WR I Aus dem Nähkaestchen

FUNKE MEDIEN NRW „Ich mag Brüche“, sagt Anna Ter- möhlen. Sie würde zu einem ganz schicken Outfit keine Pumps tragen, sondern lieber Sneaker. Bei einem sehr weiblichen Look schlüpft sie in Boots. Und auch beim Material mixt sie gerne : „Seide zu Jeans, die an- geraut und löchrig ist. Oder einen derben, dicken Wollpulli zu Glattle- der – das finde ich super.“ Auch Farbkombis, die angeblich nicht ge- hen, empfindet sie nicht als Mode- Tabu: Schwarz und Dunkelblau? Wa- rum nicht?! Rosa und Rot? Aber bitte doch! MEIN STYLINGTIPP Ein Blick hinter die Fassade Designerin Anna Termöhlen lässt sich von ihrer Heimat Duisburg inspirieren: Häuserecken verwandeln sich in Bügelfalten Von Maren Schürmann (Text) und Ingo Otto (Fotos) Duisburg. Ihr erstes Kleidungsstück hat sie mit sieben Jahren entworfen – einen Fleece- pulli mit Pferdekopf. Das Reiten gab Anna Termöhlen nach einem Sturz auf, aber die Mode niemals. Eine kurze Zeit lang hat sie noch über- legt, Innenarchitektin zu werden. Aber dann hätte sie Architektur studieren müssen. Beton statt Baumwolle? „Es wäre nicht mein Material.“ Anna Termöhlens Mut- ter arbeitete oft an der Nähmaschine. „Ich saß gerne daneben und habe Stecknadeln sortiert“, er- zählt die 28-Jährige. Wäh- rend sie sich aufs Abi vor- bereitete, stellte sie die Mappe für ihr Studium zu- sammen. Sie machte Prak- tika bei Louise Amstrup in London und Christian Wij- nants in Antwerpen, been- dete ihr StudiumamDüssel- dorfer Design Department. Paris, London, Berlin? „Ich bin überfordert mit so großen Städ- ten.“ Duisburg ist ihre Heimat. Am Ludgeri- platz hat sie nun ihr „AT-elier“ gegenüber dem Kirchenportal. Wenn Markt ist, schau- en Frauen auch mal spontan rein. Aber ihr Ziel ist nicht die Lauf-, sondern eine Stamm- kundschaft. Ausgerechnet in Duisburg? Auf die Frage antwortete sie mit einer Kollek- tion: „Pott-à-porter“. Sie ließ sich von der In- dustriekultur inspirieren und setzte zum Beispiel Satinstreifen wie abstrak- te Schornsteine auf Shirts. Zweimal im Jahr entwickelt sie eine neue Kollektion. Und die trägt immer eine eigene Über- schrift, um dem Ganzen eine eigene Handschrift zu verleihen: „Das ist ein Trick, damit ich nicht das mache, was Trend ist.“ Anna Termöhlen setzt lieber eigene Trends. Für die Serie „Spruchreif“ schaute sie sich witzige Rede- wendungen an, die sie in ihre Mode einflie- ßen ließ. Ein Beispiel: „Humor ist der Knopf, der verhindert, dass einem der Kragen platzt.“ Der Spruch von Joachim Ringelnatz inspirierte sie zumBeispiel zu einem großen Kragen. Ihre aktuelle Kollektion heißt: „Surfake“. Ein Wortspiel aus Surface (Oberfläche) und Fake. Bei diesem Thema geht es um das äu- ßere Erscheinungsbild und was es zu verber- gen versucht. „Was steckt hinter der Fassa- de?“ Diese Gedanken lassen sich auf Mas- ken und Moden von Menschen beziehen. Doch Anna Termöhlen hat sich die Fassa- den ihrer Heimatstadt angeschaut: Häuser- ecken oder Etagen, die sie als Bügelfalten oder als Stoffstreifen umsetzte. Eine lockere Bluse aus Viskose (150 €) hat ein „Fenster“, in das sie gardinenähnliche Baumwoll-Spit- ze gesetzt hat. „Da kann man hinter die Fas- sade schauen.“ Jasmin Honings schlüpft in ein Kleid aus bequemem Shirt-Stoff. Die 22-Jährige aus Willich ist Altenpflegerin und modelt in ihrer Freizeit. „Surfake“ ist auf ihremGürtel mit dem Rucksackverschluss zu lesen. Auch bei diesem Kleidungsstück gibt es „Fenster- chen“ – Schlitze, die etwas Haut hervorblit- zen lassen. Der Preis: 85 €. „Das ist möglich, weil der Laden nicht so viel Miete frisst.“ Noch ein Pluspunkt für Duisburg. Bei allerOffenheit: „Ich mag Sachen, wo man et- was verstecken kann“, sagt Anna Termöhlen. Und dabei denkt sie nicht nur an einen Gürtel, den sie so geschickt einge- näht hat, dass er lediglich seitlich zu sehen ist. Auch ein „Pölsterchen“ gilt es mal zu vertuschen. Kreativ und trotzdem tragbar – das sind ihre Kleider. Anna Termöhlen hat keinen Online-Shop. Zum einen weil es auf- wendig und die Zah- lungsmoral nicht immer die beste sei. Zum ande- ren: „Mir ist es wichtig, dass die Kundinnen zu mir kommen, um die Stoffe zu fühlen.“ Sie kaufen zwar keineUnikate, aber sie können sich sicher sein, dass nur wenige andere Frauen diese Kleidungsstücke tra- gen. Wenn der Stoff weg ist, ist er weg. Der Schnitt ist vorgegeben. Aber Anna Termöhlen geht auf Wünsche ein, wenn eine Kundin eine Bluse lieber in Seide statt inVis- kose tragen möchte, dann sei das bei einem Aufpreis möglich. Sie mag Natur- materialien. Öko- Stoffe sind da- runter. Grüne Zer- tifikate sieht sie aber kritisch, ganz sicher könne man sich schließlich nie sein, ob auch wirk- lich alles mit rech- ten Dingen zugehe. Dafür garantiert sie keine Überproduk- tion, bei ihr werde kein Stoff wegge- worfen. Im Gegen- teil. Sie kauft auch gerne Restposten von großen Desig- nern. Dass bei ihr in Duisburg alles fair abläuft, kann sie ver- sichern. Denn jedes Kleidungsstück hat sie selbst genäht. „Eine Jacke kostet mich Minimum einen Tag, eine Hose zwei Stunden – ohne Reißverschluss.“ Anna Termöhlen: „Es kommt mir nicht vor, als würde ich arbeiten, wenn ich nicht abends ein neues Teil in der Hand halte.“ AT-elier, Ludgeriplatz 25, Duisburg, Fr. (10 - 18 Uhr), Sa. (11 - 15 Uhr). Di. und Do. Shop- pen by Call - Anrufen und Anna Termöhlen kommt in den Laden. at -atelier.de „Mir ist es wichtig, dass die Kundinnen zu mir kommen, um die Stoffe zu fühlen.“ Anna Termöhlen (28), Duisburger Designerin MEIN LIEBLINGSTEIL Ein Souvenir aus Antwerpen. Den grauen Lederrock mag Anna Termöh- len besonders. SERIE Heute: Anna Termöhlen aus Duisburg Spitze: Bluse mit „Fenster“ zu Rock mit Gürtel, der an Ärmel erinnert. Bequem: Model Jasmin Honings (22) trägt ein grünes Kleid aus der Kollektion „Surfake“. Ein Kleid – drei- mal anders: Druckknöpfe las- sen es mal ge- schlossen, mal halb oder seitlich ganz geöffnet sty- len (160 €). „Ich finde es wichtig, dass man Klamotten nicht nur zu einem An- lass trägt“, sagt Anna Termöhlen. Ihren ersten Pulli mit dem Pferde- kopf hat sie leider nicht mehr. Die Nähte waren noch nicht perfekt. Und da sie ihn immer im Reitstall getragen hat, „hat der so gestun- ken. Das hat Mama nicht mehr raus- bekommen“, erzählt Anna Termöh- len lachend. Ihr Lieblingsteil ist da- her ein grauer Lederrock , den sie mal schick, mal lässig trägt. „Den habe ich bei meinem ersten Besuch in Antwerpen gekauft.“ In einem Vintageladen. Sie liebt es, sich Klei- dung von Reisen mitzubringen – als langlebige Souvenirs. am Sonntag WREG3_G MEIN SONNTAG Sonntag, 25. August 2019 Seite 13

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