Hamburger Abendblatt | Dossier | 1972

7 1972 Pils und Korn berauschen kann. Und dass es nicht mehr ausschließlich die paar Tausend Hippies im Land sind, die sich regelmäßig einen Joint zwischen die Lippen schieben. Da stört es keinen, dass Werding mehr fragende, klagende junge Frau ist, als fröhlicher Teenager. Gleichaltrige fühlen sich von ihr verstanden, Eltern sind in Sorge. Im ganzen Land blicken sie – alarmiert von immer neuen Artikeln und TV-Reportagen – in Kinderzimmerschubladen, schauen in Sporttaschen des Nachwuchses. „Hast du schon mal…?“ „Kennst du welche, die…?“ Das Lied wird für Werdings Karriere ein Siebenmeilenstiefel, ist anfangs aber eher ein Hemmschuh. Denn mit „schwerer Kost“, – mit „zeitkritischen und nachdenklichen Liedern“ also, soll es nach dem Willen ihrer Plattenfirma weitergehen. Doch das funktioniert nicht. Erst 1975, im „Internationalen Jahr der Frau“, schreibt ihr ausgerechnet Frauenversteher Gunter Gabriel den Schlager „Wenn du denkst du denkst…“, in dem Werding erzählt, wie sie eine Runde Macho-Männer beim Skat-Spielen in einer Kneipe abzockt: „Ich gewann das Spiel – das war zu viel“. Das Lied beschert ihr nicht nur endlich wieder einen Top-FünfHit, sie darf auch – was heute gerne vergessen wird - live in der ZDF Hitparade gegen den späteren Skatweltmeister Will Knack aus Dortmund antreten. Und gewinnt. Mehr als 30 Jahre lang taucht Werding von da an immer wieder in den Charts auf – wenn auch meist nur kurz und nie mehr ganz oben. Eine Zeit lang singt sie mit kurzen und malvenfarbigen Haaren von Natur und vom Frieden, später tourt mit Maggie Reilly und Victor Lazlo. Sie widmet sich der Esoterik, beschäftigt sich ausgiebig mit Reinkarnation. In München steht sie nach absolvierter Schauspielausbildung in dem Theaterstück „Die Vagina-Monologe“ auf der Bühne, mit dem evangelischen Theologen Uwe Birnstein, zwischenzeitlich ihr Mann, veröffentlicht sie das Interviewbuch „Sagen Sie mal, Herr Jesus“. Beides mit – sagen wir mal – überschaubarem Erfolg. SÄNGERIN HAT SICH ZURÜCKGEZOGEN Schon 1982 lernt sie PR-Frau, drei Jahre später beginnt sie eine Ausbildung zur Heilpraktikerin. 2008 hängt sie die Gitarre an den Nagel, stellt das Mikro in die Ecke und eröffnet eine Praxis am Starnberger See. Seitdem hat man nichts mehr gehört von Werding. Interviews gibt sie schon lange nicht mehr, seit kurzem sind auch E-Mail-Adresse und Homepage abgeschaltet. Was bleibt ist die Erinnerung an Conny Kramer, an dieses Lied, das die Rauschgiftproblematik vor 50 Jahren ins Licht der Öffentlichkeit holte. Ein Lied, dass Werding nach eigener Aussage nie leid wurde zu singen. Den meisten Süchtigen, hat sie 1972 einmal gesagt, könne sie mit dem Song natürlich nicht helfen. „Aber wenn nur einer auf mich hört, hat es sich schon gelohnt.“ Jenseits von Conny Kramer: Die Sängerin Werding bei einem Auftritt im Berliner Tempodrom im Jahr 2005. FOTO: EVENTPRESS / PICTURE ALLIANCE / EVENTPRESS FOTO: WERNER BAUM / PICTURE-ALLIANCE/ DPA

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