OTZ | Dossier Europäische Königshäuser

36 EUROPÄISCHE KÖNIGSHÄUSER In Schweden sieht es nach Bullerbü aus: Die gebürtige Heidelbergerin Königin Silvia mit ihrem Mann König Carl XVI. Gustav im Kreise ihrer Kinder und Enkel. Die letzten Jahre scheinen eine Aneinanderreihung von Hochzeiten, Geburten und Taufen. Skandale? Nicht an diesem Hof. Pompöse Auftritte mit viel Gold? Hat hier niemand nötig, es genügen eine Holzkutsche und eine Topfblume. Mit Sicherheit macht dieses ungezwungene Understatement einen großen Teil der Beliebt- heit der königlichen Familie aus. Das Volk fühlt und leidet mit, zum Beispiel wenn ein Familienmitglied gesundheitliche Probleme hat, was häufiger bei Kronprinz Daniel passiert, der mit einer Spenderniere von seinem Vater lebt. Fast hätte Schweden in den 1970er-Jahren einen anderen König bekommen – oder eine andere Königin: Thronfol- ger Carl Gustaf verliebt sich bei den Olympischen Spielen 1972 in München in eine Hostess, eine gewisse Silvia Som- merlath. Ein Jahr später wird er zum König gekrönt, im Juni 1976 feiert das Paar seine Hochzeit. Gutes Timing: Wäre Carl Gustav noch Kronprinz gewesen, hätte er nach schwe- dischem Recht auf den Thron verzichten müssen, um Silvia zu heiraten. Am 1. Januar 1980, da ist Königstoch- ter Victoria Ingrid Alice Désirée gera- de mal zweieinhalb Jahre alt, tritt ein neues Thronfolge-Gesetz in Kraft, das diese Regelung von 1810 außer Kraft setzt und gleichzeitig das erstgebore- ne Kind, unabhängig von seinem Ge- schlecht, auf Platz eins erhebt. Von die- ser Änderung durch den Reichstag, nicht den Hof, ist Carl Gustaf seinerzeit zunächst wenig begeistert. Er findet, die Bürde des Amtes sei für ein Mädchen zu schwer zu tragen. Und überhaupt nicht begeistert, obwohl seine eigene Ehe- frau eine Bürgerliche ist, reagiert er viele Jahre später auf Victorias Offenbarung, als die ihm ihre Beziehung mit Da- niel Westling gesteht. Den hat sie im Fitnessstudio kennen- gelernt, wo er immerhin Teilhaber ist, ihr persönlicher Trai- ner wird, ihr Freund und schließlich mehr. Was die beiden aus gutem Grund zunächst geheim halten, etwa anderthalb Jahre lang. Im Mai 2002 macht die Presse ihre Liebe öf- fentlich. Nicht nurKönigCarlGustaf ist entsetzt. Der künftigeKönig – ein Fitnesstrainer? Ohne Titel, ohne Vermögen? Aus der Provinz? Der zwar Abitur gemacht, aber die Auf- nahmeprüfung an der Uni vermasselt hat? Das ist sogar den sonst so liberalen und weltoffenen Schweden zu viel. Doch Victoria denkt nicht daran, diese Liebe aufzugeben. Eine Zeit lang sieht es zwar so aus, als würde die Beziehung unter dem Druck zerbrechen, doch beide stehen un- erschütterlich zueinander. Jahrelang. Daniel hält sich zurückhaltend, aber aufrecht im Hintergrund und beweist, dass er keineswegs eine „Trophy Wife“, Geld oder Ruhm sucht. Am Ende willigt der König ein. Der Hof verordnet Daniel eine Art royales Fitnessprogramm (Benimmregeln, Diplo- matie, schwedische Geschichte, Englisch etc.), und am 19. Juni 2010 schließlich führt Carl Gustaf seine Tochter durch denGang der Domkirche von Stockholm zumTraualtar und übergibt ihre Hand in seine. Draußen, auf Stockholms Stra- ßen, sind eine halbe Million Menschen unterwegs, schwen- ken Schweden-Fähnchen und versuchen, einen Blick auf das Paar zu erhaschen. EIN NEUES GESETZ LÄUTET NEUE ZEITEN EIN. DOPPELT GUT FÜR DIE KLEINE VICTORIA

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