NRZ I Aus dem Nähkaestchen

FUNKE MEDIEN NRW Röcke für jeden Rhythmus Regine Solibakke näht für Profis auf dem Parkett. Die Tanzkleider sehen nicht nur gut aus, sie müssen wie ein Sport-Dress auch jede Drehung mitmachen Von Maren Schürmann (Text) und Ingo Otto (Fotos) Essen. Ein schöner Rücken kann nicht nur entzücken. Bei demLabel „Moda Sol“ muss er es sogar. „Man darf nie vergessen: Was zählt, ist die Rückseite“, sagt Regine Solibakke. Die Essenerin hat sich auf Kleider für den Tanzsport spezialisiert. Und beim Turnier drehen die Paare den Zuschauern wie Wertungsrichtern nun mal meist den Rücken zu. Auchmuss einKleid nicht perfekt sitzen, wenn eine Frau mit hängen- den Armen am Rand des Parketts steht. Aber sobald sie auf der Tanz- fläche Haltung einnimmt, ihre rech- te Hand die linke des Partners be- rührt, darf sich das Kleid an der Schulter nicht in viele kleine Falten werfen. Der Stoff muss schön straff anliegen. Solche Raffinessen hat sich die Hobbyschneiderin selbst beigebracht. „DieseArt von Schnitt- technik finden Sie in keinem Lehr- buch“, sagt die 64-Jährige. Ihr Vor- teil: Sie weiß, worauf es ankommt, denn sie hat selbst viele Jahre lang Turnier getanzt. „Spätestens seit der Sendung ,Let’s Dance’ weiß man, dass es Sport ist“, sagt Solibakke. Und so sollen ihre Kleider nicht nur schön aussehen, sie müssen wie ein Sport- Dress auch jede Drehung mitma- chen. „Mit dem Body steht und fällt alles.“ Den näht Solibakke in jedes Kleid, um es zu stabilisieren. Bis auf Kleider in großen Größen ist da- runter kein BHmehr nötig. Der Bo- dystoff erinnert an Bademode, er sitzt hauteng und ist sehr elastisch. Carolin Both, die für die Fotos in die Kleider schlüpft, dreht sich in dem violettfarbenen Gewand, so dass der Stoff wellenförmig um ihre Beine fliegt. Die 25-jährige ist aktiv bei den „Tanzsportfreunden Essen“ und brilliert sowohl bei Standard- als auch bei Lateintänzen. Gleich vier Röcke hat Solibakke eingenäht, um Fülle zu erzeugen. Oft setzt sie noch Crinoline-Versteifungsband an den Saum. „Das habe ich von den Hutmachern geklaut“, verrät Solibakke. „ImStehen hat das Kleid so schon Schwung, beim Tanzen noch viel mehr.“ Tänze, wie den Wiener Walzer oder auch den lang- samen, nennt man Schwungtänze. „Der Schwung, der nicht abbrechen soll.“ Und so dreht und dreht sich die Frau und stoppt dann doch mal plötzlich – und was ist mit dem Kleid? Das soll sich nicht um die Tänzerin wickeln. „Das Kleid darf sie nicht behindern.“ Und auch nicht den Mann. Solibakke schnei- dert daher auch schlichte Röcke oh- ne Schmuck (ca. 150 €), damit das Paar schon beim Training ein Kleid- gefühl bekommt. Die Stoffe bezieht sie vonHerstel- lern aus Großbritannien und Öster- reich, die sich auf diese Materialien spezialisiert haben. „So zart wie sie sind: Sie halten lange, nicht nur ein Turnier.“ Allerdings: „Atmungsak- tiv sind sie nicht, schwitzen tut man.“ Und Solibakke warnt: „Wa- schen auf eigene Gefahr!“ Solch ein Kleid benötige einige Pflege. Die meisten würden es im Hand- waschgang reinigen. „Aber schleudern darf es nicht.“ Was Solibakke niemals an den Saum eines Kleides näht, sind Straußenfedern. Das sei eine Tierquälerei. „Die werden den Vögeln bei lebendigem Leibe ausgerupft“, ärgert sie sich. Kunstfedern mag sie nicht, die erin- nern sie anKarneval. „Wir haben an- dereMöglichkeiten, schön auszuse- hen.“ Etwa mit auffälligen Ohrrin- gen, die sie passend zum Kleid an- bietet. Und ganz viel Strass. Rund 250 Steine hat sie per Hand auf das Ober- teil des violettfarbe- nen Kleides genäht. Ein anderes hat sie mit 9000 Steinen be- klebt. Was für ein Glitzer! Aber ein Tanzkleid muss auch aus der Entfernung verzaubern. „Es geht nur um die Wirkung auf der Tanzfläche.“ Daher haben man- che Kleider an den Ärmeln auch Schleier, die schön durch die Luft flattern. Mindestens 1600 Euro kostet ein individuell geschneidertes Turnier- kleid. „Mit einer mittleren Menge Strass“, sagt Solibakke. „Undda ver- diene ich nicht viel dran.“ Pailletten verwendet sie nicht. „Die sind zu scharfkantig. Da wäre der Frack des Herrn in null Komma nichts kaputt.“ Schließlich tan- zen die Paare eng aneinander- geschmiegt. Und noch etwas muss sie berücksichtigen: die Kleiderord- nung beim Amateur-Turniersport. Wenn man sich daran nicht hält, kann die Robe noch so schön sein: „Man wird disqualifiziert.“ Ein Kleid für Samba, Rumba und Cha-Cha-Cha darf zwar sexy-kurz sein. Aber das Höschen darunter soll nicht sichtbar werden. Und auch der Rückenausschnitt darf nicht die „Pofurche“ erah- nen lassen, so Solibakke. „Wir sind schließlich nicht im Erotik- business“, betont sie undwiederholt noch mal: „Wir sind im Sport!“ Sie selbst entschied sich nach ihrer Scheidung, mit dem Tanzen anzufangen. Da war sie in ihren 40- ern. Flamenco liebte sie – dafür schneidert sie heute ebenfalls Klei- der. Aber auch Tango und Rumba – siemag einfach alle Tänze. Solibak- ke fand einen Partner, mit dem sie an Turnieren teilnahm. Und dann machten die Gelenke nicht mehr mit…Diagnose: Arthrose. Es folg- ten Hüftoperationen. Sie musste mit dem Turniertanzen aufhören. „Es war ein sehr schwarzes Loch, in das ich da anfangs gefallen bin.“ Da sie aber schon immer gern ge- schneidert hat, kehrte sie dem Tan- zen nicht ganz den Rücken zu. Vor sieben Jahren fing sie neben ihrem Beruf als Pressereferentin bei der Krupp-Stiftung mit den Tanzklei- dern an. Mittlerweile ist sie Rentne- rin und widmet sich ganz den Rö- cken, die jeden Rhythmus mitma- chen: „Ich liebe meine Arbeit.“ modasol.de SERIE Heute: Moda Sol Kleider für Walzer oder Slow- fox (l.) erinnern an Abendro- ben. Bei Samba oder Cha-Cha- Cha darf es kurz und sexy sein (M.). Allerdings gibt es auch da eine Turnier-Kleiderordnung. Knallenge Sachen, im glänzenden Stoff, wie bei Leggings? Das sollte man vermeiden, rät Regine Solibakke. „Da wird jede Delle hervorgehoben.“ Aber: „Es gibt keine Problemfi- gur, nur die falsche Kleidung!“ Man sollte auch bei einem Kleid auf den Schnitt achten, ob es etwa eine A-Linie hat oder in der Mitte eng und unten weit ist: „Die Meerjungfrau eignet sich nicht für jeden Hintern.“ MEIN STYLINGTIPP Ein Kompliment von unerwar- teter Seite machte dieses selbst genähte Satin-Empire- kleid zu Regine Solibakkes Lieblingsteil. Sie trug es auf einem Kongress der Maß- schneider. „Ein koreanischer Dressman sagte zu mir: ,You look beautiful.’ Zu mir alter Schachtel!“, erzählt die 64-Jährige lachend. Angesichts der vielen jun- gen Schönen bei dem Galaabend schmeichelte dieses Lob besonders. MEIN LIEBLINGSTEIL WREG3_G MEIN SONNTAG Sonntag, 2. August 2020 Seite 59

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