Hamburger Abendblatt | Tatort Hamburg
destens ein Taxifahrer überfallen – auch in der Nacht, in der Thomas Chrappek starb. Insgesamt 19 Fälle registrierte die Hamburger Polizei allein im Jahr 1985. Der Ruf nach Bewaffnung wird laut. Obwohl die meisten Taxifahrer bereits einen Gum- miknüppel und eine Gaspistole an Bord haben und viele unbe- merkt einen Funknotruf absetzen können. Nachdem am Neujahrstag 1986 auch noch der Taxifahrer Jo- chen Schulte bei Hollenstedt erstochen wird, fordern die großen Funkzentralen ihre Mitglieder auf, sich von den Fahrgästen bei Auswärtstouren den Ausweis zeigen zu lassen und die Nummer durchzugeben, damit im Ernstfall nachvollzogen werden kann, wer mitgefahren ist. Der Aufruf verläuft im Sande. Während die Polizei im Mordfall Jochen Schulte wenig spä- ter den Tatverdächtigen Frank M. (24) dingfest machen kann, bleibt der Mordfall Thomas Chrappek bis heute ungelöst. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Stade wurden am 28. Juli 1986 eingestellt. „Es war nicht gelungen, einen Täter zu ermit- teln“, sagte Oberstaatsanwalt Thomas Breas. Die Ermittlungen könnten jederzeit wieder aufgenommen werden, wenn sich neue Hinweise auf den oder die Täter ergeben. Selbst ein Tatverdäch- tiger konnte bis zum heutigen Tage „trotz intensiver Nachfor- schungen nicht ermittelt werden“. Ob der Kriminalfall Thomas Chrappek jemals gelöst werden wird, steht in den Sternen. Vielen Harburgern lässt er aber keine Ruhe. Als Cold Case („kalter Fall“) wird ein Verfahren im Be- reich der Schwerkriminalität bezeichnet, bei dem die Ermittler auch nach einem Jahr zu keinem Ergebnis gekommen sind. Da Straftaten wie Mord nicht verjähren, werden die Ermitt- lungen nicht selten nach einer gewissen Zeit wieder aufgenom- men. Solche Cold-Case-Ermittlungen werden in der Regel dann Spezialeinheiten zugeordnet. N achdem Übergriffe auf Taxifahrer und Taxifahrermor- de schon in den frühen 1960er-Jahren immer mehr zugenommen hatten, erließ der damalige Verkehrs- minister Georg Leber (SPD) 1966 die so genannte Trennwandverordnung. Bis zum 1. Januar 1968 mussten alle Kraftdroschken mit einer kugelsicheren Trennwand ausgestattet werden, die aus Panzerglas bestand. Es gab auch eine elektrisch versenkbare Luxusausführung. Außerdem wurden Alarmanla- gen in Taxis Pflicht. Durch die Panzerglasscheibe wurde der Platz im Taxi für Fahrgäste und Taxifahrer stark eingeschränkt: Große Fah- rer konnten ihren Sitz nicht weit genug nach hinten schieben. Im Sommer gab es Probleme mit der Belüftung. Bei starkem Abbremsen bestand eine hohe Verletzungsgefahr, denn eine Gurtpflicht auf den Rücksitzen gab es nicht. Außerdem litt die Kommunikation zwischen Fahrer und Fahrgast unter der Trennscheibe. Prominentes Opfer der Trennscheibe war der TV-Enter- tainer Peter Frankenfeld, der in Wedel wohnte. Es passierte am 28. August 1968, auf der Fahrt zum Hamburger Flughafen. Der Taxifahrer konnte einem Lkw, der ihm die Vorfahrt genommen hatte, nicht ausweichen. Die Panzerglasscheibe war herabgelas- sen. Frankenfeld schlug mit dem Kopf auf den Rahmen – und brach sich das Jochbein. Nach dem Vorfall und auf Druck der Taxiunternehmer wur- de die Trennscheibenverordnung 1969 wieder aufgehoben. Die meisten Unternehmer bauten die bis zu 2000 D-Mark teuren Konstruktionen in ihren Autos schnell wieder aus – auch, weil das hohe Gewicht den Spritverbrauch in die Höhe trieb. Doch so stieg auch die Gefahr für die Fahrer an – wer sie angreifen wollte, hatte nun wieder leichteres Spiel. Ein früherer Taxi-Mord: Unter großer Anteil- nahme der Bevölkerung und Beteiligung vieler Kollegen aus ganz Deutschland ist am 7. Juli 1964 der 54 Jahre alte Freiburger Taxifahrer Bernhard Ohl auf dem Freiburger Hauptfried- hof beigesetzt worden. AmMittag legten die Taxifahrer in allen Teilen Deutschlands eine zehnminütige Betriebsruhe ein. Das Bild zeigt eine kilometerlange Fahrzeugschlange Taxis, die ein Spalier von mehreren Tausend schweigenden Menschen durchfuhr. Auf einem der Fahrzeuge ist ein Transparent mit der Aufschrift „Wir fordern Schutz gegen Taxi-Überfall und Mord!“ befestigt. Foto: picture alliance / dpa Tatort Hamburg 13
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