NRZ | Dossier | Akte NRW - Wahre Verbrechen
Von Stefan Scherer Als das schwere Bügeleisen mit dem Holzgriff und der eisernen Platte wuchtig auf den Schädel kracht, ist der Junge noch wach. Einmal. Zweimal. Dann sackt der Va- ter zusammen. „Ich mach’ dich kaputt!“, hatte Josef Rin- sche selbst Sekunden zuvor noch geschrien, als er seine Frau Ellen mit einer Hand würgte und ihr mit der ande- ren den Kopf nach hinten riss. Dann wehrte sie sich. Das erste Mal. Der Junge ist womöglich der einzige Zeuge und konnte genau so wenig ahnen wie seine Mutter, dass diese in der Nacht zum 3. September 1949 in Gevelsberg deutsche Rechtsgeschichte schreiben würde. Es war ein Testfall für die junge Bundesrepublik, deren Grundgesetz erst wenige Monate zuvor in Kraft getreten war. Ein Test, den die Gerichtsbarkeit und die noch von dem Einfluss der Nationalsozialisten geprägte Gesell- schaft nicht bestanden. Eine Tat, für die Ellen Rinsche heute wohl nicht verurteilt werden würde. Eine Situati- on, die mit großer Wahrscheinlichkeit einige Jahrzehnte später gar nicht mehr entstanden wäre. Und: Der erste Fall in der deutschen Strafrechtsgeschichte, der dank eines mutigen Anwalts vor dem Bundesgerichtshof in Karlsruhe in Revision ging – und abgeschmettert wurde. Aber der Reihe nach. Ellen Rinsche, geboren 1911 in Wuppertal, ist eine Frau aus gutem Hause. Sie lebt dank des Wohlstands privile- giert in einer Zeit, die vom Ersten Weltkrieg, dem Nieder- gang des Kaiserreichs und den Wirrungen der Weimarer Republik geprägt ist. Foto: Hartmut Breyer (Repro) 5 AKTE NRW WAHRE VERBRECHEN
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