Sonderbeilage | 75 Jahre WAZ

Das Ruhrgebiet altert schneller und früher als der Rest Deutschlands. Das kann sogar ein Standortvorteil sein, sagt die Dortmunder Sozialwissenschaftlerin Prof. Martina Brandt Künftig werden auch mehr Zugewanderte mit Migrationshintergrund, Menschen aus anderen Kulturen, das Rentenalter erreichen. Auch mehr Queere vielleicht. Sind wir darauf vorbereitet? Gute Frage. Das ist Neuland für uns, vor allem, was die wachsende Zahl der Älterenmit Migrationshintergrund angeht. Und diversitätssensible Pflege ist ein ganz wichtiges Thema. Die Nachkommen der Zugewanderten können uns aber helfen, sie kennen die besonderen Bedürfnisse und die Erwartungen, die ihre Eltern oder Großeltern an die Versorgung im Alter stellen. Wir haben an der TUDortmund sehr viele Studierende mit Migrationshintergrund, die befassen sich genau mit diesen Fragen, entwickeln passende Konzepte – und wir lernen jeden Tag dazu. Der demografische Wandel im Revier ist für Sie nicht nur Grund zur Sorge, sondern auch eine Chance. Wie kann das Revier seine Überalterung Ute Schwarzwald OP-Roboter gehen Chirurgen im Revier seit Jahren zur Hand – Roboter in der Pflege sind noch umstritten. Aber der Schlüssel zur Lösung des demografischen Problems? Roboter werden menschliche Pflegekräfte „sicher nicht“ ersetzen können, sagt Wolfgang Deiters, Professor für Gesundheitstechnologien anderHochschule fürGesundheit (hsg) inBochum. Aber sie entlasten: das könnte funktionieren. Deiters nennt ihn „rollenden Teewagen“. „Temi“ selbst stellt sich als „Prof. Techno-Pflegi“ vor, preist seine Vorzüge: Fiebermessen könne er hervorragend, Telefonkonferenzen arrangieren, Essenbringen. „Selber kochen ist aber nicht so mein Ding“, räumt der Service- und Interaktionsroboter der Firma medisana ein. Seit fünf Jahren testen Deiters und sein Teamam„lebenden“Exempel, wie ein solcher Roboter den Alltag der Gesundheitsversorgung verändern könnte. Das autonom fahrende System, durch Sprache steuerbar, kann u.a. Blutdruck messen, Filme abspielen, Botschaften übermitteln, Hol- und Bringdienste übernehmen, Gestürzten zu Hilfe eilen oder der Krankenschwester während der Visite die Patientenakten hinterhertragen. „Wir sind überrascht,wiegut er funktioniert,wievielfältigdie Einsatzmöglichkeiten sind“, erklärt Deiters. Kollege „Pepper“ kommt humanoider daher, entzückt mit Kulleraugen. Er kannWitze erzählen, Tiere nachahmen, kennt Spiele und Bewegungsübungen, er kichert, wennman ihn kitzelt; hat sogar Hände mit Fingern dran. „Aber Greifen kann er nicht“, sagt Deiters, „das ist ein Unterhaltungsclown“. Dreimal so teuerwie„Temi“, dochwenigernützlichalsder nüchterne Serviceroboter, befinden die Studenten in der Regel nach demKennenlernen. „Peppers“ Einsatzchance sieht Deiters in Tageseinrichtungen, auf Dauer werde der drollige Kerl vermutlich langweilig, denkt er: „Der ist eher Praktikant als jahrelanger Begleiter!“ Nochviel niedlicher als „Pepper“ ist derdritte – gezielt auf Emotion angelegte – RoboterTyp, mit dem sich die hsg befasst. In Deutschland schlich sich„Paro“ etwa inSeniorenzentren in Köln und Paderborn in die Herzen Demenzkranker, brachte Menschen zum Lächeln, dieman ewig nicht hatte lächeln sehen. Dass die niedliche Robbe in ihrer Heimat Japan zur Beschäftigungstherapie eingesetzt werde, hält Deiters indes für ein „schreckliches Pflegemodell“. Er findet es zudem „ethisch bedenklich“, wenn Roboter vermenschlicht werden. „Die Heimbewohnerin darf den Roboter nicht für den verstorbenen Ehemann halten.“ Verbände wechseln oder Patienten waschen: werden Pflege-Roboter nie, glaubt Deiters. Nutzlos seien sie dennoch nicht: „Wenn ich sehe, wie viele Kilometer eine Krankenschwester im Dienst macht, fällt mir viel ein, wo sie sinnvoll sein könnten.“ Dass Pflege irgendwann ohnemenschlicheNähe stattfinde, ist auch für Alina Napetschnig eine Horrorvorstellung. Dass jemand einem alten Menschen den Armumdie Schulter lege – dass sei unersetzlich, findet die jungeGesundheitswissenschaftlerin der hsg. Aber sie ahnt, dass es vielleicht ein Roboter sein wird, der ihr dereinst die Stützstrümpfe anziehen werde. „Das macht mir ein wenig Angst. Aber wir dürfen diesen Systemen ruhig ein bisschen mehr zutrauen. Wowir Technik einsetzen können, um Pflegekräfte zu entlasten, sollten wir das tun. Das schafft doch auchZeit für Gespräche und Nähe.“ Die Pflegekräfte, die die hsg jüngst zur Akzeptanz von Robotik befragte, waren sich jedenfalls einig: Angesichts des Fachkräftemangels sei jede zupackende Hand hilfreich. „Pepper“ ist in einigen Altenheimen bereits im Einsatz – und bei vielen Bewohnern sehr beliebt. In ihm ein menschliches Gegenüber zu sehen, ist aber riskant. Lars Heidrich / FFS Wird dürfen nicht in Schreckstarre verfallen. Wir müssen uns an die Gegebenheiten anpassen. Prof. Martina Brandt, TU Dortmund, Lehrstuhl „Sozialstruktur und Soziologie alternder Gesellschaften“ Älter als andere: Das Revier als Modellregion zumStandortvorteil machen? „Überalterung“ ist ein Wort, das ich nicht verwende – es gibt keine richtige oder falsche Altersstruktur. Sicher ist: Das Ruhrgebiet altert früher undschneller als andereRegionen.Hier lässt sich die zukünftige Entwicklung wie unter einem Brennglas beobachten. Deshalb könnenwirModellregion sein. Schon jetzt lernenandereausunserenErfahrungen.Viele tolle Projekte und soziale Innovationen sind hier ins Leben gerufen worden… Welche? Nennen Sie bitte ein paar Beispiele. Allein inDortmund gibt es viel Beeindruckendes, Generationenprojekte im Bereich Wohnenetwa, wie „WohnreWir“ amTremoniapark. OderdieSeniorenbüros, diedieVersorgungÄlterer vor Ort koordinieren, im Stadtteil zu allen Fragen rund ums Thema beraten – und deutschlandweit zumBeispiel genommenwerden. Ein ganz tolles Projekt ist auchZwar (Der Die Technik soll Pflegekräfte nicht ersetzen. Aber sie könnte sie entlasten, sagen Experten Die Menschen im Revier sind älter als die in anderen Regionen des Landes, die AltersgruppeÜ60 ist hier längst die größte. Jeder zweite in Herdecke war 2020 schon über 51,7 Jahre alt. Selbst in größeren Städten wie Dortmund (43,5), Essen (44,4), Duisburg oder Bochum (44,9) liegt das „Medianalter“ deutlich über Düsseldorf (42,2) oder Köln (40,8). Die „Vergreisung“ des Reviers nennt mancher ein „Schreckensszenario“, für andere ist sie einzigartigeChance. Prof. Martina Brandt ist Inhaberin des Lehrstuhls für „Sozialstruktur und Soziologie alternder Gesellschaften“ an der TU Dortmund und leitet die Kommission, die derzeit den 9. Altersbericht der Bundesregierung erstellt. Ute Schwarzwald sprach mit der Sozialwissenschaftlerin über Chancen und Risiken des demografischenWandels imRevier. Wir werden weniger und älter, überall in Deutschland. NRW ist im Bundesländer-Vergleich aber jünger als der Schnitt – das Ruhrgebiet wiederumdeutlich älter. Woran liegt das? Brandt: Das Ruhrgebiet altert schneller und bunter als der Rest Deutschlands. Erklären lässt sich das historisch: Mit der Montanindustrie explodierten imRuhrgebiet bis Mitte der 1960er-JahredieBevölkerungszahlen–um das 26-fache, von 220.000 zu Beginn des 19. Jahrhunderts auf knapp 5,7 Millionen zum größten deutschen Ballungsraum. Als Kohle und Stahl verschwanden, kamen weniger Jüngere nach. Was jetzt passiert, kann man bis zu einem gewissen Grad auch als eine „Korrektur“ interpretieren. Und das ist gar keine so schlechte Nachricht … Aber Pflegekräfte sind schon jetzt rar. Alte sind fitter als früher, vielewerdendennochHilfebenötigen. Wer wird die hochbetagten Babyboomer, die starken Jahrgänge der 50er/60er versorgen, wenn sie es allein nicht mehr können? Parallel zum Anstieg der alternden Bevölkerung sinkt ja der Anteil der Jüngeren, der Erwerbstätigen… Wirwerdenälter als früher, undwir bleibendabei länger gesund, ja. Ich denke, das ist eine großeErrungenschaft –auchwenndiemeisten irgendwann tatsächlich Hilfe brauchen werden.Wirmüssenuns gemeinsamanpassen: die BedingungeninderPflegedrastischändern, da gibt es noch Riesenpotenzial; den technischen Fortschritt gerade in diesem Sektor ausschöpfen; auf bürgerschaftliches Engagement setzen. Warumnicht die gewonnenen Lebensjahre nutzen, ummitzuhelfen? Was nicht heißen soll, dass imAlterniemandmehr gemütlichvor dem Fernseher sitzen darf …Wir sollten auch beimRenteneintrittsalter neudenken.Wer länger arbeiten will, sollte länger arbeiten dürfen undkönnen. DieArbeitgeberwerden sich einiges einfallen lassen, um Fachkräfte künftig zu halten, auch in der Pflege. Welche gesellschaftlichen und politischen Herausforderungen bringt der demografische Wandel über das Thema Pflege hinaus mit sich? EinKnackpunkt ist sicher dieRente. Umlagefinanzierung ist nicht das einzig denkbare Modell. Wir brauchen ein flexibles, atmendes, Demografie-sensibles System. Dennwenn die BabyboomerVergangenheit sind, werdenwirwieder vor anderen Herausforderungen stehen. ZudemmüssenBeruf undPflegekünftigbesser miteinander vereinbar sein, wir brauchen flexible Lebenszyklus-spezifische Arbeitszeiten. Eine weitere Kernfrage wird das Wohnen im Alter sein. Es gibt viel zu wenig barrierefreien Wohnraum. Der imÜbrigenauchFamilienmit Kindern oder Menschen mit Behinderungen zugutekommt.Wirmüssenkünftigmehr zirkulär, modular bauen. in Essen in Herdecke in Köln Altenquotient* Kollege Roboter *gibt an, wie viele Personen über 65 auf 100 Erwerbstätige (20 bis 64 Jahre) kommen / Quelle: Bertelsmann-Stiftung. Verein „Zwischen Arbeit und Ruhestand“, dieRed.) .DieersteGruppeentstandkurzvor der Stilllegung des Hoesch-Werks – um die entlassenenArbeiter aufzufangen.Heutegibt es 300 solcher Netzwerke in 80 Kommunen inNRW. Auch unser Masterstudiengang „Alternde Gesellschaften“ hat Vorbild-Charakter, genau wie unser „Seniorenstudium“ an der TUDortmund, dasÄltere auchohneAbitur explizit zur Weiterbildung und gesellschaftlichen Partizipation einlädt, wo sie lernen, diese Lebensphase selbstbestimmt zu gestalten. Klingt in der Tat beeindruckend. Wir müssen nicht alles schönreden, es gibt ganz klar Handlungsbedarfe. Aber wir dürfen nicht in Schreckstarre verfallen oder die Zukunft nur nochnegativ sehen.Wirmüssen das jetzt einfach angehen, Verantwortung übernehmen und uns an die Gegebenheiten anpassen – das ist Gesellschaft. Das Ruhrgebiet als „Prototyp“ des demografischenWandels zu sehen, sichmit seinemAlter zu brüsten, sich so fokussiert um Senioren zu kümmern: birgt das nicht auch Risiken? Sollten wir nicht besser versuchen, wieder mehr Junge fürs Ruhrgebiet zu begeistern? Das ist kein Entweder-oder, und man sollte auch Jung und Alt nicht gegeneinander ausspielen. Und das Alter ist keine „Restlebenszeit“. Heute ist es eine langePhase, inder noch viel Produktivität möglich ist. Das starre Modell „Bildung-Arbeit-Rente“ hat ausgedient, es gibt viel dazwischen. Die Bevölkerung ist zudem immer imWandel. Das Credo ist, Demografie-sensible Politik zu machen. Und vielleicht könnenwir uns auch einfach einmal darüber freuen, dass wir – Jung und Alt – länger leben. Illustrationen: adobe / Bilder: Shutterstock / Montage: Frederik Mast 36,3% 48% 27,2% UTE SCHWARZWALD schreibt schon im zweiten Jahrtausend für die WAZ – jetzt als Reporterin imRhein-Ruhr-Ressort. FUNKE Mediengruppe Demografie und Gesundheit Mittwoch, 19. April 2023 – Seite 28/29 03.09.23So, 20 Uhr ESSENPhilharmonie 27.09.23Mi, 20 Uhr BOCHUMRuhrCongress 28.09.23Do, 20 Uhr HAGENStadthalle 06.10.23Fr, 20 Uhr OBERHAUSENCongress Centrum 07.10.23Sa, 20 Uhr MÜLHEIMStadthalle 08.10.23So, 20 Uhr DUISBURGMercatorhalle DER GROSSE LORIOT-ABEND Beste Tickets JETZT bei allen bekanntenVVK-Stellen und • Durchführung & Abrechnung von Wartungsverträgen • Abwicklung von Gebrachtwagengarantien • AU & HU durch den TÜV Nord • LPG- und CNG-Werkstatt • Werkstatt für E-Fahrzeuge • Karosseriearbeiten • Servicearbeiten und Reparaturen EDEKA DIEKMANN: Velberter Straße 2-6 I 45239 Essen Öffnungszeiten: Mo. – Sa.: 7.00 – 21.00 Uhr EDEKA DIEKMANN: Heckstraße 6-10 I 45239 Essen Öffnungszeiten: Mo. – Fr.: 8.00 – 20.00 Uhr Sa.: 8.00 – 16.00 Uhr edeka-diekmann.de Mit großem Markt! 2 X MAL IN ESSEN WERDEN! 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Wegen der realistischeren Prüfbedingungen sind die nach dem WLTP gemessenen Kraftstoffverbrauchs- und C02-Emissionswerte in vielen Fällen höher als die nach dem NEFZ gemessenen. 1 Leasingbeispiel für einen Suzuki S-Cross 1.4 BOOSTERJET HYBRID Comfort auf Basis des Fahrzeugpreises in Höhe von 30. 790,00 Euro, zzgl. 0,00 Euro Bereitstellungskosten und 0,00 Euro Auslieferungspaket; Gesamtpreis 30.790,00 Euro; Leasing-Sonderzahlung: 2.000,00 Euro; Laufzeit: 48 Monate; jährliche Fahrleistung: 10.000 km; 48 monatliche Leasingraten a 199,00 Euro; Bonität vorausgesetzt. Vermittlung erfolgt allein für die Creditplus Bank AG, Augustenstraße 7, 70178 Stuttgart. Aktionszeitraum: 1.4.2023 - 30.6.2023. Nicht mit anderen Suzuki Aktionen kombinierbar. Es besteht ein gesetzliches Widerrufsrecht für Verbraucher. Autohaus Bullekotte e.K. 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