NRZ | Dossier | Akte NRW - Wahre Verbrechen
7 AKTE NRW WAHRE VERBRECHEN Die gesellschaftlichen Konventionen sind andere als heu- te. Die Rollen von Mann und Frau, die von arm und reich sind klar verteilt. Vater Josef Fischer ist ein Sinnbild sei- ner Zeit: erzkatholisch, patriarchisch, in erster Linie auf seinen eigenen Ruf und den der Familie bedacht. Die Mutter hat die Rolle der Gattin aus wohlhabenden Kreisen bis ins Mark verinnerlicht. Ellen ist ein quirli- ges Kind, schwer zu halten, lebt in den Tag hinein, mag es später, Männer mit ihrer Frivolität nervös zu machen. „Ein Früchtchen“, gibt Vater Josef bei der Polizei zu Pro- tokoll. Als sie im Jahr 1936 ihren Eltern Josef Rinsche vorstellt, sind die wenig begeistert. Ein junger Mann aus einfachs- ten, ja ärmlichen Verhältnissen, ungebildet. Doch die beiden lassen sich nicht beirren, beginnen eine Bezie- hung. Dann wird Ellen Rinsche – damals noch Fischer – schwanger. Ein Fauxpas, ein Desaster, etwas, über das die Leute reden werden und dann auch noch in einer Zeit, in der die Fischers den Mann in ihrem Hause wohnen ließen. Eine Heirat ist unausweichlich. Später erleidet El- len Rinsche eine Totgeburt, die einfache Gründe hat: Jo- sef Rinsche schlägt seine Frau, drangsaliert sie, erzwingt die „ehelichen Pflichten“ mit roher Gewalt. Mittlerweile regiert die Unmenschlichkeit nicht nur in der Ehe der Rinsches, sondern in ganz Europa. Der Zweite Weltkrieg hat begonnen. Ellen Rinsche erduldet das Martyrium, bis sie sich ihrem Vater anvertraut. Für den kam eine Trennung nicht in Frage. „Was Gott zusammenfügt, darf der Mensch nicht scheiden“, soll er zu ihr gesagt haben, dann sei die Dis- kussion beendet gewesen. So gibt es Ellen Rinsche später zu Protokoll. Josef Rinsche wird 1942 von der Wehrmacht eingezogen, als er zurückkommt, ist er brutaler, jähzorniger, chole- rischer als jemals zuvor. Er prügelt seine Frau blutig, schlägt ihr Zähne aus, vergewaltigt sie. Er hat mehrere Affären, bringt einen Tripper mit ins Ehebett. Ellen Rin- sche wird erneut schwanger, gebärt einen Jungen. Ihr Ehemann versäuft derweil den kargen Lohn – und wenn er aus der Kneipe nach Hause kommt, ist er kaum noch zu bändigen. Tag ein, Tag aus. Über Jahre. Wie auch in jener schicksalhaften Nacht zum 3. September 1949. Als Josef Rinsche nach Hause kommt, fällt er wieder einmal Der Tatort, die Villa Dörken an der Mittelstraße 18 (heute nicht mehr existent), in der das Paar mit dem gemeinsamen Sohn lebte. "Papa, lass die Mutti los. Mach Mama nicht tot.“ über seine Frau her, schlägt sie, tritt sie, schleift sie an den Haaren durch die Wohnung, sie befreit sich, schließt sich im Schlafzimmer ein. „Papa, lass die Mutti los. Mach Mama nicht tot“, ruft der Junge. Josef Rinsche tobt vor der Schlafzimmertür, hinter der sich seine Frau einge- schlossen hat. Als sie ihm doch öffnet, packt er sie am Hals, reißt an ihren Haaren. Plötzlich hat sie das Bügel- eisen in der Hand. All das bleibt in dem späteren Prozess ohne entscheiden- de Bedeutung. Was die junge Republik in Aufruhr versetzt ist das, was dann passiert. Ellen Rinsche will die Leiche fortschaffen, doch den 90 Kilo schweren Körper kann sie kaum bewegen. Mit einem Beil und einem Brotmesser trennt sie Kopf und Gliedmaßen im Schlafzimmer ab. In Decken gewickelt legt sie die Leichenteile in einen Kin- derwagen. Zweimal macht sie sich damit nachts zu Fuß auf den Weg zum Bahnhof, fährt mit dem Zug einmal nach Wuppertal und einmal nach Düsseldorf. SIE WAR EIN OPFER IHRER ZEIT. Volker Mauersberger, Autor
Made with FlippingBook
RkJQdWJsaXNoZXIy MjExNDA4