Berliner Morgenpost | Gesunder Rücken
6 Männer lassen sich doppelt so oft ope- rieren wie Frauen, obwohl diese häu- figer unter Rückenschmerzen leiden. Die Hoffnung, dass die Schmerzen verschwinden, wenn man den Rücken wieder geradegerückt hat, wird aber oft enttäuscht. Langzeitstudien zeigen zwar, dass der Erfolg der ersten Ope- ration zunächst vielversprechend ist: 70 bis 80 Prozent der Patienten geht es hinterher besser. Aber bei 15 Prozent verschlechtern sich die Symptome. Ein zweiter Eingriff ist nötig – und der hat schon deutlich geringere Erfolgs- chancen. Beim dritten Mal gibt es nur noch eine 25-Prozent-Chance, geheilt zu werden. Daher empfehle ich, eine Operation genau zu bedenken und das Risiko abzuwägen. In den meisten Fällen ist eine Opera- tion sowieso der falsche Weg. Das be- trifft vor allem die große Gruppe der Schmerzgeplagten, bei denen der ge- naue Auslöser unklar ist. Wenn keine eindeutige Diagnose möglich ist, kann auch keine Ursache bekämpft werden. Die Therapie bleibt dann meist auf die Symptome bezogen mit dem Ziel, die Schmerzen zu lindern und die Beweg- lichkeit zu verbessern – bis zur nächs- ten Schmerzattacke, bei der das Spiel von vorn losgeht. Schmerz ist nicht gleich Schmerz Um dem Schmerz auf den Grund zu gehen, setze ich zunächst auf das Arzt- Patienten-Gespräch. Eine ausführliche Anamnese, also eine Erhebung der Krankheitsvorgeschichte, des persön- lichen Umfelds des Betroffenen, ist genauso nötig wie eine körperliche Untersuchung. Dazu gehört es, nach- zufragen, wo der Schmerz lokalisiert ist und wie er sich anfühlt: Ein Pulsie- ren oder eher Schneiden, Stechen oder Pochen? Anhaltend oder abhängig von der jeweiligen Haltung? Strahlt der Schmerz aus oder nicht? Eine Gang- analyse kann uns Ärzte ebenfalls auf die Spur bringen. Röntgen ist nur selten sinnvoll, immer aber die Untersuchung mit den Hän- den. Die Funktionsfähigkeit der klei- nen Muskeln direkt an der Wirbelsäule und die kleinen, komplexen Bewegun- gen in der Lenden-Becken-Hüft-Re- gion entziehen sich allen Messungen. Gefragt ist das Fingerspitzengefühl des Untersuchers, der die Zusammen- hänge zwischen den unterschiedlichen Strukturen des Bewegungsapparats erfühlt und richtig zuordnen kann. RÜCKEN TIPPS RISIKO OPERATION Geht es um Rückenschmerzen, greifen Ärzte hierzulande rasch und immer öfter zum Skalpell. Dabei sind die meisten OPs gar nicht nö- tig und zudem nicht ohne Risiko. Und dass die Schmerzen danach weg sind, ist auch nicht immer gegeben. Rückenbeschwerden werden in Deutschland deutlich häufiger operiert als in anderen Ländern. Allein die Zahl der Versteifungs- operationen für mehr Stabilität der Wirbelsäule stieg in den ver- gangenen Jahren um rund 80 Prozent, zeigte eine Studie der Ber- telsmann Stiftung. Auch bei Bandscheibenvorfällen greifen Ärzte schnell zum Skalpell. Dabei sind laut einer Erhebung der Tech- niker Krankenkasse acht von zehn Rücken-OPs unnötig. Rund 80 Prozent der Rückenleiden liegt eine muskuläre Verspannung zugrunde. Doch oftmals ist eine OP für behandelnde Ärzte näher- liegender als eine konservative, langwierige Behandlung etwa mit Physio- und Schmerztherapie. Eine Studie des Hamburg Center for Health Economics zeigte: Bei jedem dritten Bandscheiben patienten wird vorschnell operiert, weil die Patienten fürchten, ohne OP ihren Beruf nicht mehr ausüben zu können. Der Mensch ist aber keine seelenlose Maschine, kein Motor, den man, wenn er kaputt ist, reparieren kann. Operationen sind nur notwendig, wenn sofort gehandelt werden muss, um anhaltende Schäden zu verhindern. Etwa bei einem Massenvorfall, einem sehr großen Austritt von Bandscheibengewebe in den Wirbelkanal, oder wenn eine Lähmung droht. Operationen am Rücken sind außerdem nicht ohne Risiko, etwa eine offene Bandscheiben-OP: Die Infektionsgefahr in Kliniken ist nicht zu unterschätzen und die Bildung von Narbengewebe kann im Einzelfall zum Problem werden. Wo geschnitten wird, bildet sich hartes Gewebe, das neue Schmerzen verursachen kann. 10 bis 15 Prozent der offenen Bandscheiben-OPs führen zu Narben- verwachsungen. Schonender sind minimalinvasive Verfahren mit- hilfe von Endoskopen, die ins Körperinnere eingeführt werden. Eine sehr schonende Methode ist die sogenannte Mikrotherapie, bei der die kleinsten eingesetzten Instrumente kaum stärker als ein Haar sind. Unter bildgebender Tomografie-Diagnostik können OPs so sehr präzise durchgeführt werden, das Risiko von Verlet- zungen lebenswichtiger Organe, Gefäße und Nerven wird mini- miert. In jedem Fall gilt jedoch: Vor einer Operation immer eine Zweitmeinung einholen. der offenen Bandscheiben-OPs führen zu Narbenverwachsungen 10 – 15% Foto: Getty
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