NRZ I Aus dem Nähkaestchen
FUNKE MEDIEN NRW weißen Ohrhänger und Ketten erin- nern an Muscheln. In Wirklichkeit waren sie mal Shampoo- oder Duschgelflaschen – eine Kritik an den Kunststoffkonsum. Schmuck-Produkt geht spiele- risch mit Techniken und Materia- lien um, graviert mit alter Ätztech- nik das Bild von Pusteblumen- Schirmchen in silberne Anhänger oder lässt geflochtene Ringe in einem 3D-Drucker entstehen. Einen Alu-Ring gibt es schon für 4,50 Euro, viele Ketten kosten zwi- schen 150 und 200 Euro. Bei einem Ring hat Julia Stotz eine Lupe eingebaut, die die orange- farbenen Feueropale aus Äthiopien vergrößern. Das funktioniert natür- lich auch mit Brillanten. „Da wird der Halbkaräter zum Einkaräter“, scherzt Stotz. Dabei ist ihr Schmuck nicht zum Profilieren da, vielmehr soll die Trägerin damit an Profil gewinnen. Gibt es eigentlich eine Faustregel, wer welchen Schmuck tragen kann? „Nein“, sackt Wackermann. „Es kommt aufs Styling an, aufs Selbstbewusst- sein. Auch kleine Frauen können großen Schmuck tragen.“ Schmuck-Produkt, Zeche Zollverein, Halle 12, Schacht XII. Gelsenkirchener Str. 181, Essen, Mittwoch - Samstag, 12 - 18 Uhr, schmuckprodukt.de Von Maren Schürmann (Text) und Ingo Otto (Fotos) Essen. Bei Schmuck ist ja nicht nur das Aussehen wichtig, sondern auch, wie er sich trägt. So kannman sich auf den ersten Blick gar nicht vorstellen, dass dieses Stück passen soll: Die ungeschliffenen Swarovs- ki-Kristalle liegen nicht auf dem Edelstahlring. Sie sind dort befes- tigt, wo Eheleute die Gravur tragen: im Inneren des Rings. Und doch passt dieser hervorragend. Insbe- sondere, wenn die Trägerin eine „schmale Taille“ hat. Damit meint Schmuckdesignerin Julia Stotz nicht den Bauchumfang. Die 45-Jährige zeigt auf die Stelle am Ringfinger, wo das Schmuck- stück sitzen soll. Um dorthin zu ge- langen, muss der Ring erstmal über den Knöchel. Und der ist oft breiter als die „Taille“. Und dann schlackert der Ring am Finger herum. Die klei- nen Steinchen sind die Lösung: „Man kriegt den Ring über den Fin- ger“, sagt Julia Stotz, während sie ihn sich drehend aufsetzt. Und die Luft zwischen Finger und Ring wer- SERIE Heute: Schmuck-Produkt Schöner Schmuck muss nicht aus Edelsteinen sein. Julia Stotz liebs- ter Anhänger ist aus Glas. Das Stück hat ihre Kollegin Christine Klomfaß auf der Halde Prosperstra- ße in Bottrop gefunden. „Es reflek- tiert das Licht, als ob es ein echter Stein wäre“, sagt Stotz. Dabei ist es Bauschutt. „Ich finde das rau und ehrlich“, so die Designerin. Ihr ge- fällt dabei der Umweltgedanke. Schön gestalteter Schmuck brau- che auch kein Edelmetall. So ist die Anhänger-Fassung nicht aus Silber: Sie war mal ein Autokennzeichen. MEIN LIEBLINGSTEIL Aus altem Schmuck können Desig- ner neuen machen – oder man trägt ihn einfach mal anders. Eine Frau kann eine lange Kette auch zweirei- hig um den Hals legen. Oder sie führt die Kette etwa durch ein Röhr- chen hindurch, das das Geschmei- de zusammenhält. So liegt die Ket- te nicht rund, sondern y-förmig im Dekolleté. „Schon hat man eine ausgehfähige Kette, die man vorher links liegen gelassen hat“, sagt Ju- lia Stotz. „Oder man lässt sie beim Abendkleid neckischerweise am Rücken hinunterlaufen.“ MEIN STYLINGTIPP Ungewöhnlich: Autokennzeichen und ein Glasstück von einer Halde. Sie lassen sich von der Zeche Zollverein inspi- rieren: die Desig- nerinnen Annette Wackermann (l.) und Julia Stotz. de durch die Kugeln hübsch ausge- füllt. Seitlich sieht man die Swarovs- ki-Kristalle funkeln. Die Designerin gehört zu „Schmuck-Produkt“. Vor 22 Jahren gründete Annette Wackermann das Label zusammen mit drei Kollegin- nen, mit denen sie an der Fachhoch- schule Düsseldorf Produktdesign studiert hat und die mittlerweile neue Wege gegangen sind. Damals gab es auf Zollverein noch kein Ruhr Museum. Und auch noch nicht so viele Touristen, die nach einem Weltkulturerbe-Souvenir fragten. Das bieten Stotz und Wa- ckermann heute an. Etwa einen Schlüsselanhänger oder eine Kra- wattennadel mit eingraviertem För- derturm. Raffinierter: ein Collier aus kleinen Zollverein-Fotos. Ein Armreif, der an die Gleise auf dem Gelände des ehemaligen Bergwerks erinnert. Oder Ringe, Ohrstecker, Ketten (39 bis 59 €) mit einemSplit- ter Kohle. „Wir haben echte Zollverein-Kohle verarbeitet“, sagt Annette Wackermann. Und Julia Stotz fügt hinzu: „Die ist von einem Steiger, der hier mal gearbeitet hat.“ In der Schmuck-Produkt-Werk- statt stehen kleine Zangen und Pin- zetten bereit. Aber die Arbeit der beiden Frauen ist nicht nur filigran. Da wird auch mal mit einem Ham- mer eine Platte für ein Medaillon ausgehauen und die Kurbel an der Walze so lange gedreht, bis das Stück 0,2 Millimeter winzig ist. „Das ist immer viel Muckibude“, sagt Julia Stotz lachend. Dabei kommt niemals etwas weg. Selbst der kleinste Splitter Silber wird auf- gefangen und zur Scheideanstalt ge- bracht, die nicht trennt, sonderndas Material wieder vereint. So können die Designerinnen mit neu gegosse- nen Ringen weiterarbeiten. Kunden bringen auch schon mal alten Schmuck mit, den sie nicht mehr mögen. Daraus entsteht dann Neues. Das sei sowieso das Schöne an ihrer Arbeit im Gegensatz etwa zu der eines Bäckers, so Julia Stotz: „Wenn es nichts geworden ist, dann schmelze ich es wieder ein.“ Viele Schmuckstücke sind aus re- cyceltem Silber oder Gold, das liegt den beiden Frauen am Herzen. Oder sie schauen genau nach, wie das Edelmetall abgebaut wurde, da- mit nicht noch mehr Böden oder Gewässer durch giftiges Quecksil- ber verunreinigt werden. So hat An- nette Wackermann zum Beispiel Waschgold aus dem finnischen Lappland verarbeitet. „Das Gold wird dort noch mit einer Gold- waschpfanne ausgewaschen“, sagt die 53-Jährige. Und noch mehr tun sie für die Umwelt: So haben sie zum Beispiel Ohrstecker im Programm, die mal Fahrradketten waren. Zudem stel- len sie zurzeit Schmuck der Kolle- gin Christine Klomfaß aus. Die gelb- „Da wird der Halbkaräter zum Einkaräter.“ Julia Stotz (45) gestaltet Ringe mit Lupen Geschmeide aus Grubengold Die Designerinnen von Schmuck-Produkt gestalten kreative Ketten oder Krawattennadeln auf Zollverein. Dabei ist dort nicht alles Gold, was glänzt. Ein Ohrring war früher mal eine Fahrradkette, den Hals ziert Kohle Schönes von Schmuck- Produkt (v.l.): Der Lu- pen-Ring vergrößer Opale, der Armreif erin nert an die Gleise auf dem alten Bergwerks- gelände, die Kette zeigt Fotos von Zollverein, d Ringe tragen die Swarovski- Kristalle im Inneren und an der Kette hängt ein Stück Kohle. t - ie Anzeige am Sonntag WREG3_G MEIN SONNTAG Sonntag, 2. Februar 2020 Seite 33
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