Hamburger Abendblatt | Dossier | 1972

4 1972 Essen Jeder fuhr einen. Die meisten fuhren wirklich einen. Die meisten anderen fuhren keinen, jedoch aus einer Anti-Haltung heraus. Sie fuhren einen Keinen-Käfer. In den schwarz-weißen Fließbandfilmen von Ludwig Erhard wimmeln nur graue Käfer durchs Wirtschaftswunderland, der Firmenboss fährt einen großen SechszylinderOpel, der reiche Onkel aus Amerika einen Ami-Schlitten. Mein Vater war stolz darauf, nie in seinem Leben einen Volkswagen gefahren zu sein, sondern gleich einen Weltkugel-Ford (der war so schlecht, dass er die stolze ovale und blau unterlegte Ford-Pflaume als Firmenlogo nicht tragen durfte, sondern unter F.K. für Ford Köln firmierte). Das hinderte meinen Vater jedoch nicht daran, seiner Frau als erstes Auto nach der auf den Führerscheinerwerb folgenden Drei-Babys-Pause einen „robusten Käfer“ zu kaufen. (Sie zerstörte Professor Porsches angeblich unverwüstlichen Motor durch beharrliches Ausdrehen des kalten Motors, bis in den vierten Gang schafft sie es selten). „Unter den schmissigen Klängen der Werkskapelle und unter dem Beifall der mehr als tausend Schichtler“, berichtete die WAZ, lief am 17. Februar 1972 „gegen 13.45 in Halle 12“ Volkswagen Typ 1 Nummer 15.007.034 vom Fließband, das einst Henry Ford als erster in der Automobilfertigung eingesetzt und mit Hilfe dessen er ein Modell T weniger auf die Räder gestellt hatte, als der neue Weltrekordler VW Käfer jetzt vorweisen konnte. „Die 6000 Leute, die 1945 die Trümmer wegräumten und das Werk wieder aufbauten, konnten nicht ahnen, dass dem Käfer einmal solch ein Erfolg beschert sein würde“, sagte Betriebsratschef Siegfried Ehlers im Wolfsburger Werk. Was er nicht sagte: dass der Erfolg von gestern war und der Käfer bereits klinisch tot. Fast hätte der fahrende Zombie den ER LIEF UND LIEF UND LIEF Von Gerd Heidecke VW KÄFER Im Februar 1972 stellte der VW Käfer den Produktions-Weltrekord des Ford Modell T ein. Der Volkswagen prägte das deutsche Straßenbild der Nachkriegszeit. Ein persönlich gefärbter Rückblick Brote backen – das geht auch tagsüber. FOTO: IMAGO STOCK&PEOPLE / IMAGO/RUST

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