75 Jahre WP | Jubiläumsausgabe
PBX__NRWTZ_21 SAMSTAG | 26. JUNI 2021 AlsKind, als junge Jugendliche hatte ichnur einen Wunsch: Ich wollte unsichtbar sein. Ich wollte in der Masse verschwinden. Der Grund ist naheliegend: Als Kind und Ju- gendliche war ich – wie jeder andere in die- semAlter – sehr intensiv auf der Suche nach mir selbst, nach meiner eigenen Identität. Und auf diesem Weg habe ich zumindest schonmal sehr früh erfahren, wer ich nicht bin: Jemand, der ganz selbstverständlich zu dieser Gesellschaft dazugehört. Eine meiner prägendsten Kindheitserin- nerungen ist, dass sich Erwachsene zu mir herunterbeugen und fragen: „Ist das auch deine echteMama?“MeinPapa kommt aus Kenia, von ihmhabe ich die dunklere Haut, die Locken, die volleren Lippen. Meine Mutter ist weiß. Sie ist auch in meinem Bei- sein gefragt worden, woman denn so niedli- che Adoptivtöchter herbekommt. Jedes Mal war es, als breche für mich – wenn auch nur für eine Sekunde – eine kleine Welt zu- sammen. Rassismus hat viele Gesichter. Ihm zu begegnen ist ein täglicher Kampf – bis heute. Wenn ich morgens meine Woh- nung verlasse, dann begleitet mich die Un- gewissheit, was an diesem Tag passiert, wie eine dunkle Wolke. Für die, die Alltagsras- sismen nicht ausgesetzt sind, mag das über- trieben klingen. Aber es ist so. Denn ich ha- be es erfahren und ich erfahre es noch heu- te. Ich wollte Medizin studieren, aber mein Notenschnitt im Abitur von 1,7 reichte nicht ganz. Deswegenhabe ichmich vorerst für eine Ausbildung zur Gesundheits- und Krankenpflegerin entschieden. Wenn ich ins Patientenzimmer komme, dann gibt es Patienten, die eine Behandlung durch mich ablehnen. Andere machen große Augen und fragenmich als Erstes, woher ich so gut Deutsch kann oder woher ich komme? Ich bin Deutsche, in Siegen geboren und aufgewachsen, ich habe im Deutsch-Leis- tungskurs Kant und Goethe gelesen. Aber tatsächlich fühle ich mich oft heimatlos, weil ich dort, wo ich herkomme, als Exot wahrgenommen werde. Jemand, der das noch nie erfahren hat, ahnt nicht, wie sich das anfühlt. Nicht einmal meine Mutter kann das immer nachempfinden, ich habe in ihr keine Gesprächspartnerin, die weiß, wie tief einen ein solcher Angriff auf die eigene Identität trifft. Mir ist völlig klar: Nicht immer ist das böse gemeint, aber es sind zu viele kleine Mückenstiche. Es gibt Patienten, diemir ungefragt insHaar fassen, als wäre ich ein Tier imStreichelzoo. Meine Kindheit und Jugend lang habe ich immer gehört, dass ich die Schoko-Sophia sei, die Karamell-Sophia, man hat mich Latte Mac- chiato genannt. Hinzu kommt ein sexualisierter Rassis- mus, der mir seit ich elf oder zwölf bin oft begegnet ist: Ich werde zum Teil von Män- nern zu etwas degradiert, das man auf sei- ner Checkliste abhakenkann, wie einStück Fleisch, wie ein Objekt. Heute weiß ich viel besser, mit all dem umzugehen. Vor den Jungs, die sich damals im Zug erst hörbar beratschlagten, wer mir an den „knackigen, schwarzen Po“ fasst, und vor dem, der es ge- tan hat, würde ich heute nicht mehr wortlos flüchten, weil die Grenze viel zu deutlich überschritten wird. Und die kleineren Grenzüberschreitungen? Fahre ich jedes Mal aus der Haut? Nein. Oft sehe ich ein- fach darüber hinweg, weil ich zu müde bin, die Diskussionen erneut zu führen. Nicht falsch verstehen: Ich habe nicht aufgegeben. Ich weiß nur, dass ich diese Formdes Alltags-Rassismus gerade der älte- ren Generation nicht vorwerfen kann, weil sie es nicht anders gelernt hat. Ich kann die- seMenschen nicht mehr ändern. Alle ande- ren können und sollten sich ändern, sollten versuchen zu lernen, worauf es ankommt. Wir sind eine diverseGesellschaft.Wir kön- nen davon profitieren, wenn wir uns gerade beimThemaAlltags-Rassismus neuausrich- ten, wenn wir dazulernen wollen, Interesse zeigen. Für die Diskussion ist es wichtig, den Begriff des Rassismus aus dem rechten Spektrum zu lösen. Denn: Nur weil jemand etwas Rassistisches gesagt hat, ist er noch lange kein Rassist und schon gar kein Nazi. Aber dazu gehört auch, dass derjenige auf sich und seine Sprache achtet, dass ihmauf- fällt und er akzeptiert, etwas Rassistisches gesagt zu haben. Wir alle sind rassistisch so- zialisiert, übernehmen Denkweisen, Zu- schreibungen und Termini oft unbewusst. Auf diesen Weg müssen wir uns begeben. Der ist unangenehm, der muss unange- nehm sein, denn die erste Reaktion ist Ab- wehr: Ich unterliege rassistischen Denk- mustern? Nein. Doch! Wenn diese Hürde genommen ist, kann ein produktiver Dis- kurs folgen. KeinMenschkommt alsRassist zur Welt. Das ist ein gelerntes Konstrukt. Ich glaube auch, dass uns im Deutschen dieWorte fehlen, um das Thema Rassismus zu behandeln. Farbig, braun, schwarz, dun- kelhäutig – darf ich das noch sagen, oder nicht?Das ist es doch, was viele sich fragen. Man muss eine Person nicht zwingend an- hand ihrer Hautfarbe beschreiben. Es bie- ten sich andere Möglichkeiten. Ich be- zeichne mich selbst als Schwarz, meine da- mit aber nicht die Farbe, sondern eine ge- sellschaftspolitische Ebene. Es müssen neue Worte geschaffen werden, die es uns ermöglichen, konfliktfrei miteinander zu reden. Worte, die es im Englischen oft gibt: People of Colour zum Beispiel. Ich will, dass meine Kinder in einer Welt aufwach- sen, die sensibler ist, in der alle oder zumin- dest sehr vieleMenschen genauwissen, was sagbar ist und was nicht. Rassismus kann nur fortbestehen, wenn Menschen, die er betrifft, nicht zugehört wird, wenn sie nir- gendwo zu sehen sind. Menschen zu sehen, die sind, wie ich, hättemir damals geholfen: einen Lehrer, eine Ärztin, einen Erzieher. Heute bin ich 21 Jahre alt – ich will nicht mehr weiß sein, ichwill keine glattenHaare mehr haben. Ich habe mich akzeptiert, wie ich bin, und bin heute stolz darauf, weil ich weiß, dass ichnicht die bin, die falsch ist, die das Problem ist. Es ist imZweifel dieGesell- schaft, die das Problem mit mir hat. Aufgezeichnet von Daniel Berg. Erschienen am 17. April 2021. Eine meiner prägendsten Kindheits- erinnerungen ist, dass sich Erwachsene zu mir herunterbeugen und fragen: „Ist das auch deine echte Mama?“ Ich wollte unsichtbar sein Anzeige Gesundheit als Gleichgewicht zwischen Geist , Körper und Seele ... sanitätshaus fehske das mit dem schmetterling Für Sie – unser „ganzheitliches“ Bestreben: Gastfreundschaft Kompetenz Engagement Nachhaltigkeit Geschwindigkeit Ganzheitlichkeit Unser vielseitiges, internationales und gut gelauntes Team ist immer gerne für Sie da! Claudia Fehske Dr. Klaus Fehske Dr. Christian Fehske „ „
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