Hamburger Abendblatt | Dossier | Lass uns reden

VON MUSIK BIS COMEDY – KÜNSTLER*INNEN IM INTERVIEW LASS UNS REDEN BEATRICE EGLI ARND ZEIGLER ALLI NEUMANN KAYA YANAR MIRJA BOES REVOLVERHELD SANTIANO

2 INTERVIEWS IMPRESSUM FUNKE Medien NRW GmbH | Jakob-Funke-Platz 1 | 45127 Essen | leserservice@waz.de | Tel. (+49) 800 60 60 710 Vertretungsberechtigte Geschäftsführer: Andrea Glock, Simone Kasik, Thomas Kloß, Christoph Rüth Verantwortlich für den Inhalt des Hauptheftes: Ilja Höpping (FUNKE Redaktions Services) Redaktion: Patrick Friedland, Kirsten Gnoth, Stephan Mouthy, Maxi Strauch Verantwortlich i. S. v. § 18 Abs. 2 MStV fur dieses Dossier: Ilja Höpping Registergericht Essen | HRB 12049 | USt-IdNr. DE291915869 Gestaltung und Umsetzung: FUNKE Redaktions Services INTERVIEWS Liebe Leser*innen, ein gutes Gespräch kann vieles sein: aufschlussreich, spannend, verblüffend oder auch einfach nur sehr unterhaltsam. Mit Ihren Freunden und Verwandten können Sie jederzeit sprechen. Mit Persönlichkeiten aus Radio, Fernsehen & Co. haben wir es für Sie getan. Für diese Ausgabe unseres Magazins „Lass uns Reden“ haben wir sieben Interviews ausgewählt - mit ganz unterschiedlichen Künstlern und Künstlerinnen, die eines eint: Sie alle haben einiges zu erzählen. Lesen Sie etwa, wie die stets strahlende Schlagersängerin Beatrice Egli mit Schlagzeilen über ihr Äußeres umgeht, oder warum Kaya Yanar die Beziehung zu seinem Vater in einer Therapie verarbeiten musste. Fußball-Experte Arnd Zeigler wiederum verrät, warum er seine Fernsehsendung in Socken moderiert, und Johannes Strate von Revolverheld erzählt, wie sein kleiner Sohn ihn zu Songs inspiriert. Mirja Boes schließlich hat so Ihre ganz eigenen Ansichten zum Thema Familie … aber lesen Sie doch selbst! Wir wünschen Ihnen gute Unterhaltung!

3 INTERVIEWS Seite 4 - 5 ALLI NEUMANN Seite 6 - 7 ARND ZEIGLER INHALT: Seite 8 - 9 BEATRICE EGLI Seite 10 - 11 KAYA YANAR Seite 12 - 13 MIRJA BOES Seite 14 - 15 REVOLVERHELD Seite 16 - 17 SANTIANO

4 INTERVIEWS Fast vier Jahre ist es her, dass Alli Neumanns erste EP „Hohes Fieber“ erschien. Seitdem veröffentlichte die Pop-Sängerin regelmäßig Singles – mit Chartplatz zehn am erfolgreichsten war davon „Zeit steht“, eine Zusammenarbeit mit den Hip-Hop-Künstlern Trettmann und KitschKrieg. Im vergangenen September hat die gebürtige Solingerin ihr erstes Studioalbum „Madonna Whore Complex“ auf den Markt gebracht. Tobias Harmeling sprach mit Neumann über die Platte, die Rolle von Frauen in der Musikindustrie und ihren Geburtstag – den sie seit jeher geheim hält. Frau Neumann, was verbirgt sich hinter dem „Madonna Whore Complex“? Kann man es auf einen Satz runterbrechen? Alli Neumann; Der „Madonna Whore Komplex“ ist eine freudsche Theorie, die besagt, dass Frauen in der männlichen Wahrnehmung oft entweder als Huren oder Madonnen kategorisiert werden. POP GEGEN DAS PATRIARCHAT Auf ihrem Debütalbum kämpft Alli Neumann gegen Vorurteile an. Im Interview spricht die Sängerin über den „Madonna Whore Complex“, ihre Begeisterung für den ESC und Probleme mit Fahrrädern. Foto:CLARA NEBELING / PROMOTION WERFT Feiert lieber den Eurovision Song Contest als ihren Geburtstag: Alli Neumann. ALLI NEUMANN

5 INTERVIEWS Wie oft haben Sie das schätzungsweise schon erklärt? (lacht) Ungefähr 150 Mal, aber man kann es nicht oft genug erklären, weil es tatsächlich so ein krasses Problem ist und so extrem verbreitet. Und es sitzt zum Beispiel auch in meinem Kopf fest und deswegen: Gerne oft drüber reden, damit wir das alle verlernen können. Der Titelsong handelt von toxischen Beziehungen. Singen Sie über eine konkrete Person? Es sind viele männliche Menschen gemeint und es geht nicht nur um toxische romantische Beziehungen. Es geht um alle Seiten, die das Patriarchat beschreiben. Das Video dazu ist zum Großteil an einem Stück gedreht worden. Wie oft mussten Sie durch das Haus tanzen? Es war tatsächlich schwierig, das so motorisch hinzubekommen. Ich musste einmal ein Harness (Geschirr) mit Magnetverschluss mit einer Hand beim Tanzen und Singen schließen. Und man darf das im Gesicht ja nicht sehen, dass man irgendwas gerade nicht so hinbekommt. Ich habe das vorher ungefähr 50 Mal auf- und zugemacht, um zu üben. Im Video zu „Frei“ haben Sie viele verschiedene Uniformen und Berufskleidungen angehabt. In welchem Outfit könnten Sie sich am ehesten arbeiten sehen? Puh … als Boxerin vermutlich. Und welches war das gemütlichste Kostüm? Das Richterkostüm war sehr gemütlich, aber auch das Footballspielerinnenkostüm. Damit habe ich mich richtig stark gefühlt. Ich glaube, ich hole mir so ein Ding und laufe damit abends mit dem Hund rum. Das gibt einem ein krasses Selbstbewusstsein, wenn man diese aufgeblasenen Schultern hat. Es geht in dem Song „Frei“ um viele gesellschaftliche Normen. Von welchen müssen wir uns noch frei machen? Auf jeden Fall immer noch von ganz vielen Bildern oder Erwartungen, mit denen Frauen belegt sind. Es ist ein langer Weg, ein Selbstbewusstsein und -verständnis zu finden, wie man sich als Frau und auch als Businesspartnerin darstellt. Als Frau hat man oft Angst, dass man als kompliziert oder hysterisch abgetan wird. Und daran muss ich auf jeden Fall arbeiten. Weniger People-Pleaserin sein, noch mehr meine Meinung sagen und damit für alle den kürzesten Weg gehen. Sie haben schon oft ein Plädoyer für mehr Frauen in der Musikindustrie gehalten. Hat sich der Zustand in den letzten Jahren schon etwas gebessert? Ich habe keine Statistiken. Ich kann nur sagen, dass ich in meinem Umfeld sehr froh bin, mir jetzt ein Team aufgebaut zu haben, mit ganz vielen inspirierenden, spannenden Frauen. Und ich habe schon das Gefühl, dass wir Frauen einander immer mehr die Hände reichen. Ich freue mich, wenn wir jetzt noch alle Chefetagen in der Musikindustrie übernehmen. Zum Song „Bikeboy“: Sie scheinen ein Faible für Fahrradfahrer zu haben, was macht die so attraktiv? Also ich selber kann nicht Fahrrad fahren, das macht Fahrradfahrer und Fahrradfahrerinnen für mich schonmal zu Zauberwesen. Sie können gar nicht Fahrrad fahren, haben es nie gelernt? Nee, ich habe das gelernt, aber ich hatte als Kind einen so bösen Unfall, dass ich mich seitdem kaum getraut habe, aufs Fahrrad zu steigen. Aber natürlich ist Fahrradfahren viel nachhaltiger und das finde ich sehr attraktiv daran. Ich kenne viele Menschen, die eigentlich gerne Auto gefahren sind, aber sich bewusst dazu entschieden haben, jetzt zu switchen und auf das Fahrrad umgestiegen sind und ihre 20 Kilometer am Tag machen. Da habe ich so einen großen Respekt vor und diesen Menschen wollte ich mit dem Song meine Wertschätzung gegenüber äußern, auf eine romantische Weise. Gehen Sie das Radfahren denn irgendwann noch mal an? Ich glaube, ich sollte es lieber nicht machen. Irgendwann mal, wenn ich nichts mehr zu verlieren habe. Aber Fahrradfahren ist immer noch gefährlich. Ich bleibe lieber bei 5 km/h Schrittgeschwindigkeit. (lacht) Was macht jetzt nach der Album-Veröffentlichung am meisten Spaß? Ich freue mich extrem auf die Tour. Für mich ist es so, dass die Musik erst in dem Moment so richtig echt wird, in dem man sie zusammen mit Leuten singt. Ich höre die Lieder auch auf einmal ganz anders und sie verselbstständigen sich. Das ist ein sehr emotionaler Prozess. Was macht es so emotional? Wenn man Sachen, unter denen man gelitten hat, in einem Lied verarbeitet hat und das dann bei einem Konzert spielt und zusammen singt, dann synchronisiert man sich emotional mit den Leuten. Bei einer Sache, bei der man sich eigentlich schlecht und allein fühlt, ist man auf einmal zusammen. Das finde ich so ein bestärkendes Gefühl, was meinen Schmerz immer heilt. Sie halten Ihr Alter geheim und sagen immer, dass Sie „20 plus“ sind. Bleibt das auch so, wenn sie die 30, 40 oder 50 knacken? Das wird Zukunfts-Alli entscheiden. Ich finde es gut, dass das immer wieder ein Gespräch anstößt. Ich habe Menschen immer krass nach ihrem Alter eingeordnet. Aber Zeit ist so eine relative Sache, deshalb versuche ich selbst, mich da nicht mehr verleiten zu lassen. Feiern Sie denn Geburtstag? Ich feiere eher den Eurovision Song Contest. (lacht) Das war bei uns in der Familie immer so, der ESC war das große Happening und ich versuche, alle Leute lieber dafür zusammenzutrommeln. Würden Sie gerne selbst mal beim ESC auftreten? Es gibt aktuell keine Pläne. Ich liebe den ESC mit genau der Rolle, die er in meinem Leben spielt. Es ist für mich Geburtstag, Pride und Familienfeier zusammen. Wenn ich teilnehmen würde, hätte ich danach vielleicht einen anderen Bezug dazu. Vielleicht sollte es immer dieser wunderschöne Kindheitstraum bleiben. Aber wer weiß, was die Zukunft bringt.

6 INTERVIEWS Seit 14 Jahren liefert Arnd Zeigler am späten Sonntagabend den humoristischen Nachschlag zum Bundesligageschehen. Seine WDR-Sendung „Zeiglers wunderbare Welt des Fußballs“ sendet der Bremer dabei ganz entspannt aus der eigenen Wohnung. Seit er vor vier Jahren auch die Bühne für sich entdeckte, muss er die heimischen vier Wände an der Weser aber regelmäßig verlassen. Stefan Moutty sprach mit dem 56-Jährigen unter anderem über sein aktuelles Programm „Hat schon gelb“. Herr Zeigler, in Ihrem neuen Programm geht’s darum, wie Sie zum Fußballfan geworden sind. Gab‘s dabei ein Schlüsselerlebnis? Arnd Zeigler: Das lief bei mir auf sehr ungewöhnliche Weise ab. Die einzige Triebfeder, Fan zu werden war, dass meine großen Brüder abends länger aufbleiben durften, wenn Fußballspiele liefen. Deshalb hab ich gesagt, ich möchte die Spiele auch gucken – einfach, um nicht so früh ins Bett zu müssen. Das war mein Einstieg, darüber hat sich alles andere entwickelt. Es geht im Programm aber auch darum, warum man all die Jahre eigentlich Fan geblieben ist. Gab’s denn mal Momente, wo sie dem Fußball den Rücken kehren wollten? Den gab’s so noch nicht. Aber ich glaube wir sind in einer gefährlichen Zeit, in der wir vieles erleben, dass uns be- bzw. entfremdet. Wir haben eine WM in Katar vor uns, auf die sich niemand freut. Wir haben anderthalb Jahre Geisterspiele hinter uns, wo man uns suggeriert hat, „Leute, ohne euch Fans zu spielen, geht notfalls auch!“ In diesen Momenten ist es wichtig, sich daran zu erinnern, warum man eigentlich mal Fan geworden ist. Wie war es denn bei Ihnen – nachdem Sie dann auch abends aufbleiben durften? Meine älteren Brüder hatten damals schon Fußballbilder gesammelt und sich Poster von Vereinen aufgehängt. Irgendwann wurde mir klar, dass ich davon auch Teil sein will. Als ich in der Grundschule war, boomte der deutsche Fußball gerade, wir wurden Europa- und Weltmeister. Da wollte ich auch im Verein spielen, hab Bilder getauscht … Haben Sie noch Ihr erstes Fußball-Sammelalbum? Mittlerweile hab ich es wieder. Wie bei so vielen Leuten wurde das Thema Fußball zwischenzeitlich ein bisschen weniger wichtig – als man seine erste Freundin hatte zum Beispiel. Ich fürchte, in dieser Zeit haben meine Eltern viel von meinen Sachen auf dem Dachboden entsorgt. Heute blutet mir das Herz, wenn ich daran denke. Ich habe mir über die Jahre aber alles wiederbeschafft, was mir am Herzen lag. Sie sind Fan und Stadionsprecher von Werder Bremen. Wie geht’s Ihnen damit zurzeit? Nicht gut. Auch wenn das immer noch Jammern auf hohem Niveau ist – bei vielen anderen Vereinen würde man sich freuen, wenn man mit einer guten Mannschaft in der 2. Liga mitspielen darf. Und wir spielen ja jetzt wieder gegen den HSV, wir spielen gegen Schalke 04 ... Welches Stadion in Deutschland – neben dem Weserstadion natürlich – mögen Sie besonders? Ich bin in der Bundesliga immer sehr gerne in Bochum, das ist ein Stadion mitten in der Stadt, wo man dicht dran ist. Es ist aber auch schön bei kleinen Vereinen in unteren Ligen zu sein. Neulich erst war ich bei einem Freundschaftsspiel von Chemie Leipzig, bei klirrender Kälte auf einem Nebenplatz des Alfred-Kunze-Sportparks ... Sie befassen sich seit langem beruflich mit Fußball. Wollten Sie nie Sportreporter werden und mal das WM-Finale kommentieren? Doch, und ich war immer schon ein Kind des Radios. Mit zehn hab‘ ich „ICH MODERIERE MEISTENS IN STRÜMPFEN“ „Arnd Zeiglers wunderbare Welt des Fußballs“ im Fernsehen ist Kult. Inzwischen geht der TV-Moderator aber auch auf die Bühne. Im Interview erklärt er, wieso er sich zur Premiere einst extra eine Band eingeladen hat. ARND ZEIGLER

7 INTERVIEWS mir eine Doppel-LP mit den HörfunkReportagen der besten deutschen WMSpiele zum Geburtstag gewünscht. Damals hatte ich den Traum, irgendwann Sportreporter bei WDR2 zu werden. WDR2 hatte mit der legendären Sendung „Sport und Musik“ mit Kurt Brumme die beste Fußballsendung, die es damals im Radio gab. Wieso sind Sie’s dann doch nicht geworden? Weil ich gemerkt habe, dass man als Reporter distanziert, neutral und sachlich sein muss. Das hat sich mit meiner Fußballleidenschaft so gar nicht vertragen. Vor vielen Jahren hatte ich sogar ein Vorstellungsgespräch bei Frau Töpperwien, der Sportchefin vom WDR-Hörfunk. Das war ein tolles Gespräch, und ich habe mich sehr über diese Chance gefreut. Aber ich habe auch gemerkt, dass ich mir die notwendige Neutralität für diesen Job nicht zutraue. Später hatte ich das große Glück, dass der WDR mir meine Fernsehsendung ermöglicht hat, bei der ich Fan bleiben darf und nicht neutral sein muss. Und die dürfen Sie sogar live von zuhause senden, oder? Die kommt aus meiner Wohnung. Wenn ich die Sendung mache, muss ich nur eine Treppe runter. Dann könnten Sie also auch in Pantoffeln moderieren? Ehrlich gesagt moderiere ich meistens in Strümpfen (lacht). Was machen Sie nach der Sendung – Treppe rauf und ins Bett? Nein, nach der Sendung gibt’s ein Ritual. Auch wenn das von Corona zuletzt gestört wurde. Normalerweise kommt immer ein Redakteur aus Köln nach Bremen. Dann machen wir die Sendung zusammen und hinterher gehen wir bei mir um die Ecke in eine gemütliche Absturzkneipe, flippern noch ne Runde und trinken ein Bier zusammen. Vor vier Jahren sind Sie erstmals auf Tour gegangen. Eine große Umstellung? Ja, und ich habe das auch nie geplant – meine Agentur kam mit der Idee. Ich wollte das eigentlich nicht. Aber irgendwann hat meine Agentur einfach die Hamburger Markthalle gebucht. Weil ich dachte, das Publikum findet vielleicht doof, was ich mache, habe ich eine Band eingeladen – dann hätten die Leute wenigstens noch Musik gehört, wenn sie hinterher enttäuscht nach Hause gehen. Es wurde aber ein wunderschöner Abend. Nach 20 Sekunden hab’ ich gemerkt, dass das Riesenspaß macht und die Leute wollen genau das, was du machst. FOTO: WDR Die Erde ist keine Scheibe – aber ein Fußballplatz. Zumindest in der Welt von Arnd Zeigler.

8 INTERVIEWS „ICH HABE MEIN WORTWÖRTLICHES FETT ABBEKOMMEN“ Auf ihrem aktuellen Album „Alles was du brauchst“ spricht Beatrice Egli auch unangenehme Themen wie Mobbing an. Wie das in die vermeintlich heile Schlagerwelt passt, erklärt die Schweizerin im Interview. BEATRICE EGLI FOTO: CHRISTOPH KÖSTLIN / UNIVERSAL Kopf hoch: Mit Selbstbewusstsein, guter Laune und ihrer Musik lässt Beatrice Egli Läster-Attacken & Co. hinter sich.

9 INTERVIEWS Wer Beatrice Egli hört und sieht, denkt sofort an die Casting-Show „Deutschland sucht den Superstar“. 2013 ersang sie sich den begehrten Titel. Dabei hat die Schweizerin so viel mehr vorzuweisen. Musik macht die 33-Jährige bereits seit ihrer Jugend, sie ist gerngesehener Gast im TV, moderiert selbst Shows und erreicht mit ihren Alben regelmäßig Spitzenpositionen – und jetzt hat sich die Sängerin auch noch aufs Matterhorn gewagt. Welchen privaten und öffentlichen Herausforderungen sie sich sonst noch so stellt, hat sie Maxi Strauch erzählt. Herzlichen Glückwunsch, Sie haben sich einen Traum erfüllt und das Matterhorn bestiegen! Dankeschön! Es ist der Wahnsinn. Ich kann‘s noch immer nicht so ganz glauben. Aber es ist tatsächlich geschafft. Ich stand da oben. Ich habe das Gefühl noch in mir. Es war pure Freude, Erleichterung, Glück. Ich bin in die Arme meiner Bergführerin Suzanne gefallen und habe geweint vor Freude. War es so, wie Sie es sich vorgestellt haben? Für mich war es sehr schön, dass mir auch die Musik sehr viel Motivation gegeben hat und das Training mich wiederum zu neuen Songs inspiriert hat. „Alles was du brauchst“ ist ein sehr energiegeladenes Album geworden. Ich habe mir aber auch viel Zeit genommen, um zu reflektieren, mir die Ruhe zu nehmen, Dinge Revue passieren zu lassen. So ist es auch das erste Mal, dass ich meine Stimme ganz anders nutze. In „Leise Lieder“ singen Sie über häusliche Gewalt. Wie kam es dazu? Es war in der Pandemie nur ganz kurz Thema und dann war es wieder weg. Aber häusliche Gewalt hat in der Pandemiezeit sehr stark zugenommen. Das hat mich emotional sehr beschäftigt. Mich haben Briefe erreicht, in denen mir Geschichten erzählt wurden ... Das hat mich so berührt, dass ich jetzt den Wunsch habe, Gehör zu schaffen, für die, die schweigen. Wie passt das Thema in die immer fröhliche, heile Schlagerwelt? Es passt genau so in die Welt: nämlich gar nicht. Es passt in gar keine Welt. Der erste Schritt ist, darüber zu sprechen. Und diese vermeintlich heile Welt kann nur heiler und schöner werden, wenn wir Dinge auch ansprechen, die nicht gut sind. Und deswegen passt es genau da rein. Ich habe in keiner Millisekunde gedacht, dass das nicht geht. Sie singen auch über Mobbing und Bodyshaming. Welche Erfahrungen haben Sie damit gemacht? Ich habe mein wortwörtliches Fett abbekommen. Gleichzeitig ist es vielleicht gerade gut, dass ich weiß, wie sich das anfühlt. Weil ich das Lied ansonsten nicht so inbrünstig singen könnte, wenn ich es nicht selbst erfahren hätte. Ich kann aber mit meinen 33 Jahren sagen: Ich stehe da komplett drüber. Und das wünsche ich jedem, der solche Kommentare über sich hören oder lesen muss. Ihr Körper war seit Beginn Ihrer Karriere Thema. Wie haben Sie gelernt, damit umzugehen? Es war ein langer Weg dahin. Ich wurde schon mit 18 Jahren sehr intensiv damit konfrontiert. Ich habe früh gemerkt, dass mir das überhaupt nicht guttut. Es gab die Möglichkeit, sich komplett zurückzuziehen. Aber dann wird’s auch nicht besser, denn auch im kleinen Kreis gibt es Kommentare. Aufhören war also kein Thema für mich. Ich hatte die Momente, in denen ich mich deshalb schlecht gefühlt habe, in denen es mir die Freude am Leben genommen hat. Das brauche ich nicht mehr, das lasse ich hinter mir. Sie sehen sich beinah wöchentlich mit neuen Gerüchten konfrontiert. Wie gehen Sie damit um? Damit gehe ich lässig um und denke mir: Schade, dass es nichts anderes zu berichten gibt. Man nimmt es mit Humor. Es gibt ein Thema, da hört es für mich auf – und das ist Schwangerschaft. Das ist ein sehr sensibles Thema. Darüber spekuliert man nicht. Ich finde es respektlos. Deswegen habe ich das auch öffentlich angesprochen. Ich war so schockiert über diese Nachricht (Anm. d. Red.: Egli wurde kürzlich eine Schwangerschaft nachgesagt). Das haben wir dann schnell klären können in der Livesendung und jetzt weiß jeder Bescheid. Jetzt steht erst einmal Ihr neues Album im Fokus. Bisher haben alle Alben Top-Platzierungen erreicht. Was ist Ihr Geheimrezept? Das frage ich mich manchmal selbst (lacht). Setzt Sie das unter Druck? Ich denke immer, das kann man ja eigentlich nicht toppen, das Niveau ist nicht zu halten. Ich bin selbst immer wieder erstaunt. Acht Jahre, acht Alben und ich habe so viel erlebt. Bei diesem Album ist es ganz besonders. Es ist definitiv ein Album, das mich komplett von einer anderen Seite zeigt. Ein Album, das die Leute mit auf eine andere emotionale Reise nimmt. Es ist bestimmt auch mutig, aber für mich fühlt es sich nicht mutig an, sondern richtig. Es ist Ihr neuntes Album. Kann man sich da eigentlich noch an alle Lieder erinnern oder kommt es schon zu Dopplungen? (lacht) Dopplungen glaube ich nicht, dafür verändert man sich zu sehr. Da merke ich schon manchmal, das bin ich nicht mehr. Aber dass ich meine über 200 Songs in- und auswendig kann, das wäre gelogen. Also gibt es „Jugendsünden“ unter Ihren Liedern? Ja, selbstverständlich. Bei gewissen Songs denke ich: Oh mein Gott! Aber das gehört dazu. Das ist wie alte Bilder anschauen, da denken wir auch: So sind wir mal rumgelaufen? Und das ist mit der Musik ähnlich. Man hört die Lieder und schüttelt mit dem Kopf. Aber gleichzeitig wäre ich jetzt nicht diese Frau, diese Sängerin, hätte ich nicht all das gemacht. Und ich bin froh, dass ich mir das bewahren konnte. Bis heute bin ich jemand, der Dinge wagt und tut.

10 INTERVIEWS Seit 20 Jahren ist Kaya Yanar im Geschäft. Den Durchbruch feierte der Comedian mit der Sat1-Sendung „Was guckst du?“, in der er in verschiedene Rollen schlüpfte. Figuren wie Türsteher Hakan und Reinigungskraft Ranjid mit seiner Kuh Benytha haben die weite Welt des Humors im Sturm erobert. Warum gerade Ranjid für Diskussionsstoff sorgte und wieso Lachen eben doch die beste Medizin ist, darüber sprach der 48-jährige Frankfurter mit Kirsten Gnoth. Ihr neues Programm heißt „Fluch der Familie“. Ist ihre eigene Familie eher Fluch oder Segen? Kaya Yanar: Die Familie, in die ich hineingeboren wurde, war eher ein Fluch. Das hört sich hart an, aber es war einfach unnötig schwierig und das ärgert mich besonders. Wir hatten es gut. Wir sind in Deutschland aufgewachsen – einem sicheren Land mit Krankenversorgung und kostenloser Bildung. Trotzdem war mein Vater nie zufrieden und das hat er die Familie spüren lassen. Er wurde auch gewalttätig der ganzen Familie gegenüber und es gab ständig Streit. Meine Kindheit hat keinen Spaß gemacht. In den letzten 48 Jahren hat sich das aber sehr zum Positiven gewandelt und deshalb kann ich heute auch Comedy darüber machen. Was machen Sie als Vater anders? Ich bin einfach präsent. Mein Vater hat sich nie richtig interessiert. Er war nie wirklich da und auch das war unnötig – denn die Zeit hätte er gehabt, nur den Willen nicht. Er hätte nicht mit mir Fußballspielen müssen, er hätte einfach nur zuschauen müssen. Und das mache ich bei meinem Sohn anders. Gut, er ist erst zwei Jahre, aber auch jetzt merke ich schon, dass Präsenz wichtig ist. Was würden Sie sagen, wenn Ihr Sohn selbst Comedian werden möchte? Wenn er das probieren möchte, würde ich ihn unterstützen. Denn auf dem Gebiet habe ich Expertise. Das ist nicht bei vielen Dingen so – ich bin eher ein Fachidiot. Vielleicht hat er Talent, aber vielleicht auch nicht und dann muss er sich das erarbeiten. Es kann aber auch sein, dass er in eine ganz andere Richtung gehen möchte. Aber ich sag mal: Komiker zu sein, ist nicht der schlechteste Beruf. Es ist schön, wenn Leute mich sehen und grinsen, anstatt mit Eiern zu werfen. Was wäre, wenn Sie von heute auf morgen Ihren Humor verlieren würden? Oh, das wäre schrecklich. Mein Humor hat mich durch meine schlimme Kindheit gebracht. Er hat mich mental überleben lassen. Humor finde ich besonders wichtig, wenn es einem schlecht geht. Als Komiker bedeutet es mir viel, wenn ich jemanden aus einem Loch holen kann. Das gibt mir eine innere Befriedigung – eben, weil es mir selbst auch so ging. Klar, die Comedy hat meine Probleme damals nicht gelöst, aber ich hatte dadurch eine Verschnaufpause. Ihr Vater ist zu Beginn ihrer Karriere verstorben. War das schwierig für Sie? Sehr. Ich habe meinen Vater geliebt, obwohl es schwierig mit ihm war. Das ist ja das Bescheuerte. Man liebt seine Eltern bedingungslos. Man gibt ihnen eine Chance nach der anderen, weil es die einzigen Eltern sind, die man hat. Biologisch gesehen. Wie haben Sie den Tod des Vaters und die schwierige Kindheit überwunden? Das waren viele Stunden Therapie – ob es nun mit einem Therapeuten war oder mit meiner Frau. Sie musste sich die letzten zehn Jahre viel anhören. Aber sie hat das so geduldig und liebevoll gemacht. Sie hat Dinge klargesehen, weil sie in einer schönen Kindheit aufgewachsen ist. So konnte sie sehen, was bei uns in der Familie nicht gestimmt hat. Meine Frau hat vieles aufgedeckt. „HUMOR HAT MICH MENTAL ÜBERLEBEN LASSEN“ In seinem aktuellen Programm „Fluch der Familie“ setzt sich Kaya Yanar mit seiner schwierigen Kindheit auseinander. Im Interview verrät er außerdem, warum er gerne mit Paul Panzer Videospiele zockt. KAYA YANAR

11 INTERVIEWS Kommen wir wieder zu Ihrem Programm. Das lag coronabedingt nun einige Zeit in der Schublade. Haben Sie es angepasst? Ich passe ständig an. Das mache ich mit allen Programmen so. Comedy ist keine exakte Wissenschaft und sie ist auch nicht statisch. Ein Programm ist organisch. Selbst nach dem 200. Auftritt ist es noch nicht fertig, weil mir spontan Dinge einfallen. Selbst nach 20 Jahren auf der Bühne, kann ich alte Nummern immer noch weiter verbessern. Sie haben sich aber auch ein zweites Standbein erarbeitet und spielen auf YouTube Videospiele. Wie kam es zu Ihrem YouTubeKanal? Ich werde auch außerhalb meiner Tour für Dinge gebucht. Und so habe ich beim Deutschen Computerspielepreis moderiert. Ich habe nur in einem Nebensatz erwähnt, dass ich gerne zocke. Einige Spiele-Herausgeber sind danach auf mich zugekommen und wir haben gemeinsam was gemacht. Die Szene fand die Mischung aus Comedy und Gaming interessant. Ich habe vor Corona angefangen und hatte mehr Glück als Verstand, als der Lockdown dann kam. Weil die Leute nicht mehr meine Shows gucken konnten, haben sie meinen Kanal geschaut. Sie spielen mit jüngeren YouTubern wie Gnu zusammen, aber auch mit Kollegen wie Paul Panzer. Wer ist der bessere Mitspieler oder die bessere Mitspielerin? Das ist schwer. Mit Paul macht es am meisten Spaß – auch, weil er seit Jahren ein guter Freund von mir ist. Aber was die Technik und das Spielen angeht, ist es sperrig mit ihm (lacht). Man hat mit ihm nicht viel vom Spiel, aber man hat die Lacher. Paul ist eben Paul. Er ist einzigartig. Insgeheim hoffe ich immer, dass er mit dem Spiel nicht zurechtkommt und sich aufregt. Gnu ist viel versierter beim Spielen. Gnu, Rezo und Julien Bam sind klasse Typen. Ich habe einen riesigen Respekt vor Menschen, die aus dem Nichts so einen YouTube-Kanal aufbauen. Wenn das Touren mehr wird, hängen Sie das Streamen an den Nagel? Nein, auf keinen Fall. Es macht mir so viel Spaß. Es hat auch den Vorteil, dass ich in der Nähe meiner Familie sein kann. Außerdem ist es ein eigener Fernsehsender – mein eigener Fernsehsender. So gern ich das Fernsehen auch mag, aber ich bin bekannt dafür, mit Produzenten, Regisseuren und Sendern zu diskutieren. Künstler-Ego halt. Beim Streamen kann sich mein Künstler-Ego voll austoben. Kann man sich heute auf der Bühne auch noch austoben, oder muss man aufpassen, was man sagt? Ja, sicherlich. Aber wenn ich sehe, was auf Social Media passiert und auch Kollegen passiert ist, finde ich das sehr unangenehm. Ich habe kein Problem mit konstruktiver Kritik, aber teilweise wird nur Hass ins Netz geschüttet. Da leiden viele Kollegen drunter. Als Künstler möchte man sich ausdrücken – auch auf die Gefahr hin, dass es nicht überall gut ankommt. Als Beispiel: Letztes Jahr hat die Figur Ranjid eine Diskussion ums Black- bzw. Brownfacing erreicht. Aber es macht keinen Sinn mit Weißen darüber zu sprechen, ob ich einen Inder spielen darf. Ich habe dann eine Diskussion auf Facebook gestellt, wollte aber überwiegend Inder hören. Und die meisten fanden sie lustig. Danach war das Thema für mich erledigt. Cancel Culture ist ein aktueller Begriff. Ja, man muss aber auch einen zeitlichen Kontext sehen. Wenn wir in zehn Jahren auf dieses Jahr zurückblicken, werden wir auch Dinge finden, die nicht mehr in Ordnung sind. Aber dann muss es eher einen Hinweis auf den zeitlichen Kontext geben. Man sollte das Ganze nicht einfach wortlos streichen Man kann einen Zeitgeist nicht canceln. Aber man kann Dinge erklären und sagen, dass es damals so in Ordnung war. FOTO: Nadine Dilly Der Comedian Kaya Yanar verliert den Humor nur bei Hass im Internet.

12 INTERVIEWS „DER MENSCH IST AN SICH NE FRITTE“ Die Komikerin Mirja Boes will ein bisschen Leichtigkeit zurückbringen. „Heute Hü und morgen auch“ heißt das Programm, mit dem sie aktuell durchs Land tourt. Mirja Boes tritt mit ihrer Band „Die Honkey Donkeys“ auf – Kostüme inklusive. FOTO: L. Laion Public Entertainment MIRJA BOES

13 INTERVIEWS Mirja Boes gehört zu den erfolgreichsten Komikerinnen Deutschlands. Sie hat sich mit vielen TV-Auftritten, LiveProgrammen und ihrer Musik einen Namen gemacht. Wegen der Pandemie hat die 50-Jährige lange warten müssen, bevor sie wieder auf der Bühne stehen durfte - aber endlich kann die Viersenerin mit ihrem neuen-alten Programm „Heute Hü und morgen auch“ ausgiebig durchs Land touren. Mit Tobias Harmeling sprach sie im Interview über ihre Fähigkeiten, sich selbst die Haare zu schneiden, über Fehler, die man als Mutter macht, und ihren Cameo-Auftritt in der Serie „Jerks“ von Christian Ulmen. In Interviews während des letzten Lockdowns haben Sie von einem Premierenbingo für Ihre Tour gesprochen. Wie ist das gemeint und wer hat gewonnen? Mirja Boes: Der Tourstart war schon im Juli in Mülheim an der Ruhr und vorher sind einfach unheimlich viele Termine immer wieder geschoben und geschoben worden, weil es einfach nicht ging. Da habe ich irgendwann gesagt: Der erste Veranstalter, der sagt, ich zieh das durch, wir schaffen das zusammen, der kriegt dann auch die Premiere. Ursprünglich war die im Februar in Köln geplant und da ging ja gar nichts. Ich habe immer das Bild vermittelt, dass ich mit meiner geblümten Badekappe auf dem Startblock stehe und wenn einer schießt, springe ich. Mülheim hat also gewonnen. Wie war denn der erste Sprung, nach so langer Zeit? Ach, es war ganz toll, mit Tränen im Knopfloch, die ich aber immer noch habe. Es ist ja immer noch eine Phase des Umbruchs, in der man immer noch oft dasteht und sich einfach so wahnsinnig darüber freut, dass überhaupt was geht. Das Programm lag dann aber schon eine Weile in der Schublade, oder? Ja, zum Februar war das Programm fertig. Ich habe aber auch gesagt, es ist mir ganz egal, was die Zeiten bringen, da es zeitlos ist. Es geht ja um Alltagsgeschichten. Ich habe auch von vornherein gesagt, ich will kein Programm über Corona machen, da hatte ich überhaupt keinen Bock drauf. Ich denke immer, dass die Leute sich auch mal gerne wieder über andere Sachen kaputtlachen wollen. Im Frühjahr 2021 war der Lockdown bei Ihnen ja so schlimm, dass Sie sich selbst die Haare abgeschnitten haben. Das war eine beeindruckende Performance in den sozialen Netzwerken. Da war auch Alkohol im Spiel, es gab immer einen Alpkräuterschnaps dazu. (lacht) Das entstand so aus der Idee, wie kann man den Menschen ein bisschen Spaß nach Hause bringen? Das ist ja eigentlich meine Aufgabe – Humordienstleitung. Gerade in der Pandemie, wo es ein bisschen an Leichtigkeit fehlt und man auch helfen kann, habe ich gedacht, dann gucken die mir halt zu, wie ich mir eine schreckliche Frise mache. Die ist jetzt schon wieder ein bisschen rausgewachsen. Noch nicht ganz wieder im Normalzustand, aber auf gutem Weg dahin. Weg von der Pandemie. „Heute Hü und morgen auch“ – und übermorgen? heißt das Programm, mit dem sie aktuell durchs Land tourt. Auch noch mal! Der Untertitel ist: Warum den Fehler von gestern nicht morgen einfach noch mal machen? Also, jeder Mensch weiß, dass der Mensch an sich ne Fritte ist. Man lernt was und dann macht man wieder was falsch. Es geht darum, wieder ein bisschen Leichtigkeit zu bringen. Was war ein Fehler, den Sie zuletzt schon ein zweites Mal gemacht haben? Als Mutter macht man jeden Tag wahnsinnig viele Fehler. Heute Morgen hab ich zum Beispiel meine Kinder ganz kurz angekeift und dann gedacht, das hätte man jetzt auch weglassen können. Da sag ich dann aber auch: Hätte hätte, Schiet im Bette. Die sind mir halt heute Morgen so unfassbar auf den Sack gegangen, weil die sich schon so früh geärgert und geschubst haben. Wegen der Pandemie hat die 50-Jährige lange warten müssen, bevor sie wieder auf der Bühne stehen durfte - aber endlich kann die Viersenerin mit ihrem neuen-alten Programm „Heute Hü und morgen auch“ ausgiebig durchs Land touren. Es geht um Familie, um mich selbst, es geht so querbeet durch mein Alltagsleben. Ich führe kein außergewöhnliches Leben, weil alle Menschen sich ja doch ähneln. Ich glaube, da finden sich die Leute sehr gut wieder. Nur weil ich jetzt sozusagen ein Promi bin, erlebe ich keine anderen Dinge im Alltag. Es gibt auch schöne Kopfbedeckungen zu bestaunen, was haben Sie da rosafarbenes auf dem Kopf? Das ist ein Sepia, das ist meine Kopfbedeckung, die kriege nur ich. Und die Band darf zwischendurch durchaus entwürdigende Kostüme tragen. Wir singen zum Beispiel ein Lied über fettige Lebensmittel und da sind die alle auf dem Kopf als Gemüse verkleidet. Apropos Fremdscham: Sie haben bei der neuen Staffel der Fernsehserie „Jerks“ von Christian Ulmen mitgemacht, richtig? Ja, ich finde diese Serie wirklich unfassbar! Ich bin ein großer Fan von „Jerks“, es gibt sonst nichts, bei dem man sich mehr fremdschämen kann, als bei dieser Sendung. Ich finde das so lustig. Man sitzt da vor und denkt, das machen die nicht und dann: Oh Gott, die machen es doch! Ich finde das so schön an die Grenzen gegangen. Ich kann verstehen, wenn Leute sagen, das ist mir zu hart. Aber ich bin großer Fan, Fremdscham find ich immer super. Die Rolle, die Sie gespielt haben, war auch zum fremdschämen? Ja, die improvisieren ja ganz viel, was mir entgegenkommt. Der eine Drehtag hat viel Spaß gemacht und ich war dann der laute Comedyproll aus Köln und na ja … Die Leute wissen, warum. (lacht)

14 INTERVIEWS Als Vorgruppe von Silbermond machten sich Revolverheld einen Namen – mittlerweile füllt die Deutschrock-Band selbst Stadien. Ende 2021 erschien das sechste Album „Neu erzählen“. Darauf machen Johannes Strate & Co. einen musikalischen Trip in ihre Kindheit, zurück zu den Idolen der 80er-Jahre. In die Synthesizer-Klänge sind ernste Themen eingebettet. Was die vier jenseits der Musik verbindet und was passiert, wenn Johannes Strates Sohn lieber Speed Metal als den Papa hören möchte, erzählte der 42-Jährige Kirsten Gnoth. Das Album trägt den Titel „Neu erzählen“ – was wird da neu erzählt? Johannes Strate: Erstmal ist es auch ein Song auf dem neuen Album und der schließt an ein Lied unseres letzten Albums an – „Unsere Geschichte ist erzählt“. Witzigerweise kamen immer wieder Freunde zu mir und sagten: „Es ist ein toller Song, aber ich kann ihn mir nicht anhören. Er ist so hoffnungslos.“ Und nun habe ich mir gedacht, dass ich auch mal eine Fortsetzung von einem Song schreiben kann, in der ich dem Paar eine zweite Chance gebe. Wir sind durchaus eine Band, die nicht immer versucht, in dieselben Fußstapfen zu treten. Wenn man den Kontext dann noch etwas größer macht und auf die Welt ummünzt, sind wir an einem Punkt, an dem wir uns schon längst hätten neu erzählen sollen. Sie waren vor der Pandemie auf Tour und haben währenddessen angefangen, an dem Album zu arbeiten. Wie schreiben Sie auf Tour? Wenn wir mit einem Nightliner fahren – also einem Bus, in dem wir auch pennen – dann kommen wir um acht oder neun in einer Stadt an. Früher haben wir bis 14 Uhr gepennt, damit der Kater vom Vorabend weg war (lacht). Jetzt stehen wir um neun Uhr auf. Unser erster Termin ist der Soundcheck um 16 Uhr. Das ist eine lange Zeit. Als wir jetzt viele gute Ideen hatten, haben wir das Setup mitgenommen. Kris (Kristoffer Hünecke, Gitarrist, Anm. d. Red.) hat es bei sich im Zimmer aufgebaut, ich habe Kaffee geholt und dann haben wir uns gegenseitig Songs vorgespielt. Es gab schöne, rührende Momente – er ist einer meiner besten Freunde. Als ich ihm „Das Größte“ vorgespielt habe, saß er da und hat geweint, weil er es so verstehen konnte. Sie sind alle schon lange befreundet. Wie klappt es als Freunde und Geschäftskollegen? Es hat vor zwanzig Jahren angefangen, als wir alle Anfang zwanzig waren. Da ist es aus Freundschaften heraus entstanden und war recht unbedarft. Wir haben Musik gemacht, hatten Spaß dran und sind einfach losgefahren. Irgendwann ist das dann ein bisschen größer geworden. Das erste Album ist abgegangen und plötzlich ist da ein gewisser Druck. Vorher hatten wir in sechs Jahren Songs geschrieben und dann mussten wir in einem Jahr Songs schreiben. Aber ich habe es immer als total angenehm empfunden, eine Truppe von Freunden um mich herum zu haben. Mit denen konnte ich den Druck teilen – auch privat. Haben Sie alle denn auch Macken? Nein, nein, meine Kollegen sind alle perfekt (lacht). Na klar, es gibt Macken. Wenn einer mal etwas gereizt ist, dann macht er bei der Telko eben nicht mit und kriegt Zeit für sich. Aber ich muss auch sagen, wir haben keinen Psychopathen in der Band, den man immer wieder einfangen muss oder der morgens um neun Heroin nimmt. Mit über 40 weiß ich, morgens Heroin nehmen, sollte man lieber lassen (lacht). Spaß beiseite, das habe ich zum Glück nie ausprobiert. Kommen wir zurück zu „Neu erzählen“: Der musikalische Einfluss für das Album kommt aus den 80er-Jahren. Wieso gerade dieses Jahrezehnt? Es war eben die Musik, die wir gehört haben, als wir klein waren. Und das ging schon vor fünf Jahren los, als wir eine sehr 80er-lastige Tour gespielt haben. Bei der ersten Single „Leichter“ haben wir viele Wege eingeschlagen und sie ist dann doch sehr 80er-mäßig geworden – also sind wir den Weg dann weitergegangen. „ICH HAB’ MEINEM SOHN DIE IDEE GEKLAUT“ Revolverheld haben ihr sechstes Album „Neu erzählen“ veröffentlicht. Im Interview verrät Sänger Johannes Strate, was sich hinter dem Synthesizer-Sound verbirgt und ob einer der vier Herren Macken hat. REVOLVERHELD

15 INTERVIEWS Mit den 80er-Jahren verbindet man eher knallige Neon-Farben und nun ist das Cover schwarz-weiß. Das ist ein ganz schöner Gegensatz. Die nächste Platte wird auch ein Gothic-Album (lacht). Die letzte Platte war sehr bunt, mit Blümchenhemden und so etwas. Das fand ich total super und wir waren auch so auf Tour. Es ist vielleicht genau die Gegenbewegung dazu. Wir haben immer mal Lust, das Gegenteil zu machen. Was dürfen wir wohl dann für die Zeit nach „Neu erzählen“ erwarten? Ein Streicherquartett? Wenn ich tippen müsste, wäre es vermutlich zurück zu den Wurzeln. PapaRoach-Gitarren-Riffs und ich schreie mehr als ich singe. Darüber reden wir seit Jahren – aber das darf die Plattenfirma nicht wissen (lacht). Sie sind Vater. Findet ihr Sohn das, was Sie machen, cool? Ja, der ist acht und findet das richtig cool. Er fragt mich auch, über was ich Songs schreibe und wollte dann selbst mal was schreiben. Er fragte mich dann, ob er über Fußball spielen im Garten schreiben kann. Oder ob er über das Thema „neu erzählen“ schreiben könnte. Das habe ich mir aufgeschrieben. Und als es dann zu dem Song gekommen ist, habe ich meinem Sohn die Idee geklaut (lacht). Ich habe ihm das aber erzählt und er ist damit einverstanden. Was machen Sie, wenn er plötzlich nicht mehr Revolverheld, sondern Speed Metal hören möchte? Das wäre auch geil, dann würde ich mit ihm Speed Metal hören. Aber klar, ich rechne immer damit, dass er unsere Musik irgendwann nicht mehr cool findet. Er kann hören, was er möchte. Außer es sind ganz schlimm frauenverachtende Inhalte. Ich hoffe nicht, dass er in die Richtung abdriftet. Als die Single „Leichter“ rauskam, sagten Sie, dass Sie nicht sicher seien, ob ein Album folgt. Woher kam diese Unsicherheit? Wir waren uns damals zeitlich nicht sicher, wie es mit Corona weitergeht und ob wir überhaupt eine Platte bringen können. Ich wollte damals nicht sagen, dass wir eine Platte vielleicht in anderthalb Jahren bringen. Also hat man heute nicht mehr den Druck ein Album rauszubringen? Durch das Streaming ist man nicht mehr an das Albumkorsett gebunden. Man kann auch einfach mal so eine Single machen. Dua Lipa und Billie Eilish machen es ja vor. Sie bringen Tracks raus und irgendwann kommt dann eine Compilation und die ist dann das Album. Darauf sind die Singles dann anderthalb oder zwei Jahre alt. In der Musik ist mittlerweile alles erlaubt. Wie viele solcher Songs schlummern noch in Ihrer Schublade? Wir haben in den letzten zwei Jahren sehr viel geschrieben und haben uns genau überlegt, was wir auf das Album packen. Aber wir haben natürlich den einen oder anderen Song nicht drauf getan, weil er noch nicht in die Zeit gepasst hat. Aber er könnte irgendwann sehr wesentlich sein. FOTO: Olaf Heine Sänger Johannes Strate (2. v. li.) schläft nicht mehr bis um 14 Uhr im Nightliner. Heute schreibt er lieber neue Songs.

16 INTERVIEWS Für Santiano ist die Nummer eins nichts wirklich Neues. Alle fünf Alben der erfolgreichen Shanty-Rocker aus Flensburg haben die Spitze der Charts geknackt, auch das aktuelle Konzeptalbum „Wenn die Kälte kommt“. Damit steht die Band bald auf der Bühne. Im Interview mit Tobias Harmeling sprach Sänger und Bassist Björn Both (56) über die Klimakrise und wütende „Fans“, Polarforscher Arved Fuchs und wie man bei 25 Grad im Schatten frieren kann. „WORUM ES GEHT, GEHT ÜBER POLITIK HINAUS“ Santiano haben es mit ihrem aktuellen Album „Wenn die Kälte kommt“ wieder auf Platz eins der Charts geschafft. Das sechste Werk der SeemannsRocker ist ein Konzeptalbum mit dem Anspruch, den Fans mehr als nur Musik zu bieten. Peter David Sage, Björn Both, Axel Stosberg und Hans-Timm Hinrichsen (von links) von Santiano können schon auf zehn Jahre erfolgreiche Bandgeschichte zurückblicken. SANTIANO FOTO: Axel Heimken dpa

17 INTERVIEWS Herr Both, Moin oder Zack Ahoi? Björn Both: Zur Begrüßung ganz gerne Moin. Zack Ahoi dann zum Abschied, das ist eigentlich das Ritual. Moin Moin ist schon wieder Sprechdurchfall, das ist eindeutig ein Moin zu viel. Woher kommt der markante Spruch? Ahoi war uns damals zu wenig und durch das Zack kommt der SantianoTritt in den Arsch dazu. Wie war bislang das Feedback von Fans zum neuen Album „Wenn die Kälte kommt“? Fast durch die Bank gut, sowohl das Video als auch das Album mit seiner ganzen Thematik. Natürlich hat man auch manche dazwischen, bei denen das geschmacklich dann jetzt nicht mehr hinhaut, aber wir richten uns ja nicht komplett nach den Fans. Trotzdem tragen wir immer die Verantwortung, dass da, wo Santiano draufsteht, auch Santiano drin ist. Im Video zum Titelsong „Wenn die Kälte kommt“ stehen Sie in einer Polarlandschaft. Allerdings haben Sie in Wirklichkeit an einem heißen Sommertag in einer Kiesgrube gedreht. Wie schwierig war es, sich wie im Polargebiet zu fühlen? Überhaupt nicht! Ich habe wirklich irgendwann angefangen zu frieren, weil die Parameter stimmten ja alle. Du stapfst da durch tiefen Schnee, du siehst die Hand vor Augen nicht, es ist Sturm und Schnee und du stehst da in den dicken Klamotten. Da hat das Gehirn gesagt: „Ok, alle Parameter erfüllt, du frierst“. Und die Leute um uns rum fingen auch an, sich die Jacken anzuziehen, obwohl es 25 Grad im Schatten waren. (lacht) Kann man sich auf weitere Videos zu dem Album freuen? Ja, irgendjemand hat in dem Video geschrieben „to be continued“. Da habe ich nur gefragt: Wer bezahlt das? (lacht) Aber dem müssen wir dann jetzt wohl gerecht werden. Wir wollen noch ein paar Videos drehen, eins ist auch gerade im Schnitt. Wir genießen es sehr, Videos zu drehen, die eine Hollywood-Ebene haben. Ich finde unsere Videos könnten auch immer ein Trailer sein für einen Kinofilm, der demnächst kommt und das macht auch einfach riesigen Spaß. Darf denn schon verraten werden, zu welchen Liedern noch was kommt? Nö. (lacht) Jetzt steht der Winter an, passend zum Album. Freuen Sie sich auf die kalte Jahreszeit? Wir sind Segler, freuen wir uns da auf den Winter? Ich glaube nicht. Das ist immer auch eine traurige Zeit, das muss man ganz klar sagen. Aber als Musiker kommen wir dann wiederum zum Zuge. Wir schauen immer darauf, uns den Sommer nicht so mit Terminen zuzuhauen, weil wir schon sehr gerne auf dem Meer sind. Im Winter sind dann unsere Tourneen und wir spielen mehr. Aber dann freuen wir uns auch wieder aufs Frühjahr, wo die Boote ins Wasser gehen. Sie haben viel mit dem Polarforscher und UN-Botschafter Arved Fuchs zusammengearbeitet, wie kam das zustande? Arved ist ein alter Freund von uns. Und jetzt war es natürlich so: Wenn wir thematisch ins Eis gehen, dann können wir das nicht machen, nur um so eine profane Abenteuergeschichte zu erzählen, ohne nicht auch hier und da den Finger in die Wunde zu legen und ein Engagement zu verbinden, das über dieses Album wirklich hinausgeht. Die Expedition Ocean Change von Arved Fuchs mit der alten „Dagmar Aaen“ entspricht unbedingt dem Markenkern von Santiano. Mit der Thematik Klimawandel ist das Album ja auch ein politisches Statement. Ja, wobei das ist mir noch zu niedrig. Natürlich muss das in der Politik seine Dimension und den Raum finden, aber das, worum es geht, geht doch über Politik hinaus. Es geht um Menschsein und unsere Verantwortung gegenüber unserem Planeten und den Generationen nach uns. Aber da gibt es auch Probleme: Wir waren auf einem Extremwetterkongress in Hamburg, wir beschäftigen uns ja wirklich mit diesem ganzen Kram. Und da treffen wir einen jungen Aktivisten von Fridays for Future, den ich gut kenne. Und wir posten ein Bild mit ihm, um zu zeigen, dass wir da sind. Und dann geht auf einmal ein mega Shitstorm los. 1200 Kommentare auf Facebook, viele unschöne Statements. Sie haben darauf geschrieben, dass der Beitrag einen schönen „reinigenden Charakter hatte“ und man quasi etwas aussortieren konnte. Wir können uns jetzt natürlich verbiegen und sagen, wir wollen uns mit unseren Fans nicht anlegen. Denn wenn man nur halb hinschaut, denkt man vielleicht: Ooh, das sind jetzt etwa 80 Prozent der Fans, die jetzt so reagieren. Aber das stimmt nicht. Wenn man dann recherchiert, dann behaupten zwar welche, dass sie gerade die Konzertkarten verbrannt oder die Platten in den Mülleimer geworfen haben ... Aber das sind in den seltensten Fällen wirklich Santiano-Fans. Ein Impfappell hat nicht so einen großen Shitstorm, aber trotzdem viele erboste Kommentare bekommen. Wie geht man damit um? Das mussten die Toten Hosen, genau wie die Ärzte und alle, die sich an dieser Aktion beteiligt haben, lesen. Es war eine Solidaraktion von vielen Künstlern und da haben wir gesagt, okay, da sind wir dabei. Aber dann haben ja wirklich alle ihr Fett weggekriegt für diese Geschichte. Das muss man dann aushalten. Ich stehe zu jedem Wort, das ich da geschrieben habe. Sie haben angekündigt, dass Sie sich für die Tour viele spezielle Dinge haben einfallen lassen. Darf man davon schon etwas verraten? Arved Fuchs ist dafür bekannt, dass er unglaublich tolle Vorträge halten kann – frei Schnauze ohne Manuskript, weil er einfach weiß, wovon er spricht. Und der spricht so druckreif und mit einer unglaublich starken Stimme, die einen mitnimmt, dass wir ihn auf ausgesuchten Konzerten sprechen lassen und mit unseren technischen Möglichkeiten multimedial ein Event daraus machen.

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