Telefon im Badezimmer Wie die Lokalredaktionen das Laufen lernten Für dieSituationdermeistenLokaljournalisten, die die WAZ damals vor Ort prägten, gelten folgende Sätze von Willy Jaeger, dem ersten Lokalchef für Bottrop und Gladbeck: „Mit diesem Tage, dem 28. Februar 1948, als ich das Arbeitsangebot auf einem Stück Schmierpapier bekam, beginnt für mich die Geschichte der WAZ. Erst recht aber am 18. März, da ich in gefärbten englischen Armee-Klamotten, einer aus Heimkehrerspende stammendenWindjacke in Essen und Bochum Anstellungsgespräche führte. Ich sah erbärmlich aus. Das war aber nicht wichtig, denn den übrigen Zeitgenossen ging es nicht viel besser.“ JaegerhatteGlückundesbesser als andere:Am1. Mai 1948 wies ihm die Stadt eine Wohnung zu. In demwindschiefenGebäude betrieb eineWitwe ein Kolonialwarengeschäft und eine Bäckerei. Jaegers Genauigkeit verdanken wir die Maße jener ersten Redaktion, zweieinhalb mal dreieinhalb Meter, er wohnte direkt über dieser „Redaktionsstube“. langer Suche fand er Unterkunft in einer Gaststätte „gegenüber demBahnhof für zehn DM täglich und mit der Verpflichtung, dass die Mittag- und Abendessen der Redaktionsmitglieder dort eingenommen würden“. Aus einem Badezimmer heraus berichtete das junge WAZ-Team aus Witten. Der erste Lokalchef Dr. Arthur Venn erinnerte sich: „In besagtemBadezimmer, dasnachAufwandvonvielengutenWorten sogar einen Telefonanschluss bekam, entfaltete ich –nicht zuletzt vermittelstderKurbel des ,neuen’Apparates – eine rege Tätigkeit.“ Dass zuBeginn der Spruch „DieWAZ ist eine Familienzeitung“ durchaus wörtlich zu nehmen war, zeigt sich im Bericht des damaligen Gelsenkirchener Lokalchefs LeoHamp: „Nachdemmir imMärz 1948vondenHerrenBrost undFunkedie redaktionelleLeitung derWAZ für denBereichderGesamtstadt (Gelsenkirchen) übertragen worden war, begannen meine Frau und ich unverzüglich mit lebhafter Mundpropaganda in allen uns bekannten Kreisen.“ Soziale Netzwerke der einfachen aber wirkungsvollen Art, wie der langsam aber sich sicher einstellende Erfolg des Blatts belegen sollte. BeimStart erschiendieersteAusgabederWAZin Essen,Mülheim,Oberhausen,DuisburgmitDinslaken, Wesel, Moers, Bochummit Langendreer, Wattenscheid, Bottrop und Gladbeck, Dortmund mit Lünen, Castrop-Rauxel und Witten sowie Gelsenkirchen, Hagen und Recklinghausen. mike In den Großstädten des Ruhrgebiets sah es 1948 eher noch schlechter aus als in kleineren Gemeinden. Die Duisburger Ausgabe produzierte die zunächst einzige Redakteurin Waltraud Fest direkt aus ihrerWohnungheraus. Erst etwaeinhalbes Jahr später gab es dort eigene Redaktionsräume. Ursprünglich hatte man die Manuskripte durch Motorradfahrer transportierenwollen, das funktionierte aber nicht sonderlich gut. Also setzte dieWAZ in ihrenAnfängenauf dieEisenbahn. Eisenbahnboten transportierten Manuskripte und Fotos, offenbar zur allgemeinen Zufriedenheit. InHerneginges indenerstenWochennochzünftiger zu. Die Ein-Mann-Redaktion wurde imOktober 1949 plötzlich „obdachlos“. Doch Redakteur Jan Kondring ließ sich nicht unterkriegen. Nach Blick in die Redaktion Bottrop im Jahr 1958. Da gab es schon richtige Büromöbel. WAZ-Archiv Archiv Weeke Welche Person sich hinter dieser Figur verbirgt, erzählen wir auf den Seiten 64/65 in unseremComic: Das Wunder WAZ. Jakob Funke und Erich Brost waren spät dran mit ihrer Zeitungsgründung. Andere bemühten sich da schon früher um eine Lizenz. Es gab es also kaum Druckkapazitäten Doch in Bochum stand die Rotation des 1893 gegründeten Bochumer Anzeigers. Überraschend gut hatte das Ungetüm imKeller des Verlagshauses den Krieg überstanden. Das Leben kehrt zurück: Straßenszene im Jahr 1948 in Essen zwischen Handelshof und Hauptbahnhof. Josef Stoffels / RuhRmuseum Wie Jakob Funke 1948 um jeden Zentimeter im Handelshof verhandelte. Als Untermieterin hatte die WAZ in der Essener Innenstadt keinen leichten Stand Michael Weeke DurcheinenhöchstwundersamenZufall derGeschichte erhalten geblieben sind ein Briefwechsel und ein Vertrag zwischen der noch in den Kinderschuhen steckenden WAZ und der Westdeutschen Elektrizitätsgesellschaft Diederichsen &Co. Aus den Jahren 1948 und 1949. Ein Antiquariat aus Bochum sprach mich vor Jahren an, ich würdemich dochmit der Geschichte derWAZbefassen, er hätte da etwas. In einer alten Pappmappe mit rostigen BüroklammernfandensichOriginalevonBriefenausder WAZ-Verlagsleitung und Durchschläge der Antworten der besagten Essener Firma. Beim näheren Betrachten der reichlich vergilbten Schreiben, entpuppten diese sich als wirklicher Schatz aus frühester WAZ-Geschichte. Mit unverkennbar energischem Bleistiftstrich sind die meisten Briefe der WAZ von Jakob Funke signiert, mit vorzüglicher Hochachtung. Es geht um eine Petitesse, die doch ein Schlaglicht wirft auf denStart derWAZunddieBedingungen. Besagte Elektrizitätsgesellschaft hatte ihr Ladenlokal im vom Krieg gezeichneten Handelshof, direkt gegenüber dem völlig zerstörten Essener Hauptbahnhof eingerichtet. Jakob Funke, immer auf der Suche nach zwischen den Trümmern so rar gesäten Möglichkeiten, Anzeigen zu verkaufen, gelang es, dieWAZalsUntermieterin imHandelshof einzuquartieren. Die Konditionen sind erhalten geblieben, der Vertrag ebenso. Für 600 Reichsmark, die Währungsreform sollte noch kommen, wurde derWAZder Platz für eine Ladentheke überlassen, „über deren Abmessung Einstimmigkeit besteht, ferner das kleinere Schaufenster nebst Werbefläche darüber, sowie ein Pfeiler, der für die Anbringung einesAushängekastens geeignet ist“. Alles unter der Bedingung, dass sich die Gesamtauflagenhöhe von damals 250.000 nicht ummehr als fünf Prozent erhöht. Die Elektrizitätsgesellschaft hatte baldmitbekommen, dass die WAZ prosperierte und wollte nun daran teilhaben, bezog sich auf denVertrag. Sie hatten die Rechnung ohne JakobFunkegemacht, derwortreichversuchte, dies zu verhindern. „Vertraglich wären wir dazu verpflichtet, das istwahr, vertraglichwärenSieaber auchzugrößerem Entgegenkommen hinsichtlich der Aufteilung des Raumes verpflichtet. Da Sie nun den Vertrag nicht halten, und wir uns damit abzufinden haben, möchten auch wir Ihnen zumuten von einer zusätzlichenMiete abzusehen und sich damit abzufinden, was Sie heute erhalten.“ Es entwickelt sich ein munterer Briefwechsel. Das Unternehmen schrieb unter „Lieber Herr Funke“, dass dieser telefonisch „einen Tisch und einen Stuhl für einen HerrnderWAZ“ telefonischangefragt habe. Jetzt gebe es eine 4,70m lange Theke und drei bis vier Personen seien dort beschäftigt. Das Ganze zieht sich noch bis Ende 1949 hin. Erst zum 28. Februar 1950 wird das Lokal gekündigt. Jakob Funke und der Spaß am Disput JakobFunke scheint derDisput regelrecht Spaßgemacht zu haben. Jedes Detail ist ihm wichtig: Am 3. Juni 1949, da ist die Atmosphäre schon vergiftet, führt er aus: „Wir möchtenhierbei nicht unerwähnt lassen, dass Sieuns immer wieder die Möglichkeiten zunichte gemacht haben, unsere Geschäftsstelle innerhalb des Ladens entsprechend kenntlich zu machen und herauszustellen. So haben wir Sie häufig sehr nachdrücklich gebeten, die Hängelampen über unserer Theke abzunehmen, damit ein augenfälliger Hinweis auf unsere Zeitung angebracht werden könnte.“ Solche Hemmnisse, so wissen wir heute, konnten die rasanteEntwicklungderWAZnicht sonderlichbremsen. Es geht um einen Tisch FUNKE Mediengruppe Anekdoten aus den Anfangsjahren
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