WR I Aus dem Nähkaestchen

FUNKE MEDIEN NRW Von Maren Schürmann (Text) und Ingo Otto (Fotos) Wuppertal. Man kann mit einem Holzscheit ein kleines Feuer machen – oder daraus vier T-Shirts. Aline Hauck und Timo Beelow ha- ben sich für die Mode entschieden, um den Gedanken der Nachhaltigkeit in der Textil- branche zu befeuern. Im Vergleich zur kon- ventionellen Baumwolle spare man bei der Herstellung eines Holz-Shirts zum Beispiel 1000 Liter Wasser, rechnen die Macher der Marke Wijld aus Wuppertal vor. „Das ent- spricht etwa acht Badewannen.“ Das Holz wird zunächst klein gehäckselt, dann in ein organisches Lösungsmittel ge- legt, das demHolzZellulose entzieht, erklärt Aline Hauck. „Es entsteht ein Brei, der mit extrem hohem Druck durch Spinndrüsen gedrückt wird“, sagt die 31-Jährige. So wird die Faser gewonnen, aus der das Garn ent- steht, aus dem der Stoff und schließlich das T-Shirt gemacht wird. „Die Holzart ist uns egal, ob Laubbaum oder Nadelbaum: Zellu- lose ist Zellulose.“ Wichtig: Das Holz stam- me aus nachhaltiger Forstwirtschaft inEuro- pa. Das unterscheide diese Stoffart zum Bei- spiel von ähnlichenNaturstoffen, die aus Eu- kalyptusbäumen hergestellt werden. „Wir wollen keine Rohstoffe, die man vom ande- ren Ende der Welt holt.“ Um Fahrtwege und damit CO 2 zu sparen. Allerdings findet die Holz-Verwandlung nicht in Deutschland statt – „das wäre unser Traum.“ Wijld arbei- tet mit einer Firma in Portugal zusammen, bei der die Arbeitsbedingungen fair seien und die den Stoff „Lyocell“ aus verschiede- nen Hölzern herstellt. Wijld verzichtet auf Kunstfasern, daher gibt es auch keine kratzigenEtiketten imNa- cken. Die Waschanleitung wird direkt auf den Stoff gedruckt. Dort steht auch, dass das Shirt nicht ganz aus Holz ist, son- dern zu 33 Prozent aus Bio-Baumwolle, die aus Griechenland stammt. „Man könnte ein Shirt auch aus 100 Prozent Lyocell machen“, erklärt Hauck. Aber dann sei der Stoff extrem fließend. „Das hätte kein Mann mehr angezo- gen“, sagt sie. Über zwei Drittel der Kunden seien bei Wijld männlich. „Sie wollen nicht Shoppen gehen“, schmunzelt sie. „Männer wollen ein weißes Shirt. Es passt? Es ist aus Holz? Super!“ Einen Splitter fangen sie sich damit nicht ein: Die Shirts sind nicht rau und hart, son- dern erstaunlich weich. Und im Gegensatz zu Kunstfasern werde das Shirt beim Sport auch nicht sofort zumMüffelfall. Dasmögen Frauen wie Männer. Timo Beelow wollte eigentlich Spielzeug herstellen. Die vielen Wegwerf-Plastik-Artikel auf der Spielemesse in Nürnberg erschraken den heute 36-Jährigen. Aber mit Papierfliegern oder Frisbees aus Kar- ton zumAusmalen erzielte er keinenDurch- bruch. Dann erfuhr er im Internet von dem Holz-Stoff – und der Funke war gezündet. „Wir sind beide Wirtschaftswissenschaftler. Mit Textil hatten wir überhaupt nichts am Hut“, erzählt Hauck lachend. Die Maße für die ers- ten Schnitte nahmen sie bei Freunden mit dem Zoll- stock. „Selbst Hobbynäher hätten da den Kopf ge- schüttelt.“ Aber es sei ih- nen gelungen, Schnit- te zu entwerfen: für schlanke Leute ebenso wie für wel- che, die mehr auf den Rippen haben. Die erste Charge Shirts finanzierten sie über die Crowdfundingplatt- formKickstarter. ImDezember 2017 gewan- nen sie den Deutschen Nachhaltigkeitspreis für Start-ups. „Da gab es uns erst ein Jahr.“ Das J, das sich da so wild in den Namen mogelt, ist nicht nur Design-Schick. Hauck: „Die Wild-Domain war schon vergeben.“Heute zählen acht Leute zum Team, darunter ist Cori- na Findeisen. Sie hat Grafikdesign in Mai- land studiert und war dort auch in der Textil- branche tätig. „VonMai- land nach Wuppertal“, freut sich Aline Hauck über die Kollegin, die in ein Shirt schlüpft, das es eigentlich erst ab demHerbst gibt. DasMotiv: einNadelbaum. DerWald ist beiWijld ebennicht nur im, son- dern oft auch auf dem Shirt. Dieses Mal ist das Motiv seitlich aufge- druckt. „Brustprints sind bei vielen Frauen nicht so beliebt“, sagt die 37-Jährige. „Wir probierenneue Platzierungen aus.“DieKun- den können neben Basic-Shirts (ab 29,90 €) und Print-Shirts (39,90 €) auch Motive von Künstlern und Designern online wählen. „Erst auf Bestellung wird gedruckt“, so Hauck. Bei einer Druckerei im Ruhrgebiet. Mittlerweile hatWijld auchStrickpullis im Programm und Jogger sollen auch noch hin- zukommen. Natürlich aus Holz. Die Firma selbst befindet sich nicht mitten im Wald, sondern in einem kleinen Industriegebiet. Anfangs war Wijld noch in einem Grün- dungszentrumuntergebracht, aber dort wur- den die Kellerräume bald zu klein. Sie benö- tigten dringend ein Lager. Von dort verschi- cken sie nun die Online-Bestellungen (wijld.com ). Nur wenige inhabergeführte Lädchen verkaufendieWijld-Klamotten, da- runter „Onkel Jo sein Laden“ in Hagen. Die Shirts werden in Plastikboxen aufbe- wahrt. Warum nehmen sie da kein Holz? „DieBoxen sind stabil, sie schützen dieWare und sie waren für uns als Start-up bezahl- bar“, gibt Hauck zu, die in kleinen Schritten etwas verändern möchte. „Wir sind keine Heiligen, wir retten nicht die Welt. Aber wir haben erreicht, dass sich die Leute Gedan- ken machen und nicht einfach kaufen. Das ist schon viel wert.“ Den Wijld-Leuten liegt die Umwelt am Herzen. Und: „Mode soll noch Spaß machen.“ „Die Holzart ist uns egal, ob Laubbaum oder Nadelbaum: Zel- lulose ist Zellulose.“ Aline Hauck (31) vom Modelabel Wijld Heute: Wijld aus Wuppertal „Jeder braucht eine tolle Sonnenbrille“, nennt Aline Hauck von Wijld ihren ganz persönlichen Stylingtipp. „Selbst wenn man sonntags mit der Jogginghose zum Bäcker läuft, sieht man damit sofort gestylt aus.“ Wenn die 31-Jährige nicht eine ihrer Brillen auf der Nase trägt, hat sie die Gläser oft wie einen Reif ins Haar gesteckt. „Die Sonnenbrille wird als Accessoire unterschätzt.“ Viele würden sich nur eine einzige Sonnenbrille kaufen und denken: „Die passt zu allem.“ Aber je nach Brillenform kann man in einem Moment aussehen wie ein Rockstar, im nächsten wie Audrey Hepburn. MEIN STYLINGTIPP Aline Haucks Mutter hat sich vor fast 40 Jahren in einer Boutique einen besonderen Rock gekauft, aus gestrickter Seide mit Stickereien am Saum. Der Anlass: die Taufe ihrer Erstgeborenen. „Als meine Schwester vor sieben Jahren geheiratet hat, hatte ich ihn als Kleid an.“ Mittlerweile hat der Rock Flecken und Laufmaschen, „aber ich würde ihn niemals, niemals hergeben“, sagt Aline Hauck. „Er ist die Verbindung zu den Mädels in meiner Familie, zu meiner Mama und meiner älteren Schwester.“ Gut Holz ! T-Shirts müssen nicht aus Baumwolle oder Polyester sein. Wijld aus Wuppertal nimmt Holz. Mit dem Stoff will das Label die Natur schützen. Das Ergebnis ist nicht kratzig oder hart – sondern erstaunlich weich SERIE Neben unifarbenen Shirts gibt es auch wel- che mit Motiv. Den Baum hat Corina Findeisen ab- sichtlich seitlich gesetzt – das käme bei vielen Frauen besser an. Aline Hauck trägt den Rock ihrer Mutter als Kleid. Ein Blick ins Lager: Aline Hauck greift sich eines der Holzshirts – sie werden meist online verkauft. Corina Findeisen (37) hat Grafikdesign in Mailand stu- diert. Heute entwirft sie Motive für Wijld in Wuppertal. MEIN LIEBLINGSTEIL am Sonntag WREG3_G MEIN SONNTAG Sonntag, 18. August 2019 Seite 12

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