WAZ I Aus dem Nähkaestchen

FUNKE MEDIEN NRW Von Maren Schürmann (Text) und Olaf Fuhrmann (Fotos) Gladbeck. „Glück auf!“ So grüßt Matthias Bohm und ist sofort beim kumpelhaften Du. „Unter Tage haben sich alle geduzt, egal welche Hautfarbe du hast, egal, wel- che Sprache du sprichst“, schwärmt der 36-Jährige. Er hat zwar nie unter Tage ge- arbeitet, trotzdem ist sein Leben Kohle- Schwarz oder Grubenjacken-Weiß gefärbt – wie die Shirts und Pullis seines Labels „Grubenhelden“. Da- mit möchte der Glad- becker die Geschich- te desBergbaus erzäh- len. Die Klamotten seien lediglich ein Ve- hikel, um zu zeigen, dass das Revier alles andere als trist ist. Bohm scherzt: „Es hät- ten auch Süßigkeiten sein können.“ Die Marke richtet sich zwar eher an jün- gere Generationen, die genauso wenig wie er eingefahren sind. Aber eine Altersgren- ze gebe es nicht. Laut Bohm tragen die „Kohleknirpse“, wie eine eigene Kinder-Li- nie samt Schnullerkette heißt, genauso die Grubenhelden-Shirts wie 95-jährige ehe- malige Bergleute. Und: „Über 60 Prozent der Bestellungen kommen von Leuten, die außerhalb von NRW leben“, so Bohm. „Es gibt Leute, die das Ruhrge- biet nicht kennen, aber die Klamot- ten cool finden und dann genau das machen, was ich erreichenwoll- te: sich damit beschäftigen.“ Sie sollen sehen, was die Bergleute für das Land ge- tan haben und dass sie für Werte wie Ehrlichkeit und Zusammenhalt stehen. Mit der Geschichte, die sich tief unter der Erde des Reviers abspielte, greift Mat- thias Bohm nach den Sternen. Da mögen so manche im April 2017 den Kopf ge- schüttelt haben, als das Label gerade mal ein Jahr alt war und er selbstbewusst ver- kündete: Die Grubenhelden gehen nach New York, auf die große Mode-Bühne, zur Fashion Week. „Als Dankeschön für die Kumpels.“ Im Februar dieses Jahres war es dann so- weit. Die Grubenhelden veranstalteten dort ihre eigene Fashion Show. „An- dere planen so eine Show zwei Jahre, wir drei Mona- te.“ Vier Bergleute reisten mit, machten einen Flash- mob auf demTimes Square. Obwohl Matthias Bohm früher beim FC Schalke 04 im Vertrieb gearbeitet hat und durch die Marketing-Brille schaut, mit der man niemals Probleme sieht, höchstens Herausforderungen erkennt, ist bei ihm nicht alles Show. Er wirkt tief berührt, wenn Kumpels in seinem Laden von da- mals erzählen. Besonders ein Ehepaar hat seine Fantasie beflügelt: Magdalene Her- manski fand in ihremHaus den alten Berg- kittel ihres Vaters. Zusammen mit ihrem Mann Joachim brachte sie ihn zu den Gru- benhelden. Die schwarze Jacke mit den sil- bernen Knöpfen war nicht nur guter (Er- zähl-)stoff. Mit ihr wurde in New York die Show eröffnet. Und sie inspirierte die Gru- benhelden zu einem schlichteren Modell, das sie „Aloys“ nennen – so hieß der einsti- ge Träger des Bergkittels. Neben Grubenlampe und der Heiligen Barbara – „Die wacht über uns wie früher über die Bergleute.“ – steht nun auch ein Foto des Bergmanns Aloys von 1938 in dem Geschäft in Gladbeck. Das befindet sich nicht mitten in der Innenstadt, son- dern sehr passend in einer alten Zechen- siedlung, in einem ehemaligen Lebensmit- telladen. Von dort geht es in den dunklen Stollen – zumindest lässt die Fototapete das vermuten. Bohm sagt Sätze wie: „Ruhrgebiet ist meine Heimat.“ Oder: „Ich bin auf Kohle geboren.“ Oder: „Vor der Kohle sind wir al- le schwarz.“ Er selbst kommt nicht aus einer Bergmannsfamilie, der Vater war im Einzelhandel tätig. Lediglich der Uropa arbeitete im Bergbau, dessen Tage im Koh- le-Revier vorbei sind. Ist die Gruben-Liebe nicht auch ein Stück Folklore? Ein verklärtes Heimatgefühl, das nicht in die Zukunft führt? „Wir machen coole, stylische Kla- motten. Wie kann das rückwärtsgewandt sein?“, antwortet Matthias Bohm Kriti- kern. „Das ist unsere Geschichte, darauf können wir stolz sein.“ Er selbst war mehrmals unter Tage, amweitesten ging es in Ibbenbüren hinab: 1600 Meter tief. „Ich habe Sportmanagement studiert, ich war fit. Aber dort war ich fix und fertig: nur vom Zuschauen.“ Seine Bergbau-Hinweise sind nicht schreiend, sondern sehr dezent. Auf kei- nem Shirt (ab 29,95 Euro) steht fett: „Ruhrpott“. Stattdes- sen sind im Innenteil eines Hoodies die Strophen des Steiger- lieds zu lesen. Einwei- ßes Shirt mit schwar- zen Flecken hatte einen Stoff zum Vor- bild, der mit einem echten Kohlestück gefärbt wurde. Wie- der andere Shirts mit einem Muster aus Schlägel und Eisen schlagen bei den Kun- den ein. Und selbst eingefleischte Ruhris werden darüber grübeln, warum auf dem Schiebergriff eines Reißverschlusses, der einer altenGrubenmarke nachempfunden ist, dieZahl 306 steht. „März 1906“, erklärt Matthias Bohm. Das Datum eines schwe- ren Unglücks in Frankreich. „Eines der größten Grubenunglücke“, betont Bohm und ist damit wieder bei den Bergbau-Wer- ten: „DeutscheKumpels habendenLeuten dort geholfen.“ „Von Bergmannshänden gefertigt“, ist auf einer kleinen Tafel im Laden zu lesen. Ehemalige Bergleute arbeiten bei denGru- benhelden mit. So macht ein 70-Jähriger heute nicht Arschleder, sondern Ledergür- tel. Die Schnalle trägt das Logo der Gru- benhelden: G für Gruben, H für Helden und dazu ein stilisierter Förderturm. De- tails müssen stimmen, weiß derMarketing- experte Matthias Bohm. Und so näht im Atelier über dem Laden ein Praktikant blaue Stoffstücke mit wei- ßen Streifen von echten Bergmannshem- den in das Innenfutter eines Pullis – und ermög- licht so Geschichte zum Anziehen. Neben ihm näht die Schneiderin Ma- nuela Dobrauc (52) einen Rock in einem mit Stein- waschung leicht ausgewa- schenen Schwarz – der ers- te Rock, der komplett in Gladbeck gefertigt wird von den sieben kreativen Köpfen, die Bohms Gru- benhelden sind. In den Gelsenkirchener Werkstätten fertigen zu- demMenschen mit Behin- derung Schlüsselanhänger. Die Baumwol- le für die Grubenhelden-Kleidung kommt aus Tansania, die T-Shirts werden in Portu- gal genäht. „Fair“ seien die Grubenhelden, so Matthias Bohm. Ein entsprechendes Siegel bezeugt das nicht. Noch nicht, so der Ehrgeizige: „Wir sind in sehr guten Ge- sprächen mit Fairtrade.“ Mittlerweile gibt es die Grubenhelden auch auf der Zeche Zollverein. Aber das reicht Matthias Bohm nicht. Er will noch näher an die Leute. Ein Krankenwagen steht im Hinterhof in Gladbeck. Das Sig- nalrot ist einem Kohleschwarz gewichen. DieGrubenheldenwollenmit dem„rollen- den Store“ Festivals anfahren. Ehemalige Bergleute zimmern zurzeit die mobile Ein- richtung. Bohm schwärmt: „Der Berg- mann an sich kann alles.“ Glück auf! Grubenhelden-Läden: Freiraum, Maria- Theresien-Str. 1, Gladbeck (Do., Fr. 13-19 Uhr, Sa. 10-16Uhr). Zeche Zollverein, Gel- senkirchener Str. 181,Halle 12, Essen (Do., Fr. 13-18 Uhr, Sa. und ab 11. August auch So. 12-18 Uhr), grubenhelden.de „Ich bin auf Kohle geboren. “ Matthias Bohm (36), Chef der Grubenhelden Knöpfe wie beim Bergkittel – und das Innenfutter war mal ein Bergmannshemd. Die weiß-schwarze Jacke, die ab Herbst in die Grubenhelden- Produktion geht, ist Matthias Bohms Lieblingsteil. „Auch meine Jacke wird irgendwann ,used’ aussehen – wie beim Bergmann.“ Heute: Grubenhelden aus Gladbeck MEIN LIEBLINGSTEIL Kohle-Geschichte zum Anziehen Die Grubenhelden in Gladbeck schneidern aus Bergmannshemden und -jacken junge Klamotten. Im Hoodie steht das Steigerlied, Schlägel und Eisen zieren die Shirts. Damit waren sie dieses Jahr sogar bei der Fashion Week in New York In den Kragen werden Stücke eines Bergmannshemds genäht. Das Muster des Shirts zeigt Kohle-Flecken. „Kumpeline“ und Design- Assistentin Le- na Weißkopf (24) sitzt nicht im Stollen, son- dern im Gladbecker Laden. SERIE „Man muss sich in seinen Klamotten wohlfühlen“, sagt Matthias Bohm. Dann sehe man damit auch gut aus. Außerdem rät er, nicht wahllos einzukaufen, sondern lieber darüber nachzudenken, wo die Sachen herkommen. Kein Mensch brauche 300 Shirts. „Lieber ein paar gute kaufen.“ MEIN STYLINGTIPP am Sonntag WREG3_G MEIN SONNTAG Sonntag, 4. August 2019 Seite 10

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