NRZ I Aus dem Nähkaestchen
FUNKE MEDIEN NRW Stefan Wermter nimmt Maß: Bei seinem Vater Joachim Wermter, von dem er das Geschäft übernommen hat. Herein! Weil’s ein Schneider ist Meister Stefan Wermter näht Maßanzüge. Für den perfekten Sitz bespricht er jeden Knopf und Schlitz Von Maren Schürmann (Text) und Ingo Otto (Fotos) Essen. Ob ein Mann einem Model gleicht, einem Basketballprofi äh- nelt oder die Figur eines Reiner Cal- munds hat – „alle haben die gleiche Auswahl von 8000 Stoffen“, sagt Stefan Wermter. In der dritten Ge- neration führt der 50-Jährige im Es- sener Süden eine Maßschneiderei. An diesemTag trägt er jedoch kei- nen Anzug, sondern Jeans. Natür- lich auch selbst geschneidert. Spä- ter wird ein künftiger Bräutigam er- scheinen. Und junge Leute, so habe er gemerkt, verschrecke ein Anzug. Dabei wollten sie genau das von ihm: die passende Kleidung zum Ja- wort. Wermter zeigt sich auf vielen Hochzeitsmessen. EinMann soll an seinem besonderen Tag der Braut zwar keine Konkurrenz machen. „Aber wenn jeder sagt: ,Der Bräuti- gam ist am zweitbesten angezogen.’ Dann habe ich mein Ziel erreicht.“ Im Büro oder vor dem Traualtar: Krawatte trägt kaum noch einer. Lieber Einstecktuch und farbige Hosenträger zur Schleife. Unddann gibt es noch kleine Raffinessen für den besonderen Anlass, wie Sticke- reien: ein farbiges Knopfloch, das ter-Arbeit sind, auf einmal die Schul- tern straffen. Aber der Anzug soll ja zum Körper passen. Locker wer- den! So lautet dann Wermters Zwi- schenetappe zum Ziel: Trauman- zug. Und für den bietet er zweiWege an: Vollmaß oder Maßkonfektion. BeimVollmaß nimmt er selbst die Nadel in die Hand, 40 Stunden braucht er für eine Jacke, bis zu sie- ben für eine Hose. Drei Anproben sind nötig. Und alles entscheide der Kundemit, Taschenform, Länge des Sakkos, Knöpfe. „Jede Naht wird besprochen.“ 3500 €aufwärts koste das gute Stück. Bei der günstigeren Maßkonfektion, bei der meist um die 1000 Euro für Hose und Sakko anfielen, übernimmt das Nähen eine Zulieferfirma. Aber auch da kann der Kunde durch Stoffmuster blättern, Schnitte mitbestimmen. Viele hochwertige Textilien kä- men aus Italien, die Baumwolle oft aus Ägypten, die Merinowolle aus Australien. Biostoffe sind nicht da- bei, aber die Kunden würden heute mehr nachfragen, wo und wie pro- duziert wird. Made in Germany – das war lange Wermters Ziel. Eine Näherei arbeite auch heute noch in Nordhorn, eine andere in Saarbrü- cken. Aber weitere Anbieter wür- den heute in Tschechien oder in der Türkei produzieren. Den Feinschliff übernehmen jedoch immer Stefan Wermter und seine sechs Schneide- rinnen. „Da geht es umMillimeter.“ Vor vier Jahren hat Wermter ein Geschäft inKalkar eröffnet. Eigent- lich war er nur auf der Suche nach einem Ferienhaus am Niederrhein, damit seine Stadtkinder im Garten Pferd spielen können. Aber dann sah der Golfspieler das leere Laden- lokal bei einem Golfplatz und er- kannte das Ass im Ärmel. „Da sind dieGrundstückspreise noch inOrd- nung.“ Ein reiner Herrenausstatter ist Wermter hier wie dort nicht. Auch Frauen geben bei ihm Kostü- me und Hosenanzüge in Auftrag. Den Stil eines Designers sieht man ja der Kleidung oft an. Wie ist das bei der Maßschneiderei? Gibt es da eine eigene Handschrift? Ste- fan Wermter nickt. Ein mit der Hand genähtes Knopfloch sehe bei jedem Profi anders aus. „Es ist wie eine Unterschrift.“ massschneider-essen.de Meister seines Handwerks war, schließlich das Geschäft. „Wenn das meine Lehrerin wüsste, sie würde sich im Grabe umdrehen“, sagt Ste- fan Wermter lachend und denkt da- bei an die fünfte Klasse Textilgestal- tung. Da sei sein Talent wohl noch nicht sichtbar gewesen. Oder viel- leicht empfand er damals einfach noch nicht den Spaß an der Arbeit. „Ich habe einen guten Lehrmeister gehabt. Er hat mir die Freude an der Arbeit vermittelt.“ Männer mit Computer-Buckel Es gibt Stammkunden, die sind nur kurz im Geschäft, weil Stefan Wermter mittlerweile weiß, was sie wünschen. Für andere ist der Tag beimMaßschneider ein besonderes Erlebnis. Das erschwert manchmal das Maßnehmen, weil Männer, die eigentlich gebeugt von der Compu- SERIE Heute: Maßschneiderei Wermter Hochzeitsdatum oder ein Mono- gramm. Auch Stefan Wermter hat sich auf eineManschette seines hell- blauen Hemdes zwei Buchstaben gestickt: „PA“. Aber das sind doch gar nicht seine Initialen? Der Vater hat ihn nicht gezwungen Die Tür zumLadenlokal öffnet sich, Pferd undReiter galoppieren hinein – zumindest in der Phantasie sind Stefan Wermters Töchter in diesem Moment auf der Koppel. Der stolze Papa lächelt. Er hat die Anfangs- buchstaben seiner Kinder auf dem Stoff verewigt. Ob eines das Ge- schäft mal übernehmen wird? Ste- fanWermter zuckt mit den Achseln. „Sie sind noch klein.“ Vier und sie- ben Jahre alt. Aber er wird es genau- so machen wie es sein Vater damals getan hat: Sie zu nichts zwingen. „Man kann nicht sein Leben lang unlustig Anzüge nähen“, sagt der 78-jährige Senior noch heute. Joa- chim Wermter hat den Laden wie- derum von seinem Vater übernom- men, der aus Ostpreußen kam und sich nach dem Zweiten Weltkrieg und polnischer Gefangen- schaft in Essen nie- derließ. Joachim Werm- ter fragte seinen Sohn Stefan da- mals: Was willst du werden? Der junge Mann wusste nicht so recht und als der Vater eine Schneiderleh- re vorschlug, wollte er es einfach mal probieren. Der Vater war je- doch so schlau, den Sohn nicht selbst auszubilden. Das überließ er lieber einem anderen Lehrmeister. Da war die nötige Distanz zumAus- zubildenden gegeben. Eines Tages, er war in der Werk- statt, sein Lehrmeister im Verkaufs- raum, hörte er, wie ein Kunde be- geistert seinen neuen Anzug ent- gegennahm. Stefan Wermter freute sich sehr darüber, dabei hatte er ge- rade mal die Taschen an den Hosen beigesteuert. Wie sehr würde es ihn wohl mit Zufriedenheit erfüllen, wenn irgendwann das ganze Sakko aus seiner Hand sein würde? Stefan Wermter arbeitete nach der Lehre auch bei an- deren Schneidern, in Ratingen und Düssel- dorf – und stieg dann beim Vater ein, der auch heute noch gerne mitmischt. 2007 übernahm der Junior, der da schon längst Stefan Wermter wünscht sich, dass sich die Menschen wieder mehr den Anlässen ent- sprechend kleiden. Selbst wenn man sich in vielen Büros heute lockerer gibt: Er rät zu mindestens einem „Freud- und Leidanzug“. Den könne man sowohl in der Oper als auch an Omas 80. Geburtstag sowie bei einer Trauerfeier tragen. MEIN STYLINGTIPP Gold hat Stefan Wermter für diesen Anzug be- kommen: Der blau-graue Karostoff ist beson- ders knifflig, da muss jeder Übergang perfekt sitzen. Der stellvertretende Vorsitzende beim Bundesverband der Maßschneider hat die Eh- rung für seine besondere Handarbeit bei einem Profi-Wettbewerb erhalten. Noch goldiger wäre der Preis: „Goldene Schere“ – sein nächstes Ziel. Stefan Wermter spielt gern mit Far- ben, auch wenn es keiner sieht: Das In- nenfutter ist pink. MEIN LIEBLINGSTEIL Anzeige WREG3_G MEIN SONNTAG Sonntag, 1. März 2020 Der Sonntag für Ihre Gesundheit Messe – Vorträge – Talkrunden – Aktionen 08. MÄRZ 2020 10:00 MESSE-ERÖFFNUNG Schirmherr OB Thomas Kufen Prof. Dr. med. Dietrich Grönemeyer Prof. Dr. med. Jochen A. Werner Leiterin GA Essen Juliane Böttcher WICHTIGE GESUNDHEITSTHEMEN AM „INTERNATIONALEN FRAUENTAG 2020“ + FRAUENHERZEN + BRUSTKREBS + PSYCHISCHE GESUNDHEIT + + SCHLAFMEDIZIN + NATURHEILKUNDE + INTEGRATIVE GESUNDHEIT + + + RUHRTURM, Huttropstr. 60, 45138 Essen, 10 - 17 Uhr • Vorträge von Gesundheitsexperten • Tipps & Trends zum gesunden Leben • Gesundheits-Checks für Besucher Seite 37
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