuhrgebiet einzurichten. Denn es habe keinen Sinn, Traditionsregionen wie München oder Heidelberg nachzueifern, man müsse etwas Neues auf den Weg bringen. Gerade jetzt sei der richtigeZeitpunkt dafür, dennauch dieWissenschaft stehe vor großenUmbrüchen, etwa in der Medizin, der Künstlichen Intelligenz, Datensicherheit undMaterialwissenschaft. Stratmann: „Das Ruhrgebiet hat etwas, was keine andere Region in Deutschland bieten kann. Viele Hochschulen und Forschungsinstitute auf engemRaum, große Freiflächen innerhalb der Städte für neue Institute, WohnenundLebensowie eine junge, bildungshungrige Generation. Das ist die Blaupause für das Ruhrgebiet 2.0“, ist er überzeugt. Auch für die wirtschaftliche Zukunft: „Eine ökonomische Entwicklung ist nur möglich, wenn sie aufWissenschaft undForschung aufbaut. Diesen Zusammenhang kann man weltweit beobachten.“ Daher sei die Investition nicht allein ein Wissenschafts-Konzept, sondern eine politische Weichenstellung.Was dieMenschen imRevier davonhaben?Ganz einfach, sagt Stratmann: „Eine Zukunft.“ Gesundheit und Umwelt Prof. Dirk Schadendorf: Research Center One Health Ruhr Neue Materialien für nachhaltige Energie „Im Research Center Future Energy Materials and Systems verfolgen wir das Ziel, neue, dringend benötigte Materialien für ein nachhaltiges Energiesystem der Zukunft zu entwickeln. Es gibt im Ruhrgebiet eine vielfältige und starke Forschungslandschaft auch mit zahlreichen Verbindungen zur Industrie, das stellt für dasCenter eine hervorragendeBasis dar. Wir kombinierenwissenschaftliche Kreativität mit demKnow-how, wie neue Ideen in dieUmsetzung gebracht werden. Materialien im Kontext der Energiewende zu betrachten ist hochaktuell, und durch das ResearchCenter wird die Forschung der drei Universitäten im Ruhrgebiet dazu einen bedeutenden Beitrag leisten können. Wir freuen uns, dass ab April 2023 drei weitere herausragende Kolleginnen und Kollegen auf neuen Professuren im Center forschen werden. Es geht dabei u.a. darum, Funktionsmaterialien wie Katalysatoren für die Energieträgererzeugung zu entwickeln, Stichwort grüner Wasserstoff, aber auch um Materialien, die zum Beispiel zur klimafreundlichenKühlung eingesetzt werden können. Wir müssen dazu grundlegende Eigenschaften und relevante Prozesse derHerstellung unddes Einsatzes neuerMaterialienverstehen.Wir betrachtendenEinfluss vonMaterial-Zusammensetzung und Prozessierungauf StrukturenundEigenschaftenvomAtombis zum Bauteil. Auch Aspekte der Nachhaltigkeit, Ressourcenverfügbarkeit, Wirtschaftlichkeit und Nutzbarkeit imEnergiesystemwerden dabei von vorneherein mitberücksichtigt.“ Foto: Marquard/RUB Vertrauen in die digitale Welt Prof. Emmanuel Müller: Research Center Trustworthy Data Science and Security „Im digitalen Zeitalter werden viele Entscheidungen, die Menschen in Wissenschaft, Industrie und Gesellschaft treffen, durch computergestützte Technologien unterstützt –zumTeil ohnedasswir uns dessen bewusst sind oder aber in blindemVertrauen. Gleichzeitig fehlt invielenBereichenderGesellschaftVertrauen in digitale Technologien wie z.B. Künstliche Intelligenz. DieVisiondes interdisziplinärenResearchCentersTrustworthyDataScienceandSecurity ist es, dieseVertrauenslücke durch neue wissenschaftliche Ansätze zu schließen. Wir wollen Methoden entwickeln, welche technische Zuverlässigkeit und menschliches Vertrauen unter unserem Leitbild „Trustworthy by Design“ in Einklang bringen. Wir verfolgen einen einzigartigen interdisziplinären Forschungsansatz, der das gesamte Spektrum der wissenschaftlichen Herausforderungen vertrauenswürdiger und datenschutzbewusster Technologien abdeckt. Nur durch die Kopplung einer Vielzahl von Disziplinen–vonMathematik, StatistikundInformatiküberPsychologie bis hin zu Geistes- und Sozialwissenschaften – können wir die angestrebte Zentrierung auf den Menschen und die Vertrauenswürdigkeit von statistischer Datenanalyse, maschinellem Lernen und Cybersicherheit erreichen und so helfen, die Akzeptanz der Gesellschaft gegenüber vertrauenswürdigen Technologien zu steigern. Dafür nutzen wir die Stärken der drei Universitäten bei Künstlicher Intelligenz, Cybersicherheit, Statistik und Psychologie.“ Foto: privat Lebenswerte Zukunft Prof. Julika Griem: College for Social Sciences and Humanities „DieHerausforderungenundKrisenunserer Zeit lassen sich nicht allein durch technische Lösungen bewältigen, sondern werfen soziale, politische, rechtliche, kulturelle und ethische Fragen auf. Die Sozial- und GeisteswissenschaftentragenzurBeantwortung dieser FragenGrundlegendes bei – etwa wenn es um die gerechte Verteilung von Chancen und Risiken geht oder darum, welche Aufgaben wir künstlichen Intelligenzen überlassen wollen. Ziel desCollege forSocial SciencesandHumanities ist es, international ausgewiesene Spitzenforscher:innen auf dem Gebiet der Sozial- und Geisteswissenschaften in der Metropolregion Ruhr zusammenzuführen und einweltweit sichtbares Forum für den fächerübergreifenden Austausch zu schaffen. Zu diesem Zweck wird das College in der Essener Innenstadt einen neuen Forschungsstandort eröffnen, andemKolleg:innen aller drei Ruhrgebietsuniversitätenmit renommiertenGästen aus dem Ausland an gemeinsamen Forschungsprojekten arbeiten werden. Zudem werden im College drei interdisziplinäre Forschungsprofessuren und Forschungsgruppen eingerichtet. Als Teil der Research Alliance Ruhr ist es unser Anspruch, das Ruhrgebiet zu einemStandort für internationale Spitzenforschung in den Sozial- und Geisteswissenschaften weiterzuentwickeln. Zugleichmöchten wir unsere Türen für die Öffentlichkeit öffnen und zu einem Dialog über gesellschaftlichrelevanteThemeneinladen, etwa über die Frage, wie aus einembesserenVerständnis der Vergangenheit eine lebenswerte Gegenwart undZukunft gestaltet werden kann.“ Foto: eventfotograf.in/KWI Prof. Alfred Ludwig: Future Energy Materials and Systems FUNKE Mediengruppe Spitzenforschung im Revier

RkJQdWJsaXNoZXIy MjExNDA4