WAZ I Aus dem Nähkaestchen

FUNKE MEDIEN NRW Das hat Steel! Nachhaltiges Design aus dem Ruhrgebiet: Die erste Modenschau „Mode mit Steel“ auf der Henrichshütte in Hattingen verwandelte sich in eine mitreißende Modenshow. Die Macher planen eine Fortsetzung dem ältesten Hochofen imRevier, wie krea- tiv sie sind. Das Label mit dem größten Ruhrgebiets- anstrich ist Grubenhelden aus Gladbeck. Bisher haben sie den blau-weißen Gruben- stoff in ihre Shirts vernäht, um damit mo- disch an den Bergbau zu erinnern. In ihrer neuen Kollektion widmen sie sich dem Stahl und verarbeiten ausrangierte Schmel- zermäntel – einst schützten sie die Kumpels am Hochofen vor der Hitze, nun halten sie imWinter warm. Wer so modemutig ist wie die Frauen und Männer auf dem Laufsteg, kann sie heute auch auf der Straße tragen. Wer es dezenter mag, nimmt zumBeispiel einenHoodie, auf den nur ein Streifen des silberschimmern- den Arbeitssicherheitsstoffs genäht ist. „Au- gust & Alfred“ nennen die Grubenhelden diese neue Nostalgie-Linie, die in Koopera- tion mit dem Stahlkonzern Thyssenkrupp entstanden ist. Von extravagant bis sehr tragbar Aus alt mach neu: So arbeitet auch JotJot aus Mülheim. Die Designerin Jana Janu- schewski-Moze entwirft aus getragenem Jeansstoff neue Kleidung. Da verwandelt sich eine Hose in eine Jacke – und umge- kehrt. Die Models zeigen: Perfekt muss das nicht aussehen. Im Gegenteil, ausgefranste Säume und Löcher im Stoff sind gewollt. Noch extravaganter zeigt sich Invidu, ebenfalls eine Marke von Jana Januschew- ski-Moze und ihrer Partnerin Surena Faze- lazar. Sie verarbeiten gerne Restposten oder auch Omas Vorhänge: Overalls aus glän- zendem roten Lack sind zu sehen, ein Steppanzug in Orange, ein modischer Jog- ger mit auffälligem Blätter-Druck für den Mann. Ist das tragbar? Auf ihre Art schon: Die Models sind allesamt Tänzer und zei- gen, dass mit solchen Klamotten große Sprünge möglich sind – die Modenschau wird zur mitreißenden Modenshow. Nicht so schillernd, dafür mit Aussage: Róka, das vegane Label aus Duisburg mit dem Fuchs. Christina Brause bringt Bot- schaften per Siebdruck und mit umwelt- freundlicher Farbe auf den Stoff. So zeigen dieModels geballte Fäuste auf ihren Shirts – sie sollen den Kampf gegen Rassismus oder Sexismus symbolisieren. Auch die Gruben- helden haben nun eine Anti-Rassismus-Li- nie: Kunterbunte Hoodies für eine kunter- bunte Welt: „For All Colors“. Susa Flor, Designerin aus Bochum, die die Schau mit initiiert hat, zeigt abschlie- ßend, wie schön und kreativ heuteÖko sein kann. Wollende Mäntel, karierte Pullover, coole Bikerjacken. Die sehen nur so aus, als seien sie aus Leder. In Wirklichkeit sind sie aus Piñatex – ein lederähnlicher Stoff, der aus den Blättern der Ananas gewonnen wird. Aus dem gleichen Material fertigt Ap- plebeach aus Fröndenberg Taschen, die die Models an diesem Abend immer wieder über der Schulter tragen. Oft in Silber – wie die Farbe von Stahl. Rund 100 Zuschauer, die sich anmelden mussten, waren bei der „Mode mit Steel“ Show, durch die das Comedy-Paar von Duo Diagonal amüsant führte. Ein paar Plätze blieben frei, aber viel mehr hätte der Raum bei gefordertem Corona-Abstand auch nicht hergegeben. Daher gab es im An- schluss am selben Abend noch einen zwei- ten Durchlauf, ummehr Leute von der Mo- de zu begeistern. „Wir hoffen, dass wir die Modenschau etablieren können“, sagt die Designerin Su- sa Flor, die damit zeigen möchte, wie viel kreatives Potenzial im Ruhrgebiet steckt. „Wir möchten jedes Jahr solch eine Schau veranstalten.“Dannkönnten auchnoch an- dere Labels hinzukommen, schließlich ge- be es noch mehr nachhaltige Marken in der Region. Auch Nachwuchs-Designer sollen so eine Bühne bekommen. Und wer weiß, vielleicht können die De- signer bei der nächsten Modenschau „Mo- demit Steel“ ganz neue Kreationen zeigen – aus ausrangierten Masken. Eine Bluse, die mal eine Hose war: Das Label JotJot macht aus alten Jeans neue Klamotten. Perfekt muss das nichts aussehen, selbst Farbflecken sind gewollt. Von Maren Schürmann (Text) und Ingo Otto (Foto) Hattingen. Das Accessoire des Jahres 2020 ist und bleibt die Maske. Die Zuschauer der ersten Revier-Modenschau auf der Hen- richshütte in Hattingen erfuhren einen Tag zuvor, dass sie sich das nachhaltige Design aus dem Ruhrgebiet nur dann anschauen dürfen, wenn sie auch am Platz einen Mund-Nasen-Schutz tragen. Die Designer hatten von Anfang an mit der Maske ge- plant – alle Models verhüllten damit am Freitagabend Mund und Nase. Oft zierte das Bergbau-Symbol „Schlägel & Eisen“ den Stoff. Und noch ein Trend war deutlich sicht- bar: glänzendes Silber – sowie die Farbe von Stahl. Schließlich hieß die Schau: „Mode mit Steel“. Aber das Ruhrgebiet steht eben nicht nur für Kohle und Stahl. Die Region blickt auch auf eine Tradition der Textilwirt- schaft zurück. Es gibt viele Modelabels im Revier. Nicht nur das: Einige von ihnenwol- len nachhaltig Kleidung kreieren. Solche Marken, diewir bereits in unsererMode-Se- rie „Aus dem Nähkästchen“ vorgestellt ha- ben, zeigten nun auf dem Laufsteg neben So schön ist Öko: die neue Kollektion von Susa Flor aus Bochum. Die silberne Mütze hat Applebeach aus Fröndenberg gefertigt – aus Piñatex, Das ist Leder aus Ananasblättern. Tänzer statt Models zeigen die extravaganten Schnitte des Labels Invidu. Die Stoffe sind meist Restposten, die Surena Fazelazar (Mitte) aufkauft: „Die Stoffe, die keiner will, sind eh die besten.“ FOTO: INGO OTTO / FUNKE FOTO SERVICES Einst schützte er vor Hitze am Hochofen, nun wärmt er im Winter: Schmelzermantel. WREG2_G MEIN NRW Sonntag, 18. Oktober 2020 eite 65

RkJQdWJsaXNoZXIy MjExNDA4