WR | Dossier | Wandern im Sauerland
9 WANDERN IM SAUERLAND Plätze zu benennen. Mit überwältigen- dem Echo: Mehr als 200 Vorschläge ka- men zusammen. Aus ihnen wurden 43 Orte herausgefiltert, die als Bestandteile regionaler Kultur und Geschichte prä- gend sind für Land und Leute. „Ehrliche Plätze, die den Sauerlän- dern selbst wichtig sind“, betont Tou- ristikerin Risse. Und Anlaufpunkte für Auswärtige, dieses Mittelgebirge in Westfalen kennenzulernen. Mit Wald- baden, das derzeit von Influencern ge- hypt wird und so manche Ferienregion für sich entdeckt haben will, hat das nichts zu tun. Im Land der 1000 Berge – so ein Name für das Sauerland – spielt der Wilzen- berg zwischen Grafschaft, Gleidorf und Winkhausen eine Sonderrolle. 685 Me- ter ragt er als Berg mit breitem Buckel in die Höhe. „Alle anderen Gipfel sind in Bergketten eingebunden“, sagt Hans- Robert Schrewe bei einer Tour auf den Wilzenberg. Das gilt für den Langen- berg, mit 843 Metern die höchste Erhe- bung in Nordrhein-Westfalen, und für den Kahlen Asten, 841 Meter. Schrewe war früher Beamter in Schmallenberg, heute bezeichnet er sich als Erzählpate vomWilzenberg. Er hat viel zu berichten: Von den Kelten, die bereits 200 Jahre vor Christus. auf der Höhe eine Fliehburg anlegten, ge- folgt von einem zweiten Ringwall um 1000 nach Christus. Reste der Anlagen sind auch heute noch auszumachen. Viele Orte haben einen Paten, der Besucher begleitet Als heiligen Berg bezeichnen sie den Wilzenberg. Bereits 1543 wurde eine Kapelle auf dem Bergplateau erwähnt. Die heutige, schlichte Marienkapel- le stammt von 1633. Seit 200 Jahren sei der Wilzenberg Wallfahrtsstätte, so Schrewe. Alle drei Jahre wandern mehr als 400 Schützenbrüder aus dem Raum Meschede singend und betend den Berg empor – für sie ist das ein Seelenort. Wie der Wilzenberg haben viele der 43 Seelenorte einen Paten, mit denen man nach Absprache den jeweiligen Platz besuchen kann. In- formationen dazu bietet Sauerland- Tourismus. Auf diesen Touren erfährt der Gast auch persönliche Geschich- ten. Den Seelenfrieden finden: eine Redens- art, die zu weiteren Orten leitet – aber anders, als man denkt. Beim Freistuhl im Dörfchen Medebach-Düdinghausen tagten im Mittelalter Schiedsgerichte. „Sie urteilten über kleinere Vergehen, den heimlich versetzten Grenzstein, die verletzte Kuh und eine Wirtshaus- schlägerei“, erklärt Pate Horst Fre- se. „Die Strafen waren angemessen, damit der Seelenfrieden unter den Nachbarn im Dorf wieder hergestellt werden konnte.“ Ranger Ralf Schmidt führt seine Gäste wiederum ins Schwarzbachtal. Wo der Rothaarsteig den Bach auf einer Holzbrücke über- quert, „kann man die Seele baumeln lassen“, sagt der Forstwirtschaftsmeis- ter. Ganz ruhig ist es im einsamen Tal- grund. Manchmal wird der Ranger gefragt: Können sie uns etwas Spektakuläres bieten? Schmidts Antwort: „Die klei- nen Dinge, die wir wandernd im Tal entdecken, sie sind herausragend.“ Forellen huschen im klaren Wasser. Im Naturschutzgebiet leben Luchs und Wildkatze, Rot- und Schwarzwild sowieso, Wasseramseln, Eisvögel und seltene Schwarzstörche, Blauflügel- Prachtlibellen, Dukaten-Feuerfalter und Bockkäfer. Wo kommen wir her und wohin gehen wir? Diese Fragen mag man während der Reise zu den Seelenorten im Sau- erland stellen. Im Tod sind alle gleich: Diese Volksweisheit wird deutlich auf dem Friedhof in Schmallenberg-Worm- bach an der Dorfkirche St. Peter und Paul. Hier stehen schlichte Holzkreu- ze in Reih und Glied, keine riesigen Grabmäler. „In den 1940er Jahren hat der damalige Pastor August Rösing diesen Kult beendet. Großer Bauer, dickster Grabstein, das war dem Pfar- rer zuwider“, erzählt Rita Engelbertz. Die 79-Jährige zeigt seit vielen Jahren Besuchern Friedhof und Dorfkirche, um das Jahr 1250 herum erbaut und eines der ältesten Gotteshäuser weit und breit. Das heutige Gotteshaus ist die vierte Kirche, das erste soll Überlieferungen zufolge schon im 8. Jahrhundert hier gestanden haben. Damals zogen Mön- che über die Heidenstraße zwischen Köln und Kassel zur Christianisierung ins Sauerland. Bonifatius, der Apostel der Deutschen, soll auch in Worm- bach gewesen sein, wird in manchen Erzählungen behauptet. Sicher ist das keineswegs. Seelenorte bergen ihre Geheimnisse. Die Dorfkirche St. Peter und Paul, Schmallenberg. Der beruhigende Klang des Wassers: In einem Laubwald im Mühlental liegen die Almequellen. Foto: Bernd F. Meier Foto: Bernd F. Meier
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