WAZ I Aus dem Nähkaestchen
FUNKE MEDIEN NRW Von Maren Schürmann (Text) und Ingo Otto (Fotos) Neukirchen-Vluyn. Der Rockwarmal ein gestreiftes Herrenhemd. Der an- dere eine Tischdeckemit gehäkelter Spitze. Und ein weiterer war in sei- nem früheren Leben eine geblümte Bettwäsche. Alles, was bei Hudhud auf den Kleiderständern hängt, ist nicht nur einmalig. Es hat auch sei- ne eigeneGeschichte, bevor dieMa- cher des Upcyclinglabels dem alten Stoff neues Leben einhauchen. Das Geschäft ist ein Tochter- unternehmen von „Tuwas“ – einer Genossenschaft in Neukirchen- Vluyn mit einem Antikladen, in dem nach Wohnungsauflösungen nicht nur Tische undSchränke, son- dern auch Tischdecken und Stoff- reste kamen. Was tun damit? Im Rahmen eines Projekts für Flücht- linge 2015 kam heraus, dass unter ihnen viele Schneider sind. Zusam- menmit der DesignerinRuthBraun entstanden so wunderbare Upcyc- ling-Klamotten. Sie kamen so gut an, dass das Label „Hudhud“ gebo- ren wurde – das arabische Wort für den hübschen Vogel Wiedehopf. Bis heute dabei ist Jaudat Sido. Der 38-Jährige hat schon früh das „Manchmal kommt die Idee beim Nähen.“ Jaudat Sido, Schneider aus Syrien und heute einer der kreativen Köpfe bei Hudhud „Schauen Sie in die Tiefe Ihres Kleider- schranks“, lautet der Tipp von Reinhild Freese. Statt immer etwas Neues zu kau- fen, kann man auch Altes neu kombinie- ren. Warum nicht mal zu einem feinen Kleid einen grob gestrickten Pulli tragen? Man kann auch ein Tuch wie einen Gür- tel um die Taille binden und eine Bro- sche wie eine Schnalle in die Mitte set- zen. Oder man nimmt ein Stück von einem alten Schlips und setzt es auf ein einfarbiges Shirt. Schon hat es eine lus- tige, kleine Tasche auf der Brust. MEIN STYLINGTIPP Schneidern gelernt, inAleppo in Sy- rien hat er ein eigenes Geschäft ge- führt. Fragt man ihn nach der Flucht, senkt er den Kopf und bittet leise: „Lieber nicht.“ Fragt man ihn nach seinem Beruf, strahlt er übers ganze Gesicht: „Ich liebe meine Arbeit!“ Er ist sehr dankbar dafür, dass er an der Nähmaschine sitzt. Dass man sein Können sieht, ohne die für Deutschland, aber nicht in seiner altenHeimat, üblichen Zeug- nisse. So verwandelt er alte Kleider in Taschen: Shopper, GymBag oder Crossbody Bag, nennen sie die hip- pen Käufer. Man könnte aber auch Einkaufstasche, Turnbeutel oder Bauchtasche dazu sagen. Mit Knöp- fen, Reißverschlüssen, geflochtenen Henkeln sind sie alle etwas Beson- deres. Jaudat Sido: „Manchmal kommt die Idee beim Nähen.“ Wer genau hinschaut, erkennt den Ursprung eines Upcycling- Stücks: Sowar die Tasche auf einem schwarzen Shirt mal ein Gruben- tuch. Und das Oberteil eines Som- merkleides einmal eine bunte Jeans. Die Taschen sind noch zu sehen, vorne wie hinten, und auch dieGür- telschlaufen und der Hosenschlitz. Allerdings ist die Jeans nun verkehrt herum an dem weit schwingenden Rock genäht. Die Hosenbeine wür- den gen Himmel zeigen, wenn sie nicht herausgeschnitten wären: Model Sarah Chlebek schlüpft mit Kopf und Armen durch die neuen Löcher, die die Jeans nun wie eine Weste wirken lassen. Die 20-Jährige, deren Mutter bei „Tuwas“ arbeitet, hat gerade ihr Fachabi gemacht und beginnt bald eine Ausbildung zur Chemikantin. Bis dahin schraubt sie mit Vater, Bruder oder Freunden amaltenBul- li oder Motorrädern herum. Denn: Wenn etwas kaputt ist, kann man es reparieren. „Ich schmeiße nichts weg.“ Das ist auch das Motto von Hud- hud: Schönes machen, „aus Teilen, die man sonst wegschmeißen wür- de“, sagt Reinhild Freese (69), Ver- tretung der Geschäftsführung. Ein Hudhud-Rockkostet 38 €, einKleid gibt’s inklusive Bolerojäckchen für etwa 129 €, ein einfacher Shopper: 17,40 €. Sie machen „Mode für Menschen“, betont die Sozialpäda- gogin, also für alle, gleichgültig wie die Figur aussieht, ob nun die Hüfte schief ist oder man im Rollstuhl sitzt. Zudem ändern sie auch Klei- dung, die zu klein geworden ist – oder einfach nicht mehr gefällt. Zum Geschäft gehört auch ein „Nähzimmer“: In der offenenWerk- statt ist es coronabedingt leiser ge- worden, Nähkurse bieten sie zurzeit nicht an. Aber wer sich selbst an eine Maschine setzen mag, be- kommt Tipps von Jaudat Sido oder Gisela Alsdorf. Die 72-Jährige hat früher als Sekretärin gearbeitet – und eigentlich schon immer genäht. Nun engagiert sie sich ehrenamtlich bei Hudhud. Viele kreative Köpfe kommen al- so zusammen. Aber damit nicht ge- nug, so Reinhild Freese: „Wir su- chen Designer, die mit uns Upcyc- ling machen und zwei, drei neue Modelle entwickeln möchten.“ Onlineshop: hudhud-couture.de ; Hochstraße 10, Neukirchen-Vluyn SERIE Heute: Hudhud Was tun, wenn ein Lieblingsteil kaputt oder zu klein geworden ist? Nicht wegwerfen! Hudhud re- pariert nicht nur, das Label bietet auch an, „Lieblingsstücke“ nach zu schneidern. Ein schwarzer Rock sitzt perfekt? Dann wird er die Vorlage für ein weiteres Lieblingsstück – dann vielleicht aus einem schön gemusterten Stoff. Solch einen Stoff hat auch Gisela Alsdorf ent- deckt, als sie mit ihrer Tochter in Ulm war. Rot, Grün, Blau – „das sind meine Farben“. Daraus hat sie sich ein Kleid geschneidert, ihr Lieblings- teil. Zugleich ist es eine Erinnerung an eine schö- ne Zeit. MEIN LIEBLINGSTEIL Die Hudhud-Macher: Gisela Alsdorf mit ihrem Lieblings- teil, Jaudat Sido und Reinhild Freese (v.l.). Ich war mal eine Hose: Neue Löcher in dem alten Kleidungsstück, ma- chen aus ihm ein Oberteil für ein Kleid. Model Sarah Chlebek ge- fällt’s. Alte Stoffe, neu interpre- tiert: Dass der Rock ganz rechts mal ein Hemd war, darf man ruhig sehen. Alte Krawatten müssen nicht auf Weiberfastnacht warten. Hudhud macht Röcke daraus. FOTO: MICHELS Viel zu schade zum Wegwerfen Hudhud aus Neukirchen-Vluyn haucht alten Hosen oder Tischdecken neues Leben ein und schneidert Lieblingsstücke nach WREG3_G MEIN SONNTAG Sonntag, 26. Juli 2020 Seite 58 hudhud-co ut re. e; straße, 10 Neukirchen-Vlyn
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