Hamburger Abendblatt | Dossier | 1972

21 1972 reichen ihnen ihre Sporttaschen an. „Good night and have fun“, rufen sie den Männern noch gut gelaunt nach. Was die US-Athleten nicht wissen: Die acht Männer sind keine Sportler, die von einer Kneipentour in ihr Quartier heimkehren, sondern ein palästinensisches Terrorkommando. In den Taschen, die sie mit sich führen, haben sie keine Laufschuhe oder Trikots, sondern Sturmgewehre und Handgranaten. Sie sind gekommen, um Geiseln zu nehmen und um zu töten. Von diesem Moment an wird der Terror die bisher so heiteren Olympischen Spiele von München überschatten. Dabei hat zehn Tage lang nichts auf die dramatischen Ereignisse hingedeutet. Am 26. August eröffnet Bundespräsident Gustav Heinemann unter der Zeltdach-Konstruktion des neuen Olympiastadions die Spiele. 36 Jahre nach den Spielen von Berlin, die von den Nazis für ihre Propaganda missbraucht wurden, präsentiert sich die immer noch junge Bundesrepublik als ein anderes Land, friedlich und weltoffen. Volle Tribünen, starke Leistungen Zehn Tage lang feiert München ein riesiges Fest. Es sind die heiteren Spiele. Die Tribünen sind voll, die sportlichen Leistungen Weltklasse. Das erst wenige Jahre zuvor eingeführte Farbfernsehen macht die Wettbewerbe zu einem TV-Ereignis. Da ist die Weitspringerin Heide Rosendahl, die die erste Goldmedaille für die Gastgeber holt. Da ist der goldene Sonntag des bundesdeutschen Teams, als 800-Meter-Läuferin Hildegard Falck, Speerwerfer Klaus Wolfermann und Geher Bernd Kannenberg am 3. September binnen einer Stunde gleich dreimal Gold für Deutschland holen. Zum Publikumsliebling avanciert die sowjetrussische Turnerin Olga Korbut mit drei Goldmedaillen, die Fans feiern die zierliche Sportlerin als den „Spatz von Minsk“. Und dann ist da eine gerade mal 16-jährige junge Frau, die mit der Weltrekordhöhe von 1,92 Metern sensationell Gold im Hochsprung gewinnt und die mit ihrer jugendlich-unbekümmerten Art die Herzen der Zuschauer im Sturm erobert: Ulrike Meyfarth, so ihr Name, wird in München zum Weltstar. Der unumstrittene Superstar der Spiele aber kommt aus den USA. Der schnauzbärtige Sonnyboy Mark Spitz schwimmt in München der Konkurrenz um Längen davon. Am Ende sind es sieben Goldmedaillen, die sich der 22-Jährige um den Hals hängen darf. Seine siebte Goldmedaille holt Spitz mit der US-Staffel. Es ist der 4. September, es sind die letzten unbeschwerten Stunden der Spiele von München. Es ist der letzte Jubel vor dem Tag, der alles verändert. Die acht Terroristen, die an diesem Morgen an der Connollystraße in das Olympische Dorf eindringen, haben leichtes Spiel. Die Sicherheitsvorkehrungen sind betont locker, die Organisatoren wollen keine Fernsehbilder von bewaffneten Polizisten oder streng abgeriegelten Bereichen. Mit einem Anschlag rechnet hier niemand. Schnell besetzen die Terroristen das Quartier der israelischen Olympiamannschaft. Moshe Weinberger, der Trainer der Gewichtheber, stellt sich den Eindringlingen entgegen und ermöglicht so einigen Kameraden die Flucht. Doch Weinberger wird ebenso wie der Gewichtheber Josef Romano von Kugeln aus den Schnellfeuergewehren der Terroristen getroffen. Beide sterben. Die Angreifer haben nun neun Geiseln in ihrer Gewalt. Nach und nach dringen die Ereignisse von München an die Öffentlichkeit. Maskierte Terroristen mit Maschinenpistolen im Anschlag übergeben Polizisten ein Schreiben. Ein Ultimatum. Die Forderung: Bis 9 Uhr sollen 200 in israelischen Gefängnissen einsitzende palästinensische Häftlinge freigelassen werden. Ansonsten werde man die Geiseln töten. Gleiches gelte für den Fall, dass die Polizei versuche, das israelische Sportler-Quartier zu stürmen. Die Geiselnehmer verlangen, mit ihren Geiseln in ein arabisches Land ausgeflogen zu werden. Schnell ist klar: Diese Forderungen sind nicht zu erfüllen. Gleichwohl beschließen die Behörden, zum Schein weiter zu verhandeln. Es beginnt ein Nervenkrieg. Knapp drei Stunden sind seit dem Überfall vergangen, als gegen 7.20 Uhr Bundesinnenminister Hans-Dietrich Genscher und Bayerns Innenminister Bruno Merk im Olympischen Dorf eintreffen. Sie versuchen mit den Geiselnehmern zu verhandeln, beide Minister bieten sich als Geisel im Austausch gegen die israelischen Sportler an. Die Terroristen, die sich nun als Mitglieder der palästinensischen Terrorgruppe „Schwarzer September“ zu erkennen geben, lehnen ab. Schwarzer September. Der Name der Terror-Organisation ist für Polizei und Geheimdienste kein neuer. Er bezieht sich auf den Bürgerkrieg in Jordanien, der am 1. September 1970 seinen Anfang nimmt, als radikale Palästinenser ein Attentat auf Jordaniens König Hussein verüben. Der Anschlag schlägt fehl, Hussein rächt sich an den Palästinensern, zerschlägt die PLO in seinem Land, vertreibt deren Kämpfer ins Ausland. Im Jahr danach tötet ein Kommando des Schwarzen September den jordanischen Premierminister. Auch in Deutschland schlägt die Terrorgruppe blutig zu. Im Februar 1972, also rund ein halbes Jahr vor den Olympischen Spielen, ermorden Mitglieder des Schwarzen September fünf Jordanier in Brühl bei Köln. Und nun also München. Der Anführer der Geiselnehmer, der sich Issa nennt und deutsch spricht, verhandelt mit der Polizei. Er willigt ein, das Ultimatum von 9 auf 12 Uhr zu verlängern. Die Polizei geht zu diesem Zeitpunkt davon aus, dass sie es mit fünf Tätern zu tun hat. Tatsächlich sind es acht. Es wird nicht die einzige Fehleinschätzung der Behörden bleiben. Rund um den Ort der Geiselnahme gehen auf den Hausdächern Scharfschützen der Polizei in Trainingsanzügen in Stellung. Der Nervenkrieg dauert an. In Bonn und in Tel Aviv tagen die Krisenstäbe der Regierungen. Es ist 11.15 Uhr, als der israelische Botschafter in Deutschland, Eliashiv Ben-Horin, in München eintrifft. Er erklärt, dass die Regierung von Premierministerin Golda Meir der von den Terroristen geforderten Freilassung der 200 inhaftierten Palästinenser nicht nachgeben werde. Israel lasse sich nicht von Gewalttätern erpressen.

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