75 Jahre WP | Jubiläumsausgabe
PBX__NRWTZ_10 SAMSTAG | 26. JUNI 2021 Wie konsumiert ihr Nachrichten? Lisa: Nachrichten gucke ich im Fernsehen, oder ich surfe auf dem Handy im Netz… Wir haben vor kurzem einen Instagram-Ac- count gegründet, weil wir junge Menschen erreichen wollten. Jetzt aber folgen uns vie- leÄltere. Das ist also indieHose gegangen... Aya: So würde ich das nicht sagen. Letztlich ist Instagram eine der von Jugendlichen meistgenutzten Plattformen. Ich lese dort meistens kurze Nachrichten. Und wenn mich etwas interessiert, suche ich per Goo- gle nach mehr Infos. Vielleicht müsst ihr einfach mehr Werbung für euren Account machen. Ich wäre nicht darauf gekommen, dass eine Tageszeitung eine eigene Seite hat. Und was haltet ihr von der klassischen Zeitung? Lisa: Zeitung… finde ich informativ, aber ir- gendwie auch ziemlich altmodisch. Für mich ist es einfach, aufs Handy zu gucken und zu schauen, was los ist. Zu einer Zei- tung greifen, darin blättern – das mache ich eher selten. Auf dem Smartphone hab ich alles mit nur einemKlick und schon ist man mittendrin. Aber meine Eltern lesen Zei- tung. Welche das ist, weiß ich gar nicht so genau. Aya: Zu Hause haben wir keine Zeitung. MeineEltern sprechen jakeinDeutsch. Das letzte Mal, dass ich in eine Zeitung geguckt habe, war vor zwei Jahren in der Schule. Da mussten wir eine Analyse schreiben. Also kommt Zeitung zumindest in der Schule vor? Lisa: Nein. Bei mir nicht. Das hat mich auch gewundert. Aber Zeitung hat da nie eine Rolle gespielt. Es geht immer nur um alte Dinge, darum, wer früher einmal Bundes- kanzler war. Aber nie um aktuelle Politik. Interessiert ihr euch denn dafür, was in eurer Stadt passiert? Lisa: Klar, auf jeden Fall. Aber wenn ihr nicht in den Lokalteil schaut – wie kommt ihr dann an Infos? Lisa: Über das Internet. Wir haben eine WhatsApp-Gruppe „Lichter der Groß- stadt“. Da wird sehr oft etwas reingestellt. Die Links klicke ich auch immer an. Aya: Auf dieseArt habe ich zumBeispiel von der Ausgangssperre und von der Masken- pflicht inHagen gehört. Auch als eine Busli- nie an einem bestimmten Tag nicht gefah- ren ist, habe ichdas über einenLink inunse- rer Gruppe erfahren. Teilweise sind dann auch Links der WESTFALENPOST dabei. Ist Facebook eine Option? Lisa (lacht): Ich glaube Facebook ist alt. Na ja – vielleicht mal eine Like auch für eure Zeitung. Das schadet ja niemandem. Verfolgt ihr, was in den Herkunftsländern eurer Eltern passiert? Lisa: Ja. Wir gucken polnisches Fernsehen. Da schaue ichmit. Ich bin ja regelmäßig bei Verwandten in Polen. Da interessiert mich, was da so los ist. Aya: Ich folge vielen Seiten, auf denen es um Nachrichten aus arabischen Ländern geht. Mich interessiert überhaupt, was auf der Welt passiert. Was glaubt ihr, was unseren Job ausmacht, wie wir arbeiten? Lisa: Ich denke, es ist auf jeden Fall stressig. Ihr müsst viele Infos aufnehmen und be- arbeiten. Aya: Ich nehme an, ihr müsst den ganzen Tag über sehr, sehr viel schreiben. Und dann ist ja auch wichtig, dass noch mal einer drü- ber liest, damit nichts Falsches in der Zei- tung steht. Ich stelle es mir sehr stressig vor. Und ich frage mich manchmal schon, wie ihr anall dieNachrichtenkommt. Ihr könnt sie ja nicht einfach irgendwo „klauen“. Was habt ihr nach der Schule vor, was sind eure Träume? Aya: Eigentlich wollte ich immer Medizin studieren. Aber ich komme gerade ins Grü- beln, ob es da etwas gibt, das mich noch mehr interessieren könnte... Lisa: Ichwill nachder Schule studieren.Mal gucken, ob es klappt. Aber ich versuch’s auf jeden Fall. Ich möchte später was mit Men- schen machen. Vielleicht werde ich ja bei einer Zeitung arbeiten. Ein Interview zu führen – da kann ich mir schon vorstellen, dass mir so etwas liegt. Ist Zeitung wirklich Almir Murati … Informationen, die jeder braucht Zina Alekhwan … Nachrichten für alte Leute Ali Yassin … Papier und Tinte Vanessa Janicki … neue Informationen Anas Reda … Verbesserung der Sprache Selena Burkhardt … nicht ansprechend … lesen Sarah-Ann Burkhardt … nichts Yunus Tütüneken Jeremy Chahine … ein zeitloses Archiv Mehdi Ramadan … zu wenig über Hagen zu wissen oldschool? Zeitung ist für mich ... Von Laura Handke und Jens Stubbe Hagen. Aya Alali aus Gevelsberg und Lisa Ja- nicki aus Hagen zählen zu den Jugendli- chen, die morgens garantiert nicht in die WP gucken. Sie engagieren sich in der Gruppe „Lichter der Großstadt“ im Jugend- kulturzentrum Kultopia. Sie schreiben, sie schauspielern, sie arbeiten an Projekten – und sie sind ein Teil des WP-Integrations- workshops. Corona dominiert seit einem Jahr die Nachrichten. Wie habt ihr die letzten Monate erlebt? Lisa: Jeder aus der Familie arbeitet, auch meine Schwester. Ich war oft und lange al- lein zu Hause. Das wurde vielleicht mal durch eine Videokonferenz unterbrochen. Aber wir konnten uns ja nicht treffen. Jeden Tag derselbe Ablauf. Das ist belastend, lang- weilt einen. Ich war müde. Aya: Für mich war das eine total schwie- rige Zeit. Wir sind einfach zu viele Menschen in einer viel zu kleinen Wohnung, teilen uns zu sieben Perso- nen drei Zimmer. Hinzu kommt, dass ichmichwie viele Jugendliche in dieser Zeit einfach vernachlässigt fühle. Manchmal ha- be ich den Eindruck, dass an uns niemand denkt. Und wie war’s mit der Schule? Lisa: Schwierig. Es gibt einfach bestimmte Fächer wie BWL, da kannman sich dieDin- ge nicht selbst beibringen. Dazu kommt, dass das WLAN ausfällt, im Online-Unter- richt durcheinander geredet wird. Manch- mal versteht man den Lehrer nicht, dann klappenLinks nicht. Ichmusste für denOn- lineunterricht extra ein Laptop kaufen. Aya: Meine Geschwister und ich hatten gleichzeitig Onlineunterricht. Dann reden die Lehrer, es ist zu laut. Ich konnte nicht vernünftig mitmachen. Wir sind ja erst vor vier Jahren aus Syrien nach Deutschland gekommen. Meine Eltern sprechen kein Deutsch, konnten mir nicht helfen. Dazu kommen Internet-Probleme. Immerhin ha- be ich seit kurzem ein iPad, das über eine Spende an die Schule finanziert wurde. Aber vor den Klausuren habe ich regelmä- ßig die Krise gekriegt. Da waren so viele Dinge, die ich mir selbst beibringen musste. Meine Noten sind nicht mehr so gut wie noch vor einem Jahr. Welche Bedeutung hat für euch welche Sprache? Aya: Manchmal denke ichDeutsch, manch- mal auf Kurdisch. Ich denke immer in der Sprache, in der ich mich gerade wohl fühle. Wenn wir in unserer Gruppe über Politik oder Rassismus diskutieren, dann ist es wohl eher Deutsch. Geht es um Familie, wohl Kurdisch. Und Arabisch kommt ir- gendwo dazwischen. Es hat zwei Jahre ge- dauert, bis ich begonnen habe, Deutsch zu sprechen. Anfangs habe ich nur zugehört und Dinge abgespeichert. Lisa: Meine Eltern kommen gebürtig aus Polen. Zuhause sprechen wir nur Polnisch. Wenn ich hier im Kultopia bin, denke und spreche ich Deutsch. Fühlt ihr euch integriert? Lisa: Ich lebe ja schon lange hier. Das ist für mich nicht so ein riesiges Thema. Wenn ich mit Freunden unterwegs bin, fühle ichmich als richtigeHagenerin. Zuhaus geht es dann schon mal mehr um Polen. Aya: Integration ist so wichtig für mein Le- ben. Hier im Kultopia gehöre ich dazu, ich fühlemichwohl.Hier spielt keineRolle, wo- her man kommt. Jeder wird so akzeptiert, wie er ist. Aber in der Schule ist das anders. Immer wenn es um Islam, Geflüchtete oder Sozialleistungen geht, gucken mich alle an. Viele kennen niemanden, der aus eineman- deren Land kommt. Einmal hat ein Mit- schüler zumir gesagt: Eigentlich bist du voll nett. Er hatte gedacht, dass alle Ausländer aggressiv sind. Als ich nach Deutschland kam, sollte ich erst eine Hauptschule besu- chen. Nur weil sich damals eine deutsche Patin für mich eingesetzt hat, bin ich schließlich auf dem Gymnasium gelandet. Immer wenn es um Islam, Geflüchtete oder Sozialleistungen geht, gucken mich alle an. Viele kennen niemanden, der aus einem anderen Land kommt. Aya Alali Workshop-Teilnehmerin Es werden Millionen Menschen sein, die die WESTFALENPOST in 75 Jahren erreicht hat. Mit einer Gruppe aber tun sich Tageszeitungen schwer. Mit Jugendlichen – erst recht, wenn sie einen Migrationshintergrund haben. Ein Gespräch über Medien, das Leben in Deutschland, über Corona und Perspektiven Lisa Janicki (links) und Aya Alali engagieren sich im Jugendkultur- zentrum Kultopia und sind Teil des WP- Integrationsworkshops. FOTOS: MICHAEL KLEINRENSING … Nachrichten Zekeriyya Tanriverdi … oft langweilig Jean-Luc Burkhardt
Made with FlippingBook
RkJQdWJsaXNoZXIy MjExNDA4