TLZ | Dossier | Rot-Weiss Erfurt - 30 Jahre UEFA-Cup

30 JAHRE UEFA-CUP ROT-WEISS ERFURT INKLUSIVE SPEZIAL RÜCKKEHR IN DIE REGIONALLIGA 2022

2 30 JAHRE UEFA-CUP RWE Liebe Leserinnen, liebe Leser, genau 30 Jahre nach den legendären Spielen im Europapokal, hat der FC Rot-Weiß Erfurt nun die lang ersehnte Rückkehr in die Regionalliga geschafft. Es soll nach schwierigen Jahren der erste Schritt aus der Talsohle sein. Geholfen dabei hat auch die Treue der Fans zu ihrem Traditionsverein. Magische Momente erlebte der Klub, als die DDR-Fußball-Oberliga ihre letzten Spiele erlebte. Platz drei in der Saison 1990/91 bedeutete die Qualifikation für die 2. Bundesliga und den UefaCup. Ein Novum in der Clubhistorie. Erinnern Sie sich noch an Fabinskis Tor gegen Brandenburg, an Disztls Glanzparaden gegen Groningen oder an van Gaals Auftritt mit Amsterdam? 30 Jahre danach lassen wir mit den Protagonisten von einst die Spiele Revue passieren und blicken zurück auf besondere Momente und kuriose Anekdoten. Kommen Sie mit auf eine spannende Zeitreise! IMPRESSUM FUNKE Thüringen Verlag GmbH | Gottstedter Landstraße 6 | 99092 Erfurt | redaktion@tlz.de Geschäftsführer: Andrea Glock, Simone Kasik, Christoph Rüth, Michael Tallai Chefredakteur: Nils R. Kawig Registergericht Jena HRB 101326 Gestaltung und Umsetzung: FUNKE Redaktions Services 30 JAHRE UEFA-CUP RÜCKKEHR IN DIE REGIONALLIGA Marco Alles, Sportchef von FUNKE Medien Thüringen, ist Autor der Serie.

3 30 JAHRE UEFA-CUP RWE INHALT 01 Romstedts Riecher Seite 04 - 05 ......................................................................................................... 02 Der geklaute Elfmeter Seite 06 - 07 ......................................................................................................... 03 Erstmals Dritter Seite 08 - 09 ......................................................................................................... 04 An der Ehre gepackt Seite 10 - 11 ......................................................................................................... 05 Rückschlag ohne Folgen Seite 12 - 13 ......................................................................................................... 06 Liebling Rudwaleit Seite 14 - 15 ......................................................................................................... 07 Party im Regen Seite 16 - 17 ......................................................................................................... 08 Fabinski schreibt Geschichte Seite 18 - 19 ......................................................................................................... 09 Geschenk des Himmels Seite 20 - 21 ......................................................................................................... 10 Das Schlitzohr Seite 22 - 23 ......................................................................................................... 11 „Das brennt sich ein“ Seite 24 - 25 ......................................................................................................... 12 Wiedersehen mit van Gaal Seite 26 - 27 ......................................................................................................... 13 Über den Wolken Seite 28 - 29 ......................................................................................................... 14 Der unbezwingbare Riese Seite 30 - 31 ......................................................................................................... 15 Mitten ins Herz Seite 32 - 33 ......................................................................................................... 16 Das Tor seines Lebens Seite 34 - 35 ......................................................................................................... 17 Vom Balljungen zum Publikumsliebling Seite 36 - 37 ......................................................................................................... 18 Belohnung von Wouters Seite 38 - 39 ......................................................................................................... 19 Als van Gaal die Wände wackeln ließ Seite 40 - 41 ......................................................................................................... 20 Stolz und Schmerz Seite 42 - 43 ......................................................................................................... SPEZIAL - RÜCKKEHR IN DIE REGIONALLIGA 2022 21 „Ich bin stolz auf die Mannschaft“ Seite 44 - 45 ......................................................................................................... 22 Zurück auf der Fußball-Landkarte Seite 46 - 47

4 30 JAHRE UEFA-CUP RWE Armin Romstedt (64), Torschütze beim 1:0Sieg am 6. April 1991 bei Energie Cottbus, blickt zurück. Was für eine Szene! 67 Minuten waren an jenem Samstagnachmittag in Cottbus gespielt, als den mitgereisten Rot-Weiß-Fans der Atem stockte. Nach einem Konter über Thomas Vogel scheiterte Armin Romstedt freistehend an Ananiew, um den EnergieKeeper im zweiten Anlauf noch zu überwinden. Zunächst sprang sein Kopfball an den Innenpfosten und erst von dort über die Linie. Der Klärungsversuch von Gegenspieler Pohland per Fallrückzieher blieb erfolglos. „Eigentlich muss ich die erste Chance ja schon nutzen“, meint der Torschütze rückblickend und lacht: „Aber drin ist drin.“ Und dank Romstedts Abstauber setzten die Erfurter ihre Aufholjagd fort. Die erste Halbserie der letzten DDR-Oberliga-Saison hatten sie mit 13:13 Zählern abgeschlossen. Eine Bilanz, die sich selbst bei der damals noch geltenden Zwei-Punkte-Regel für einen Sieg bescheiden ausnahm. Um sich im Jahr eins nach der Fußball-Wiedervereinigung für die zweigleisige 2. Bundesliga zu qualifizieren, war eine bessere Ausbeute in der Rückrunde unabdingbar. „Wir wussten, um was es geht und hatten uns in der Winterpause eingeschworen. Das Klima in der Mannschaft war top“, sagt Romstedt. Dazu trug er einen entscheidenden Anteil bei; mit 34 Jahren bildete er als Kapitän das Bindeglied zwischen den Trainern Lothar Kurbjuweit und Rüdiger Schnuphase sowie den „jungen WilGlückliches Sturmduo: Vorbereiter Thomas Vogel (links) und Torschütze Armin Romstedt gehörten zu den Erfurter Aktivposten. FOTO: SASCHA FROMM ROMSTEDTS RIECHER Mit 1:0 in Cottbus läutet der FC Rot-Weiß den Endspurt ein – der Torschütze erinnert sich 01

5 30 JAHRE UEFA-CUP RWE den“ um Thomas Linke und Nico Scheller. Und weil der langjährige Torjäger Jürgen Heun an jenem 6. April 1991 schon nach 22 Minuten mit einer Wadenbeinprellung vom Feld humpeln musste, war auch Romstedts Torriecher mehr denn je gefragt. Mit insgesamt neun Treffern avancierte er damals zum besten Rot-Weiß-Schützen der folgenreichen Saison. Das Goldene Tor von Cottbus blieb ihm nicht nur wegen dessen Bedeutung in Erinnerung. Romstedt genoss im engen „Stadion der Freundschaft“ stets die mitreißende Atmosphäre: „5000 Zuschauer fühlten sich dort wie 10. oder 15.000 an. Das war immer ein Spektakel“, verrät der ExStürmer. Ihn trieben jedoch nicht nur lautstarke Kulissen an. Im Herbst seiner Karriere wollte er unbedingt noch den Sprung in die 2. Bundesliga schaffen. Ein Ziel, das ihm nicht nur sportlich viel abverlangte. „Das Profigeschäft war völliges Neuland für uns Spieler. Wir hatten keine Berater und mussten uns natürlich selbst kümmern und unsere Verträge aushandeln“, erinnert sich Romstedt an die spannende Nachwendezeit. Während sich Teamkollege Vogel längst mit dem 1. FC Kaiserslautern einig war, wollten Vermittler den Routinier nach Österreich oder in die Schweiz lotsen. Doch der bodenständige Typ blieb dem FC Rot-Weiß und seinem Heimatort Frankendorf treu: „Mir war es wichtig, in dieser turbulenten Zeit bei der Familie zu sein und zu Hause etwas aufzubauen.“ Sein Weg führte ihn später in die Selbstständigkeit. 1997 eröffnete der einmalige DDR-Nationalspieler (1:0 gegen Griechenland am 12. September 1984) ein Sportgeschäft in Erfurt, belieferte zahlreiche Fußballvereine aus der Region mit Trikots und Trainingsgeräten. Nicht selten kamen aber auch Fans in den Laden, um über die alten Zeiten zu sprechen. Die aufregenden Wochen im Frühjahr gehörten häufig dazu; endlich hatte es der FC Rot-Weiß mal geschafft, das Mittelmaß zu verlassen und die Spitze anzugreifen. Beim Sieg in Cottbus galt es zunächst noch einen Schreckmoment zu überstehen. In der 72. Minute hatte Lehmann einen Freistoß an den Pfosten gesetzt; aus dem Spiel heraus ließ die kompakte Abwehr vor Torhüter Peter Disztl aber nichts mehr zu. „Die Defensivstärke war unser Trumpf – und die schnellen Leute vorn“, meint Romstedt augenzwinkernd. Heute ist er trotz eines neuen Hüftgelenks nicht Armin Romstedt (64) heute. FOTO: M. ROMSTEDT mehr ganz so flink unterwegs. Von seinen Schussfahrten an den Südtiroler Alpinhängen mal abgesehen. Beruflich ist er heute für den Kreissportbund Weimarer Land tätig und kümmert sich um die Integration von Migranten durch den Sport. „Wir organisieren interkulturelle Turniere, sichten für Vereine oder helfen den jungen Menschen, im Sportverein Fuß zu fassen“, sagt Romstedt. Und manchmal, wenn es ihn überkommt, dann kickt er noch ein bisschen mit. Und versenkt den Ball im Tor. Wie damals in Cottbus. MONTAGE: A. WETZEL Ausriss: So wurde vor 30 Jahren über das Spiel berichtet.

6 30 JAHRE UEFA-CUP RWE DER GEKLAUTE ELFMETER Das 0:0 gegen Dresden sorgt für viel Ärger bei Rot-Weiß und einem Lehrling namens Linke Thomas Linke (51), ein Garant für das 0:0 am 13. April 1991 gegen Meister Dynamo Dresden. Na klar! „Das war doch der Wagenhaus“, sagt Thomas Linke. „Der hat den Ball fast gefangen. Ein glasklarer Elfer.“ Auch 30 Jahre später hat er die Schlüsselszene aus dem Heimspiel gegen Dresden noch vor Augen. In dem chancenarmen Duell am 13. April 1991 war der FC Rot-Weiß dem Siegtor deutlich näher als der amtierende DDR-Meister. Als der Dynamo-Verteidiger den Ball nach 76 Spielminuten auf der Torlinie mit der Hand aufhielt, rechneten die 9000 Zuschauer im Steigerwaldstadion fest mit einem Strafstoßpfiff. Doch zum Entsetzen aller Erfurter blieb die Pfeife von FifaSchiedsrichter Siegfried Kirschen stumm. „Ein Unding“, findet Linke noch immer. So ärgerlich dies an jenem Samstagnachmittag auch war; die ganze Tragweite des „geklauten“ Elfmeters sollte sich erst nach dieser richtungsweisenden Saison erschließen. Hätte die Rot-Weißen nämlich damals 1:0 gewonnen, hätten sie in der Endabrechnung Dresden überflügelt und wären als Tabellenzweiter sogar in der 1. Bundesliga gelandet. Wer weiß, wie sich der krisengeschüttelte Verein unter diesen Voraussetzungen entwickelt hätte? Thomas Linke schaffte 1992 den Sprung ins Oberhaus. Zunächst bei Schalke 04 und ab 1998 beim FC Bayern München avancierte der Junge aus Sömmerda zum erfolgreichsten Fußballer, den Thüringen je hervorgebracht hat. Seine Titelsammlung könnte kaum beeindruckender sein: Champions-League-Gewinner und Weltpokalsieger mit den Bayern 2001, Uefa-Cup-Sieger mit Schalke 1997, jeweils fünfmal deutscher Meister und Pokalsieger sowie Vizeweltmeister Beginn einer großen Karriere: Der spätere Nationalspieler Thomas Linke glänzte bereits mit 21.. FOTO: SASCHA FROMM 02

7 30 JAHRE UEFA-CUP RWE mit der deutschen Nationalelf 2002. „Was er erreicht hat, bedarf keiner Worte“, sagt Karsten Sänger, sein einstiger Partner in der Erfurter Innenverteidigung. „Er war 21. Und es war schon zu sehen, was er draufhat: Er war zweikampfstark, schnell und hat praktisch jeden Kopfball gekriegt. Da musste ich nicht mehr viel machen.“ Linke spricht ebenso voller Hochachtung von dem damaligen Abwehrchef: „Von Karsten habe ich viel gelernt. Er hat mich auf dem Platz gecoacht; mir immer gesagt, was ich besser machen kann.“ Gemeinsam lehrte das Duo damals die gegnerischen Angreifer das Fürchten. Gegen die Dresdner verurteilten Sänger und Linke deren Topstürmer Torsten Gütschow und Uwe Rösler zur Bedeutungslosigkeit. Insgesamt kassierte Rot-Weiß nur drei Gegentreffer in den letzten acht Oberliga-Partien. Ein Beleg für die Defensivqualität einer Mannschaft, die fortan immer selbstbewusster auftrat: „Wir spüren, dass etwas möglich ist und kamen in einen richtigen Lauf“, erinnert sich Linke. „Vieles ging leichter als sonst.“ Das Glück, das die Erfurter in manchen Spielen durchaus hatten, fehlte ihnen aber beim 0:0. Nicht nur der verweigerte Elfmeter erhitzte an jenem Samstagnachmittag die Gemüter. Schiedsrichter Kirschen ahndete außerdem eine Notbremse von Thomas Köhler an Thomas Vogel nicht mit Rot, sondern zückte nur die Gelbe Karte gegen den Dynamo-Torhüter (39.). Selbst die Jenaer Trainer-Legende Georg Buschner meinte Ausriss: So wurde damals über das Spiel berichtet. MONTAGE: A. WETZEL damals empört: „Seit der letzten WMEndrunde werden derartige Vergehen mit Feldverweisen bestraft. Da kann Herr Kirschen nicht eine andere Elle anlegen.“ Dass sich die Rot-Weißen von diesen Fehlentscheidungen nicht von ihrem Kurs abbringen ließen, sieht Linke in dem damaligen Teamgeist begründet: „Es gab eine klare Hierarchie in der Mannschaft. Die Alten haben die Jungen geführt. Da wurde nicht lange gehadert, sondern nach vorn geguckt. Wir waren alle auf das Ziel 2. Liga fixiert.“ Er selbst erklomm damit die erste Stufe auf seiner langen Karriereleiter. Mittlerweile hat sich der 51-Jährige aus dem Fußballgeschäft zurückgezogen, lebt in der Nähe des Starnberger Sees und widmet sich seiner Familie mit den beiden Kindern (5 und 7 Jahre). „Ich genieße das nach dem ganzen Stress“, sagt er und verweist auf seine Tätigkeit als Sportdirektor bei RB Salzburg (2007 bis 2011) und dem FC Ingolstadt (2011 bis 2019 mit Unterbrechung). „Das ist ein Job, der keine Freizeit zulässt. Man ist sieben Tage die Woche rund um die Uhr beschäftigt, hat praktisch kein Privatleben. Das wollte ich nicht mehr“, sagt Linke und betont: „Ich vermisse nichts. Ich bin glücklich, so wie es jetzt ist.“ FOTO: IMAGO Thomas Linke (51) heute.

8 30 JAHRE UEFA-CUP RWE ERSTMALS DRITTER In Rostock gelingt dem FC Rot-Weiß ein 1:0-Coup – auch dank des starken Abwehrchefs Karsten Sänger (58), der beim 1:0 bei Spitzenreiter Hansa Rostock am 19. April 1991 überragte. Nasskälte, eine frische Brise und Nieselregen: Es war ungemütlich an jenem Freitagabend im Ostseestadion. Doch die Rot-Weißen schienen sich bei dem Schmuddelwetter pudelwohl zu fühlen. Sie fügten den Rostockern mit dem überraschenden 1:0 nicht nur die zweite Niederlage überhaupt zu, sondern sprangen selbst zum ersten Mal in der richtungsweisenden Saison auf den dritten Platz. Jenen Rang, den sie auch zum Schluss innehatten. „Das war unsere beste Leistung gegen die damals klar beste Mannschaft“, meint Karsten Sänger zur umkämpften Partie unter Flutlicht. „Wir haben gut gestanden und gefährliche Konter gesetzt.“ Einer davon führte zum Goldenen Tor: Thomas Vogel ließ nach 69 Minuten erst Gegenspieler Gernot Alms aussteigen und dann Hansa-Torwart Daniel Hoffmann keine Chance. Damit belohnten sich die in Blau und Weiß angetretenen Erfurter für eine disziplinierte und mutige Vorstellung. Wie so häufig in jenen Wochen war die Defensive um Sänger der Erfolgsgarant. Gemeinsam mit Thomas Linke meldete er Hansas gefährliches Sturmduo Henri Fuchs und Florian Weichert vollkommen ab. „Und wir hatten das nötige Glück“, verweist Sänger auf einen Lattentreffer von Juri Schlünz (50.). Am Verdienst des Sieges gab es jedoch keine Zweifel. Die Gäste sprühten nach den erfolgreichen Vorwochen vor Selbstbewusstsein und verblüfften damit auch ihren Abwehrchef: „Wenn man ehrlich ist, muss man sagen: Wir waren allenfalls eine durchschnittliche Mannschaft. Aber wir haben es in der Rückrunde fast immer geschafft, am Limit zu spielen.“ Ihm selbst wurde damals eine ähnlich überragende Fokussiert: Erfurts Eigengewächs Karsten Sänger zählte in den achtziger Jahren zu den besten Defensivspielern in der DDR-Oberliga. FOTO: SASCHA FROMM 03

9 30 JAHRE UEFA-CUP RWE Form attestiert wie Mitte der achtziger Jahre, als er zum Kader des DDRNationalteams gehörte. Zwischen 1983 und 1987 brachte es das Erfurter Eigengewächs auf 16 A-Länderspiele und fünf Berufungen in die OlympiaAuswahl. Dabei stand für ihn die Saison zunächst unter keinem guten Stern. Nach dem 2:1 in Halle am zweiten Spieltag wurde er plötzlich des Dopings beschuldigt. Später kam heraus, dass Sänger bei der Dopingprobe nicht die von ihm geforderte Urinmenge abgeben konnte und von Schiedsrichter Thomas Eßbach „Hilfe“ erhielt. Da dieser allerdings schmerzstillende Mittel gegen Rückenbeschwerden genommen hatte, gab es den positiven Befund. Sänger wurde zwar des Dopings freigesprochen, aber wegen der Weitergabe der nicht fertig gefüllten Probe für fünf Spiele gesperrt. Dank seines unerschütterlichen Selbstvertrauens steckte er sowohl diese Zwangspause als auch den deutschlandweiten Wirbel um den vermeintlichen Dopingfall weg – und lief in der entscheidenden Saisonphase zur Hochform auf. Vielleicht hatten die Rostocker Verantwortlichen Sängers Leistung am 19. April 1991 noch im Hinterkopf, als sie ihn 15 Monate später verpflichteten. Er sollte mithelfen, die aus der 1. Bundesliga abgestiegene Kogge wieder auf Kurs zu bringen. Obwohl das Unternehmen Wiederaufstieg zweimal misslang, bezeichnet der Verteidiger die beiden Jahre an der Ostsee als „schönste Zeit als Fußballer“. Als unumstrittene Stammkraft kam er für Hansa auf 78 Einsätze – allesamt von Beginn an. Und Rostocks Neu-Trainer Frank Pagelsdorf hätte ihn auch gern behalten, doch Sänger zog es im Sommer 1994 zurück in die Heimat. „Ein Fehler“, wie er im Nachhinein gesteht. „Ich hätte noch ein, zwei Jahre dortbleiben sollen.“ Zu Hause wartete aber mit der Eröffnung seines Sportparks in Erfurt-Kerspleben eine neue Herausforderung. Um dieser Ausriss: So wurde damals über das Spiel berichtet. MONTAGE: A. WETZEL gerecht zu werden, spielte er fortan in der Nähe – bei Sachsen Leipzig, Carl Zeiss Jena und schließlich noch einmal für den FC Rot-Weiß. Ein Autounfall am 18. September 1999, bei dem er einen Unterschenkel verlor, sorgte für das tragische Ende seiner aktiven Karriere – und den schweren Start in ein Leben mit einer körperlichen Beeinträchtigung. Trotz dreier Trainerstationen (ErfurtNord, Sachsen Leipzig, Dachwig/ Döllstädt) spielte der Fußball fortan nicht mehr die Hauptrolle. Seine Familie und die berufliche Neuorientierung genossen Vorrang. Mittlerweile arbeitet der studierte Diplomsportlehrer und DFB-Trainer mit A-Lizenz als Förderpädagoge an einer Erfurter Schule; unterstützt den gemeinsamen Unterricht sowie die Schüler, die Schwierigkeiten mit dem Lernen haben. Auch dabei geht es dem 58-Jährigen um Erfolge. Aber eben nicht mehr um jene, die in Toren und Punkten gemessen werden. Karsten Sänger (58) heute. FOTO: H. SÄNGER

10 30 JAHRE UEFA-CUP RWE AN DER EHRE GEPACKT Trotz feststehenden Wechsels trumpft Thomas Vogel auf – auch beim 1:0 über Magdeburg Thomas Vogel (55), umjubelter Torschütze beim 1:0-Heimsieg am 27. April 1991 über Magdeburg. Als der Ball gegen die verdutzten Magdeburger im Netz zappelte, drehte Thomas Vogel jubelnd ab. Der ausgestreckte Zeigefinger wirkte dabei wie ein Zeichen an die Unkenrufer. Als wollte er ihnen signalisieren: „Seht her! Ich bin keiner, der die Füße hochnimmt!“ Dies wurde im Umfeld des FC Rot-Weiß durchaus gemutmaßt, nachdem der Stürmer in der Winterpause einen Zweijahresvertrag beim 1. FC Kaiserslautern unterschrieben hatte. Dem Verein, der den Bayern in jener Saison 1990/91 die deutsche Meisterschaft wegschnappen sollte. Der Wechsel auf den Betzenberg war ein Quantensprung für den gebürtigen Weimarer. Doch bevor er die Bundesliga-Bühne betrat, ließ Vogel die Erfurter Träume reifen. „Ich fühlte mich an der Ehre gekitzelt und wollte allen zeigen, dass ich mich nicht hängen lasse“, verrät er. Eine Woche nach seinem Goldenen Tor in Rostock entschied auch sein Treffer das Duell mit Magdeburg. Dabei schickte er Gegenspieler Cebulla per Hackentrick ins Leere und traf ins lange Eck (35.). 9000 Fans gerieten aus dem Häuschen. In der Schlussphase war der Angreifer dann meist im eigenen Strafraum zu finden, um den Vorsprung zu verteidigen. Dabei scheute er keinen Meter und keinen Zweikampf. Eine Einstellung, die ihm Bewunderung, aber auch viele Verletzungen einbrachte. Obwohl er sich stets zurückkämpfte, kosteten ihn die Knochenbrüche und Bänderrisse womöglich eine noch erfolgreichere Karriere. So blieb der Supercup 1991 mit Lautern sein einziger Titel. Ein Zweitliga-Aufstieg gelang ihm 1994/95 noch einmal mit Jena, wo er ein Jahr später die Schuhe an den Nagel hängen musste. Die lädierten Knie spielten nicht mehr mit. „Er hat sich nie geschont und war für uns in dieser Saison Gold wert“, sagt Rainer Stops. Der damalige Erfurter Geschäftsführer hatte Vogel 1988 aus Sömmerda geholt. Doch ausgerechnet den letzten Schritt zur zweiten Liga, das 0:0 am vorletzten Spieltag in Jena, erlebte er nicht auf dem Rasen: „Ich lag krank im Bett, musste von zu Hause aus mitfiebern“, erzählt der heute 55-Jährige. Das Saisonfinale gegen Brandenburg ließ er sich aber nicht entgehen und bereitete Zbigniew Fabinskis 2:1 mustergültig vor – jenes Tor, das den Uefa-Cup bedeutete. Die Emotionen, die dieser Erfolg auslöste, sind Vogel auch 30 Jahre danach noch gegenwärtig: „Alle lagen sich in den Armen, überall flossen Freudentränen. Aus dem Stadion ging es direkt in die Thüringenhalle zur Party.“ Für ihn persönlich war es der perfekte Abschluss bei RotWeiß. Im Uefa-Cup spielte er später mit den Lauterern; und kurioserweise schied er mit ihnen ebenfalls gegen Ajax Amsterdam aus. Dem Fußball blieb Vogel auch nach der Karriere treu. Gemeinsam mit seiner Frau Annett betreibt er seit 2003 in Mellingen eine Ferienfußballschule, gibt seine Erfahrungen an Kinder und Jugendliche weiter. Seit acht Monaten sind beide stolze Großeltern und sehr gern mit dem Enkel im Kinderwagen unterwegs. „Mein Sohn frotzelt zwar, das wäre meine Gehhilfe. Aber ganz so schlimm es nicht“, schmunzelt der Ausnahmestürmer von einst. FOTO: A. VOGEL Thomas Vogel (55) heute. 04

11 30 JAHRE UEFA-CUP RWE Erfurter Kraftpaket: Thomas Vogel (links) sichert den Ball vor Magdeburgs Frank Cebulla. FOTO: SASCHA FROMM Ausriss: So wurde damals über das Spiel berichtet. MONTAGE: A. WETZEL

12 30 JAHRE UEFA-CUP RWE RÜCKSCHLAG OHNE FOLGEN Bei der 0:2-Niederlage gegen Lok Leipzig reißen gleich drei Erfolgsserien des FC Rot-Weiß Uwe Abel (54) über die 0:2-Niederlage am 4. Mai 1991 bei Lok Leipzig. Sorgen, den kostbaren dritten Tabellenplatz noch verspielen zu können, ließ einer gar nicht erst aufkommen: „Noch in der Kabine hat uns Peter Disztl aufgerüttelt. Wir sollten gefälligst die Köpfe hochnehmen“, erinnert sich Uwe Abel an die Ansprache des Ungarn nach dem 0:2 bei Lok Leipzig. Wenn ihm etwas gegen den Strich ging, konnte der sonst so ruhige RotWeiß-Torhüter laut werden. Und deutlich. Nach jenem Rückschlag am viertletzten Spieltag sah er den Moment gekommen, die Kollegen emotional zu packen. Drei Serien hatten ein Ende gefunden. Die Erfurter gingen nach sieben Partien erstmals als Verlierer vom Feld, kassierten nach 416 Minuten wieder ein Gegentor und unterlagen nach zehn erfolgreichen Spielen in Blau-Weiß. „Mit dem 0:2 waren wir noch gut bedient“, so Abel. Der Mittelfeldakteur zählte damals zu den Stammkräften, Drangvoll: Uwe Abel (links) wird vom Leipziger Uwe Bredow verfolgt. Hinten: Jörg Schmidt. FOTO: SASCHA FROMM 05

13 30 JAHRE UEFA-CUP RWE stand in allen Rückrunden-Partien auf dem Platz – und verpasste später auch in den vier Uefa-Cup-Duellen keine Minute. „Die Spiele gehören natürlich zu meinen Highlights; wie das 2:1 im DFB-Pokal über Schalke“, verweist er auf die Sensation im August 1991. Damals sorgte Abel selbst für das 1:0. So sehr die Rot-Weißen gegen die Knappen glänzten, so wenig gelang ihnen dreieinhalb Monate zuvor in Probstheida. Bereits nach 19 Minuten waren durch Treffer von Anders (4.) und Halata (19.) die Messen gelesen. In der Endphase hielt Distzl sogar noch Halatas Elfmeter (82.). Sein anschließender Appell verfehlte auch bei Abel seine Wirkung nicht. „Mir war nicht bange, dass uns die Niederlage umhaut“, verrät der frühere Junioren-Nationalspieler. „Wir wollten auf das Treppchen, hatten das ja noch nie geschafft. Und da zwei Heimspiele anstanden, glaubten wir fest daran. Zu Hause waren wir eine Macht.“ Da auch Jena und Halle patzten, blieben die Erfurter Dritter. Ein Rang, den sie bis zum Schluss verteidigen sollten. Die rauschende Aufstiegsparty in der Thüringenhalle wird Abel nie vergessen. Er erinnert sich aber auch an eine „Leere im Kopf“, als der Traum von der Zweitliga- und Uefa-CupQualifikation real geworden war: „Irgendwie war ich völlig platt, habe den Erfolg mehr innerlich genossen. RotWeiß ist ja mein Verein.“ 14 Jahre spielte er für RWE, seit er 1979 aus Heiligenstadt an die KJS nach Erfurt gekommen war. Umso härter traf ihn 1993 die Aussortierung durch Klaus Goldbach. Ausriss: So wurde damals über das Spiel berichtet. MONTAGE: A. WETZEL Abel verschlug es zunächst nach Fulda, später nach Landau. Dort traf er die einstigen Mitstreiter Jürgen Heun und Heiko Räthe wieder – und lernte vor allem seine Frau Kerstin kennen und lieben. „Sie ist auch Erfurterin. Schon kurios, dass wir ins tiefste Bayern gehen mussten, um uns zu finden“, lacht der 54-Jährige. 2008 kehrten beide in die Heimat zurück. „Äbs“ assistierte zunächst Albert Krebs bei Rot-Weiß II und in Eisenach, schlug 2011 aber bei einem Logistikunternehmen ein neues berufliches Kapitel auf. Als Bereichsleiter im Schichtsystem blieb keine Zeit mehr für den Trainerjob. So oft es geht zieht es ihn jedoch zum Training der Traditionself. Gern auch mit rot und weiß bandagierten Knien. Die Liebe zu seinem Club ist nie erloschen. Uwe Abel (54) heute. FOTO: KERSTIN ABEL

14 30 JAHRE UEFA-CUP RWE Jürgen Heun (62) über das 2:0 am 11. Mai 1991 gegen Eisenhüttenstadt. Die schlagartige Stille im Stadion ließ seine eigene Anspannung noch einmal ansteigen: „Ich wusste ja, was auf dem Spiel stand“, sagt Jürgen Heun. Fünf Minuten vor dem Ende hatte sich Thomas Vogel bei einem Konter gegen klar dominierende Gäste durchgetankt und wurde von Olaf Bitzka gefoult. Der fällige Elfmeter war Chefsache und geriet zum ewig jungen Duell mit Bodo Rudwaleit, einer ungeliebten Institution zwischen den Oberliga-Pfosten („Bodo Eierkopp“). „Er war mein Lieblingstorwart“, meint auch der Rot-Weiß-Rekordspieler vieldeutig. „Ein Riesen-Kerl mit echten Pranken.“ Da Rudwaleit bis 1989 das Tor des BFC Dynamo hütete, wurde er zum Symbol des verhassten Serienmeisters. Ihn zu überwinden, schmeckte besonders gut – auch nach dessen Wechsel zu den Eisenhüttenstädtern. „Scharf und flach ins Eck“, lautete seit jeher Heuns Motto. „Der brauchte ja eine Weile, bis er unten war.“ Als der Ball zum 2:0 im Netz zappelte, drohte die alte Holztribüne unter dem Jubel zusammenzubrechen. Der zehnte Saisonsieg war perfekt. Zur Qualifikation für die 2. Bundesliga benötigten die Erfurter noch einen Punkt aus zwei Partien. „Da war auch dem Letzten klar: Hier geschieht etwas ganz Großes“, erzählt Heun und Luftduell: Jürgen Heun (rechts) sorgte gegen Eisenhüttenstadt per Elfmeter für den Endstand FOTO: SASCHA FROMM LIEBLING RUDWALEIT Jürgen Heun schmeckt sein Elfmetertor zum 2:0 über Eisenhüttenstadt besonders gut 06

15 30 JAHRE UEFA-CUP RWE stellt den Erfolg auf eine Stufe mit dem Erreichen des Pokalfinales 1980 gegen Jena. Dabei fand der Torjäger selbst nur schwer in die Saison. Heun hatte lange mit den Nachwirkungen seines Muskelabrisses im März 1990 zu kämpfen. Zur Rückrunde kam er aber wieder in Form und servierte gewohnt gefährliche Standards. Einen Freistoß hatte Vogel früh per Kopf zur Führung genutzt (8.). „Was der Kerl geleistet hat, war Wahnsinn“, zollt die Rot-Weiß-Legende dem Stürmer höchsten Respekt. „Er hat sich nie geschont und selbst uns Ältere mitgerissen.“ Die ernüchternde Zweitliga-Saison, die den Jubelwochen später folgte, wäre vor allem im Weggang Vogels nach Kaiserslautern begründet gewesen: „Ihn konnten wir nie ersetzen.“ Umso bemerkenswerter empfand Heun die Auftritte im Uefa-Cup, bei denen sich die Erfurter teuer verkauften. „Das war für uns eine andere Welt. Wir flogen mit einer Chartermaschine nach Groningen, liefen mittwochabends in einem Stadion auf, das aus allen Nähten platzte. Und das Flutlicht war so grell, dass es uns anfangs blendete“, beschreibt er prägende Eindrücke. Nach dem Zweitliga-Abstieg und einer Saison in der drittklassigen Oberliga verließ Heun 1993 den Verein, für den er 25 Jahre die Schuhe geschnürt hatte. Nicht ganz freiwillig – und mit Wut im Bauch. Im niederbayerischen Landau und Ergolding ließ er die Karriere ausklingen und sammelte erste Erfahrungen als Trainer. Passend zur Wahl zum „RotWeiß-Spieler des Jahrhunderts“ 2000 (vor Helmut Nordhaus und Wolfgang Benkert) kehrte Heun in die Heimat zurück. Mittlerweile steht er dem Traditionsteam vor, engagiert sich für soziale Projekte und die Ausstellung „Fußballzeitreise“ in Bad Tabarz. Am meisten aber halten ihn derzeit die Enkel auf Trab. Sei es mit oder ohne Ball. MONTAGE: A. WETZEL Ausriss: So wurde damals über das Spiel berichtet. Jürgen Heun (62) heute.

16 30 JAHRE UEFA-CUP RWE PARTY IM REGEN Mit dem 0:0 in Jena macht der FC Rot-Weiß die umjubelte Zweitliga-Qualifikation perfekt Nico Scheller (49) über das umjubelte 0:0 am 17. Mai 1991 in Jena. Der Mann, der später in Erfurt sein Trainer werden sollte, hatte nichts zu lachen. Nico Scheller rannte, grätschte und attackierte Jürgen Raab bei nahezu jedem Ballkontakt. Der aufgeweichte Platz imErnst-Abbe-Sportfeld spielte dem Rot-Weiß-Youngster zusätzlich in die Karten: „Schöner Fußball war kaum möglich. Das Kämpferische stand im Vordergrund“, erinnert sich Scheller an das denkwürdige Thüringenderby vor 30 Jahren. Das direkte Duell zwischen ihm und Jenas 13 Jahre älterem Spielmacher fand letztlich wie die Partie keinen Sieger. Einmal war Raab seinem Bewacher entwischt, vergab jedoch freistehend (75.). Weil Peter Disztl zudem einen Krajisnik-Kopfball klasse pariert und Wentzel eine Eingabe Jörg Schmidts an die Lattenunterkante gelenkt hatte, blieb es beim 0:0. Ein Resultat, das die Erfurter und ihre Fans jubeln ließ. Ausgelassen tanzten sie im strömenden Jenaer Regen. Der entscheidende letzte Punkt für die Zweitliga-Qualifikation war errungen. „Ein unglaubliches Gefühl“, sagt Scheller. „Damit hatte vor der Saison ja niemand gerechnet.“ Auch, dass er ein fester Bestandteil dieser erfolgreichen Mannschaft sein würde, war nicht zu erwarten. Mit 18 hatte der Defensivspieler im Oktober 1990 in Magdeburg (2:1) zwar sein Debüt im Oberliga-Team gefeiert. Meist kam er aber in der Nachwuchsoberliga zum Zuge. Das änderte sich in der Winterpause, da erkämpfte er sich seinen Platz und avancierte in der Rückrunde zur unumstrittenen Stammkraft. „Die Trainer hatten Ahnung“, erklärt Scheller augenzwinkernd und verweist auf das Vertrauen, das ihm Lothar Kurbjuweit und Rüdiger Schnuphase damals schenkten. Er zahlte es ihnen mit bedingungslosem Einsatz zurück. Erst recht im Derby, das für ihn als rot-weißes Eigengewächs stets das Nonplusultra darstellte. Und besonders an jenem Freitagabend. Kurz vor der Abfahrt hatte sich mit Thomas Vogel der einstige Erfolgsgarant wegen einer Erkältung abgemeldet. „Das war schon ein Schlag für uns“, sagt Scheller. „Aber dadurch sind wir noch enger zusammengerückt.“ Ohnehin machten es ihm die erfahrenen Akteure wie Karsten Sänger und Armin Romstedt leicht, in der Mannschaft Fuß zu fassen: „Die Hierarchie war klar. Die Älteren haben die Jungen geführt. Diese Ansagen haben enorm geholfen. Thomas Linke oder ich mussten nur laufen und grätschen“, meint er schmunzelnd. Dass Scheller nebenbei noch seine Abiturprüfungen zu meistern hatte, ging in den sportlichen Erfolgswochen beinahe unter. Nach der Krönung mit dem Uefa-CupEinzug zählte der 19-Jährige auch in der anschließenden Zweitliga-Saison zunächst zum Stammpersonal. In den ersten fünf Partien verpasste er keine Minute, ehe er sich beim 0:6 in Freiburg schwer am Knie verletzte. Es folgte eine halbjährige Zwangspause, die ihm die internationalen Einsätze kostete. „Das tat mehr weh als die Verletzung selbst“, gesteht er. Vage Hoffnungen, im ZweitrundenRückspiel gegen Ajax Amsterdam (0:3) doch noch auflaufen zu können, zerschlugen sich im Abschlusstraining in Düsseldorf: „Da krachte es erneut im Knie – und es war vorbei.“ Diese bittere Erfahrung hatte am Ende jedoch auch etwas Gutes. Er erkannte schon in jungen Jahren, wie schnell es mit der Karriere vorbei sein kann und nahm ein BWL-Studium in Angriff: „Nur Fußballspielen war mir zu wenig. Und ich wollte mich frühzeitig beruflich orientieren“, erläutert Scheller. Unterbrochen von einjährigen Intermezzi in Zwickau und Nordhausen beendete er 2001 in Erfurt seine Laufbahn und betrat im Frankfurter Bankenviertel eine ganz neue Welt. Mittlerweile ist er mit seiner Familie am Rande der hessischen Metropole heimisch geworden, arbeitet bei einer Aktienfondsgesellschaft – tritt selbst aber nur noch selten vor den Ball. Dafür unterstützt er Sohn Niklas so gut er kann. Der Zwölfjährige spielt für die Frankfurter Eintracht und macht ihm viel Freude. „Manchmal frage ich mich, woher er das Talent hat“, frotzelt der Papa. Wohl wissend, dass Begabung allein nicht reicht für eine Profikarriere. Nico Scheller (49) heute. FOTO: UIP 07

17 30 JAHRE UEFA-CUP RWE Ausriss: So wurde damals über das Spiel berichtet. MONTAGE: A. WETZEL Tackling: Nico Scheller (rechts) und sein späterer Trainer Jürgen Raab kämpfen um den Ball. Jürgen Heun beobachtet die Szene. FOTO: SASCHA FROMM

18 30 JAHRE UEFA-CUP RWE FABINSKI SCHREIBT GESCHICHTE Sein Traumtor zum 2:1 gegen Brandenburg bringt dem FC Rot-Weiß den Uefa-Cup-Einzug Zbigniew Fabinski (56) über das 2:1 am 25. Mai 1991 gegen Brandenburg. Gänsehaut! Noch heute überkommt Zbigniew Fabinski ein prickelndes Gefühl, wenn er an den Moment zurückdenkt, in dem er Erfurter Fußballgeschichte schrieb: „Als der Ball drin war, hätte ich die ganze Welt umarmen können.“ Sein Treffer zum 2:1Sieg im letzten Oberligaspiel gegen Stahl Brandenburg bescherte RotWeiß Tabellenplatz drei und damit den Einzug in den Uefa-Cup. Ein einmaliger Erfolg, der immer mit dem polnischen Stürmer verbunden sein wird. „Das war mein allerwichtigstes Tor“, meint er stolz. „Und die drei Jahre in Erfurt waren meine allerschönste Zeit als Fußballer.“ Dabei wäre sein Wechsel von Polonia Warschau zu RotWeiß beinahe geplatzt, noch ehe der Vertrag unterschrieben war. Im Probetraining 1990 hatte er sich kurz vor Schluss nach einem Foul die Bänder im Sprunggelenk gerissen, trat humpelnd und ohne große Illusionen die Heimreise an. Doch er hatte mit seiner trickreichen Spielweise zuvor derart beeindruckt, dass die Verpflichtung trotzdem zustande kam. Verletzungen machten ihm auch später immer wieder zu schaffen. Häufig drückte er deswegen die Ersatzbank. Auch beim Saisonfinale kam der quirlige Angreifer erst zur Pause ins Spiel, machte in der zweiten Halbzeit aber den Unterschied aus. Zunächst verlängerte er einen Eckball zu Frank Matchwinner: Zbigniew Fabinski wird nach dem Spiel von den begeisterten Rot-Weiß-Fans auf Händen getragen. FOTO: SASCHA FROMM 08

19 30 JAHRE UEFA-CUP RWE Dünger, der das 1:1 markierte (53.). Dann vollendete Fabinski eine Flanke von Thomas Vogel per Volleyschuss selbst (74.). In dem Moment war der Schock über den frühen Rückstand (5.) und Jürgen Heuns verschossenen Elfmeter in Hälfte eins vergessen. Die Kulisse bebte voller Vorfreude. Und als mit dem Abpfiff die Stadionzäune geöffnet wurden und 11.000 Fans auf den Platz stürmten, genoss der Matchwinner das emotionale Bad in der Menge. „Ich weiß gar nicht, wie viele Menschen mich damals umarmt haben. Ich hätte sie niemals zählen können“, erinnert er sich an den Ausnahmezustand. Dieser hielt bei der anschließenden Party in der Thüringenhalle an. Rund 5000 Anhänger ließen ihre Lieblinge hochleben und feierten bei Livemusik der Lothar-StuckertBand sowie der Rockgruppe Vital bis in die frühen Morgenstunden. Mittendrin: der überglückliche Fabinski, der an dem Abend unzählige Autogramme schrieb und noch immer von der damaligen Mannschaft schwärmt: „Wir waren wirklich eine tolle Truppe – mit Thomas Vogel und Peter Disztl an der Spitze. Die beiden waren überragend. Und wir hatten zwei Top-Trainer.“ Längst hat er diesen Weg selbst beschritten, kann das also gut einschätzen. Als A-Lizenzinhaber arbeitete er schon für verschiedene Clubs (Hannover, Darmstadt). Seit acht Jahren trainiert Fabinski nunmehr Kinder und Jugendliche in den Feriencamps des VfL Bochum. Ein Job, der ihm Spaß macht. Nach monatelangem Stillstand sehnt er die Rückkehr auf die Plätze herbei und sagt voller Überzeugung: „Kinder brauchen Bewegung, sonst werden sie dick und krank.“ Ausriss: So wurde damals über das Spiel berichtet. MONTAGE: A. WETZEL Zu Hause ist der 56-Jährige im hessischen Fulda. Dorthin hatte es ihn nach seinem Weggang aus Erfurt 1993 verschlagen. In der Regionalliga schnürte er noch drei Jahre die Schuhe und fungierte eine Zeit lang als Spielertrainer, bevor die Sportinvalidität das Karriereende bedeutete. Sein Talent hat Fabinski an beide Söhne weitergegeben: Kevin (19) ist ein guter Torwart, Robin (17) ein veranlagter Mittelfeldakteur: „Er wäre etwas für RWE“, lacht der stolze Vater. Seinen einstigen Verein hat er nie aus den Augen verloren, verfolgte die Entwicklung in den letzten Jahren mit Wehmut: „Es ist schade, was da passiert ist – in so einer schönen Stadt mit so vielen Fans.“ Ein-, zweimal im Jahr, wenn er auf der A4 zum Heimatbesuch in Richtung Polen rollt, würde er am liebsten die Ausfahrt nach Erfurt nehmen und die alten Mitspieler besuchen. Die Selbstständigkeit in der Folien-Branche lässt jedoch wenig Freizeit zu. Aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Sollte es noch zum 30-jährigen Jubiläumstreffen des Erfolgsteams kommen, wird den TorHelden nichts aufhalten. So wie damals gegen Brandenburg auf dem Platz. Zbigniew Fabinski (56) heute. FOTO: FABINSKI

20 30 JAHRE UEFA-CUP RWE Olaf Schwertner (60), der sich den Ball aus dem entscheidenden Spiel gegen Brandenburg (2:1) sicherte. Nach dem Schlusspfiff gab es kein Halten mehr. Durch die geöffneten Tore in den Stadionzäunen strömten mehr als 12.000 Zuschauer auf den Platz. Jubelnd. Singend. Schreiend vor Glück. Mittendrin: Olaf Schwertner. Der Sondershäuser, der seinen Stammplatz auf den Traversen unter der alten Anzeigetafel hatte, wurde in der pulsierenden Masse mit auf den Platz gespült. „Es herrschte totale Euphorie. Alle wollten nur nach unten, um mit der Mannschaft zu feiern“, erinnert er sich. Die emotionalen Momente an jenen 25. Mai 1991, an dem der FC Rot-Weiß mit einem 2:1-Sieg über Stahl Brandenburg den Einzug in den Uefa-Cup perfekt machte, erzeugen bei ihm heute noch immer eine Gänsehaut. Nicht einmal die kühnsten Optimisten unter den Erfurter Anhängern hatten mit diesem Erfolg in der letzten DDR-Oberliga-Saison gerechnet. Umso größer war natürlich die Freude, als sich der Verein nach der 2. Bundesliga am finalen Spieltag auch für einen europäischen Wettbewerb qualifizierte. Zum ersten und bislang einzigen Mal. Seit dem Frühjahr 1977 kaum ein Spiel verpasst „Wenn man sieht, wo der Verein heute steht, ist diese Leistung gar nicht hoch genug zu bewerten“, sagt Schwertner. Und er weiß, wovon er spricht: Mit 15 stand der Nordthüringer im Frühjahr 1977 zum ersten Mal in der Kurve. Seitdem ist er mit dem rot-weißen Virus infiziert. Als eiserner Stehplatz-Zuschauer verpasste er Jubel-Meer: Tausende Erfurter Fans strömten nach dem 2:1-Sieg gegen Brandenburg am 25. Mai 1991 auf den Platz. Sie feierten ausgelassen den Einzug in den Uefa-Cup. FOTO: SASCHA FROMM GESCHENK DES HIMMELS Wie sich ein langjähriger Fan des FC Rot-Weiß den Spielball des Saisonfinales sicherte 09

21 30 JAHRE UEFA-CUP RWE kaum ein Spiel, reiste unzählige Kilometer und durchlebte alle Höhen und Tiefen des Clubs. Jener Samstag vor gut 30 Jahren bleibt unvergesslich: „Als wir damals in Richtung Spielfeld stürmten, kam kurz vor dem Tor in hohem Bogen ein Ball auf uns zugeflogen. Den muss irgendein Spieler in die Menge geschossen haben“, erzählt Schwertner von einem besonderen Geschenk des Himmels. Geistesgegenwärtig griff sein Kumpel aus Nordhausen zu. Mit Hilfe eines Streichholzes ließen sie gemeinsam die Luft ab und versteckten das kostbare Gut unter ihren Jacken. Das persönliche Andenken an ein legendäres Spiel war gesichert. Sammlung aller Programmhefte seit der Clubgründung 1966 Mittlerweile ist der Ball eine von zahlreichen Raritäten, die der leidenschaftliche Sammler über seinen Lieblingsverein zusammengetragen hat. Wimpel, Schals, Krüge und Gläser. Trikots, Eintrittskarten, Medaillen und Fotos. Autogramme, Urkunden und Plakate: Es gibt nichts, was es nicht gibt im Hause Schwertner. Zwei eigene Zimmer sind nötig, um tausende Utensilien unterzukriegen. Besonders stolz ist der Edel-Fan auf seine lückenlose Sammlung von Programmheften seit der Clubgründung 1966 – sei es von Heim- oder Auswärtsspielen. Seine Idee, im Zuge der Modernisierung des Steigerwaldstadions ein Museum in den Katakomben einzurichten, scheiterte. „Aus Kostengründen oder Desinteresse. Oder beidem“, vermutet Schwertner. Damit die Historie des Erfurter Fußballs trotzdem nicht in Vergessen gerät, entschied er sich für die virtuelle Variante. Seitdem verfügt der FC Rot-Weiß über ein umfangreiches Online-Museum, das trotz aller Vielfalt ständig weiterwächst. Jeder einzelne Fanartikel aus den prall gefüllten Kartons muss gescannt und beschriftet werden. Ein Projekt, das den 60-Jährigen noch eine Weile beschäftigen wird. Dennoch ist der Ehrgeiz, seine Sammlung weiter zu verfeinern, ungebrochen. So sucht Schwertner auf Tauschbörsen und in Internet-Foren nach bislang verborgenen Schätzen. Den Spielball von einst hat er sich bereits vor einigen Jahren veredeln lassen. Mit einer Unterschrift des umjubelten 2:1-Siegtorschützen Zbigniew Fabinski. Zu seiner Sammlung gehören auch die Tickets der Uefa-Cup-Spiele. Olaf Schwertner, seit 1977 Fan des FC Rot-Weiß, mit dem Original-Spielball – samt Autogramm von Zbigniew Fabinski. FOTOS (3): OLAF SCHWERTNER / ARCHIV

22 30 JAHRE UEFA-CUP RWE DAS SCHLITZOHR Wie aus dem Rot-Weiß-Nachwuchstrainer Siegmar Menz ein gewiefter Manager wurde Siegmar Menz (71), der innerhalb des Clubs vom früheren Nachwuchstrainer zum ausgebufften Manager aufgestiegen war. So sehr er die Ruhe auf der heimischen Terrasse auch genießt: Hin und wieder hilft Siegmar Menz gern in dem Sportgeschäft aus, das er 1997 unweit des Erfurter Domplatzes eröffnet und mittlerweile in andere Hände gegeben hat. Auch den Fußball verfolgt der 71-Jährige noch aufmerksam. Vor allem schaut er kritisch auf das Geschehen beim FC Rot-Weiß, wo 1973 seine berufliche Karriere begann. „Was dort alles falsch gemacht worden ist; wie viel in den letzten Jahren kaputt gegangen ist, kann man gar nicht beschreiben“, sagt Menz und schüttelt fassungslos den Kopf über die Misswirtschaft, die sich im Insolvenzverfahren fortsetzte. Drei Jahrzehnte, nachdem die Erfurter in die 2. Bundesliga gestürmt sind und ihrer Uefa-Cup-Premiere gegen den niederländischen Erstligisten Groningen entgegenfiebern, ist die fünfte Liga die harte Realität. Statt Freiburg, Gemeinsam mit Co-Trainer Rüdiger Schnuphase und anderen Verantwortlichen bejubelt Siegmar Menz (rechts) am 17. Mai 1991 in Jena die Qualifikation für die 2. Bundesliga. Dem FC Rot-Weiß reicht das 0:0 am vorletzten Spieltag, um sich einen der ersten sechs Plätze zu sichern. FOTO: SASCHA FROMM 10

23 30 JAHRE UEFA-CUP RWE Mainz oder Darmstadt heißen die Gegner Zorbau, Neugersdorf oder Martinroda. Disztl, Sänger, Linke und Vogel bildeten die Erfolgsachse „Der Uefa-Cup wird eine einmalige Sache bleiben“, ist Menz überzeugt und blickt bei allem Stolz realistisch auf das denkwürdige Jahr 1991 zurück. „Das war überragend, was wir damals erreicht haben. Die meisten Gegner waren besser. Aber die Mannschaft ist im Laufe der Saison über sich hinausgewachsen.“ Nach der ersten Halbserie befand sich der FC RotWeiß mit 13:13 Punkten im Niemandsland der Tabelle, schien chancenlos im Rennen um die ersten sechs Plätze, die die Relegation für die 1. und 2. Bundesliga bedeuteten. Doch mit einer Aufholjagd und der besten Rückrunden-Bilanz aller Oberligisten (18:8 Zähler) sicherte sich das Team den dritten Platz. Entscheidend, so Menz, sei die herausragende „mittlere Achse“ gewesen: „An Peter Disztl im Tor, Karsten Sänger und Thomas Linke in der Abwehr sowie Thomas Vogel im Sturm haben sich alle anderen orientiert und von ihnen mitreißen lassen.“ Gemeinsam mit Trainer Lothar Kurbjuweit hatte er bei der Zusammenstellung der Mannschaft ein gutes Händchen bewiesen. Die eigene Trainererfahrung war dabei und auch auf seinen folgenden Manager-Stationen (Chemnitz/1996 bis 2000, Dresden/2000 bis 2007) sicherlich kein Nachteil. Seine ersten Schritte unternahm der gebürtige Steinbach-Hallenberger als 22-jähriger Jung-Trainer in Erfurt, gewann 1974 sofort den FDJ-Pokal der Jugend und führte den OberligaNachwuchs des FC Rot-Weiß sechs Jahre später sensationell zur Meisterschaft. Die Liga war eingeführt wurden, um jenen Akteuren Spielpraxis zu bieten, die nicht auf Anhieb den Sprung nach oben geschafft haben. Als Kapitän fungierte damals „Sakko“ Schröder, an dessen Seite Talente wie Martin Busse, Josef Vlay, Jörg Hornik oder Andreas Winter reiften. Als Cheftrainer 1982 den Einzug in den Uefa-Cup knapp verpasst „Siggi war ein Typ, der extrem ehrgeizig war. Wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, zog er es gnadenlos durch“, sagt Albert Krebs, sein einstiger Co-Trainer. 1981 stieg Menz zunächst zum Assistenten von Manfred Pfeifer im Oberliga-Team auf und wurde wenige Monate später zum Chef befördert. Was er 1991 als Manager schaffte, den Einzug in den Uefa-Cup, blieb ihm als Trainer knapp verwehrt: In der Saison 1982/83 entschied das bessere Torverhältnis zu Gunsten des favorisierten 1. FC Lok Leipzig. Vielleicht genoss er nach dieser verpassten Chance die Spiele gegen Groningen und Amsterdam umso mehr. Aufgrund seines Durchsetzungsvermögens und Verhandlungsgeschicks war er im April 1989 zum Manager berufen worden und hatte sich schnell einen Namen gemacht: als gewiefter Taktiker und knallharter Geschäftsmann. Wenn er einen Spieler überzeugen wollte, setzte er alle Hebel in Bewegung. Menz: „Da war ich vielleicht hartnäckiger als andere. Manche nennen es auch verbissen.“ Was die Finanzen betraf, kannte er bald alle Kniffe und bewegte sich schon mal am Rande der Legalität. Über die dunklen Kapitel in seiner Karriere sagt er nur: „Ich habe mich nie persönlich bereichert. Es ging mir immer um das Wohl der Vereine.“ Sportlich stand das Schlitzohr, das die Transfers von Vogel nach Kaiserslautern oder Linke zu Schalke gewinnbringend für Rot-Weiß abwickelte, ohnehin für Erfolg. Nach Erfurt stieg er auch mit Chemnitz und Dresden in die 2. Liga auf. Ein „Hattrick“, auf den nicht viele seiner Zunft zurückblicken können. Marco Alles / Sportredaktion, TZ Siegmar Menz (71) heute. Zur Person Siegmar Menz war selbst als Fußballer für Motor Steinbach-Hallenberg aktiv sowie während des Studiums für die DHfK Leipzig. 1973 begann er bei Rot-Weiß Erfurt als Nachwuchstrainer und wurde 1982 Cheftrainer. 1984/ 85 löste ihn Hans Meyer ab. Nach Trainer-Stationen bei Glückauf Sondershausen und Robotron Sömmerda in der DDR-Liga kehrte er 1989 zu Rot-Weiß zurück und fungierte fortan als Manager. Später stieg er mit Chemnitz und Dresden auch in die 2. Liga auf.

24 30 JAHRE UEFA-CUP RWE „DAS BRENNT SICH EIN“ Mit Lothar Kurbjuweit sorgt ausgerechnet eine Jenaer Legende für Erfurts größten Erfolg Trainer Lothar Kurbjuweit (70), dem die internationalen Auftritte allerdings verwehrt blieben. Vor den Heimspielen zog es ihn stets in den Steigerwald. Doch die Joggingrunden sind mittlerweile passé. Nun setzt er sich lieber aufs Rad oder kümmert sich um die vier Enkel. „Sie sind meine Hauptbeschäftigung“, sagt Lothar Kurbjuweit und lacht. Seit fünf Jahren lebt die Jenaer Club-Legende mit seiner Frau Birgit in Berlin, ist damit den Familien der Kinder nahe. Doch der Fußball begleitet ihn nach wie vor. Gerade schaut er beim Junioren-Training im Jahnstadion zu – Enkel Raul (10) ist mit Feuereifer dabei. „Wenn ich ihm den Ball hin rolle, rennt er zumindest nicht weg“, beschreibt der Opa das Talent des Sprösslings augenzwinkernd. Wohl wissend, dass eine erfolgreiche Profikarriere noch viel mehr erfordert. Da muss alles zusammenpassen. Genauso, wie es vor 30 Jahren beim FC RotWeiß der Fall war: „Das war eine Geschichte, die auch ein Highlight für mich ist. Und ich habe ja durchaus einiges erleben dürfen“, sagt der 66-maFingerzeig: Lothar Kurbjuweit gibt am 11. Mai 1991 beim 2:0-Sieg gegen Eisenhüttenstadt die Richtung vor. Auf der Erfurter Bank verfolgen das Geschehen: (von links) Teamarzt Wolfgang Schuh, Zeugwart „Sakko“ Schröder, Masseur Dieter Ehlert und Co-Trainer Rüdiger Schnuphase. FOTO: SASCHA FROMM 11

25 30 JAHRE UEFA-CUP RWE lige DDR-Nationalspieler und Rekordspieler des FC Carl Zeiss. Zu seinen 408 Einsätzen gehören 55 im Europacup – so viele hat kein anderer vorzuweisen. Als Jenas Vereinsikone am Jahresanfang 1990 zum Erzrivalen wechselte, sorgte dies trotz der Wende-Wirren für Aufsehen. Hans Meyer riet seinem einstigen Schützling sogar davon ab; zu schlecht präsentierte sich die RotWeiß-Mannschaft in jener Zeit. Doch gerade diese Lage spornte Kurbjuweit an. Er rettete die Erfurter mit einem Punkt Vorsprung vor dem Abstieg und landete in kaum veränderter Besetzung in der Folgesaison den großen Coup. Immer an seiner Seite: sein alter Weggefährte Rüdiger Schnuphase als CoTrainer. Mit ihm funkte der frühere Verteidiger nicht nur fußballerisch, sondern auch menschlich auf einer Wellenlänge. Außerdem profitierte er von der Erfahrung des einstigen Mitspielers: „Der ‚Hase‘ kannte den Club und jeden Spieler aus dem Effeff. Da brauchte ich keine Anlaufzeit. Und bei den wichtigen Entscheidungen waren wir uns eigentlich immer einig.“ Im Training setzten beide vornehmlich auf Athletik, Kraft und Kondition; so wie sie es selbst unter Georg Buschner oder Meyer erlebt hatten. Ein unbequemer Weg, der sich im Laufe des Spieljahres jedoch auszahlte: „Die Truppe zerriss sich auf dem Platz; da rannte jeder für jeden. Und in der Rückrunde hatten wir nicht selten den längeren Atem“, erinnert sich Kurbjuweit. Einen musste er sogar bremsen: „Thomas Vogel überschritt auch im Training schon mal Grenzen, emotional und verbal; ging in den Spielen aber immer voran.“ Als der Stürmer am 21. Spieltag seine Erfurter beim unangefochtenen Spitzenreiter Rostock zum 1:0-Sieg schoss, lag Kurbjuweit wegen einer Blinddarm-OP im Krankenhaus: „Da hatte ich das Gefühl, die Jungs sind so fokussiert auf das Ziel, die brauchen gar keinen Trainer“, sagt er und verweist auf die erfolgreiche Bewältigung des bitteren 0:0 eine Woche zuvor gegen Dresden. Zu Hause war den Rot-Weißen ein glasklarer Handelfmeter verweigert worden; eine Szene, die Kurbjuweit auch heute noch nachstellen könnte: „Das brennt sich ein. Denn hätten wir gewonnen, wäre sogar die 1. Bundesliga möglich gewesen.“ Dass sein Team ein paar Wochen später die Zweitliga-Relegation ausgerechnet in „seinem“ Jena perfekt machte, ist eine Geschichte, die wohl nur der Fußball schreibt. Es war eines der schönsten torlosen Spiele seiner Karriere – mit nicht enden wollenden Jubelszenen im strömenden Regen des Ernst-Abbe-Sportfeldes. Das finale 2:1 über Brandenburg mit dem Einzug in den Uefa-Cup stellte anschließend die Krönung der Saison dar. Die Früchte seiner Arbeit blieben Kurbjuweit jedoch verwehrt. Nach einem Fehlstart in die Zweitliga-Saison – 1:11 Punkte und 5:20 Tore in den ersten sechs Partien – musste er Ende August 1991 seinen Stuhl räumen. „Ich muss gestehen, ich habe die Liga unterschätzt“, gibt er selbstkritisch zu. Auch wenn Kurbjuweit gern auf internationaler Bühne an der Seitenlinie gestanden hätte, fühlte er sich nicht als Sündenbock. Mit einem gewissen zeitlichen Abstand konnte er die Beurlaubung sogar nachvollziehen: „Was blieb dem Verein denn anderes übrig?“ Später kehrte er zu seinem Heimatclub zurück; fungierte in Jena als Trainer, sportlicher Leiter und Präsident. Doch die größte Leistung vollbrachte Kurbjuweit beim Thüringer Rivalen und sagt 30 Jahre danach: „Es war ein kleines Fußball-Märchen, das damals geschrieben wurde.“ Eines in Rot und Weiß. FOTO: IMAGO Zur Person Lothar Kurbjuweit wechselte1970 von Riesa zu Carl Zeiss. Bis 1983 bestritt er 408 Pflichtspiele für die Jenaer und schoss 39 Tore. Für die DDR-Nationalelf absolvierte er 66 Spiele (4 Tore), zählte 1974 zum WM-Aufgebot und holte 1976 olympisches Gold. 1984 begann in Jena seine Trainerkarriere. Anfang 1990 übernahm er Rot-Weiß. Nach seiner Beurlaubung Ende August 1991 war er in verschiedenen Funktionen wieder bei Carl Zeiss tätig sowie zwischenzeitlich in Pößneck und als Scout in Nürnberg. Lothar Kurbjuweit, 70, heute.

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