Hamburger Abendblatt | Dossier | 1972

16 1972 Essen Was haben alte Römer und moderne Astronauten, Karnevalisten und Köche, Bauern und Bauarbeiter gemeinsam? Dasselbe wie der Dichter Friedrich von Schiller, der Reformator Martin Luther, James Bond oder St. Martin – es gibt sie als mehr oder minder bunte Playmobilfigur. Was heute in kaum einem Kinderzimmer fehlt, wurde vor 50 Jahren erdacht. Als Erfinder von Playmobil gilt der Mustermacher Hans Beck, der die Idee eines neuen Spielsystems auf Wunsch des Firmenchefs Horst Brandstätter realisierte. Beck, geboren im thüringischen Greiz, war damals Chefentwickler bei Geobra Brandstätter in Zirndorf bei Nürnberg. Nürnberg liegt in Franken – und die Franken sind helle. Einst hatten sie in ihrem Land viele Ritter, die als Helden galten und in der Landschaft viele Trutzburgen hinterließen. Diese Tradition wollte man bei Brandstätter nutzen. Beck und sein Chef kamen auf die Idee, mit Spielrittern den Kinderspielwarenmarkt zu erobern. 1971 erhielt Beck den Auftrag, ein Systemspielzeug zu entwickeln. Er entwarf eine 7,5 Zentimeter große Spielfigur, die gut in Kinderhände passt. Im Februar 1972 wurden die Playmobil-Figuren als Patent behördlich angemeldet. 1974 brachte Geobra Brandstätter die ersten drei Figuren – Indianer, Bauarbeiter und Ritter – auf den Markt, die innerhalb kürzester Zeit die Kinderzimmer eroberten. Das hat die Erfinder reich gemacht – und beschäftigt bis heute jede Menge Mitarbeiter. Es entstehen ganze Städte In den 70er-Jahren spielten Kinder mit Holzfiguren. Plastik galt aber als modern und war zudem weniger schwer für zarte Kinderhände. Und weil Playmobil ein Systemspielzeug war, konnten die Kleinen – und viele Große auch – mit den 7,5 Zentimeter großen, lustig-menschenähnlichen Figuren viel mehr anfangen als mit klobigen Holzklötzen. Es gab nicht nur Figuren auf Pferden mit Spießen, obwohl die nach wie vor zum festen Bausatz gehören, sondern auch Indianer, die immer noch so heißen (nicht Indigene). Piraten, Soldaten, Polizisten, Feuerwehrmänner und Krankenschwestern. Dazu Baustellen, Tankstellen, Krankenhäuser, Freizeitparks und ganze Städte, die sich stundenlang zusammenbasteln ließen. Genial, die Jüngsten waren beschäftigt, pädagogisch richtig, sie lernten beim Zusammenstecken als Jungen oder Mädchen manches vom Leben, der Arbeit und der Zukunft. In jeder Sekunde fallen 3,2 Playmobil-Figuren aus dem Maschinenpark, insgesamt bevölkern mehr als 5700 Figurenvarianten weltweit Kinderzimmer. SIND SO KLEINE FIGUREN Von Roland Mischke Kleine Familiendramen Für so manche Eltern hingegen wurde Playmobil auch, nun ja, zum Fluch. Zum einen, weil der Nachschub aus Zirndorf nie versiegt und die Kinder nach immer neuen Bauernhöfen, Polizeistationen, Feuerwehrwachen, Ritterburgen oder Arztpraxen nebst Personal im Kleinformat verlangen. Zum anderen aber auch, weil gerade die manchmal winzigen Zubehörteile wie Stifte, Polizeikellen oder Dolche gern PLAYMOBIL Wer noch nie in einem flauschigen Teppich nach winzigen Playmobil-Teilen gesucht hat, der weiß nicht was Verzweiflung heißt. Vor 50 Jahren wurde die Patente für die Plastikfiguren vergeben. Heute gibt es kaum ein Kinderzimmer ohne sie ...und plötzlich fehlt dem Cowboy der Revolver. Eltern wissen, dass das schnell zum Drama ausarten kann. FOTO: IMAGO STOCK&PEOPLE Modell Angela Merkel. FOTO: PA

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