WR I Aus dem Nähkaestchen

FUNKE MEDIEN NRW Nicht jede Mode mitmachen! Und: Die Kleidung zur Farbe der Augen wählen . Das sind gleich zwei Tipps, die Julia Weinstock gibt. Da nicht jeder Trend jedem Menschen steht, sollte man sich dem Diktat auch nicht unterwerfen. Zum Beispiel: taillenhohe Jeans mit schmalem Bein. „Das ist nicht immer vorteilhaft“, so die Designerin. Manchen Frauen stehe zum Beispiel eine Hose mit leichtem Schlag besser. Stattdessen empfiehlt Julia Weinstock, die Augen strahlen zu lassen. „Man kann beeinflussen, wie die Augenfarbe wahrgenommen wird.“ Hat man zum Beispiel grau-blaue Augen und zieht ein graues Oberteil an, wirke die Iris grauer. Wählt man ein blaues Kleidungsstück, „sehen die Augen blauer aus.“ MEIN STYLINGTIPP Ponchos mit filmreifen Mustern Viele Prints von Julia Weinstocks Umhängen stammen vom gleichen Macher wie die visuellen Effekte bei großen Filmen und Serien: „Der Herr der Ringe“ oder „Game of Thrones“ Von Maren Schürmann (Text) und Lukas Schulze (Fotos) Essen. Ein Rechteck, ein Loch – und fertig ist eines der ältesten Kleidungsstücke: der Pon- cho. Ganz so einfach macht es sich Julia Weinstock natürlich nicht. Sie drapiert den Stoff an einer Schneiderpuppe „oder an der Trägerin“. Dann wird er hier etwas angeho- ben, damit sich eine Falte bildet. Oder dort zusammengenäht, sodass ein Ausschnitt entsteht. Und auch das Muster ist filmreif. Denn das Design hat ein weiterer kreativer Kopf erdacht, der sonst digitale Landschaf- ten für die Leinwand erschafft. Rainer Stolle, der in Wesel aufgewachsen ist, lange Zeit in Duisburg gelebt hat und in London arbeitet, entwirft die Muster. Be- kannter als sein Textil-Design sind seine vir- tuellen Effekte, die Fantasiewelten wie echt wirken lassen. An berühmten Filmen hat er mitgearbeitet, darunter „Der Herr der Rin- ge“, „The Da Vinci Code“, „Hugo Cabret“ und „Avatar“. Oder Serien wie „Chernobyl“ und „Game of Thrones“. Farbexplosionen und wilde Linien-Motive Spannend sehen auch die Prints der Pon- chos aus. Das sind Farbexplosionen und wil- de Linien-Motive – Hingucker, bei denen man sich nur schwer sattsieht. Wie kombi- niert man den Poncho am besten? „Einfach überschmeißen“, sagt die Modedesignerin. Er passt zu Strumpfhosen, Leggings, Jeans. Edel und leicht sieht der Poncho aus. Denn er ist nicht aus schwerer Wolle wie die tradi- tionelle und wärmende Variante aus Süd- amerika. Er ist oft aus fließender Seide – „Sie bewegt sich schön in der Luft.“ Für den begehrten Faden habe keine Sei- denraupe in kochendem Wasser ihr Leben lassen müssen, so die 41-Jährige. Denn den Stoff bezieht sie von „Cocccon“, einem Ha- gener Projekt, das die Seide in Indien fair und umwelt- sowie tierfreundlich herstelle. Ein schönes Gefühl – auf der Haut und fürs Gewissen. Der erste Poncho, den JuliaWeinstock ge- näht hat, sollte eigentlich ein Rock werden. Aber als sie den sehr schönen Stoff zu- sammengenäht hat- te, gefiel ihr das Teil überhaupt nicht. Sie trennte das Klei- dungsstück wieder auf und schuf ihren ersten Poncho. Den schenkte sie ihrer vier Jahre jüngeren Schwester Kathari- na zum Geburtstag. „Sie ist Kunstwissen- schaftlerin und viel auf Ausstellungen und Vernissagen.“ Das Publikum war begeistert. Und Julia Weinstocks Poncho-Serie begann. Unter „Jules is Jules“ verkauft sie seit 2013 ihre Kreationen. „Ich sehe das weniger als Label, mehr als Mode-Kunstprojekt.“ In Massen möchte sie nicht produzieren, das sei nicht nachhaltig. Und: „Das passt nicht zu mir.“ Julia Weinstock möchte designen. „Ich habe keine Lust auf Vertrieb und das Ganze zu organisieren.“ Um die Ponchos in einem Laden zu erstehen, müssten Kundin- nen daher bis nach Stockholm fahren. In der schwedischenHauptstadt gibt es das einzige Geschäft, das ihre Ponchos verkauft. „Sie sind auf mich aufmerksam geworden.“ Rund 600 Euro kostet dort ein Stück. Da lohnt sich die direkte Bestellung per Mail. Für einen persönlich angefertigten Poncho nimmt die Designerin 250 bis 350 Euro. Günstiger sind dieModelle, die zumBeispiel bereits bei Foto-Shootings getragen wurden. Wer Julia Weinstock per Zufall in der Werk- statt trifft, kann danach fragen. Ein Mann steckt seinen Kopf ins Atelier, lächelt, sagt „Hallo“, schaut sich kurz um und geht weiter. So etwas kommt häufi- ger vor. Manche blei- ben, stellen Fragen. Das gehört zumKon- zept. Denn Julia Weinstocks Atelier ist imEssener Unper- fekthaus. Dort arbei- ten Kreative unter einem Dach. Wer den Eintritt bezahlt (ab 7,90 € inklusive alkoholfreier Getränke und WLAN), darf einen Blick in die Ateliers werfen. Julia Weinstock hat sich gezielt das Ruhr- gebiet als Drehort ihres Arbeitslebens ausge- sucht. Sie kommt eigentlich aus Heilbronn, hat in Trier Modedesign studiert. Aber die Stadt war ihr zu klein. Wohin? „In Berlin gibt’s schon viele Designer.“ Also machte sie sich mit einer Freundin im Unperfekthaus selbstständig: Michaela Reinhardt hat heute ihr eigenes Label „Beron“ in Bochum. Julia Weinstock experimentiert mittler- weile auchmit Glasfasern. Nicht fürs schnel- le Internet, sondern für den Durchblick. Sie nimmt Organzamaterial mit floralen Mus- tern, die durch eine Schicht transparenten biegsamen Glasstoffs hindurchschimmern. Als nächstes möchte sie Unisex-Modelle nä- hen. Auch Männer können Ponchos tragen. Das Kreativsein vermittelt sie seit kurzem kleinen Zuschauern. Die Mutter eines Fünf- jährigen arbeitet als Quereinsteigerin in einer Grundschule in Oberhausen, unter- richtet in Kunst und Textilgestaltung. „Zwei Seelen in meiner Brust“, sagt die Frau mit dem asymmetrischen Haarschnitt. Zwei Seelen?Achwas, nochmehr. Dennwährend die linke Seite ihres Ateliers den Ponchos ge- widmet ist, geht es auf der rechten Seite kun- terbunt zu. Kegel in Gelb, Grün, Blau, Rot... warten darauf, an ein Kostümmit Überlänge genäht zu werden, für das der Raum viel zu niedrig ist. Denn das Stachel-Fantasiewesen soll mal einem Stelzenläufer schmücken. Unter „Wunschgestöber“ fertigt Julia Weinstock wahnwitzige Kostüme an: die menschengroße Bio-Wurst für eine Werbe- aktion oder ein riesiger Hahn für ein Kinder- musical. Die Designerin näht auch für Artis- ten. Sie biegt den Rücken weit nach hinten und deutet so eine Bewegung an, bei der der Kopf auf Kniekehlen-Höhe ist. Das kann sie natürlich nicht. Aber dass das Teil bei sol- chen Verrenkungen nicht reißt, dafür sorgt sie: „Am Bauch muss das super dehnbar sein.“ Solche Übungen schafft der Poncho wahrscheinlich nicht. Muss er aber auch nicht. Julia Weinstock: „Man soll sich damit geborgen fühlen.“ Happy – ohne End. Unperfekthaus, Friedrich-Ebert-Straße 18, Essen, julesisjules.com , wunschgestoeber.de „Ich habe mir das Ruhr- gebiet gezielt ausge- sucht. In Berlin gibt’s schon viele Designer.“ Julia Weinstock (41) arbeitet im Essener Unperfekthaus Vier Menschen haben unabhängig voneinander Julia Weinstock einen Kimono mitgebracht. „Alle meinen, dass er zu mir passt, zu mir und zu meinen Ponchos.“ Auch er umhülle den Körper sehr angenehm. Besonders gefällt ihr der Kimono , den ihre Schwester in einem Secondhand-Laden in London gekauft hat. Der anthrazitfarbene „Designklassiker“ aus Japan passt zu ihren blau-grauen Augen und das Muster, das an Äderchen von Blättern erinnert, hat das Rot ihrer Haare. Der Stoff ist ein Mix aus Wolle und Baumwolle. Etwas Seide sei auch dabei, meint Julia Weinstock, während sie den Stoff zwischen den Händen reibt. „Das hört man am Knirschen.“ Sie möchte den Kimono „europäisieren“, ihm Futter geben, die Ärmel verlängern – und ihn dann als Wintermantel tragen. MEIN LIEBLINGSTEIL Japan statt Südamerika: Julia Wein- stocks Lieblingsteil ist ein Kimono. Heute: Jules is Jules aus Essen Julia Weinstock ist aufs Dach gestiegen: Im Unperfekthaus in Essen hat die Modedesignerin ihr Atelier. Dort näht sie ihre Ponchos aus luftiger Seide. Glasfaser: Gibt’s nicht nur fürs schnelle Internet, sondern auch für den Durch- blick bei der Mode. Kunterbuntes Kostüm für einen Stelzenläufer: Neben den Ponchos schneidert Julia Wein- stock auch ungewöhnliche Kleidung etwa für Artisten. Die muss extrem viel aushalten. SERIE am Sonntag WREG3_G MEIN SONNTAG Sonntag, 20. Oktober 2019 Seite 20

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