BZV | Dossier | Lass uns reden

5 INTERVIEWS Wie oft haben Sie das schätzungsweise schon erklärt? (lacht) Ungefähr 150 Mal, aber man kann es nicht oft genug erklären, weil es tatsächlich so ein krasses Problem ist und so extrem verbreitet. Und es sitzt zum Beispiel auch in meinem Kopf fest und deswegen: Gerne oft drüber reden, damit wir das alle verlernen können. Der Titelsong handelt von toxischen Beziehungen. Singen Sie über eine konkrete Person? Es sind viele männliche Menschen gemeint und es geht nicht nur um toxische romantische Beziehungen. Es geht um alle Seiten, die das Patriarchat beschreiben. Das Video dazu ist zum Großteil an einem Stück gedreht worden. Wie oft mussten Sie durch das Haus tanzen? Es war tatsächlich schwierig, das so motorisch hinzubekommen. Ich musste einmal ein Harness (Geschirr) mit Magnetverschluss mit einer Hand beim Tanzen und Singen schließen. Und man darf das im Gesicht ja nicht sehen, dass man irgendwas gerade nicht so hinbekommt. Ich habe das vorher ungefähr 50 Mal auf- und zugemacht, um zu üben. Im Video zu „Frei“ haben Sie viele verschiedene Uniformen und Berufskleidungen angehabt. In welchem Outfit könnten Sie sich am ehesten arbeiten sehen? Puh … als Boxerin vermutlich. Und welches war das gemütlichste Kostüm? Das Richterkostüm war sehr gemütlich, aber auch das Footballspielerinnenkostüm. Damit habe ich mich richtig stark gefühlt. Ich glaube, ich hole mir so ein Ding und laufe damit abends mit dem Hund rum. Das gibt einem ein krasses Selbstbewusstsein, wenn man diese aufgeblasenen Schultern hat. Es geht in dem Song „Frei“ um viele gesellschaftliche Normen. Von welchen müssen wir uns noch frei machen? Auf jeden Fall immer noch von ganz vielen Bildern oder Erwartungen, mit denen Frauen belegt sind. Es ist ein langer Weg, ein Selbstbewusstsein und -verständnis zu finden, wie man sich als Frau und auch als Businesspartnerin darstellt. Als Frau hat man oft Angst, dass man als kompliziert oder hysterisch abgetan wird. Und daran muss ich auf jeden Fall arbeiten. Weniger People-Pleaserin sein, noch mehr meine Meinung sagen und damit für alle den kürzesten Weg gehen. Sie haben schon oft ein Plädoyer für mehr Frauen in der Musikindustrie gehalten. Hat sich der Zustand in den letzten Jahren schon etwas gebessert? Ich habe keine Statistiken. Ich kann nur sagen, dass ich in meinem Umfeld sehr froh bin, mir jetzt ein Team aufgebaut zu haben, mit ganz vielen inspirierenden, spannenden Frauen. Und ich habe schon das Gefühl, dass wir Frauen einander immer mehr die Hände reichen. Ich freue mich, wenn wir jetzt noch alle Chefetagen in der Musikindustrie übernehmen. Zum Song „Bikeboy“: Sie scheinen ein Faible für Fahrradfahrer zu haben, was macht die so attraktiv? Also ich selber kann nicht Fahrrad fahren, das macht Fahrradfahrer und Fahrradfahrerinnen für mich schonmal zu Zauberwesen. Sie können gar nicht Fahrrad fahren, haben es nie gelernt? Nee, ich habe das gelernt, aber ich hatte als Kind einen so bösen Unfall, dass ich mich seitdem kaum getraut habe, aufs Fahrrad zu steigen. Aber natürlich ist Fahrradfahren viel nachhaltiger und das finde ich sehr attraktiv daran. Ich kenne viele Menschen, die eigentlich gerne Auto gefahren sind, aber sich bewusst dazu entschieden haben, jetzt zu switchen und auf das Fahrrad umgestiegen sind und ihre 20 Kilometer am Tag machen. Da habe ich so einen großen Respekt vor und diesen Menschen wollte ich mit dem Song meine Wertschätzung gegenüber äußern, auf eine romantische Weise. Gehen Sie das Radfahren denn irgendwann noch mal an? Ich glaube, ich sollte es lieber nicht machen. Irgendwann mal, wenn ich nichts mehr zu verlieren habe. Aber Fahrradfahren ist immer noch gefährlich. Ich bleibe lieber bei 5 km/h Schrittgeschwindigkeit. (lacht) Was macht jetzt nach der Album-Veröffentlichung am meisten Spaß? Ich freue mich extrem auf die Tour. Für mich ist es so, dass die Musik erst in dem Moment so richtig echt wird, in dem man sie zusammen mit Leuten singt. Ich höre die Lieder auch auf einmal ganz anders und sie verselbstständigen sich. Das ist ein sehr emotionaler Prozess. Was macht es so emotional? Wenn man Sachen, unter denen man gelitten hat, in einem Lied verarbeitet hat und das dann bei einem Konzert spielt und zusammen singt, dann synchronisiert man sich emotional mit den Leuten. Bei einer Sache, bei der man sich eigentlich schlecht und allein fühlt, ist man auf einmal zusammen. Das finde ich so ein bestärkendes Gefühl, was meinen Schmerz immer heilt. Sie halten Ihr Alter geheim und sagen immer, dass Sie „20 plus“ sind. Bleibt das auch so, wenn sie die 30, 40 oder 50 knacken? Das wird Zukunfts-Alli entscheiden. Ich finde es gut, dass das immer wieder ein Gespräch anstößt. Ich habe Menschen immer krass nach ihrem Alter eingeordnet. Aber Zeit ist so eine relative Sache, deshalb versuche ich selbst, mich da nicht mehr verleiten zu lassen. Feiern Sie denn Geburtstag? Ich feiere eher den Eurovision Song Contest. (lacht) Das war bei uns in der Familie immer so, der ESC war das große Happening und ich versuche, alle Leute lieber dafür zusammenzutrommeln. Würden Sie gerne selbst mal beim ESC auftreten? Es gibt aktuell keine Pläne. Ich liebe den ESC mit genau der Rolle, die er in meinem Leben spielt. Es ist für mich Geburtstag, Pride und Familienfeier zusammen. Wenn ich teilnehmen würde, hätte ich danach vielleicht einen anderen Bezug dazu. Vielleicht sollte es immer dieser wunderschöne Kindheitstraum bleiben. Aber wer weiß, was die Zukunft bringt.

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