75 Jahre WP | Jubiläumsausgabe
PBX__NRWTZ_23 SAMSTAG | 26. JUNI 2021 Als meinen Eltern irgendwann klar wurde, dass ich tatsächlich keine Kinder bekom- men würde, waren sie im ersten Moment bestimmt etwas enttäuscht, aber das haben sie nie so direkt gesagt. Gerade meine Mut- ter hätte sich Enkel gewünscht, das weiß ich. Aber sie hat es schnell akzeptiert. Und sie sagt auch: In die heutige Welt würde sie auch keine Kinder mehr setzen. Ich mag Kinder, ich komme sogar sehr gut mit ihnen aus. Aber ich würde keinem Kind ein Leben auf diesem Planeten zumu- ten wollen, den wir so nachhaltig schädi- gen, indemwir immer mehr Menschenwer- den und die Ressourcen immer weiter und weiter ausbeuten. Beim Blick in die Zu- kunft wachsen meine Sorgen seit 20 Jahren beständig an: Der erste Schock kam mit Tschernobyl, da war ich noch in der Schule, als unser Lehrer sagte, die Gegend dort sei fürmehrere Tausend Jahre verstrahlt! Da re- dete man über Radioaktivität und Umwelt- verschmutzung, heute auch über Klima- wandel und schmelzende Gletscher. Die Liste ließe sich endlos fortsetzen. Die Kin- der, die erleben müssen, wie die Schäden immer folgenreicher werden, tun mir leid. Mit Anfang 20 dachte ich noch, dass ich wohl mal Kinder haben werde. War ja auch irgendwie ganz selbstverständlich. Mit 21 lernte ich meinen heutigen Mann kennen. Er sagtemir gleich, dass er keineKinder will und auch aus welchen Gründen. Ich habe mir meine eigenen Gedanken dazu ge- macht und konnte seineArgumente gut ver- stehen. Im Laufe der Jahre bin ich selbst zum gleichen Entschluss gekommen. Der Gedanke, Kinder in diese Welt zu setzen, wurde für mich immer unvorstellbarer. Der Blick auf unsere Welt ist beängstigend. Ob wir negative Menschen sind? Pessi- mistenundSchwarzmaler gar?Nein, wir le- ben gern, wir genießen unsere Freiheit, wir Frauen, die keine Kinder haben wollen, müssen sich nicht selten rechtfertigen. Die Hagenerin Kerstin Wajs (51) berichtet, wie sich ein kinderloses Leben anfühlt Fehlt dir denn gar nichts? Der Gedanke, Kinder in diese Welt zu setzen, wurde für mich immer unvorstellbarer. Kerstin Wajs hat sich bewusst gegen Kinder entschieden Kerstin Wajs (51) mit Hündin Carlotta. FOTOS: JAKOB STUDNAR reisen gernund viel, wennnicht gerade Pan- demie herrscht. Wir haben zwei Auszeiten gemacht, jeweils ein Jahr lang. Wir kündig- ten unsere Jobs, reisten durch Thailand und nach Laos, arbeiteten als Tauchguides auf einemSchiff. Wennwir Kinder hätten, wäre all das nicht passiert. Vielleicht hätten wir einander im Stress verloren, wären längst geschieden. Wer weiß das schon? Wenn ich anderen Menschen erzähle, dass ich keine Kinder wollte, dann sind manche überrascht: Sie sagen Sachen wie: „Oh, Gott, deine armen Eltern werden nie Oma und Opa sein.“ Oder: „Im Alter wirst du das bereuen, wenn du einsambist.“Oder die besorgte Frage: „Fehlt dir denn gar nichts?“ Als könnte nur glücklich sein, wer ein Kind hat. Viele vermuten auch, meine Hündin Carlotta sei eine Art Kind-Ersatz. Das ist nicht so. Die habe ich erst seit Januar. Womöglich blickt man nochmal anders auf sein Leben, wenn man alt ist. Vielleicht gibt es auch Eltern, die zwar ihre Kinder lieben, aber später das Gefühl haben, ihr Leben nicht ausreichend gelebt zu haben – auch wegen der Kinder. Jeder muss seinenWeg finden. Nur eines finde ich nicht gut: Kin- der zu bekommen, die schon mit ein paar Monaten in die Kita gesteckt wer- den. Wenn man sich für ein Kind ent- scheidet, sollte man auch Zeit mit ihm ver- bringen. Oft habe ich das Gefühl, dass ich nicht verstanden werde, wenn ich meine Argu- mente für meine Kinderlosigkeit vortrage. Klar, wenn alle so dächtenwie ich und zwar schon länger, dann gäbe es die junge Ärztin nicht, die mich imKrankenhaus behandelt, oder den Pfleger, der sich um mich küm- mert, das weiß ich. „Und die Rente willst du natürlich trotzdem haben“ – auch den Satz habe ich gehört. Eher im erweiterten Um- feld. ImBekannten- und Freundeskreis ver- stehen mich alle. Viele haben keine Kinder. DemGefühl, einKind haben zuwollen, war ich selten nah. Ich erinnere mich an ein ein- drückliches Bild:MeinMannund ich sahen im Urlaub einen Vater, der mit seinem klei- nen Sohn an einem Fluss saß und ihm das Angeln beibrachte. Das war ein schöner Moment, den wir so nie erleben werden. Sehr berührend. Aber bereut? Nein, bereut haben wir die Entscheidung bis heute kein einziges Mal. Aufgezeichnet von Daniel Berg. Erschienen am 1. Mai 2021. KERSTIN WAJS Anzeige Herzlichen Glückwunsch zum Jubiläum! DER INTELLIGENTE WEG ZUR MODERNEN GEBÄUDETECHNIK Höchste Budget- und Timingsicherheit durch optimales Schnittstellen- management – von der Planung bis zur Fertigstellung. Übergreifend für die Gewerke Sanitär, Heizung, Klima, Kälte und Elektro. GEBRO HERWIG Haustechnik GmbH Obereimer 12 | 59821 Arnsberg | Tel. +49 (0) 2931 5212-0 | www.gebro-herwig.de
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