75 Jahre WP | Jubiläumsausgabe
PBX__NRWTZ_3 SAMSTAG | 26. JUNI 2021 29 38 40 42 33 46 ZUKUNFTS WELT RETTEN WALD RETTEN BEST-OF COURAGE 1946–2021 Mit dem Projekt „Tatorte“ geht das Zukunftslabor 2017 an den Start. Neue Serie unter dem Titel „Wie wir uns wiedersehen“ Gemeinsam mit Partnern sowie unseren Leserinnen und Lesern pflanzen wir Bäume und wirken dem Waldsterben entgegen Chefreporter Daniel Berg unterzieht sich einer strengen Diät, um die Welt ein Stückchen besser zu machen Unsere Reporterinnen und Reporter erzählen spannende Anekdoten und berichten von waghalsigen Selbstversuchen Carmen Henn aus Schönau macht Mut: Trotz Beinprothese ist sie eine Top-Sportlerin und verfolgt ihren großen Traum Ein Blick zurück auf die vergangenen 75 Jahre WESTFALENPOST: Entstehung, Entwicklung und Erfolge Da ist echt was drin LABOR Hagen/Weimar. Dr. Christopher Buschow weiß, wie rasant die Entwicklung ist und wie tiefgreifend Veränderungen in der Me- dienlandschaft sind. Der 35-Jährige ist seit zwei Jahren an der Bauhaus-Universität Weimar als Juniorprofessor für „Organisa- tion und vernetzteMedien“ imFachbereich Medienmanagement tätig. Der erfolgreiche Wissenschaftler und Autor (Buschow hat mehr als 40 Publikationen in Kooperation mit Wissenschaftlern aus fünf Ländern ver- öffentlicht und mehr als 60 nationale und internationale Vorträge gehalten) pendelt häufig von Thüringen nach NRW, um dort mit seiner Lebensgefährtin Zeit zu verbrin- gen. Der gebürtige Schleswig-Holsteiner hat sich mit uns über Adaptionsgeschwin- digkeit, „Cyborgs“ und „value for money“ unterhalten. Schauen Sie im Rahmen unseres Jubiläums „75 Jahre WESTFALENPOST“ für unsere Leser doch bitte mal 7,5 bzw. 15 Jahre zurück und blicken Sie 7,5 bzw. 15 Jahre in die Zukunft. Dr. Christopher Buschow: Wenn ich den Zeit- raum zurückschaue, hat sich die Medien- welt fundamental umgekrempelt. Smart- phones gehören heute zumAlltag – das war 2007 noch nicht der Fall. Straßen- und Landkarten, die vor 15 Jahren benutzt wur- den, wurden von Google-Maps abgelöst, Schallplatten und CDs vom Audio-Strea- ming-Dienst Spotify und das klassische Fernsehen vom Filme-Streaming-Dienst Netflix. Aber ist Netflix in der Durchschnittsgesell- schaft denn tatsächlich angekommen? Und ob, es hat eine größere Verbreitung, als viele vielleicht annehmen. Netflix erreicht heute bei den unter 30-Jährigen schonmehr Nutzer als das Fernsehen. Nachschlagewerke wie Brockhaus oder Duden fand man früher in beinahe jedem Bü- cherschrank. Warum sieht das heute anders aus? Weil es für diemeisten so bequemerscheint, Wikipedia zu nutzen. Die freie Internet-En- zyklopädie organisiert unser Wissen, Wiki- pedia ist der meist nachgefragte Wissens- vermittler der Welt. Aber blicken wir in die Zukunft. Warum verändert sich die digitale Welt so ra- send schnell? Bis neue Medientechniken tatsächlich in der Gesellschaft ankamen, dauerte es frü- her Jahrzehnte. Bis das Telefon 50 Millio- nen erreicht hatte, waren 50 Jahre vergan- gen. Bis diese Zahl über einen Fernseher verfügte, dauerte es 22 Jahre. Bei der Ver- breitung von Computern sah es schon an- ders aus, da dauerte es gerade mal noch 14 Jahre. An diesen Beispielen erkennt man gut, dass sich die Adaptionsgeschwindig- keit neuer Medien drastisch erhöht hat. Und wie sieht’s beim mobilen Telefonieren und sozialen Netzwerken wie Facebook aus? Handys und Smartphones haben sich bin- nen 12 Jahren zu absoluten Alltagsbeglei- tern entwickelt, und Facebook hat inner- halb von nur drei Jahren 50 Millionen Nut- zer erreicht. Aber manche Prognosen erfüllen sich nicht. Richtig. Ein Beispiel dafür ist studiVZ. Die Online-Community für Studierende war Mitte der 00er Jahre total angesagt, heute spricht keiner mehr darüber und in 7,5 und erst recht in 15 Jahrenwird siewohl völlig in Vergessenheit geraten sein. Facebook hat studiVZ platt gemacht. Die Folge ist ein Geisternetzwerk. Wie werden soziale Medien das künftige Le- ben bestimmen? Man nimmt sie nicht mehr wahr, sie werden so selbstverständlich wieWasser und Elekt- rizität sein. Undmanmerkt erst, wiewichtig und für viele fast lebensnotwendig soziale Medien sind, wenn etwas nicht mehr funk- tioniert, es also Probleme beim Internet, auf Facebook oder mit WhatsApp gibt. Wie werden Computer oder Laptops, also Hardware, künftig aussehen? Naheliegend ist: Es wird sie nicht mehr ge- ben – mit Ausnahme einiger Design-Pro- dukte. Klassische Bildschirme werden durchSmart-Speaker-Systeme abgelöst, läs- tige Fremdkörper sind imAlltag nicht mehr erwünscht. Künftig werden Informations- übermittler in Alltagsgegenstände wie Bril- len oder smarte Kleidung integriert. Schon heute gibt es Turnschuhe mit eingebautem Chip; die gewonnenen Daten werden auf einer App sichtbar. Apropos Chip bzw. ID-Chip – was tut sich in diesem Bereich? Die Verschmelzung des Körpers mit Tech- nologie hat großes Potenzial, künftig integ- raler Bestandteil unseres Lebens zu wer- den. Auch andenBegriff „Cyborg“ – derNa- me leitet sich vom englischen „cybernetic organism“ ab – werden wir uns gewöhnen. „Cyborg“ bezeichnet ein Mischwesen aus lebendigem Organismus und Maschine. Vereinfacht gesagt: Ich lasse mir zum Bei- spiel zwischen Daumen und Zeigefinger einen Mikrochip, der Daten speichern und mit einem Handy austauschen kann, im- plantieren. Die Technologie bringt es fertig, zum Beispiel mein Auto oder meine Haus- tür zu öffnen oder ich kann mit ihr bezah- len. Zurück zu „75 Jahre WP“ – wie sollte ein Ver- lagshaus wie Funke auf die Entwicklungen re- agieren? Verlagshäuser sollten sich von bestehenden Formaten lösen und vielmehr der Frage nachgehen, wie es gelingen kann, sich funk- tional in den alltäglichen Informationsfluss der Nutzer einzuklinken. Was heißt das konkret? In welchen Situationen ist es dem Leser oder User denn besonders wichtig, schnelle und zuverlässige Informationen zu erhal- ten? Natürlich bei einer Vollsperrung, bei Unwetterwarnungen oder ähnlichen Vor- kommnissen. In solchen Fällen sind die User auch bereit, für diese nutzwertigen In- formationen zu zahlen. Und Abonnenten erkennen ihr Abo als sinnvoll und nützlich an. Die Lokalzeitung der Zukunft muss ein Helfer desAlltags sein. Der Service-Charak- ter spielt eine immer größere Rolle. Der in- vestigative Journalismus darf dabei aller- dings nicht zu kurz kommen. Wo lauern Gefahren für die Tageszeitung von heute? Kostenlose Konkurrenzangebote sind ge- fährlich. Tageszeitungenmüssen aufpassen, dass ihnen nicht noch mehr Bereiche, die sie früher einmal abgedeckt haben, durch neue Angeboteweggenommenwerden. Die Zeitung sollte versuchen, sich als Commu- nity, als lokaler Unterstützer, unverzichtbar zu machen. Die Menschen wollen in allen Lebenslagen einen Vorsprung haben und dafür zahlen sie auch. Value for money, sprich, das Preis-Leistungs-Verhältnis, muss natürlich stimmen. Rasant YVONNE HI NZ IM GESPRÄCH MI T DR . CHRI STOPHER BUSCHOW Wenn ich den Zeitraum zurückschaue, hat sich die Medienwelt fundamental umgekrempelt. Smartphones gehören heute zum Alltag - das war 2007 noch nicht der Fall. Straßen- und Landkarten, die vor 15 Jahren benutzt wurden, wurden von Google-Maps abgelöst, Schallplatten und CDs vom Audio- Streaming-Dienst Spotify und das klassische Fernsehen vom Filme- Streaming- Dienst Netflix. Dr. Christopher Buschow ist mit den „Lübecker Nachrichten“ aufgewach- sen. Er studierte Medienmanagement in Hannover und Helsinki. Der heute 35-Jährige forscht schwerpunkt- mäßig zur Organisation und Finanzierung des digitalen Journalismus. Die Medien. FOTO: MATTHIAS ECKERT
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