75 Jahre WP | Jubiläumsausgabe

PBX__NRWTZ_5 SAMSTAG | 26. JUNI 2021 „Ich kenne viele, die sehr betroffen sind, ich selbst habe keine negativenErfahrungen ge- macht. Es kommt immer drauf an.“ „Der Satz, den ich vergangenes Jahr am häufigsten gehört habe, ist: Du sprichst aber gut Deutsch“, analysiert Najib El-Chartou- ni, der in Siegen Soziale Arbeit studiert und seit zwei Jahren in der ambulanten Fami- lienhilfe tätig ist. Debbys Vater kam nach Deutschland, umzu studieren, Najibwurde als Sohn von libanesischen Geflüchteten in Siegen geboren und spricht mit reinstem Siegerländer Zungenschlag. „Als ich mei- nen 1er-BMWneu hatte, bin ich an zwei Ta- gen hintereinander von der Polizei rausge- wunkenworden.“ JungeMänner, die so aus- sehen wie Najib, werden als Kanaken be- zeichnet. „Ich war mal auf der Schiene, wo ich gedacht habe, ich benutze das Wort Ka- nake selbst so häufig wie möglich, um ihm das Diskriminierende zu nehmen. Das hat aber nicht geklappt.“ Die Diskussion um Alltagsrassismus ist neu. Bisher wurde kaum hinterfragt, wie die Gesellschaft mit jenen Bürgern umgeht, die sich von der Mehrheit unterscheiden. „Wir wollen in einem Theaterstück die Tür öffnen, einfach mal darüber nachzu- denken, zu sagen: Lasst uns darüber reden, eine kleine Reflexionslampe anschalten. Das kann uns in unserem ganzenMiteinan- der nur guttun“, wünscht sich Werner Hahn. Dabei unterläuft der versierte Thea- terpraktiker Hahn virtuos die Klischee-Er- wartungen. Gloria ist alles andere als eine verschüchterte Schwarze Frau, sie ist im Gegenteil eine schlagfertige Hölderlin-Ex- pertin. Und der Abteilungsleiter Nadiment- puppt sich längst nicht so breitbeinig, wie sein erster Auftritt nahelegen würde. Denn Theater soll überraschen. Und auch, wenn es sich um ernsthafte und kontroverse The- men handelt, soll Theater berühren und unterhalten. „Wir wollen das Thema mit einer gewissen Leichtigkeit ansprechen“, sagt Werner Hahn. Wir wollen die aktuelle Gesprächsebene durch die Direktheit des Textes so darstellen, dass man positiv und locker reflektieren kann.“ Debby Kuyitila und Najib El-Chartouni sind begabte Dar- steller und haben bereits in mehreren Stü- cken von Werner Hahn mitgespielt. Najib ist Rapper, Debby eine wunderbare Sänge- rin. „In der Kunst zählt nicht die Schachtel, in der man drin steckt, in der Kunst zählt das Individuum“, unterstreicht der Regis- seur und Autor Hahn. Und so schafft Thea- ter Räume, in denen Darsteller und Publi- kum eingefahrene Denkmuster hinterfra- gen können. „Wir haben alle einen Namen bekommen“, sagt Werner Hahn. „Und der eigene Name ist die einfachste Form, einen Menschen zu benennen. Aber wir nehmen immer das Klischee. Wir sagen nicht: Das ist Robert, sondern wir sagen: Das ist der Schwule, die Dicke, der Türke, der Schwar- ze. In dieser Klischeehaftigkeit stecken so viele Vorurteile.“ Link zum Proben-Video: wp.de/theater75 auf der Haut Lasst uns darüber reden und eine Reflexionslampe anschalten. Das kann uns im Miteinander nur guttun. Werner Hahn Autor und Regisseur Werner Hahn (links) schreibt ein Stück über Alltagsrassismus – gespielt von Debby Kuyitila und Najib El-Chartouni. FOTO: MICHAEL KLEINRENSING Von Monika Willer Hagen/Siegen. Und woher kommst Du wirk- lich? „Wer so aussieht wie ich, kann nicht leugnen, woher er kommt. Ich komme aus Wanne-Eickel“, sagt GloriaMokiwa in dem Theaterstück „Mücken auf der Haut“. Es ist die klassischeSituation. EinBewerbungsge- spräch. Ein überforderter Abteilungsleiter, der den Chef vertritt und angesichts der Schwarzen Kandidatin ihm gegenüber in die Klischeefalle stolpert. Nicht mit böser Absicht, aber trotzdem verletzend. Das mo- bile Stück „Mücken auf der Haut“ über All- tagsrassismus hat der preisgekrönte Thea- termann Werner Hahn zum 75-Jahr-Jubilä- um der WESTFALENPOST geschrieben. Es wird im Herbst in der neuen WP-Arena im Pressehaus Hagen uraufgeführt, dann geht die Produktion auf Tournee durchSüd- westfalen. „Input-Theater“, so nennt Wer- ner Hahn sein Format. Denn das Publikum wird mit einbezogen. Woher kommst Du? Das ist eine Frage, die überall auf der Welt gestellt wird, wenn jemand anders aussieht als die Mehrheit. Dahinter verbirgt sich meistens keine böse Absicht. Aber wenn es dann weitergeht: Und woher kommst Du wirklich? Woher kommen Deine Eltern? Wie viele Ge- schwister hast Du?, dannwird die Situation schnell übergriffig. „In einem Bewerbungs- gespräch fände ich solche Fragen schon ko- misch, weil ich damit eingeordnet werde“, sagt Germanistik-Studentin Debby Kuyitila aus Oberhausen, welche die Gloria spielt. Mücken THEATER MI T Anzeige AUF DIESEM BILD HABEN SICH 150 WELTMARKTFÜHRER VERSTECKT Top Jobs bei mehr als 150 Weltmarktführern und 80.000 Unternehmen, bezahlbarer Wohnraum, grüneWork-Life-Balance? Das klingt doch alles zu schön, um nicht da zu sein! Überzeuge dich selbst unter suedwestfalen.com/undbleib Projekt gefördert durch:

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