20 A45-BRÜCKE Hagen/Lüdenscheid. Dass das alles einmal solche Ausmaße annimmt, hätten vermutlich nicht einmal die Betroffenen gedacht. Doch die Lage, die sich durch die seit Dezember gesperrte Rahmedetalbrücke an der Autobahn 45 bei Lüdenscheid ergibt, ist ernst. Firmen, Unternehmen, Institutionen schlagen Alarm, weil ihnen Mitarbeiter kündigen – und neues Personal kaum zu kriegen ist: wegen der Brücke. Fall 1: Gefahr für die medizinische Versorgung? „Wir sorgen uns um die Sicherstellung der Krankenhausversorgung“, schlägt Dr. Thorsten Kehe Alarm. Er ist Vorsitzender der Geschäftsführung der Märkischen Kliniken in Lüdenscheid und beobachtet, was die Sperrung der Sauerlandlinie in seinem Haus anrichtet: Vermehrte Kündigungen von Mitarbeitern – und große Probleme bei der Nachbesetzung. Denn: niemand will ins Chaos pendeln. „Viele unserer Beschäftigten pendeln täglich. Arbeitswege von drei Stunden sind keine Seltenheit“, teilt die Klinik mit. Vor und nach einem stressigen Arbeitstag sind sie alle dem unberechenbaren Verkehr ausgesetzt. „Über die Mehrbelastung kommt es zu zunehmenden Krankheitsausfällen und am Ende zu Kündigungen“, sagt Kehe. Alle Berufsgruppen seien betroffen, so die Klinik, „aber für die Pflege sind die Folgen aufgrund des Fachkräftemangels besonders gravierend“. Die Kündigungsquote liege höher als in normalen Jahren. Konkrete Zahlen will das Klinikum nicht nennen. Es stellt aber eine um 20 Prozent erhöhte Fluktuation fest. Die Sperrung, teilt die Klinik mit, „verschärft unsere Personalsituation insgesamt, welche durch die Covid-19-Pandemie und den Fachkräftemangel ohnehin bis zum Anschlag gespannt ist“. Einschränkungen des medizinischen Angebots hat das bislang nicht zur Folge – noch nicht. „Setzt sich die Entwicklung fort, steht zu befürchten, dass es in Einzelfällen zu Versorgungsengpässen kommen kann. Das betrifft in erster Linie die Pflege. Aber auch Ärzte können ohne Pflegekräfte keine Patienten operieren oder behandeln“, so die Lüdenscheider Klinik, die betont: „Daher können wir es uns nicht leisten, fünf Jahre oder länger auf einen Neubau zu warten. Die Folgen wären immens.“ Im Schnitt brauche es acht Monate bis eine unbesetzte Pflegestelle in Nordrhein-Westfalen wieder nachbesetzt werden könne – in Lüdenscheid vermutlich länger. Wie bekommt man jemanden, der überall gesucht wird und deshalb viele Wünsche frei hat, ausgerechnet nach Lüdenscheid? Am besten durch Hilfsmaßnahmen der Politik. KLINIK FEHLT ES AN PERSONAL Von Daniel Berg „Das hat mit Daseinsvorsorge zu tun“, sagt Kehe: „Ich sehe uns ähnlich wie die Feuerwehr. Die ist auch nicht abhängig von der Anzahl der Patienten, sondern sie wird dafür bezahlt, dass sie da ist und ihre Arbeit tut, wenn es nötig ist.“ Fall 2: 16 bis 18 Stunden Arbeit am Tag – sonst wäre es zappenduster Wibke Natt-Pauleck ist so verzweifelt, dass sie schon Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) bei dessen Besuch in Lüdenscheid anraunzte. „Ich habe 15 Jahre meines Lebens für dieses Unternehmen geopfert. Mein Mann und ich arbeiten bis zum Umfallen. Ich kann nachts nicht schlafen, habe Sodbrennen und Herzrhythmusstörungen. Ich bin am Ende meiner Kräfte, kann vielleicht bald meine Rechnungen nicht mehr bezahlen. Ich könnte auf der Stelle losheulen, verstehen Sie das?“, fragt sie den Minister, während die Tränen ihre Stimme zu ersticken drohen. „Und in Berlin interessiert das niemanden.“ Die Lüdenscheiderin hat eine Firma für Gebäudereinigung und -instandhaltung. Drei ihrer zwölf Mitarbeiter haben wegen der Verkehrssituation gekündigt – ein Viertel der Belegschaft. „Zum Teil haben sie fünf bis zehnmal so viel Zeit zur Arbeit und zurück gebraucht“, sagt Wibke NattPauleck. „Seit Januar schalte ich 23. SEPTEMBER 2022 Die angespannte Verkehrslage führt bei Unternehmen zu vermehrten Kündigungen. Nicht nur das Krankenhaus schlägt Alarm. Drei Beispiele
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