Sonderbeilage | 75 Jahre WAZ

Zu Hause bei „Fee“: Andrea Zaschka auf Zeitreise mit Felicitas Kapteina (99), die zum Gründungsteam der WAZ gehörte. Ralf Rottmann/FFs Bleistifte waren unser Handy 1948 begann Fee Kapteina als WAZ-Reporterin. Im Interview spricht sie über Männerthemen und unheimliche Computer einem Computer zu schreiben, war wahrscheinlich die schwierigste in meiner gesamten journalistischen Laufbahn. Aber Sie haben gelernt, damit umzugehen? EinKollege kamdrei Mal dieWoche zumir nachHause und hat mir das Gröbste beigebracht. Ich habe zu ihm gesagt: „Du musst mir das so erklären, als wenn du ein sechsjähriges lernbehindertes Kind vor dir hättest. Anders werde ich das nicht begreifen“. Nach vielen Wochen konnte ich den Computer pragmatisch bedienen, aber gut darin war ich nie. Wenn ich an die ganzen Smartphones heute denke, das finde ich grauslig. Dabei erleichtert einem der Computer oder auch das Smartphone ja vieles. Gerade können wir uns zum Beispiel unterhalten, ohne dass ichallesmitschreibenmuss.MeinHandy liegt neben uns auf dem Tisch und zeichnet dasGesprächauf, sodass ichmir später inRuhe alles anhören kann. Ja, deinHandykannbestimmt viele tolleSachen. Aber damit umzugehen, überlasse ich lieber dir. Fee arbeitete noch im Rentenalter lange für die WAZ. Frank Vinken / WAZ FUNKE Mediengruppe Treffen der Generationen Andrea Zaschka Mit fast 100 Jahren lebt „die Fee“ noch immer in ihrer eigenen Wohnung in EssenWerden. Als es klingelt, steht sie mit Schwung vomSofa auf und flitzt trotzGehstock zum Türöffner: Die WAZ ist da! Im Hausflur stehen sich zwei Journalistinnen gegenüber, die beide ihre berufliche Laufbahn als Volontärinnen gestartet haben – nur ist die eine eben 73 Jahre älter als die andere. Denn Felicitas „Fee“ Kapteina ist eineReporterinder erstenStunde.MitAndrea Zaschka (26) spricht sie über denWandel im Journalismus. Fee, wie sindSiedamals zurWAZgekommen? Ich bin durch eine Stellenausschreibung im Internet auf das Volontariat aufmerksam geworden, aber das war zu Ihrer Anfangszeit 1948 ja noch undenkbar. Oh ja, so etwas wie das Internet hätte damals niemand für möglich gehalten. Nach demKrieghabe ichab1946zunächst fürdie Neue Ruhr Zeitung (NRZ) geschrieben. Damals war die NRZ aber eine reine SPDZeitungunddamit konnte ichmichnicht so recht anfreunden – ich hatte mir nach der Zeit der Nationalsozialisten geschworen, nie wieder zu irgendeiner Partei dazuzugehörenundpolitischunabhängig zu bleiben. Als danndieWAZgegründet wurde, hat deren Chefredakteur Erich Brost zu mir gesagt, dass ich dort nichtsmit Politik amHut haben muss – da war die Sache für mich klar. Ich wurde dann für Reportagen eingesetzt und war glücklich. In meinem Volontariats-Jahrgang sind wir mehr Frauen als Männer. Wir schreiben über dieselbenThemenundwerden – zumGlück – gleichbehandelt. Sie waren damals eine der ersten Journalistinnen im Nachkriegsdeutschland. Hatten Sie es als Frau schwer? Als ich zur WAZ kam, war die Themenverteilung klar festgelegt: Wirtschaft für den Mann, Mode für die Frau. Ich habe mich aber auch für männliche Themen interessiert und hatte deshalb einen Deal mit meinem Kollegen: Er war schwul, das war damals noch nicht erlaubt. Damit das nicht auffiel, habenwirabundzusogetan, alshättenwir eine Affäre. ImGegenzug durfte ich manchmal Themen von ihm übernehmen. Eines davon war ‚Braunkohlebagger fressen einDorf‘. Ich habe das Thema auf einer großen Seite aufgearbeitet. Am nächsten Tagkamder stellvertretendeChefredakteur zu mir und meinte: „Sie wissen doch, dass Ihnen dieses Thema nicht zusteht!“ Als ich gefragt habe, ob der Text denn sachlich nicht gut geschrieben war, da hat er mich angeschrien: „Das spielt keine Rolle, hier geht es ums Prinzip!“ So ein Umgang wäre heute wirklich undenkbar. Wie haben Sie es denn geschafft, sich auf Dauer durchzusetzen? Ich war immer offen und bin auf alle Menschen zugegangen. Das hat mir sehr geholfen. Die Menschen haben mir Sachen anvertraut, die sie meinen männlichen Kollegen vielleicht nicht erzählt hätten. Ich würde von mir selbst behaupten, dass ich sehr einfühlsamwar unddasVertrauenderMenschen recht schnell gewonnen habe. Durch meine guten Kontakte habe ich dann mit der Zeit immer mehr Themen zugeteilt bekommen – und damit meine ich nicht nur Frauenthemen. WiekonntemansichdenArbeitsalltagvor 75 Jahren vorstellen? In der ersten Redaktion in Essen, in der ich gearbeitet habe, waren die Zustände erbärmlich. Es gab roheHolztische, andenen man sich ständig Splitter geholt hat. Jeder hat am Anfang einen Bleistift bekommen. Damit mussten wir ganz vorsichtig umgehen, damit er besonders lange hält. Bleistifte gab es nämlich nur mit einem Bezugsschein, im Laden kaufen konnte man das nicht einfach so. In der Anfangszeit habe ich dann meine Geschichten mit Bleistift aufgeschrieben, bis es später genugSchreibmaschinen für alle gab. Das sind wirklich verschiedene Welten, in denen wir angefangen haben zu arbeiten. Heute sitze ichineinemmodernenBüro inEssen, habe einen höhenverstellbaren Schreibtisch und drei Monitore, auf denen ich gleichzeitig arbeite. Immer griffbereit daneben: Mein Handy. Das, was heute das Smartphone ist, war damals der Bleistift – den hatte ich immer bei mir und habe gut darauf aufgepasst. Inmeinen jungen Jahren war für den Druck einer Zeitung auch das Arbeiten mit Bleisatz noch ganz normal. Das kann sich ja heute keiner mehr vorstellen! Damals wurden einzelne Lettern zu Texten und dann zu einer vollständigenSeite zusammengesetzt, damit diese gedruckt werden konnte. DanachkonntendieLetternwieder umgesetzt werden für die nächste Seite. Das kann ich mir wirklich nicht vorstellen. ErinnernSie sichnochandenMoment, alsSie das erste Mal von Computern gehört haben? Als wäre es gestern gewesen! Ich habe diesen technischen Kram total abgelehnt, elektronische Geräte waren mir unheimlich. Ich war damals auch schon über 60 Jahre alt. Die Umstellung, plötzlich an Das, was heute das Smartphone ist, war damals der Bleistift – den hatte ich immer bei mir und habe gut darauf aufgepasst. Felicitas Kapteina ANDREA ZASCHKA arbeitetseitAnfang2022fürdie WAZ. Am liebsten schreibt sie – wie Fee – Reportagen. 75 Jahre WAZ Die Mediengruppe Westfälischer Anzeiger gratuliert ganz herzlich zum Jubiläum. 1948 – 2023

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