75 Jahre WP | Jubiläumsausgabe
PBX__NRWTZ_35 SAMSTAG | 26. JUNI 2021 BIER am Tresen so fehlt Warum das Gerade an der Theke entsteht Gemeinschaft. Das hat schon etwas Familiäres. Andreas Pempel Gevelsberg. „Eigentlich wäre hier mein Stammplatz“, sagt Sven Weiß und zeigt auf den Tisch in einer hinteren Ecke. Der 28-Jährige steht mitten im Gastraum des Rathskellers an der Mittelstraße in Gevels- berg. Normalerweise ist er hier Stammgast. Normalerweise. ImMoment ist aber nichts normal. Der Rathskeller ist leer. Die Biergläser hängen in ihrer Halterung über der Theke. Aus der Zapfanlage kommt kein Tropfen. In den vergangenen Monaten war es still um die Gaststätte. So still, dass viele Angst hatten, sie habe den Lockdown nicht überlebt. Daher das Wichtigste vorab: Ja, den Rathskeller gibt es noch. Nicole Rilli, Andreas Pempel und ihr Teamwarten sehnsüch- tigst darauf, ihre Gäste wieder in gewohnter Manier empfangen zu dürfen. Umso schöner, dass Pempel die Türen des Rathskellers für diese Zeitung schon etwas früher wieder aufgeschlossen hat. Auf Bitte der Redaktion traf er sich mit Stammgast SvenWeiß corona- konform zum Gespräch. Darüber, wie wichtig Gaststätten für unsere Gesellschaft sind. Und über ihre Sorge, dass die Menschen nach der Pandemie nur zögerlich andieseBegegnungsorte zurückkehrenkönn- ten. Denn da sind Pempel und Weiß sich einig: Gaststätten sind Be- gegnungsorte. „Gerade an der Theke entstehtGemeinschaft“, macht Pempel klar. „Gerade wenn die richtigen Leute am Tresen sitzen, wird das gut“, ergänzt Sven Weiß. Dort würden diejenigen sitzen, die kurz mal auf ein oder zwei Bier vorbeischauten. Eine bunte Mischung aus jung und alt. „Die Leute wollen den neuesten Schnack aus Stadt, über das Wetter, über Fußball“, sagt Weiß. „Das hat schon etwas Fami- liäres“, findet auch Pempel. „Man ist ja mehr als nur Mund- schenk. Man ist Verbindungselement.“ Viel habe er in den Jahren über seine Stammgäste erfahren. „Und wenn die Leute reinkommen und mit den Worten ,wie immer’ be- stellen, fühlen sie sich auchwohl“, so der 60-Jährige. Dass es das imMoment nicht gebe, sei auch für ihn komisch. Für Sven Weiß ist es sogar mehr als das. Für ihn ist mit der Schließung der Gastronomie etwas verloren gegangen. „Mir fehlt ganz viel, mir fehlen meine Freunde, ich sitze hier auchmit meinemBadminton- verein oder meinen Nachbarn“, sagt der 28-Jährige. „Ich habe hier im Rathskeller schon ganze Nächte verbracht.“ Auch neue Leute könne er in der Gast- stätte kennenlernen. „Hier kommen die Men- schen zusammen“, bestätigt Andreas Pempel. „Und ihnen fehlt diese Gemeinschaft, ganz egal, welche Küche sie bevorzugen.“ Stürmen die Gevelsberger nach Corona also wieder die Lokale der Stadt? Pempel und Weiß sind da skeptisch. „Schon beim ersten Lockdown waren die Leute verhalten“, weiß Andreas Pempel. „Selbst in der erstenWoche nachderÖffnungwaren sie nochvorsichtig.“ Leute, die sonst sonntagmittags zum Es- sen gekommen seien, seien auf einmal weg- gefallen. Besonders die Älteren. „Wir haben dann den Sonntagmittag nicht mehr aufge- macht“, sagt der 60-Jährige. „Das wird uns bei der nächsten Öffnung auch wieder be- schäftigen.“ Auch Sven Weiß denkt, dass vor allem die älteren Gäste nach Corona noch vor- sichtig sein werden und sich in keine volle Gast- stätte setzen. „Ich würde danach wieder in Men- schenmassen gehen, aber ich bin auch jung, ge- impft und fit“, sagt Weiß. Das Innenleben des Rathskellers wird sich aus seiner Sicht ändern. „Der Austausch zwischen Jung und Alt wird vielleicht wegfallen“, beschreibt er seine Befürchtung. „Auch einen spontanen Austausch am Tresen könnte es dann nicht mehr geben.“ Von Max Kölsch
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