75 Jahre WP | Jubiläumsausgabe
PBX__NRWTZ_30 Von Hubertus Heuel, Michael Koch, Laura Handke Düsseldorf/Hagen. Er ermordete fünf Men- schen, überfiel Banken und Geldtransporter, schmuggelte Zigaretten und brach zweimal aus dem Gefängnis aus: Obwohl seine Taten 20 Jahre und länger zurückliegen, gehört Nor- man Franz bis heute zu den meist gesuchten Schwerverbrechern Deutschlands. Die Polizei hat den ebenso skrupellosen wie intelligenten Gangster nach seiner letzten Flucht aus den Augen verloren, doch die Ermittler sind über- zeugt davon, dass er noch lebt. Nach Franz wird gesucht wie sonst nur nach den noch im- mer untergetauchten Terroristen der Rote Ar- mee Fraktion (RAF). Handgranate auf Hohen Syburg Die kriminelle Karriere des inNeheim-Hüsten geborenenNormanVolker Franz nimmt ihren Anfang in Dortmund. Er ist Mitglied einer Bande, die Zigaretten schmuggelt und mit Waffen handelt. Als sie imMai 1995mit einem rivalisierenden, polnischen Gangstersyndikat aneinandergeraten, locken Franz und seine Komplizen die Gegner in einen Hinterhalt. Auf einem einsamen Parkplatz in Syburg wirft Franz eineHandgranate indasAutoder Polen, von denen einer sofort stirbt. Einem zweiten, der davonzulaufen versucht, schießen Franz und seine Spießgesellen mehrmals in den Kopf, nur dem dritten Mann gelingt schwer- verletzt die Flucht, obwohl sie ihn mit einem Auto verfolgen und aus einer Pumpgun auf ihn feuern. Ausbruch in Hagen Franz setzt sich zum ersten Mal ins Ausland ab, wird jedoch mit seiner Freundin nach der Rückkehr aus Spanien geschnappt und eben- so wie seine Mittäter zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt, wobei das Landge- richt Dortmund die besondere Schwere der Schuld feststellt, was eine vorzeitige Haftent- lassung nach 15 Jahren unmöglich macht. So lange aber wird Franz, der hinter Gittern seine Lebensgefährtin geheiratet hat, ohnehin nicht im Knast bleiben. Am 11. März 1997 gelingt ihmdie inGefängniskreisen bis heute legendä- re Flucht aus der Justizvollzugsanstalt in Ha- gen. Seine Frau hat ihm in ihrem Gürtel eine kleine Säge ins Gefängnis geschmuggelt, mit der er zunächst die Gitterstäbe seines Zellen- fensters durchtrennt. Dann klettert er mit einer Leiter, die er aus Eimerhenkeln und Be- senstielen gebastelt hat, auf das Dach der An- stalt und rutscht an einem Regenrohr in die Freiheit hinab. Vor der Anstalt wartet seine Frau schonmit einemWagen auf ihn. Sie brau- sen davon, die spektakuläre Flucht gelingt. Brutale Flucht Das Dasein, das die beiden fortan führen, mag an das amerikanische Gangsterduo Bonnie und Clyde erinnern, denn auch das deutsche Pärchen lebt im Untergrund, wechselt häufig die Hotels, missachtet alle Gesetze und nimmt sich mit brutaler Gewalt, was es haben will. Nur zwei Wochen nach dem Gefängnisaus- bruch schießt Norman Franz vor der Dresnd- ner Bank in Weimar einen Wachmann nieder und reißt eine Geldkassette mit 10000 Mark an sich. Wiederum vier Monate später macht er fette Beute und flieht mit einer halben Mil- lion Mark, die er aus einem Geldtransport in Halle geraubt hat. Die beiden wehrlosen Wachmänner streckt er eiskalt nieder. Haft und Ausbruch Portugal Erneut flieht das Räuberduo auf die Iberische Halbinsel, diesmal nach Portugal. Dort ver- sucht Franz, sich im Immobiliengeschäft eine scheinbar normale Existenz aufzubauen, an der Algarve kauft er ein Appartement mit Meerblick. Er nennt sich Carsten Müller oder Michael Stuever. Inzwischen ist er Vater eines Sohnes geworden. Doch abermals kommt die Polizei dem Mörder auf die Schliche, sperrt ihn und seine Frau im Zentralgefängnis von Lissabon ein. Am28. Juli 1999 flüchtet er. Seit- dem ist Franz verschwunden. Die Hoffnung der Ermittler Doch die Ermittlungsbehörden haben die Su- che nach dem Mann, der Deutsch, Englisch und Portugiesisch spricht, nicht aufgegeben. Zielfahnder des Landeskriminalamtes gehen weiterhin jedemkleinstenHinweis nach, denn es ist zu vermuten, dass sich Franz weiterhin im Ausland aufhält. Er hat alle Verbindungen zu seinem früheren Leben abgebrochen, unterhält wahrscheinlich auch keinen Kon- takt zu seinem Sohn oder seiner Frau, die sich längst von ihmhat scheiden lassen. Auchwenn er vermutlich schon lange kein Verbrechen mehr begangen hat: Norman Franz ist wie ein Phantom, von dem eine tödliche Gefahr aus- geht. Neue Hinweise und Interpol-Fahndung Nachdem 2018 ein erneuter Fahndungsaufruf gestartet worden war, haben sich mehr als 50 neueHinweise auf den Verbleib des mutmaßli- chen Fünffachmörders Norman Franz erge- ben. Das hat das Landeskriminalamt bestätigt, das allen Hinweisen nachgehen will. Erstmals Vorsicht! Franz ist gewalttätig und bewaffnet. Er macht rücksichtslos von der Schusswaffe Gebrauch. Bundeskriminalamt (BKA) Warnt im Fahndungsaufruf seiner „most-wanted“-Liste ZWE I MA L AU S D EM G E FÄNGN I S AU S G E BRO CH E N 15. Mai 1995 Tötungsdelikte auf der Hohensyburg mit Langwaffen undHandgranate. Franz flüch- tet über Mallorca und AmsterdamnachOs- nabrück. 13. Juli 1995 Er wird in Osnabrück verhaftet. 13. Juli 1995 bis 12. März 1996 Justizvollzugsanstalt Dortmund. 12. März 1996 Verurteilung zu lebenslanger Freiheitsstrafe. 12. März bis 31. Dez. 1996 Er sitzt in der JVAWuppertal ein. 21. Mai 1996 Hochzeit in der JVAWuppertal. 13. Dezember 1996 Ablehnung der Revision durch denBundes- gerichtshof. 7. Februar bis 11. März 1997 Er wird in die JVA Hagen verlegt. 11. März 1997 Flucht aus der JVA Hagen. 26. März 1997 Raubüberfall auf Geldtransporter in Wei- mar, ein Wachmann wird erschossen. 21. Juli 1997 Raubüberfall auf Geldtransporter in Halle, zwei Wachmänner werden erschossen. 24. Oktober 1998 Festnahme in Albufeira/Portugal. 28. Juli 1999 Flucht aus Zentralgefängnis Lissabon, kurz vor der Auslieferung. Stationen: Die Spur des Norman Franz öffentlich zu hören war dabei auch die auffäl- lig hohe Stimme von Norman Franz. Die Er- mittler hatten einen Ausschnitt aus einemmit- geschnittenen Telefonat veröffentlicht. Zu hö- ren war die Stimme nicht nur über die WP- Internetseite, sondern auch in der ZDF-Sen- dung „Aktenzeichen XY... ungelöst“. Einige Zeugen hätten berichtet, Franz im Rahmen von Auslandsaufenthalten gesichtet zu haben. „Hierauf konzentriert sich momen- tan die Arbeit der Polizei“, so das Bundeskri- minalamt imMärz 2021. Man gehe derzeit da- von aus, dass Franz sich im Ausland, „eventu- ell in einem Portugiesisch sprechenden Land“ aufhalte. Die Zielfahnder des Landeskriminal- amts NRW wollen in Zusammenarbeit mit dem Bundeskriminalamt und nach Abstim- mung mit der Staatsanwaltschaft Dortmund eine erneute weltweite Öffentlichkeitsfahn- dung durchführen. „Dabei steht erstmals eine Fahndung unter Einbindung aller Interpol- Mitgliedsstaaten im Vordergrund“, so das LKA. Die Fahndung wird über die „Front Pa- ge“ der Interpol-Webseite veröffentlicht, der Fahndungsaufruf auf Social-Media-Accounts in 194 Ländern geteilt. „Darüber hinaus er- folgt eine Veröffentlichung erstmals für die Polizei des Landes NRW international auf der Europol-Website „Europe’s Most Wanted“, heißt es. Frank Scheulen, Erster Kriminalhauptkom- missar und Pressesprecher beimLandeskrimi- nalamt NRW, erklärt: „Die Möglichkeit der weltweiten Öffentlichkeitsfahndung über Interpol und deren Social-Media-Kanäle ist eine noch sehr junge Fahndungsmöglichkeit. Dieser Weg konnte nicht erheblich eher be- schritten werden. Er kommt auch nur infrage in herausragenden Fahndungsfällen und ist nur umsetzbar, wenn absolut keine Hinweise auf den Aufenthaltsort bekannt sind.“ Da die letzte Öffentlichkeitsfahndung nach Norman Franz zuletzt 2018 durchgeführt wurde, sei eine gewisse zeitliche Distanz gegeben. Neu sei zudem die Kombination mit der Fahndung auf der Seite von Europe’s Most Wanted: „Diese Möglichkeit steht den Fahn- dungsdienststellen in Deutschland erst seit 2020 und das im begrenztem Umfang offen“, betont Scheulen und ergänzt: „Fünffacher Mord ist für Deutschland absolut herausra- gend. Darüber hinaus ist es in NRW mit Ab- stand die am längsten andauernde Zielfahn- dung.“ Die Fahndung nach Norman Volker Franz erfahre ein hohes mediales Interesse. „Dies ist in sonstigen Zielfahndungen eher die Ausnahme.“ Für entscheidende Hinweise, die zur Fest- nahme führen, ist eine Belohnung von bis zu 25.000Euro ausgesetzt. DieBehördenwarnen aber auch: „Franz ist gewalttätig und bewaff- net. Er macht rücksichtslos von der Schuss- waffe Gebrauch. In dringenden Fällen wählen Sie den Notruf 110. Da der Gesuchte mögli- cherweise bewaffnet ist, verständigen Sie auf jeden Fall die Polizei und sprechen Sie den Tat- verdächtigen nicht an.“ Intelligent und skrupellos NORMAN F R AN Z W I RD F Ü R D E N TOD VON F ÜN F ME N S CH E N V E R AN TWOR T L I CH G EMACHT . S E I N E F LU CHT AU S D E R J VA HAG E N VOR 2 4 J AH R E N I S T L E G E NDÄ R SE I THER JAGEN IHN DI E ERMITTLER
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