NRZ I Aus dem Nähkaestchen

FUNKE MEDIEN NRW „Es geht ja heute bei Mode um Individuali- tät, dass man sich typgerecht kleidet und sich von anderen unterscheidet“, sagt Ina Köhler. Daher empfiehlt sie: Second Hand. Mit einem Gürtel aus solch einem Laden, einer Tasche oder auch Schuhen könneman einen einzigartigen Look schaffen. „Das ist oft spannender als das, was man bei den H&Ms, Zaras oder Primarks dieser Welt kau- fen kann.“ MEIN STYLINGTIPP Eine gute Sa- che: Einkaufs- führer für öko- faire Mode im Revier – „Buy Good Stuff“. der großeRest aberweiterhinkonventionell produziert. Auch würden sich manche Fir- men Fantasielabels zulegen, die aber nicht transparent seien. „Es ist dann zumBeispiel nicht nachvollziehbar, wie hoch der Bio-An- teil bei der Baumwolle ist.“ Viele werben ja jetzt damit, dass sie Bio-Baumwolle verwen- den. Aber: „Sie hat nicht mal ein Prozent vomWeltmarktanteil“, sagt Ina Köhler. Außerdembenötige man auch für die Bio- Variante große Flächen und vielWasser. „Es gibt spannende Alternativen, etwa Tencel oder Hanf.“ Auch aus Algen werden Texti- lien geschaffen. Und aus Proteinen der Kuh- milch, die nicht als Lebensmittel geeignet ist, wird Seide gewonnen. Es gibt nochmehr solcher Stoffe, die jemand entwickelt, pro- duziert, vermarktet. Das sind weitere span- nende Aufgaben, die „Irgendetwas mit Mo- de“ zu tun haben. „Buy Good Stuff“ gibt’s kostenfrei in aus- gewählten Lä- den im Ruhrge- biet sowie im Internet: buy- goodstuff.de Den gibt es. Aber für Kunden ist er oft kaum sichtbar. So schrieb Ina Köhler vor sechs Jahren einen öko-fairen Einkaufsfüh- rer für Düsseldorf, zusammenmit einer Kol- legin und Studierenden der Akademie. Mittlerweile gibt es „Buy Good Stuff“ für Köln, Bonn, Berlin, München und seit ver- gangenem Jahr auch fürs Ruhrgebiet. Der Wegweiser führt nicht nur zu kleinenLabels aus der Region, zu Concept-Stores und Se- cond-Hand-Läden, er zeigt auch, wie groß – oder klein – der Anteil an ökologischer oder fairer Kleidung bei großen Ketten ist. Die Ergebnisse hat im Revier das Netz- werk „Faire Metropole Ruhr“ mit einem Fragebogen ermittelt. Es konnte nicht alles überprüft werden, so Ina Köhler. Sie emp- fiehlt, immer wieder in Läden nachzufra- gen, wo und wie die Kleidung produ- ziert wurde. Damit Firmen die Nach- frage nach unbedenklichen Shirts wahrnehmen. Aber es sei nicht allein Aufgabe der Verbraucher, den Markt ökologischer und fairer zu gestal- ten. Ina Köhler betont, dass eine gesetzliche Regelung ganz wichtig sei. „Es wäre gut, wenn man die Produktions- kette nachverfolgen könnte, wie bei einem Ei“, so die Do- zentin. „Das ginge auch bei Textilien, aber Unternehmen FOTO: INGO OTTO / FUNKE FOTO SERVICES Guter Stoff Die letzte Folge der Serie „Aus dem Nähkästchen“: Designerin und Dozentin Ina Köhler hat einen Einkaufsführer für öko-faire Kleidung geschrieben und verrät, dass es nicht nur einen Weg in die Modewelt gibt Von Maren Schürmann (Text) und Ingo Otto (Fotos) Düsseldorf. „Irgendetwas mit Mode“ – die- sen Berufswunsch hört Ina Köhler immer wieder, wenn sich junge Menschen bei der „Akademie für Mode und Design“ in Düs- seldorf melden. Das klingt im ersten Mo- ment naiv, im zweiten wird klar: Man muss in der Modewelt erstmal seinen Platz fin- den. Es kann nicht nur Designer geben. Es braucht auch Manager. Und: „Manche sind kreativ, können aber nicht zeichnen“, so Ina Köhler. „Vielleicht ist Modejournalismus et- was für sie.“ Sie berichten dann über Trends oder organisieren Foto-Shootings. Die 49-Jährige hat nach einem Design- Studium selbst lange Zeit als Fachre- dakteurin gearbeitet, bevor sie ihr Wissen vermittelte. Heute lehrt sie an der privaten Akademie als Stu- dienleiterin für Modejournalis- mus. Schon in ihrer Jugend war ihr Mode als Ausdrucksform wichtig, aber sie spürte auch den Markendruck. Darauf ließ sich ihre Familie nicht ein. „Meine Mutter sagte: ,Das wollen wir nicht!“, er- zählt Ina Köhler lächelnd. Also nähte sie sich ihre Kleidung selbst. „Für einen Teenager war das kreativ und preiswert, anders als heute, wo das Kaufen billi- ger ist.“ Später als Mode- redakteurin bekamsie Ein- blicke in die Herstellung – und die waren nicht immer schön. Sie sah, wie in Brasi- lien Baumwolle gesponnen und in China vernäht wurde. Sie beobachtete, wie der Konsum in Europa anstieg, und zugleich, wie diese aufwendig hergestellten Produkte mehr undmehr entwertet wurden. Dreimal getragen, weg da- mit undNeues gekauft. Esmuss doch einen anderen Weg geben? SERIE Letzte Folge: Buy Good Stuff Das Kleid hat schon ihre Mutter angezogen, in den 60er-Jahren. „Ein Schnitt, den man immer tragen kann“, sagt Ina Köhler. Sie selbst schlüpfte bereits als Teenager hinein, und auch heute noch mag die 49-Jäh- rige die A-Linie, die hohe Taille, die Strasssteine und den schweren Stoff. „Ein ty- pischer Sixties-Stoff, der hat Stand.“ Das Lieblings- teil ist zeitlos und individu- ell – dieses Kleid trägt keine andere Frau. Ina Köhler mit ihrem Lieblingsteil: ein Sixties-Kleid von der Mutter. MEIN LIEBLINGSTEIL Köhler. „In Osteuropa gibt es zum Teil Pro- duktionsbedingungen, die sind schlechter als in Asien.“ Man müsse sich jedes Unter- nehmen genau anschauen – und fast ein Überexperte sein, um da durchzublicken. Hier die Guten, da die Schlechten, so gin- ge es in der Branche aber auch nicht zu. Statt einer Auftei- lung in Schwarz und Weiß, gebe es sehr viele Graustu- fen. Zum Beispiel Labels, die noch nicht perfekt arbei- ten, aber schon ers- te Schritte in die richtige Richtung gehen. Das kann InaKöh- ler nur unterstützen. Sie ärgert sich aber, wenn Firmen täuschen: „Greenwashing be- gegnet einem überall, man sieht es an ganz vielen Stellen“, sagt die Expertin. „Viele Unternehmen wollen auf den Zug der Nachhaltigkeit springen.“ Dann werde ein ökologisches oder faires Produkt verkauft, wollen das oft nicht.“ Da werde behauptet: „Das ist ein Betriebsgeheimnis“. Wenn ein Shirt drei Euro kostet, macht das stutzig: „Unter welchen Bedingungen muss das produziert worden sein?“, so Ina Köhler. „Jeder, der schon mal an einer Näh- maschine gesessen hat, hat eine Vorstel- lung davon, wie viel Arbeit das ist.“ Aber ein hoher Preis sei kein Zeichen dafür, dass in dem Betrieb ökologisch und fair gearbeitet worden ist. „Da wird eine No-Name-Jeans, die im Laden 50 Euro kostet, im selben Betrieb produziert wie eine von einerMarke für 230 Euro – zu den identischen Bedingungen.“ Dawürden nicht die Löhne angehoben, nur weil die Firma am Ende die Hose in Deutschland für mehr Geld verkaufe als die andere. „Die Löhne sind die gleichen – und die sindoft erschreckendniedrig.“Der Preis allein sage also noch nichts über die Quali- tät aus: „Öko-faire Mode muss nicht teuer sein, das ist ein altes Vorurteil.“ Die Kleidung erreiche eher ein mit- telpreisiges Niveau. „Made inGermany“ galt ja früher als Qualitätshinweis, aber nur noch wenige Fir- men sind bereit, die Löhne in Deutschland zu bezahlen. Mittlerweile erklären einige Labels stolz, dass sie nicht mehr in Asien produzieren, sondern in Europa. Aber auch das sei keine Garantie, dass dieProduktionsstätten gut seien, so Ina SIEGEL FÜR ÖKO-FAIRE MODE Ina Köhler warnt vor Fantasielogos, dieMarken lediglich grünoder fair wirken lassen. Gute Siegel gibt’s etwa von GOTS oder Fairtrade, die die Firmen über- prüfen. Bei der Fair Wear Foundation wird bereits die Absicht zur Verbesserung berücksichtigt. Das Problem: Gute Zertifizierungen können sich oft nur Labels leis- ten, die schon in großer Stückzahl produzieren. Label-Infos unter: siegelklarheit.de „Es wäre gut, wenn man die Produktionskette nachverfolgen könnte wie bei einem Ei.“ Ina Köhler setzt sich für mehr Transparenz in der Modewelt ein WREG3_G MEIN SONNTAG Sonntag, 6. September 2020 Seite 64

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