Hamburger Abendblatt | Tatort Hamburg

DER TEENAGER, DER MEHRERE TODE STERBEN MUSSTE E s gibt viele Arten, einen Menschen umzubringen. Ab­ dullah A. hat einige davon ausprobiert. Er hat ein Opfer gewissermaßen mehrere Tode sterben lassen. Bei sei­ nem Verbrechen kam es dem 25-Jährigen vor allem auf eins an: Es sollte langsam und qualvoll geschehen. Wer beruflich viel mit Mord und Totschlag zu tun hat, sei es als Ermittler, als Gerichtsmediziner, als Jurist oder als Ge­ richtsreporterin, wird immer wieder mit besonders schlimmen Taten konfrontiert. Doch die grausame Art, wie Abdullah A. ei­ nen 19-Jährigen aus seinem Bekanntenkreis umbrachte, sorgt auch bei erfahrenen Fachleuten für besondere Betroffenheit und Erschütterung. Wolfgang Backen, der 37 Jahre lang Richter in Hamburg war, die letzten neun Jahre davon Vorsitzender Richter am Schwur­ gericht, sagt als Gast im Abendblatt-Podcast von Bettina Mit­ telacher und Klaus Püschel über den Fall, den er im Jahr 1992 verhandelte: Diese Tat sei „die wohl schlimmste“ seiner beruf­ lichen Laufbahn gewesen. „Dieser Fall hat mich nie wieder los­ gelassen. Er verursacht bei mir immer noch, weit mehr als ein Vierteljahrhundert danach, Gänsehaut, wenn ich an das grau­ same Ende des Opfers und die Empathielosigkeit seines gnaden­ losen Mörders denke.“ Das Opfer wurde gefoltert, mindestens 15-mal mit Messern oder einem Dolch traktiert und mit Gaswaffen verletzt. Seine Peiniger setzten alles daran, ihm das Genick zu brechen. Und schließlich wurde er in einen See geworfen. Nicht zu vergessen sind seine seelischen Qualen. Diese vielfältigen, mehrfachen At­ tacken gegen das Leben sprechen für ein sogenanntes Übertö­ ten, erklärt Rechtsmediziner Püschel dazu. Der Mann, der hier Abdullah genannt wird, war ein Typ, der sein Geld mit dem Verkauf von Drogen verdiente. Im Ham­ burger Stadtteil Mümmelmannsberg fühlte er sich Anfang der 1990er-Jahre wie ein König. Er selber konsumierte ebenfalls Dro­ gen, die ihn aggressiv werden ließen. Mehrfach war er in der Psy­ chiatrie. Die Diagnose lautete: „Akute Psychose, Drogenabusus“. „In der Klinik kündigte Abdullah an, unbedingt jemanden töten zu müssen. Eine Pistole sei dafür aber zu kalt, er wolle es genussvoll und langsammit seinen Händen machen“, erzählt Ju­ rist Backen. „Das klingt eindeutig nach einem Sadisten“, meint Mittelacher dazu. „Also ging es nicht umHass oder Habgier oder ein anderes konkretes Motiv und ein bestimmtes Opfer. Son­ dern tatsächlich um den Akt des Tötens.“ Als Opfer suchte sich Abdullah einen 19-Jährigen aus, der sich kritisch über die Qualität des von dem Dealer verkauften Haschisch geäußert hatte. Norbert P. glaubte, die Droge sei ge­ streckt. Abdullah aber duldete keine Widersacher. Er wollte ein unmissverständliches Zeichen setzen. Gemeinsam mit zwei Freunden lockte er den 19-Jährigen in eine Falle. Zu dritt ent­ führten sie den wehrlosen Mann in einem Auto an einen einsa­ men See in Mecklenburg-Vorpommern. Dort quälte Abdullah, flankiert von seinen Kumpels, das Op­ fer, stach etliche Male auf ihn ein – aber so, dass möglichst keine der Verletzungen tödlich sein sollte. Dann folterte er den 19-Jäh­ rigen auf vielfältige Art weiter, unter anderem durch Schüsse aus einer Gaspistole. Schließlich versetzte er ihm mehrere Stiche in den Kopfbereich. Einer dieser Stiche riss ein Loch von acht Millimeter Durch­ messer in die rechte Halsvene, was durch den starken Blutver­ lust schnell zur Bewusstlosigkeit und zum Tod durch Verbluten führte, wie später die Obduktion ergab. Doch die Täter ließen auch jetzt immer noch nicht von dem Gepeinigten ab: Weil sie nicht sicher waren, ob das Opfer wirklich tot war, stießen sie ihn noch in den See. Wenig später konnten die Verbrecher ermittelt werden, unter anderem anhand von Reifenspuren und Fingerabdrücken an den Waffen. Nach seiner Festnahme gestand Abdullah A. zu­ nächst die Tat, leugnete sie später aber. Seine Gehilfen indes blieben bei Geständnissen. Im Prozess schließlich wurden diese beiden zu zwei beziehungsweise vier Jahren Haft verurteilt. Der Haupttäter Abdullah A. allerdings wurde wegen grau­ samen Mordes schuldig gesprochen. Weil eine verminderte Schuldfähigkeit nicht auszuschließen war, erhielt er kein lebens­ länglich, sondern eine Freiheitsstrafe von 14 Jahren. Richter Backen hat diesen Fall neben 15 weiteren in seinem Buch „Das Leben ist zerbrechlich“ geschildert. „Was mich bis heute beschäftigt“, bilanziert Backen: „Abdullah hat seine Strafe aus dem Jahr 1992 inzwischen längst verbüßt. Aber ist er nun re­ sozialisiert? Hat er den Drogen abgeschworen? Spuken Tötungs­ fantasien immer noch in seinem Kopf herum?“ 8 Tatort Hamburg

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