Hamburger Abendblatt | Dossier | 1972

27 1972 Kollegen halten vieles von dem, was die beiden schreiben, für überzogen. Das Weiße Haus spricht von Erfindungen und Halbwahrheiten. Und Richard Nixon selbst? Er fährt am 7. November 1972 einen grandiosen Wahlsieg ein, der ihm eine zweite Amtszeit sichert. Sein Kontrahent, der blasse George McGovern, hat nicht den Hauch einer Chance. Und dieser strahlende Wahlsieger soll ein Betrüger sein? Einer, der ExAgenten zu Sabotageaktionen, Spionage und Einbrüchen anheuern lässt? Die Skepsis in der Bevölkerung gegen die Berichterstattung der Washington Post ist groß. Acht Monate nach dem Einbruch, im Februar 1973, geraten Woodward und Bernstein an einen toten Punkt. Woodward wird sich später erinnern: „Dies war die schwärzeste Phase unserer WatergateBerichterstattung.“ Der vielleicht wichtigste Grund, warum die Watergate-Affäre doch nicht zu den Akten gelegt wird, lautet: Deep Throat. Diesen Namen gibt Reporter Woodward seiner Quelle, die ihn mit Informationen rund um die Affäre versorgt. Der Journalist trifft den Mann stets nach Mitternacht in einer unterirdischen Tiefgarage. Zunächst kennt auch Woodward von seiner Quelle nur die Stimme – weshalb er ihr den Namen „Deep Throat“ gibt. Der geheimnisvolle Informant liefert Woodward keine handfesten Fakten, lenkt die Recherchen der Post-Reporter aber immer wieder in die richtige Richtung. „Folgt dem Weg des Geldes“, rät er den Reportern. Die Verfilmung der Watergate-Affäre mit Robert Redford und Dustin Hofmann als Woodward und Bernstein wird später auch „Deep Throat“ ein Denkmal setzen. „Deep Throat“ outet sich selbst In den Medien wird unentwegt über die Identität der Quelle spekuliert. Doch Woodward und Bernstein schützen ihren Informanten. Außer den beiden kennen nur vier Personen die wahre Identität: Woodwards Ehefrau, zwei Chefredakteure der Post sowie ein Staatsanwalt, der das Geheimnis entdeckt, aber für sich behält. Mehr als 30 Jahre wird Woodward eisern schweigen – dann enttarnt sich „Deep Throat“ selbst. 2005 outet sich der inzwischen über 90 Jahre alte Mark Felt, in den 70er-Jahren Vize-Chef des FBI, als die Quelle der Reporter. Warum er sein Geheimnis doch noch preisgibt, bleibt letztlich ebenso unklar wie die Motive für seine Rolle als Informant. Im März 1973 kommt neue Bewegung in die Affäre. James W. McCord, einer der fünf Watergate-Einbrecher, schreibt einen Brief an Richter John Sirica und behauptet, er und seine Mit-Angeklagten hätten nur unter Zwang ihre Schuld bekannt und einen Meineid geschworen. Nixon-Berater John Dean und Ex-Justizminister John Mitchell sollen sie zur Falschaussage gedrängt haben. Damit zieht sich die Schlinge um Richard Nixon enger. Nun wird immer klarer, was Reporter Woodward später so beschreiben wird: „Der Watergate-Einbruch war keine Einzeltat, sondern Teil eines umfangreichen Systems rechtswidriger Geheimoperationen, die sich gegen angebliche Nixon-Feinde richteten. Dazu gehörten Führer der Bewegung gegen den Vietnamkrieg, Medienvertreter, Mitglieder der Demokratischen Partei, Abweichler innerhalb der Nixon-Administration und später jene Mitarbeiter der amerikanischen Justiz und des FBI, die mit der Aufklärung der Watergate-Ereignisse befasst waren.“ Im Mai 1973 erhält die Washington Post für ihre Watergate-Berichterstattung den Pulitzer-Preis für herausragende journalistische Leistungen. Immer mehr Ex-Nixon-Mitarbeiter packen aus. Es kommt heraus, dass es im Weißen Haus ein Tonbandaufzeichnungssystem gibt. Seit 1971 wurden alle Gespräche und Telefonate in Nixons Büro aufgenommen. Nixon weigert sich, die Bänder herauszugeben. Im Oktober 1973 wird der Druck zu groß, er gibt einige Bänder frei. Später erklärt er per TV-Ansprache seine Unschuld. Er sagt den heute legendären Satz: „I’m not a crook.“ Ich bin kein Schurke. Doch immer weniger Amerikaner glauben ihrem Präsidenten. Als dann bekannt wird, dass die von Nixon herausgegebenen Tonbänder Lücken aufweisen, werden erste Forderungen nach einem Rücktritt des Präsidenten laut. Im US-Kongress laufen die Vorbereitungen für ein Amtsenthebungsverfahren an. Aber erst als der Supreme Court, das höchste US-Gericht die Freigabe der Bänder anordnet, gibt Nixon nach. Das nahende Ende der Präsidentschaft wird deutlich, als Bandaufnahmen belegen, dass Nixon von der Verwicklung von Regierungsleuten und seinen Wahlkämpfern in den Watergate-Einbruch wusste – und dass er die Vertuschung der Affäre anordnete, indem er das FBI anwies, die Ermittlungen in dieser Sache einzustellen. Die betreffenden Bänder werden als „Smoking-Gun-Tapes“ bekannt. Nixon ist überführt. Am 8. August 1974 kündigt Richard Nixon in einer Fernsehansprache seinen Rücktritt als Präsident für den nächsten Tag an. Als er das Weiße Haus verlässt, reckt er die Hände zum Victory-Zeichen in die Höhe. Vizepräsident Gerald Ford wird am Tag danach als neuer Präsident vereidigt. Einen Monat später begnadigt Ford Nixon und bewahrt ihn so vor einer Anklage. Nixon stirbt am 22. April 1994 nach einem Schlaganfall. Die Grabrede hält US-Präsident Bill Clinton persönlich. Watergate war nicht vergessen, aber wohl doch vergeben.

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