75 Jahre WP | Jubiläumsausgabe

Von Daniel Berg Menden. Ein paar Tage sind es nur noch bis zur Eröffnung. Die Folie für den Schriftzug am Fenster fehlt noch, sagt Safet Abaz, 25 Jahre alt, Inhaber des Ladens, der „Sweet Dreams“ heißenwird, weil er süßesGebacke- nes verkaufen wird. Käsekuchen zum Bei- spiel, der nicht Käsekuchen heißt, sondern Cheese Cake. Klingt cooler, ist cooler. „Scho- kokuchen am Stiel, Waffeln, Crêpes – wir werden alles bieten, was im Internet gerade gehypt wird“, sagt Abaz. Naschzeugs, das nicht nur lecker ist, sondern cool und ange- sagt. Foto machen für Instagram. Sowas eben. Süße Träume, die er nicht allein hat. Abaz‘ kleiner Laden wird am Samstag er- öffnen am Rande der Innenstadt von Men- den, einem Ort mit 50.000 Einwohnern, den die gleichen Probleme plagen wie viele ande- re Städte auch: Der Einzelhandel darbt, weil die Menschen ihre Dinge online bestellen. Ladenlokale stehen leer. Verödung droht vie- lerorts. Die Corona-Pandemie wirkt dabei wie ein gefährlicher Beschleuniger. Aber Sa- fet Abaz, der Käsekuchen-Mann, ist nicht al- lein. Er ist einer von sieben Unternehmern, die in diesen Wochen ihre Läden in Menden eröffnen. Tendenz: steigend. Corona-Depres- sion? Nein, so fühlt sich das da gerade ent- lang der Hönne nicht an. Die süßen Träume werden auch durch Geld vomLandmöglich, das sichMenden so schnell und entschlossen sicherte wie kaum eine andere Stadt ihrer Größe. Die Kommu- ne aus dem Märkischen Sauerland gehört mit fast 800.000 Euro Förderung zu den zehn Städten in NRW, die am meisten Geld ein- streichen. Geld, mit dem leerstehende La- denlokale von der Stadt angemietet und zu 20 Prozent der Kosten weitervermietet wer- den anMenschen mit Ideen. Förderungszeit- raum: zwei Jahre. Über 30 Ladenlokale stan- den in Menden leer, mindestens die Hälfte soll mit dem Geld mit Leben gefüllt werden. „So etwas wie Aufbruchstimmung ist da“, sagt Thorsten Kannengießer (47), ein umtrie- bigerUnternehmer, den viele inMendenken- nen. Mitte Juni geht er mit „MOM’s Kitchen“ an den Start, einem Laden, der frische Haus- mannskost anbieten wird. Die Stadt Menden hat in Kooperation mit der Wirtschaftsförderungs- und Stadtent- wicklungsgesellschaft (WSG) genau auf die- sen Aspekt geachtet: eine möglichst zu- kunftsträchtige Mischung. „Die Menschen gehenweniger in die Innenstadt, umetwas zu besorgen, sondern um eine gute Zeit zu ver- bringen“, sagt Tim Behrendt, WSG-Ge- schäftsführer. Heißt: Weniger klassische Ein- kaufsläden, mehr Gastronomie, mehrNacht- leben, mehr „Ansiedlungen, die originell sind und die online nicht austauschbar sind“. 17 Interessenten meldeten sich bereits für freistehende Ladenlokale. Den Zuschlag er- hielten auch Ideen, die nicht das nächste Na- gelstudio (nichts gegen Nagelstudios) oder den nächsten Bäcker (nichts gegen Bäcker) in die Stadt bringen, sondern die die Ange- botspalette erweitern. Hier der Laden der Bubble-Tea verkauft, ein Getränk auf der Ba- sis von grünemoder schwarzemTeemit lusti- genBlubberkügelchen. Dort das Vertriebsbü- ro von Vorwerk, ein Stück weiter das Immo- bilienbüro Dieckmann. Dass neue Ideen funktionieren, zeigt das Beispiel von Volkan Bodur (31). Er eröffnete im April zusammen mit seinem Kumpel Vol- kanKaradag „MonkeyDonuts“ – und vor der Tür standen die Menschen Schlange. An einemder erstenNachmittage musste er eine Stunde vor Ladenschluss weitere Kunden ab- weisen: Donuts ausverkauft. Die Idee eines eigenen Ladens hatte er schon lange. Nur wann und wie und wo? „Wir haben auch an Neheim oder Dortmund gedacht, aber dann gesagt: Warum nicht hier?Wir kommen hier her, wir lieben Menden. Ich freue mich, dass in der Innenstadt was passiert.“ Dank der Förderung und der schnellen Umsetzung in Menden, passiert es jetzt unddort. Süße Träu- me, überall. Erschienen am 1. Juni 2021. Mehr Zuversichtsge- schichten unter: www.wp.de/zuversicht PBX__NRWTZ_25 SAMSTAG | 26. JUNI 2021 Menden bemüht sich wie kaum eine andere Stadt ihrer Größe um Landesmittel für die Innenstadt. Folge: Neue Mieter, neue Ideen, neue Zuversicht ZUVERSICHT CORONA KRISE Die Funke Mediengruppe hat im Juni Deutschlands größte Zuversichts-Kampagne zur Unterstützung von Einzelhandel, Gastronomie und Kultur gestartet. Beteiligt sind alle Regionalzeitungen der Mediengruppe, zu der auch die WESTFALENPOST gehört. Journalistisch geht es darum, die Aufbruchstimmung dieser Tage zu begleiten. MIT WENIGER L E E R stand AUS DER Donuts, Massivhäuser, Bubble-Tea, Vorwerk-Produkte: Niko Majchrzak, Thorsten Kannengießer, Clark Smith, Xuan Truong Tranen, Volkan Bodur, Bertram Preuß, Franz Dröge und Christian Bers (von links) haben mit ihren Läden Pläne für die Mendener Innenstadt. FOTO: BERND THISSEN POCKEN // ZUKUNFTSLABOR // TATORTE // COURAGE // ARBEITSWELT // HELLO AGAIN #zuversicht UNSERE JUB I LÄUMSAUSGABE Analoge Freiheitsräume Erinnern Sie sich noch, wie es war? Dieses erste Mal nach dem langen Lockdown, als wir wieder ausgehen konnten? Wir haben uns so gefreut – gemeinsam mit den anderen Gästen, den Ladenbesitzern und Kellnern. Beinah war es wie damals, vor der Pandemie. Aber nur beinah. Denn in die Erleichterung mischten sich Zukunftsängste. Was ist mit den anderen Kneipen und Restaurants? Was mit den Geschäften und Boutiquen? Längst nicht alle sind gut durch die Krise gekommen. Einige haben bereits aufgegeben, andere richten ihre Hoffnung auf Kunden, die ein Nachhol-Bedürfnis haben. Obwohl wir Händlern und Wirten maximalen Erfolg wünschen, ahnen wir, dass die Lockdowns für Innenstädte nicht folgenlos bleiben wer- den. Schon vor der PandemiewarendieZent- ren weniger frequentiert und der stationäre Handel war unter Druck. Schließlich ist es ja bequem, vomSofa aus zubestellen. Vor dieser Wirklichkeit dürfen wir die Augen nicht ver- schließen. Das Ende der Pandemie radiert die Online-Konkurrenz nicht einfach weg. Wer eine vitale Innenstadt als Ort der Be- gegnung, des Austausches und der Identifika- tion erhalten will, muss diese Innenstadt mit neuen Impulsen beleben. Die Zentren brau- chen Unterstützung durch eine gesteigerte Standort-Qualität. Besucherinnen und Besu- cher wollen inspiriert werden. Durch attrakti- ve, grüne Flaniermeilen. Durch Kunst und Kultur, die unbedingt Teil der Erlebniszone Innenstadt werden sollten. Und durchWohn- konzepte, die nicht länger im Gegensatz ste- hen zu Innenstadtfesten, bei denen es auch mal etwas lauter sein kann. Nur durch ge- meinsames Handeln kann es gelingen, die Einsamkeit der digitalen Konferenzen zu ver- lassen und lustvoll die analogen Freiheits- undLebensräume so zu gestalten, dass sie der virtuellen Bequemlichkeit gewachsen sind. KOMMENTAR VON TORSTEN BERNINGHAUS Anzeige

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