INFARKT EINER LEBENSADER A45-BRÜCKE WP-DOSSIER Chronologie einer Sperrung Foto: Hans Blossey
2 A45-BRÜCKE KATERSTIMMUNG Liebe Leserinnen, liebe Leser! Mein Schwiegervater kann sich noch gut an die Zeit erinnern, als es die A45 noch nicht gab. Er war damals Handelsvertreter und machte sich regelmäßig von Hagen aus mit dem Pkw auf den Weg nach Hessen oder Rheinland-Pfalz. Das waren Tages-Touren. Entsprechend groß war die Freude, als Willy Brandt am 25. Oktober 1971 die Sauerlandlinie vor 1500 geladenen Gästen auf der Raststätte bei Lüdenscheid freigab. Damals flossen Sekt und Bier. Heute herrscht an gleicher Stelle Katerstimmung. Denn am 2. Dezember 2021 hat die verkehrliche Lebensader A45 ihren Infarkt erlebt. An jenem Nachmittag sperrte die Autobahngesellschaft die Talbrücke Rahmede zwischen Lüdenscheid und Lüdenscheid-Nord. Die „Königin der Autobahnen“, die einen großen Teil des europäischen Transitverkehrs bündelt, speit seither tausende Lkw und Pkw täglich im Märkischen Sauerland aus. In Lüdenscheid herrscht Chaos. Sattelschlepper zermahlen die Straßen, Anwohner kommen nicht mehr in den Schlaf, Mitarbeiter nicht mehr zu ihren Arbeitsstätten und Firmen müssen irrwitzige Transportwege und -zeiten inkauf nehmen. Der Verkehrsverband Westfalen hat ausgerechnet, dass sich die negativen Effekte dieser Sperrung in den nächsten fünf Jahren auf 1,8 Milliarden Euro addieren. Mindestens fünf Jahre soll es dauern, bis das neue Bauwerk steht. Deutsche Brücken-Bürokraten halten das für über die Maßen ambitioniert. In der betroffenen Region Südwestfalen aber, wo mehr als 150 Weltmarktführer produzieren, kann man sich mit fünf Jahren Bauzeit nicht abfinden. Genua zeige, dass so etwas auch innerhalb von zwei Jahren möglich ist – wenn man denn will. In der Tat kann man Zweifel daran bekommen, ob der Rest der Republik bereits erkannt hat, welche zerstörerischen Auswirkungen eine solche Teilsperrung mit sich bringt. Vor allem vor dem Hintergrund, dass unsere Verkehrs-Infrastruktur über Jahrzehnte vernachlässigt wurde, scheint es nur eine Frage der Zeit, wann die nächste Brücke erschöpft ist und gesperrt werden muss. Daher ist die Talbrücke Rahmede ein echtes Pilotprojekt. Hier muss gezeigt werden, dass wir in der Lage sind, Bürokratie maximal zu beschleunigen, wenn es nötig ist. Die störungsfreie Fahrt auf der A45 ist keine regionale Forderung, sondern eine Angelegenheit von nationalem Interesse. Torsten Berninghaus Stellv. Chefredakteur IMPRESSUM WP Sonderausgabe FUNKE Medien NRW GmbH | Jakob-Funke-Platz 1 | 45127 Essen | leserservice@westfalenpost.de | Tel. (+49) 800 60 60 740 Vertretungsberechtigte Geschäftsführer: Andrea Glock, Simone Kasik, Thomas Kloß, Christoph Rüth Verantwortlich für den Inhalt des Hauptheftes: Dr. Jost L bben (Chefredaktion Westfalenpost) Texte: Daniel Berg (Chefreporter Westfalenpost), Jens Helmecke, Laura Dicke, Rolf Hansmann, Martin Korte, Mike Fiebig, Laura Handke, Dana Mester, Michael Koch Fotos: Bernd Thissen, Jakob Studnar, Ralf Rottmann (Funke Foto Services), Markus Kl mper, Jochen Plate, Olaf Fuhrmann, Hans Blossey, Maja Hitij, Walter Tilgner, Dieter Menne Pressehaus Westfalenpost: Sch rmannstraße 4 | 58097 Hagen | westfalenpost@westfalenpost.de | Tel. (+49) 2331 917-0 Verantwortlich i. S. v. § 18 Abs. 2 MStV fur dieses Dossier: Dr. Jost L bben (Chefredaktion Westfalenpost) Registergericht Essen | HRB 12049 | USt-IdNr. DE291915869 Gestaltung und Umsetzung: FUNKE Redaktions Services
3 A45-BRÜCKE INHALT: Seite 12 - 13 „IN EINEM SEHR LABILEN ZUSTAND“ Seite 14 - 15 DAS GROSSE SCHLEICHEN DURCH HAGEN Seite 16 - 17 550 KILOMETER PENDELN FÜR DIE LIEBE 1 km © OpenStreetMap contributors FUNKEGRAFIK NRW: MANUELA NOSSUTTA FOTO: DANIEL BERG QUELLE: VERKEHR.NRW 45 Rahmedetalbrücke AS Hagen-Süd AS Lüdenscheid-Süd Lüdenscheid Schalksmühle Hagen NachrodtWiblingwerde Altena Vollsperrung 229 236 54 Heedfeld Winkeln Dahl Rummenohl Hohenlimburg Ambrock AS Lüdenscheid-Nord AS Lüdenscheid Sauerlandlinie bei Lüdenscheid gesperrt Schäden an der Talbrücke Rahmede machten die sofortige Vollsperrung nötig Rund um Lüdenscheid herrscht ein Verkehrschaos. Wie lange die Sperrung dauert, steht noch nicht fest. Wartezeiten im Stau, 3. Dezember, 15 Uhr 45 Min. 45 Min. 20 Min. 15 Min. 20 Min. 20 Min. 20 Min. 30 Min. 30 Min. 30 Min. 5 Min. 20 Min. 10 Min. 10 Min. 20 Min. 30 Min. Die Heedfelder Straße / Ecke Buckesfelder Straße in Lüdenscheid am Freitagnachmittag. Seite 6 - 7 A45 BEI LÜDENSCHEID BLEIBT VORERST GESPERRT Seite 8 - 9 „DAS IST DAS ABSOLUTE CHAOS“ Seite 10 - 11 „DAS IST EINE KATASTROPHE“ Seite 18 - 19 „WIR MÜSSEN NEUE WEGE GEHEN“
4 A45-BRÜCKE Seite 30 - 31 „WIR HABEN HIER ZUKUNFTSÄNGSTE“ Rettelmühle Ruhrtalbrücke Lennetalbrücke Kattenohl Sürenhagen Eichelnbleck Sterbecke Rahmede Schlittenbach Kattenbusch Bremecke Homert Sichter Immecke Beustenbach Lüdespert Bleche Germinghausen Wintersohl Rosenthal Rüblinghausen Saßmicke Gerlingen Ottngen Büschergrund Eiserf Talbr Hagen Lüdenscheid Menden Hemer Meinerzhagen Olpe M Ä R K I S C H E R K R E I S K R E I S K W 5 km Brunsbecke © OpenStreetMap contributors 45 4 46 1 478 m 205 m 512 m 984,5 m 208 m 540 m 242 m 313 m 265 m 453 m 388 m 478 m 208 m 388 m 266 m 196 m 484 m 196 m 567 m 264 m 405 m 300 m 659 m 426 m 235 m 378 m 1050 m 327 m 32 Talbrücken auf der Sauerland Das Alter, die Sicherheit und wann neu gebaut wird ! QUELLE: Autobahn GmbH des Bundes, Bundesanstalt für Straßenwesen, A45wirdneu.de FUNKEGRAFIK NRW: MANUELA NOSSUTTA FOTO: DPA Die marode Rahmedetalbrü ist gesperrt und muss abge 15 von 32 Talbrücken weisen Brückenteile aus, die lediglich mit ausreichend bewertet wurden. ! ! 1,0 1,5 - 2,0 2,5 3,0 3,5 Seite 24 - 25 KANN SICH DER FALL RAHME ETALBRÜCKE WIEDERHOLEN? Seite 26 - 27 „ZU VIELE BETEILIGTE, DIE MITREDEN“ Seite 28 - 29 UMWELT-ORGANISATION BREMST 2 km © OpenStreetMap contributors HAGEN LÜDENSCHEID Waldbauer/Zurstraße Dahl Letmathe Hohenlimburg Veserde Heedfeld Nachrodt Altena Breckerfeld Schalksmühle Halver Werdohl Neuenrade Hagen-Süd Lüdenscheid-Süd Fuelbecker Talsperre lbecker Talsperre Versetalsperre Glörtalsperre Glörtalsperre Ennepetalsperre Vollsperrung 46 236 229 54 54 Lüdenscheid-Mitte Lüdenscheid-Nord Lüdenscheid-Mitte Lüdenscheid-Nord Wiblingwerde 45 45 Ozielle Umleitung über Altena und Werdohl FUNKEGRAFIK NRW: MANUELA NOSSUTTA FOTO: DPA Rahmedetalbrücke wird abgerissen Umleitung durch Lüdenscheid Umleitung über B 54 durch Schalksmühle Umleitung über B 236 durch Altena 229 Die Rahmedetalbrücke ist Geschichte Die A 45 ist bei Lüdenscheid seit dem 2. Dezember wegen der maroden Rahmede-Brücke voll gesperrt. Jetzt soll sie abgerissen werden. Bauzeit: 1965 bis 1968 Länge: 453 m Höhe: 75 m Die Trasse der Autobahn verläu im Bereich der Brücke gekrümmt. Fahrzeuge pro Tag Zurzeit wird gesprü, ob eine Sprengung der Brücke möglich ist. Das Bauwerk ist eine Stahlverbundkonstruktion und hat einen gemeinsamen Überbau für beide Richtungsfahrbahnen. Seit der Sperrung der A 45 herrscht in der Region ein Verkehrschaos. 64.000 Lkw pro Tag 13.000 Dortmund Köln Olpe Siegen Essen Bochum Koblenz Brilon Sperrung Leverkusen LÜDENSCHEID Hagen 20 km 45 44 46 45 4 1 Umleitungsempfehlung: Ab Westhofener Kreuz die A 1, ab Olpe die A 4 nutzen. Westhofener Kreuz esthofener Kreuz Seite 20 - 21 „DAS IST EINFACH KATASTROPHAL“ Seite 22 - 23 A-45-BRÜCKE NIE WIEDER BEFAHRBAR
5 Seite 32 - 33 SPRENGUNG? ANWOHNER ÜBERRASCHT Seite 34 - 35 ANWOHNER PRÜFEN RECHTLICHE SCHRITTE Seite 36 - 37 FRIEDENSBOTSCHAFT AUF A-45-BRÜCKE Seite 38 - 41 A-45-SPERRUNG: EIN QUARTAL DANACH Seite 42 - 43 1.800.000.000 EURO IN FÜNF JAHREN Seite 44 - 45 HASELMAUS BREMST BAUMASCHINE AN A45 A45-BRÜCKE
6 A45-BRÜCKE A45 BEI LÜDENSCHEID BLEIBT VORERST GESPERRT Jens Helmecke 03. DEZEMBER 2021 Die wichtigste Verkehrsader durch das Sauerland, die Autobahn 45, bleibt bis auf weiteres komplett gesperrt. Foto: Markus Klümper/dpa Ein Stau hat sich an einer Umleitung auf der Autobahn 45 an der Ausfahrt Lüdenscheid-Mitte gebildet. Die Autobahn GmbH des Bundes hatte am Donnerstag mitgeteilt, wegen Schäden an der Talbrücke Rahmede sei der A45-Abschnitt voll gesperrt worden. Um zu prüfen, ob und wie die Brücke weiter genutzt werden könne, seien Experten hinzugezogen worden, die das Bauwerk intensiv untersuchten.
7 A45-BRÜCKE Lüdenscheid Die wichtigste Verkehrsader durch das Sauerland, die Autobahn 45, bleibt bis auf weiteres zwischen Lüdenscheid und Lüdenscheid-Nord wegen Schäden an der Talbrücke Rahmede komplett gesperrt. „Mit sehr großer Wahrscheinlichkeit ist davon auszugehen, dass die Brücke nächste Woche nicht freigegeben wird“, erklärte Michael Neumann von der zuständigen Autobahn GmbH am Freitag. Das über 50 Jahre alte Brückenbauwerk ist seit Donnerstagnachmittag gesperrt, nachdem eine Verformung an der Stahl-Unterkonstruktion festgestellt wurde. „Die Sperrung der A45 ist für die Menschen hier der Supergau“, sagte Elfriede Sauerwein-Braksiek, Direktorin Autobahn-Westfalen mit Blick auf die extreme Verkehrsbelastung in und um Lüdenscheid. Neubau-Verschiebung aus heutiger Sicht „nicht richtig“ Seit 2014 ist den Experten bekannt, dass die Brücke erneuert werden muss – wie viele andere Brückenbauwerke der Sauerlandlinie auch. Nachdem die letzte Bauwerksprüfung im Jahr 2017 laut Autobahn GmbH für die Brücke noch gute Werte ergeben hatte, wurde der eigentlich für 2019 vorgesehene Neubau auf 2026 verschoben. „Aus damaliger Sicht ist die Entscheidung so getroffen worden, wie sie ist. Aus heutiger Sicht war die Verschiebung nicht richtig“, sagte Direktorin SauerweinBraksiek. Nicht ausgeschlossen wird, dass die Brücke nach einer Verstärkung absehbar zumindest wieder von Pkw befahren werden könnte. Genaue Angaben wird es frühestens in der kommenden Woche geben. Ultraschalluntersuchungen sollen jetzt klären, ob es Risse in Schweißnähten oder der relativ filigranen Stahlunterkonstruktion gibt. A45 gesperrt: Maßnahmen gegen Verkehrschaos im Raum Lüdenscheid Derweil werde daran gearbeitet, dass der Verkehr wieder in Fluss kommt. Im Raum Lüdenscheid wurden dafür Ampelschaltungen verändert, Baustellen auf den Umleitungsstrecken im Stadtgebiet sollen zügig abgebaut und der Winterdienst verstärkt werden. Für den Fernverkehr, der zunächst ab Westhofener Kreuz über die A1 bis zum – ebenfalls schwer überlasteten – Leverkusener Kreuz auf die A3 geführt wurde, wird nun an eine weiträumigere Lösung über die A44 und A7 in Richtung Süden nachgedacht. Foto: Jochen Plate
8 A45-BRÜCKE Lüdenscheid Der Mann wohnt, wo jetzt das Chaos regiert. Ein Lkw aus Rumänien rollt an ihm vorbei, einer aus Slowenien, der nächste aus Polen, dazwischen Autos, nichts als Autos. „Ich wohne seit mehr als 80 Jahren hier“, sagt Hans Schirm, „aber so etwas habe ich noch nicht gesehen. Das ist Wahnsinn, das absolute Chaos.“ Der 83-Jährige steht an der Heedfelder Straße in Lüdenscheid. Die Straße, die am Freitagnachmittag all jene benutzen, die sonst auf der Autobahn45 unterwegs wären. Zum nächsten Termin, zur nächsten Spedition, in den Feierabend. Die Königin der Autobahn, die Schlagader Südwestfalens, die allerdings zwischen Lüdenscheid und Lüdenscheid Nord voll gesperrt ist, weil die Rahmedetalbrücke offenbar Schäden aufweist, die eine weitere Benutzung unmöglich macht. Die Autobahn-Gesellschaft überraschte mit der Neuigkeit am Donnerstagnachmittag. Seitdem geht nichts mehr in und um Lüdenscheid. Für wie lang? Weiß niemand. Mindestens bis Mitte nächster Woche. „Das kann doch nicht so weitergehen. In der ganzen Stadt geht gar nichts, selbst auf den Nebenstraßen. Ich lasse das Auto schon direkt stehen, hat keinen Sinn“, sagt Schirm und fragt sich: „Kann man nicht wenigstens eine Fahrspur auf der A45 freigeben?“ Kann man anscheinend nicht, zumindest wenn man kein Risiko eingehen will. Am Freitagnachmittag staut sich der Verkehr vor den beiden Anschlussstellen auf jeweils acht Kilometer. Die Route durch Lüdenscheid kostet Zeit – und Nerven, da auch noch beampelte Baustellen – wie auf der L561, wo der Verkehr nur einspurig fließt – zum Nadelöhr werden. Für die Anwohner auf Lüdenscheider Stadtgebiet und imweiteren Umfeld imMärkischen Kreis ist die Situation kaum aushaltbar. „Die gesamte Strecke ist eine große Baustelle“, sagt Thomas Walter, Lehrer in Meinerzhagen. Von seinemWohnort in Hagen pendelt er jeden Tag über die A45. Normalerweise. Gestern hat er den großen Umweg über Breckerfeld und Kierspe genommen. Eine Stunde dauerte die Fahrt. „Sonst brauche ich circa 35 Minuten von Haus zu Haus.“ Auf seinem Weg sieht er Lkw, deren Fahrer von ihren Navis über Straßen gelotst werden, die nicht für solche Fahrzeuge gemacht sind. „Die Umleitungsstrecken sind überlastet“, erklärt Marit Schulte-Zakotnik, Pressesprecherin der Stadt Lüdenscheid. Doch momentan ließe sich vonseiten der Stadt wenig machen. Für die nächsten Tage sollen die Ampelschaltungen der Hauptumleitungsstrecken verlängert werden, um diese zu entlasten. Die Baustelle auf der Heedfelder Straße wird kurzfristig beendet und weitere geplante Baustellen verschoben. In der nächsten Woche sollen die Maßnahmen weiter auf die aktuelle Situation und die Ergebnisse angepasst werden. Am Freitag hilft das noch nicht. „Sch... ße“, sei das alles, sagt ein Mann, der für eine Reinigungsfirma unterwegs nach Hagen ist. Normalerweise wäre er jetzt schon bei seinem Termin. Für die vier Kilometer zur Autobahnauffahrt wird er noch 45 Minuten brauchen. Hinter ihm ein Lkw. Seine Route nach Essen betrug 140 Kilometer, als er losfuhr. Die Hälfte hat er schon. Verspätung: viereinhalb Stunden, sagt sein Navi. Hinter ihm ein Mann, der nur ins Fitnessstudio will. Auf dem Weg, den er sonst nimmt, drehte er – kein Durchkommen. Nun steht er hier. Er trägt es mit Fassung. Den Verantwortlichen bei der neuen Autobahn GmbH ist die extreme Belastung durchaus bewusst. Vom „Su- „DAS IST DAS ABSOLUTE CHAOS“ Daniel Berg, Jens Helmecke und Laura Dicke Nach der Sperrung der A45 kollabiert der Verkehr in Lüdenscheid und Umgebung. Anwohner, Pendler und Lkw-Fahrer verzweifeln an den Dimensionen der Staus 03. DEZEMBER 2021
9 A45-BRÜCKE pergau“ für die Anwohner sprach die Direktorin von Autobahn Westfalen, Elfriede Sauerwein-Braksiek am Freitagmittag bei einer ersten Zwischenbilanz zum Brückenschaden. Klaus Gräbener, Chef der Industrie- und Handelskammer Siegen mit vielen Unternehmen, die auf Transporte von Süd nach Nord und umgekehrt angewiesen sind, sprach von einer „bösen Weihnachtsüberraschung. Es ist ganz bitter für die Menschen in Lüdenscheid.“ Aus Kammersicht gehe trotz allem „Sicherheit vor Schnelligkeit“ bei den Überprüfungen. Allerdings: „Wenn es Dimensionen wie bei der Leverkusener Brücke annimmt, dann können wir uns warm anziehen“, sagt Gräbener. Ein weiteres Problem für die Pendler ist, dass durch die Flut im Sommer die Schienenverbindung zwischen Lüdenscheid und Hagen weiterhin noch nicht funktioniert und der Schienenersatzverkehr per Bus nun auch im Stau stehen dürfte. Das ist das bsolut Chaos“ der Sperrung der A 45 kollabiert der Verkehr in Lüdenscheid und Umgebung. ohner, Pendler und Lkw-Fahrer verzweifeln an den Dimensionen der Staus el Berg, Jens Helmecke a Dicke eid. Der Mann wohnt, wo Chaos regiert. Ein Lkw aus n rollt an ihm vorbei, einer wenien, der nächste aus zwischen Autos, nichts als ch wohne seit mehr als 80 ier“, sagt Hans Schirm, etwas habe ich noch nicht Das ist Wahnsinn, das abaos.“ Jährige steht an der Heedaße in Lüdenscheid. Die ie am Freitagnachmittag enutzen, die sonst auf der n 45 unterwegs wären. hsten Termin, zur nächsition, in den Feierabend. igin der Autobahn, die er Südwestfalens, die allerischen Lüdenscheid und heid Nord voll gesperrt ist, Rahmedetalbrücke offenden aufweist, die eine weiutzung unmöglich macht. obahn-Gesellschaft übermit der Neuigkeit am Donachmittag. Seitdem geht ehr in und um Lüdenür wie lang? Weiß nieindestens bis Mitte nächse. ann doch nicht so weiterder ganzen Stadt geht gar elbst auf den Nebenstraasse das Auto schon direkt hat keinen Sinn“, sagt nd fragt sich: „Kann man nigstens eine Fahrspur auf freigeben?“ man anscheinend nicht, zuwenn man kein Risiko einnommen. Eine Stunde dauerte die Fahrt. „Sonst brauche ich circa 35 Minuten von Haus zu Haus.“ Auf seinemWeg sieht er Lkw, derenFah- „Sch...ße“, sei das alles, sagt ein Mann, der für eine Reinigungsfirma unterwegs nach Hagen ist. Normalerweise wäre er jetzt schon bei seieiner ersten Zwischenbilanz zum Brückenschaden. Klaus Gräbener, Chef der Industrie- und Handelskammer Siegen „Es ist ganz bitter für die Menschen in nscheid.“ bener, Chef der Industrieelskammer Siegen 1 km ©OpenStreetMap contributors FUNKEGRAFIK NRW: MANUELA NOSSUTTA FOTO: DANIEL BERG QUELLE: VERKEHR.NRW 45 Rahmedetalbrücke AS Hagen-Süd AS Lüdenscheid-Süd Lüdenscheid Schalksmühle Hagen NachrodtWiblingwerde Altena Vollsperrung 229 236 54 Heedfeld Winkeln Dahl Rummenohl Hohenlimburg Ambrock AS Lüdenscheid-Nord AS Lüdenscheid Sauerlandlinie bei Lüdenscheid gesperrt Schäden an der Talbrücke Rahmede machten die sofortige Vollsperrung nötig Rund um Lüdenscheid herrscht ein Verkehrschaos. Wie lange die Sperrung dauert, steht noch nicht fest. Wartezeiten im Stau, 3. Dezember, 15 Uhr 45 Min. 45 Min. 20 Min. 15 Min. 20 Min. 20 Min. 20 Min. 30 Min. 30 Min. 30 Min. 5 Min. 20 Min. 10 Min. 10 Min. 20 Min. 30 Min. Die Heedfelder Straße / Ecke Buckesfelder Straße in Lüdenscheid am Freitagnachmittag. PRG1 B
10 A45-BRÜCKE „DAS IST EINE KATASTROPHE“ Daniel Berg, Rolf Hansmann und Martin Korte Die Rahmedetalbrücke an der Autobahn 45 bleibt noch Monate voll gesperrt. Lkw werden dort erst in einigen Jahren fahren können. Reaktionen von Betroffenen Durchfahrt verboten: In drei, vier Monaten werden zumindest Pkw wieder die Rahmedetalbrücke befahren können. Foto: Olaf Fuhrmann / FUNKE Foto Services 08. DEZEMBER 2021
11 A45-BRÜCKE Lüdenscheid Die „Königin der Autobahnen“, die sich so majestätisch durch Sauer- und Siegerland schlängelt, erlebt derzeit ihre schwersten Stunden. Über die derzeitige Talbrücke Rahmede an der A45 zwischen Lüdenscheid-Nord und Lüdenscheid werden nie wieder Lkw rollen können, Pkw werden das Bauwerk erst in frühestens drei Monaten wieder passieren. Die langwierige Brückensperrung schockiert eine ganze Region. Das sagt... … der Anwohner Michael Backhaus (70) wohnt genau da in Lüdenscheid, wo sich derzeit täglich Tausende Fahrzeuge entlangquetschen. Vom Wohnzimmerfenster aus kann er das Chaos beobachten, das sich stets neu ereignet. Tröstet ihn die neue Perspektive? „Das Problem ist: Die Pkw sind nicht die, die uns hier stören, es sind die Lkw. Morgens um vier fahren die ersten und dann reiht sich einer an den anderen. Das ist hart an der Grenze zum Unerträglichen.“ Bis 2029 sollte die Brücke ohnehin neu gebaut sein. „Wenn sie bis dahin fertig ist, können wir uns glücklich schätzen“, fürchtet er. Er wohnt gern in Lüdenscheid, „aber im Moment ist das nicht schön“. Zumal weitere Baustellen im Stadtgebiet alltägliche Fahrten zum Erliegen bringen. „Wir werden das aushalten müssen. Es gibt keinen anderen Weg. Freuen wir uns eben auf die Sonntage.“ Da gilt Lkw-Fahrverbot. … der Bürgermeister Lüdenscheids Bürgermeister Sebastian Wagemeyer zufolge war das Ergebnis der Brückenprüfung durch StatikExperten „leider zu erwarten“. Und doch: „Für Lüdenscheid und die Umgebung ist das eine Katastrophe.“ Am Abend forderte er Unterstützung „von den zuständigen Behörden und dem Land“ ein, um eine schnelle Lösung für „Pendler, Anwohner und Unternehmen umzusetzen“. … der Spediteur Die erste Reaktion auf die neue Lage ist ein zynisches Lachen. „Das nimmt Leverkusener Verhältnisse an“, sagt Robin Schmidt, Speditionsleiter bei der Spedition Steffes in Hagen. Das NRW-weit bekannte Verkehrs-Nadelöhr am Rhein hat nun ein Pendant im Sauerland. „Wir sind Einschränkungen durch Baustellen leider gewöhnt, aber das ist eine andere Dimension. Das schlägt extrem aufs Gemüt“, sagt Schmidt. Zu den Hauptverkehrszeiten bräuchten seine Leute anderthalb bis zweieinhalb Stunden mehr pro Tour. Pkw-Fahrer haben die Perspektive, im Frühjahr wieder über die Brücke fahren zu können. Für Lkw scheint der Weg frühestens dann frei, wenn die Brücke neu gebaut ist. Heißt: Gerechnet wird in Jahren: „Das ist richtig mies.“ ... die Wirtschaft Schockiert über die neueste Entwicklung zeigt sich auch der Hauptgeschäftsführer der Südwestfälischen Industrie- und Handelskammer (SIHK) zu Hagen, Ralf Geruschkat: „Es ist ein schwerer Schlag ins Kontor des Wirtschaftsstandortes Märkisches Südwestfalen.“ Die Sauerlandlinie sei die „Lebensader“ für zahlreiche Unternehmen in der Region und deren Wertschöpfungsnetz, so Geruschkat weiter, und eine „Verkehrsader von nationaler Bedeutung“. Nach seinen Worten bedürfe es jetzt eines Kraftakts: Die verschiedenen Zuständigkeiten für Infrastrukturen wie Bundes- und Landesverkehrsministerium, Autobahn GmbH, Straßen NRW und Kommunen müssten schnellstens an einen Tisch, um Möglichkeiten auszuloten, den „drohenden Verkehrsinfarkt in der stärksten Industrienation von NRW“ zu verhindern. Geruschkat: „Die Planungs- und Genehmigungsverfahren müssen deutlich schneller werden. Es ist jetzt Zeit für unkonventionelle Wege.“ … die Politik „Warum müssen Planungs- und Bauphasen eigentlich sechs bis acht Jahre lang dauern?“, fragt der grüne Landtagsabgeordnete Johannes Remmel, ehemaliger NRW-Umweltminister. „In Genua ging es ja auch schneller.“ In der Tat fordern nun Politiker aller Couleur, dass Planung und Umsetzung von Autobahnprojekten zügiger vonstatten gehen müssen. Florian Müller, neuer CDU-Bundestagsabgeordneter für den Raum Olpe, sagt, die große Koalition habe bereits ein beschleunigtes Planungsverfahren auf den Weg gebracht, die neue Regierung müsse es nun für diesen Fall anpassen. Sonst könne sich die Sperrung der A45 zu einer Konjunkturbremse für Südwestfalen entwickeln. FDP-Kollege Carl-Julius Cronenberg betonte, die neue Regierung strebe eine Halbierung der Planungszeit an. Das wären dann aber immer noch drei bis fünf Jahre. „Fürchterlich“, so Cronenberg. … die Feuerwehr Das hohe Verkehrsaufkommen stellt auch die Lüdenscheider Feuerwehr vor Herausforderungen: „Auf unseren Straßen herrscht jetzt permanent Rush Hour“, sagt Abteilungsleiter Jörg Weber. Je dichter der Verkehr, umso schwieriger ist es selbst für Sonderrechtsfahrzeuge, sich auf schmalen Fahrbahnen an Wagenschlangen vorbei zu bewegen. Aber: „Es ist noch nicht vorgekommen, dass unsere Fahrzeuge mit vernehmbarer Verzögerung zu Einsätzen gekommen wären.“ Jedoch haben Feuerwehrleute derzeit Not, mit ihrem Privat-Pkw „zeitgerecht“ zur Feuerwache zu kommen. „Aus diesem Grund ist unser Gerätehaus Mitte jetzt täglich von 6 bis 18 Uhr mit sechs ehrenamtlichen Feuerleuten permanent besetzt.“ „Das ist hart an der Grenze zum Unerträglichen.“ Michael Backhaus Anwohner der Ausweichroute in Lüdenscheid
12 A45-BRÜCKE „IN EINEM SEHR LABILEN ZUSTAND“ Daniel Berg und Martin Korte A45: Am Beispiel einer Cola-Dose wird klar, welch Risiko die Talbrücke Rahmede vor ihrer Sperrung war. Untersuchungen nun auch an der Brunsbecke in Hagen 09. DEZEMBER 2021 „Massive Schädigungen“: Die Rahmedetalbrücke bei Lüdenscheid bleibt noch Monate lang gesperrt. Foto: Olaf Fuhrmann / FUNKE Foto Services
13 A45-BRÜCKE Lüdenscheid/Hagen Wenn Elfriede Sauerwein-Braksiek den Sachverhalt beschreiben soll, dann entwirft sie ein einfaches Bild. Man müsse sich das, sagt die Direktorin der Autobahn GmbH Westfalen, wie zwei leere Cola-Dosen vorstellen. Auf denen könne man als Mensch problemlos stehen, wenn die Außenwände intakt seien. Doch schon ein kleiner Knick, eine Beule, eine Verformung reiche aus, damit die Büchse unter der Last nachgibt. Sanierungsbedarf bekannt Bei der Talbrücke Rahmede in Lüdenscheid hat es diese Verformungen der Unterkonstruktion gegeben, weswegen die Autobahn 45 seit Donnerstag vergangener Woche gesperrt ist. Drohte der Kollaps der Brücke? Die Autobahn-Managerin weicht aus. Es wäre bei weiterer Nutzung „Gefahr in Verzug gewesen“, sagt sie und verweist auf die Bilder des Laserscans, die tiefrot die Stellen markieren, an denen die Brücke verformt ist. „In einem sehr labilen Zustand“ sei die Brücke, „massiv geschädigt“ und zwar „weit über das Toleranzmaß hinaus“. Zusammen mit dem Cola-Dosen-Beispiel kann es einem durchaus mulmig werden. Gerade beim Gedanken daran, dass es die Sauerlandlinie – auch „Königin der Autobahnen“ genannt – auf mehr als 30 Talbrücken zwischen dem Westhofener Kreuz und der hessischen Grenze bringt, deren Sanierungsbedarf bekannt ist – und der nun noch mehr drängt als je zuvor. „Das Kernproblem ist, dass wir nicht alle Brücken gleichzeitig planen und bauen können“, sagt Sauerwein-Braksiek. Vorrang hat nun die Prüfung der älteren Brücken, jenen, die vor 1980 erbaut wurden, wie Michael Neumann, Projektleiter entlang der A45, erklärt. „Bei den älteren Brücken ist das Beulverhalten als relevante Größe für die Statik beim Bau nicht erfasst worden.“ Bei jüngeren Bauwerken sei das anders. Nachgewiesen werden diese Verformungen per Laserscanverfahren, einer recht neuen Technik, bei der die Brücke sozusagen Millimeter für Millimeter abgetastet wird und die sichtbar macht, was mit bloßem Auge nicht erkennbar ist. „Wir müssen jetzt ganz schnell auch die anderen Brücken mit diesem Spezialverfahren einer Sonderprüfung unterziehen“, sagt Elfriede Sauerwein-Braksiek. Seit Donnerstag laufen diese Laserscan-Untersuchungen an der Talbrücke Brunsbecke bei Hagen, die ähnlich konzipiert ist wie die Rahmedetalbrücke. Baujahr: ebenfalls 1968. „Ergebnisse gibt es noch keine“, sagt Neumann. Grund: Die Messungen seien nur zu verkehrsarmen Zeiten möglich, weil der Verkehr die Brücke in Schwingungen versetzt, die das Ergebnis verfälschen. Die Siegtalbrücke stammt aus 1969, die Talbrücke Landskroner Weiher aus 1967, die Talbrücke Ottfingen aus 1970. Die Liste ließe sich fortschreiben, allerdings ist nicht jede alte Brücke automatisch aktuell ein Sicherheitsrisiko. Doch klar ist: Der Fall Rahmedetalbrücke versetzt die Autobahn GmbH in Alarmbereitschaft. 2017 fand an der Brücke auf Lüdenscheider Stadtgebiet eine Regelprüfung statt. Laserscans gab es zu diesem Zweck damals noch nicht. Die Brücke erhielt gute Noten bezüglich der Standfestigkeit, und ein Neubau wurde verschoben. Nun sind die Verantwortlichen offenbar vom vorzeitigen Verfall überrascht worden und müssen unter Hochdruck Lösungen finden. Allein in diesem Jahr sind fünf Brückenbauprojekte an der A45 neu aufgenommen worden. Der Neubau der Lennetalbrücke konnte nach acht Jahren abgeschlossen werden. Reform in Gang setzen Jetzt soll es schneller gehen. Das fordert auch die neue NRW-Verkehrsministerin Ina Brandes. „Die aktuelle Situation an der Talbrücke Rahmede zeigt, dass wir bei Planung, Genehmigung und Bau erheblich schneller werden müssen“, sagte sie. Das gelte insbesondere für die Realisierung von Autobahnbrücken. Deshalb habe das Ministerium bereits vergangenes Jahr im Bundesrat eine Initiative für mehr Tempo eingebracht. „Kernpunkt ist, dass Ersatzneubauten ohne Umweltverträglichkeitsprüfung und erneutes Planfeststellungsverfahren realisiert werden können. Damit wären wir mehrere Jahre schneller“, sagte Brandes. Sie werde sich bei der neuen Bundesregierung am Beispiel der A45 dafür stark machen, „dass wir eine Reform für Ersatzneubauten in Gang setzen“. Foto: iStock Elfriede Sauerwein-Braksiek vergleicht die Konstruktion mit einer Cola-Dose. Schon ein kleiner Knick, eine Beule, eine Verformung reiche aus, damit die Büchse unter der Last nachgibt.
14 A45-BRÜCKE Hagen Dann fahren sie eben woanders lang. Und in der Not auch an Straßensperrungen vorbei. Nach dem klar ist, dass die A 45 zwischen LüdenscheidNord und Lüdenscheid wegen Schäden an der Talbrücke Rahmede noch lange gesperrt bleiben wird, versuchen viele Autofahrer, den Problempunkt zu umfahren. Ein Blick auf die alternativen Routen. Wir legen die Strecke Pressehaus (Schürmannstraße in Hagen) zum Möbelmarkt Sonneborn, der direkt an der A45-Ausfahrt Lüdenscheid-Süd liegt, zugrunde. Also hinter der Sperrung. Offizielle Umleitungsstrecken (in unserer Grafik grün) sind die B 54 durchs Volmetal und die B 236 via A 46, Letmathe und Altena. Knapp über 50 Minuten über die B 54 und etwas über eine Stunde über die B 236. Attraktiver scheinen für viele Pendler aber drei andere Routen zu sein. Unter anderem der Schleichweg von der Autobahnausfahrt Hagen-Süd über die Kattenohler Straße (Milchenbach, Stollen Hundsdiek, Sürenhagen, Nimmertal, Rölvede, Bölling, Wersbecke und dann über die Umleitungsstrecken). Er dauert 53 Minuten. „Wir spüren die Ausweichverkehre deutlich“, sagt Gretel Becker, deren Pension in Sürenhagen direkt an der Strecke liegt. Sperrungen werden umfahren Obwohl es derzeit wegen Flutschäden verboten ist, nutzen viele Fahrer den Schleichweg über die Obernahmer und ab dem Lahmen Hasen entweder über den Wördener Bach oder über die Nahmer Schweiz. Die Obernahmer entlang der Nahmer Schweiz über die Brenscheider Mühle zur Landstraße 692 liegt auf Hagener Stadtgebiet. Am 14. Juli wurde beim Hochwasser hier eine Stützwand nicht weit entfernt vom Koenigsee eingerissen. Ein Straßenabschnitt soll laut Stadtverwaltung deswegen zeitnah seitlich um etwa drei Meter auf eine private Fläche verschoben werden. Auf einer Länge von 40 Metern. „Aktuell befindet sich die Stadt in positivemAustauschmit demEigentümer“, sagt Stadt-Pressesprecherin Clara Treude. Öffnungszeitpunkt noch unklar. Viele Autofahrer ignorieren die Sperrung allerdings einfach und fahren weiter hindurch. Genau wie über den Wördener Bach zur K 24. Der untere Teil der Strecke gehört zu Hagen, der Rest zur Gemeinde Nachrodt. Im oberen Bereich der Strecke müssen noch drei Bachdurchlässe saniert werden, erklärt Marc Trappe von der Gemeinde. Die Asphaltarbeiten im unteren Bereich der Strecke könnten erst stattfinden, wenn die Stadt Hagen mit ihren Maßnahmen dort fertig sei, da die Baulogistik über Hohenlimburger Gebiet laufen müsse. Er rechnet mit einer Fertigstellung Mitte Februar. Bis dahin rauschen täglich zahlreiche Fahrer völlig ignorant an den Sperrschildern vorbei über eine Strecke, auf der man jeder Zeit von der unterspülten Straße rutschen kann. DAS GROSSE SCHLEICHEN DURCH HAGEN Mike Fiebig A45-Sperrung: Längst haben sich alternative Routen etabliert. Viele Fahrer ignorieren dabei Durchfahrtsverbote 21. DEZEMBER 2021
15 A45-BRÜCKE Foto: iStock
16 A45-BRÜCKE 550 KILOMETER PENDELN FÜR DIE LIEBE Laura Handke Breckerfelder lebt mit seiner krebskranken Frau in Ostfriesland. Jede Woche muss er für den Job in die Heimat Jens und Josey aus Breckerfeld an ihrem Umzugstag in Ostfriesland. Sie genießen die Natur und die Ruhe in der neuen Heimat. Foto: Privat / Hagen, WP 31. DEZEMBER 2021
17 A45-BRÜCKE Breckerfeld Es ist eine Liebesgeschichte, die wir hier zum Jahreswechsel erzählen. Weil sie Mut macht und irgendwie hoffnungsvoll ist. Weil sie zeigt, dass auch wenn schwere Schicksalsschläge einen treffen, das Leben weitergeht – und man das Positive sehen kann. 600 Kilometer fährt Jens (51) aus Breckerfeld einmal in der Woche. Der Liebe wegen. Der Arbeit wegen. Der Gesundheit wegen. Für seine schwerkranke Frau Josey. Jens ist in Breckerfeld aufgewachsen, mittlerweile lebt er mit seiner Frau in Ostfriesland. Sie hat einen Gehirntumor. Muss mit Chemotherapie behandelt werden. „Vermutlich mein Leben lang“, sagt die gebürtige Sauerländerin. Vor gut zwei Monaten sind sie umgezogen. Von Breckerfeld nach Ostfriesland, in einen kleinen Ort im Kreis Leer. Pure Idylle. „Wir haben uns ganz bewusst zu diesem Schritt entschlossen, da meine Frau seit 2016 krebsbedingt schlechter zu Fuß ist und wir beide hier im Norden besser mit der Luft, dem Wetter allgemein und der flacheren Region zurecht kommen“, erklärt ihr Mann. Und: Natürlich möchte er möglichst bei seiner Frau sein, falls es ihr krankheitsbedingt nicht gut geht. Bis jetzt klappt alles gut. „Wir bereuen den Schritt nicht, fühlen uns hier pudelwohl“, ist sich das Ehepaar einig. Mehr als 500 Kilometer Strecke Jens und Josey lernen sich 2017 kennen, gut ein Jahr nach der Krebsdiagnose bei Josey. 2020, mitten in der Coronazeit, heiratet das Paar – trotz der Umstände. „Wir wollten es nicht länger aufschieben“, sagt Josey. In dem Jahr fängt das Paar auch an, über einen Umzug nachzudenken. Vor gut zwei Monaten wird der Traum dann endlich Wirklichkeit. Nach dem Umzug hat Jens seinen Job in Lüdenscheid aber nicht gekündigt – er arbeitet als Mediengestalter und seitdem hauptsächlich aus dem HomeOffice. „Einmal pro Woche komme ich für zwei Tage nach Breckerfeld und fahre morgens von dort aus nach Lüdenscheid ins Büro. Dienstags nach Feierabend fahre ich dann knapp 300 Kilometer zurück“, gibt der 51-Jährige Einblicke. Er ist einer von 1484 Einpendlern, wiederum 3321 Bürger pendeln von der Hansestadt aus zur Arbeit. Auf ihn trifft also gewissermaßen beides zu. Leider hat sich das Ehepaar aber eine Zeit ausgesucht, in der es diverse Herausforderungen gerade für Pendler gibt. Da ist zum einen die A 45-Sperrung, weil die Rahmedetalbrücke gesperrt ist: „Nach Lüdenscheid braucht man dadurch über die B54 durch das Volmetal beträchtlich länger“, sagt Jens. Der Rückweg sei besonders lästig: „Einmal stand ich eine Stunde mit dem Auto im Industriegebiet Freisenberg, weil es durch den Stau nicht voran ging.“ Alles wird teurer Hinzu kommt, dass alles teurer geworden ist. Energie- und Spritkosten steigen, und beispielsweise Zusätze für Diesel, wie AdBlue, sind oder werden knapp und entsprechend teurer. „Das ist ärgerlich. Aber wir haben uns ja bewusst entschieden, diesen Schritt zu gehen. Und wir wollen versuchen, es zu meistern, so lange es finanziell geht. Vor allem weil mein Job mir Spaß macht, ich arbeite gerne in Lüdenscheid. Aber meiner Frau und mir tut das Leben in Ostfriesland gut. Wir werden also bleiben.“ Wir haben uns bewusst zu dem Schritt entschlossen, da meine Frau krebsbedingt schlechter zu Fuß ist und wir hier im Norden besser mit der Luft und der flacheren Region zurecht kommen. Jens (51), aus Breckerfeld, ist nach Ostfriesland gezogen und pendelt jede Woche für die Arbeit in die Hansestadt. funkegrafik nrw / Hagen, WP Bremerhaven Leeuwarden Bremen Münster Düsseldorf Osnabrück Köln Niederlande Ostfriesland Breckerfeld Werdohl 274 km © OpenStreetMap contributors FUNKEGRAFIK NRW: MARC BÜTTNER | QUELLE: IT.NRW 33 km N o r d r h e i n - W e s t f a l e n N i e d e r s a c h s e n Pendler von und nach Breckerfeld über die Gemeindegrenze in 2020 Auspendelnde Einpendelnde 3.321 1.484
18 A45-BRÜCKE Hagen Alles soll versucht werden, um die Folgen durch die gesperrte Rahmedetalbrücke an der A45 bei Lüdenscheid möglichst zu minimieren. Die seien nämlich durchaus mit denen eines katastrophalen Ereignisses vergleichbar, sagt Ralf Geruschkat, Hauptgeschäftsführer der südwestfälischen Industrie- und Handelskammer zu Hagen (SIHK). Und zieht einen Vergleich, der ungewöhnlich erscheint – mit dem tödlichen Brückeneinsturz in Genua, Italien, im Jahr 2018. Gemeint sei damit aber keinesfalls die Katastrophe selbst, betont er: „Hier ist zum Glück nichts eingestürzt, das ist nicht zu vergleichen.“ Aber: Nur zwei Jahre später stand in Genua die neue Brücke, nach rund 300 Arbeitstagen fuhren dort wieder Lkw. Den Neubau schnellstmöglich umzusetzen, das müsse auch hier das Ziel sein, sagt Geruschkat. „Wie also beschleunigen wir die bisher gängigen Verfahren?“ Genua soll sagen, wie es abläuft Ideen dazu hat die SIHK bereits parat: Denn die ersten Gespräche hat Ralf Geruschkat mit der Auslandshandelskammer in Italien geführt, bereits im Januar soll eine virtuelle Runde mit den damaligen Bau-Verantwortlichen aus Genua organisiert werden. „In Folge des Unglücks wurde in Italien nämlich etwas richtig gemacht: Sie haben schnell Aufträge vergeben, genehmigt und gebaut“, sagt der Hauptgeschäftsführer. Sich über diese Erfahrungen auszutauschen, sei also ein guter und wichtiger Weg, um das Bauvorhaben auch hier voranzubringen. Denn eine solche Beschleunigung sei Neuland für alle. Und dabei gehe es nicht um die Bauzeit, „da vertraue ich auf unsere Firmen“, sagt Geruschkat. Was wirklich wichtige Zeit koste, seien die Genehmigungs- und Planungsverfahren, bis überhaupt mal ein Bagger anrollen dürfe. Um dem „Schema F“ zu entkommen, brauche es einen Sonderbeauftragten, ist er sicher. So sei es auch in Genua gewesen. Im Idealfall sollte der mit Hilfe des Bundes gefunden werden und Erfahrungen in der Politik, Verwaltung und im Bauwesen mitbringen. „Damit wir neue Wege gehen können.“ Außerdem müssten Planung und Bau aus einer Hand kommen, „nur so ging es in Genua so schnell“, weiß Geruschkat. Doch selbst wenn es möglich sein sollte, die Zeit bis zum Neubau der Talbrücke Rahmede um Jahre zu verkürzen – bisher war eher von vielleicht fünf oder sechs Jahren die Rede – muss diese Zeit der Sperrung trotzdem überwunden werden. Die Kammern in Südwestfalen haben dabei vor allem die Wirtschaft im „WIR MÜSSEN NEUE WEGE GEHEN“ Dana Mester Blick, denn sicher ist, dass Schwerlastverkehr erst wieder über einen Neubau rollen wird. Die IHK Siegen investiert zum Beispiel 50.000 Euro in Studien, die Lösungen und Wege für einen beschleunigten Bau finden sollen. Unterstützt wird das von allen Kammern, weiß Geruschkat. Güter auf Schienen verlagern Doch darüber hinaus müssten buchstäblich auch neue Wege gefunden werden: über die Schienen. Die SIHK hat gerade eine Abfrage gestartet, um herauszufinden, welche Firmen ihre Güter auf die Gleise verlegen können. Auch, um die überlastete Verkehrssituation zu entschärfen. Das läuft in Absprache mit dem Verkehrsministerium NRW, das gegebenenfalls nötige Gelder zur Verfügung stellen könnte. Details darüber hat das Ministerium bislang noch nicht beantwortet. „Wir wissen, dass wir damit nicht alles auffangen können, aber jeder zusätzliche Transport auf der Schiene hilft“, sagt Geruschkat. Gut sei das auch hinsichtlich der Klimapolitik, hoher Spritkosten und des Fahrermangels. „In Italien wurde etwas richtig gemacht: Sie haben schnell Aufträge vergeben, genehmigt und gebaut.“ Ralf Geruschkat SIHK-Hauptgeschäftsführer Nach nur zwei Jahren stand der Neubau der eingestürzten Brücke in Genua – aber ist das auch hier möglich? Die SIHK jedenfalls spricht mit den Italienern – und prüft Optionen 02. JANUAR 2022
19 A45-BRÜCKE Die Talbrücke Rahmede wird zwar für den Autoverkehr verstärkt, Lkw dürfen hier aber nicht mehr fahren. Foto: www.blossey.eu / Lüdenscheid, FFS-NW
20 A45-BRÜCKE Lüdenscheid Zehntausende Fahrzeuge, die Umwege nehmen müssen. Etliche Millionen Euro, die aufgebracht werden müssen, bis die A-45-Brücke Rahmedetal in Lüdenscheid in einigen Jahren wieder befahrbar sein wird. Doch hinter diesen monströsen Zahlen stecken einzelne Menschen, die die Nachricht am Freitag voll getroffen hat, dass nun auch keine Pkw mehr über die Brücke fahren dürfen. Fünf von ihnen lassen wir zu Wort kommen. Der Pendler Freunde hatten ihm die Online-Eilmeldung unserer Zeitung per WhatsApp zugeschickt. „Ehrlich: Da hätte ich am liebsten mein Handy in die Ecke geworfen“, sagt Mazlum Özgen . „Das ist einfach eine Katastrophe.“ Jeden Tag muss der Fliesenleger von Kreuztal im Siegerland zur Arbeit nach Iserlohn fahren.Konkret bedeutet das für den 28-Jährigen: Morgens um 5.20 Uhr aufstehen statt wie sonst um 6.20 Uhr. Mazlum Özgen hatte so gehofft, dass es nur um ein paar Monate geht, dass er ab Frühjahr wieder mit dem Pkw über die dann notdürftig verstärkte Brücke würde fahren können. Doch jetzt: Jahrelang Umleitungen. Nach Lüdenscheid fährt er bis zur Sperrung auf der A45, dann weiter durch die Stadt und Altena nach Iserlohn. „Jetzt überlege ich, den Zug zu nehmen. Ich weiß nur nicht, wie zuverlässig der ist.“ Der Kurierdienst „So ein Mist“, sagt Klaus Huckschlag, als ihn die neue Hiobsbotschaft von der A45 erreicht. Der 56-Jährige betreibt in Menden einen Express-Kurierdienst mit zehn Fahrzeugen und fährt häufig ins Rhein-Main-Gebiet. „Für meine Branche ist das eine Katastrophe.“ Drei, vier Monate Umwege in Kauf zu nehmen, das sei ja noch in Ordnung. Aber nun bis zu fünf Jahre? Wenn seine Kunden anrufen, muss es meistens schnell gehen, weil zum Beispiel dringend benötigte Ersatzteile geliefert werden, weil irgendwo ein Band still steht. Nun dauert es je „DAS IST EINFACH KATASTROPHAL“ Dana Mester, Martin Korte und Michael Koch nach Ziel ein bis zwei Stunden länger. „Die Fahrer entscheiden selbst, welche Umleitungsstrecke die beste ist“, sagt Huckschlag. Nachts könne man durch Lüdenscheid fahren. „Aber nachmittags um 17 Uhr? Auf keinen Fall.“ Bisher hätten seine Kunden Verständnis – auch, dass er die Kosten für Zusatzzeit und Mehr-Kilometer an sie weitergeben muss. Der Brücken-Anlieger Markus Schmidt lebt im Ungewissen. Und dieses Gefühl ist seit Freitag nicht besser geworden. „Wir haben noch gar keine offiziellen Informationen, wie es hier unten weitergehen soll.“ Schmidt betreibt unterhalb der Rahmedetalbrücke an der Altenaer Straße in Lüdenscheid eine KfZ-Werkstatt und einen Tunig-Betrieb. „Wir arbeiten teilweise wochenlang an den Autos, die stehen dann auf dem Hof“, sagt er. „Wie soll das gehen, wenn hier jahrelang eine Baustelle mit viel Dreck ist?“ Schon Auch für Pkw bleibt die marode A-45-Brücke gesperrt. Fünf Menschen, die mit den Folgen jahrelang leben müssen 07. JANUAR 2022 Fotos: Bonsendorf/privat / WP / Menden, WP Foto: Privat / Zentrale, WP „45 bis 50 Minuten habe ich für die Strecke gebraucht, jetzt sind es eineinhalb bis zwei Stunden.“ Mazlum Özgen Pendler Markus Schmidt Klaus Huckschlag
21 A45-BRÜCKE Region Rahmedetalbrücke Abriss Manuela Nossutta/Funkegrafik NRW / Zentrale, WP jetzt kämpft der Betrieb mit den Folgen des Verkehrs, auch wenn er nicht an der offiziellen Umleitung liegt: „Aber der Rückstau reicht bis vor unseren Betrieb.“ Kunden erreichen den Laden schlechter, mal eben eine Probefahrt machen, wird viel schwieriger. Denkt er über einen Standortwechsel nach, jetzt, wo klar ist, dass noch nicht einmal mehr Pkw über die Brücke fahren können? „Wir sind ja erst seit drei Jahren hier und einen neuen Standort in Lüdenscheid zu finden, ist schwer.“ 2 km © OpenStreetMap contributors HAGEN LÜDENSCHEID Waldbauer/Zurstraße Dahl Letmathe Hohenlimburg Veserde Heedfeld Nachrodt Altena Breckerfeld Schalksmühle Halver Werdohl Neuenrade Hagen-Süd Lüdenscheid-Süd Fuelbecker Talsperre lbecker Talsperre Versetalsperre Glörtalsperre Glörtalsperre Ennepetalsperre Vollsperrung 46 236 229 54 54 Lüdenscheid-Mitte Lüdenscheid-Nord Lüdenscheid-Mitte Lüdenscheid-Nord Wiblingwerde 45 45 Ozielle Umleitung über Altena und Werdohl FUNKEGRAFIK NRW: MANUELA NOSSUTTA FOTO: DPA Rahmedetalbrücke wird abgerissen Umleitung durch Lüdenscheid Umleitung über B 54 durch Schalksmühle Umleitung über B 236 durch Altena 229 Die Rahmedetalbrücke ist Geschichte Die A 45 ist bei Lüdenscheid seit dem 2. Dezember wegen der maroden Rahmede-Brücke voll gesperrt. Jetzt soll sie abgerissen werden. Bauzeit: 1965 bis 1968 Länge: 453 m Höhe: 75 m Die Trasse der Autobahn verläu im Bereich der Brücke gekrümmt. Fahrzeuge pro Tag Zurzeit wird gesprü, ob eine Sprengung der Brücke möglich ist. Das Bauwerk ist eine Stahlverbundkonstruktion und hat einen gemeinsamen Überbau für beide Richtungsfahrbahnen. Seit der Sperrung der A 45 herrscht in der Region ein Verkehrschaos. 64.000 Lkw pro Tag 13.000 Dortmund Köln Olpe Siegen Essen Bochum Koblenz Brilon Sperrung Leverkusen LÜDENSCHEID Hagen 20 km 45 44 46 45 4 1 Umleitungsempfehlung: Ab Westhofener Kreuz die A 1, ab Olpe die A 4 nutzen. Westhofener Kreuz esthofener Kreuz Der Bürgermeister „Die Stimmung ist nicht gut, das ist keine große Überraschung“, sagt Sebastian Wagemeyer , Bürgermeister der Stadt Lüdenscheid. Staus und Verkehrschaos sind dort seit der Sperrung der Rahmedetalbrücke Alltag. Zwar habe sich die Lage ein wenig verbessert, weil die Stadt die Verkehrsführungen geändert habe, „aber es ist noch immer viel zu viel LkwVerkehr in der Stadt, der hier eigentlich nicht durch müsste“, sagt Wagemeyer. Um das zu ändern, „erwarte ich schon eine verstärkte Anstrengung auf allen Ebenen.“ Der Optimist Ja, Thomas Walter musste auch erst einmal die Nachricht verdauen, dass er jetzt jahrelang nicht über die Autobahn von Hagen nach Meinerzhagen fahren kann, wo er als Lehrer an einem Gymnasium arbeitet. Eine Stunde mehr sitzt er jetzt pro Tag im Auto. „Aber es gibt Schlimmeres“, sagt der Hagener. „Und deshalb halte ich mich an den Spruch: Glücklich ist, wer vergisst, was doch nicht zu ändern ist.“
22 A45-BRÜCKE A-45-BRÜCKE NIE WIEDER BEFAHRBAR Martin Korte Zustand des Bauwerks der Sauerlandlinie hat sich verschlechtert. Es muss abgerissen oder gesprengt werden. Diskussion über die Dauer der Komplettsperrung hält an Hier geht es nicht weiter, nie mehr. Die Rahmedetalbrücke der A 45 bleibt bis zum Abriss oder zur Sprengung gesperrt. 07. JANUAR 2022
23 A45-BRÜCKE Lüdenscheid Die marode Rahmedetalbrücke der Sauerlandlinie wird nie wieder für den Pkw-Verkehr freigegeben. Das 53 Jahre alte Bauwerk ist derart stark beschädigt, dass eine Sanierung nicht sinnvoll ist, teilte die Autobahn GmbH mit. „Diese Brücke wird nie wieder befahren werden, weder von Lkw noch von Pkw“, sagte Elfriede Sauerwein-Braksiek, Direktorin der Autobahn-Niederlassung Westfalen. Damit bleibt die A45 bei Lüdenscheid mehrere Jahre bis zur Fertigstellung eines Neubaus komplett gesperrt. Ursprünglich war geplant, die Brücke innerhalb von drei bis vier Monaten soweit herzurichten, dass sie zumindest von Fahrzeugen bis zu einem Gesamtgewicht bis 3,5 Tonnen wieder befahren werden könnte. Nun hätten neue statische Berechnungen ergeben, „dass wir die Brücke nicht ertüchtigen können“, sagte Sauerwein-Braksiek. Demnach haben sich die Beulen in den Blechen des Hauptträgers vergrößert, zudem sind erhebliche Korrosionsschäden und Risse an Stahlträgern aufgetreten. Ziel müsse es nun sein, die Brücke möglichst schnell zu sprengen oder abzureißen. Ob eine Sprengung machbar sei, werde geprüft. Falls nicht, müsse die Brücke mittels eines unterhalb aufgestellten Gerüsts abgebaut werden. Das sei sehr zeitaufwendig. Zwar sei das Bauwerk nicht einsturzgefährdet, weil kein Verkehr rollt, Baufahrzeuge dürften es allerdings nicht befahren. „Die neuen Erkenntnisse erhöhen den Druck auf die Verantwortlichen, den Neubau der Brücke deutlich zu beschleunigen“, sagte Marco Voge (CDU), Landrat des Märkischen Kreises, dieser Zeitung. Für die betroffenen Anwohner und die Wirtschaft in der Region, die seit der Sperrung der Autobahn Anfang Dezember unter dem Umleitungsverkehr leiden, sei die Nachricht eine Katastrophe. Die erneute Hiobsbotschaft hat möglicherweise einen positiven Nebenaspekt: Wenn die Brücke gesprengt oder zurückgebaut würde, könnte das den Neubau beschleunigen. Die Autobahn GmbH geht von einer Neubauzeit von mindestens fünf Jahren aus. Wirtschaft und Politik fordern zwei Jahre. Für dieses Tempo müsste allerdings das Planungsrecht geändert werden. Das Planfeststellungsverfahren und die Umweltverträglichkeitsprüfung müssten drastisch verkürzt werden oder komplett entfallen. Sauerwein-Braksiek betonte erneut, dass sie eine Bauzeit von zwei Jahren für unrealistisch hält. Außer den Baugrunduntersuchungen stünden dem unter anderem EU-weite Ausschreibungen, planungsrechtliche Auflagen und die nicht feststehende Dauer des Abrisses im Weg. „Unser Ziel bleibt fünf Jahre. Dann hätten wir schon eine Rekordzeit erreicht“, sagte sie. Foto: Ralf Rottmann/ Funke Foto Services
24 A45-BRÜCKE Die A45 - wie wichtig und wie besonders sie ist, wurde in den vergangenen Wochen sichtbar: Durch die Sperrung der maroden Talbrücke Rahmede kam und kommt es rund um Lüdenscheid zum Verkehrschaos. Das A in A45 könnte auch stehen für: alternativlos. Und so ist das fast überall auf der Sauerlandlinie, der Königin der Autobahnen, die über den Tälern Südwestfalens thront. Zwischen Westhofener Kreuz und hessischer Grenze müssen 32 Talbrücken – bis zu 1000 Meter lang und 100 Meter hoch – bei laufendem Autobahn-Betrieb erneuert werden. Das steht lange fest. Bis 2035 soll das erledigt sein. Klappt das? Und in welchem Zustand sind die anderen Brücken? 6Fragen zum Planungsstand eines Mammutprojektes. 1.Wie ist der Zustand der Brücken? Die 32 Talbrücken wurden mehrheitlich binnen weniger Jahre Ende der 60er- und Anfang der 70er-Jahre fertig. Problem: Geplant waren sie zum Teil nur für eine Last von 20.000 Autos am Tag. Mittlerweile sind es aber auf vielen Abschnitten mehr als 65.000 – ein Fünftel davon Lkw mit damals unvorstellbaren Achslasten. Der Verschleiß ist immens, wie die Talbrücke Rahmede zeigt: Verformungen im Stahl, Risse, Korrosionsschäden. Ein Einsturz war bei weiterer Benutzung nicht auszuschließen. 15 von 32 Talbrücken weisen Brückenteile aus, die lediglich mit ausreichend benotet wurden. 2.Wie werden Brücken geprüft und benotet? Alle sechs Jahre findet eine Hauptprüfung an allen Brücken statt. Dazwischen – nach drei Jahren – eine einfache Prüfung. Zudem gibt es jährliche Sichtprüfungen, um Schäden rechtzeitig zu erfassen. Jede Brücke erhält eine Zustandsnote. Die Skala reicht von sehr gutem Zustand bis ungenügend. Allerdings: Die Benotung bezieht sich nicht allein auf die Standfestigkeit, sondern berücksichtigt auch Fahrbahnqualität oder Schäden am Geländer. Das Projekt „neue A45“ läuft seit 2013 3.Wie ist der Baufortschritt auf der A45? Das Projekt „neue A45“ läuft seit 2013 mit dem Spatenstich für die Lennetalbrücke in Hagen . Diese konnte mit dreijähriger Verzögerung 2021 fertiggestellt und freigegeben werden. Weitere Bauwerke sollten nach ursprünglicher Planung bereits fertig sein: die Talbrücken Kattenohl und Brunsbecke in Hagen, an denen die Arbeiten 2017 begannen, aber nun schon lange wieder ruhen, weil die Bodenbeschaffenheit unvorhergesehene Probleme bereitet. Ähnlich ist es bei der Talbrücke Sterbecke zwischen Hagen und Lüdenscheid: Dort soll 2022 mit demBau begonnen werden – mit deutlicher Verzögerung. Nahe der hessischen Grenze haben die Arbeiten zudem an den Talbrücken Eisern und Landeskroner Weiher begonnen, auf den Talbrücken Rälsbach und Rinsdorf ist schon eine Teilfreigabe erfolgt und A45: KANN SICH DER FALL RAHMEDETALBRÜCKE WIEDERHOLEN? Daniel Berg eine Sprengung der alten Bauwerke für Februar geplant. 4.Gerät das Projekt „neue A45“ in Verzug durch den Zwischenfall Rahmedetalbrücke? Die Autobahn GmbH brütet seit Wochen über einem neuen Zeitplan für die A45: Auf Nachfrage konnte sie keine final aktualisierte Fassung vorlegen. Diese Redaktion fragte deswegen zumindest nach zehn Brücken, deren Baubeginn in den Jahren 2021 und 2022 liegen sollte. Ergebnis: Nur ein Projekt (Büschergrund) wird wie geplant begonnen, die anderen neun (z.B. Sürenhagen, Eichelnbleck, Schlittenbach) frühestens 2027. Alle anderen Brücken? Könnten womöglich noch später erst gebaut werden. Noch liegen deren Daten nicht vor, weshalb die Grafik die Daten der bis dato letzten Planung zeigt. Gleichzeitig, betont Elfriede Sauerwein-Braksiek, Direktorin der Autobahn GmbH Westfalen, sei man „gut aufgestellt, um die Projekte umzusetzen“, da die A45 im Fokus der Arbeiten stehe. Langfristiger Verzug? „Nein, im Gegenteil. Die Planungen, die A45 für die Zukunft leistungsfähig auszubauen und die große Zahl an Talbrücken zu erneuern, laufen mit besonderem Hochdruck“, heißt es vom AutobahnManagement. Der Fall Rahmede verdeutlicht, wie dringend diese Autobahn von Spediteuren, Berufspendlern und Normalbürgern benötigt wird. Der 12. JANUAR 2022
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