Hamburger Abendblatt | Dossier | 1972

5 1972 ganzen Konzern in den Abgrund gerissen. Auch mit der Beetle-Mania in den USA war es längst vorbei. Dort hatten Werber die in Deutschland als unernsthaft geltende und so offiziell unbeliebte Bezeichnung Käfer erfunden. „Mein erstes selbstgekauftes Auto war 1983 ein abgerittener Standard-Käfer mit 34 PS für 1500 DM“ Gerd Heidecke Auto-Redakteur Was man in den Volkswagen-Chefetagen in Wolfsburg damals auch nie öffentlich sagte und erst Jahre nach dem Ende der Käfer-Produktion in der Bundesrepublik Deutschland von unabhängigen Historikern aufarbeiten ließ, waren die dreckige braune NaziGeschichte des KdF-Wagens und die mörderischen Verhältnisse in der Rüstungsproduktion in Fallersleben, als es die Stadt Wolfsburg noch gar nicht gab. „Herrenvolkswagen“ zitierte das Magazin „Der Spiegel“ 1965 eine bittere Abrechnung in Gedichtform aus der jüdischen New Yorker Zeitschrift „Midstream“. Die kriegsverwitwete Tante meiner Mutter brachte mit dem Kraft-durchFreude-Wagen Waren einer ortsansässigen Schnapsbrauerei an den Mann. Die Rückfahrt erleichterte das Zuhalten eines Auges gegen den störenden Doppelseheffekt. Mein Onkel aus der Etage über uns statuierte seinen Aufstieg aus der Handwerkerklasse mit einem Opel Kadett. Sein Vater aus dem Erdgeschoss hatte seinen Handkarren noch selbst gezogen: durch die Weimarer Republik, die Nazizeit und dann durch die Ruinenstraßen. Opels Bochumer Jung‘, der Kadett, war von A bis C tatsächlich viel besser als der Käfer, bis auf die Opel-Schwachstelle Wasserpumpe (Punktsieg am Tresen: Wasserpumpe hatte der luftgekühlte VW nicht, konnte daher auch nicht kaputtgehen). Der Käfer brachte es bis 2003 noch auf über 21,5 Millionen Stück, jedoch kein Rekord für die Ewigkeit. Unter den Namen Golf und (Toyota) Corolla wurden mehr Autos gebaut, aber trugen diese nur über unzählige Generationswechsel den gleichen Namen, hatten aber sonst wenig gemeinsam. Dagegen blieb der Käfer immer gleich, wenn sich auch alle Teile änderten bis auf – angeblich -- eine einzige verstecke Leiste. Wenn es um Rekorde für die Ewigkeit geht: Gemessen am Auto-Bestand seiner Zeit bleibt das Modell T unerreicht. Wobei die „Blechliesel“ genauso wie der Volkswagen an ihrem bitteren Ende als Ladenhüter den Weltkonzern beinahe vor die Wand gefahren hätte, weil Henry Ford (als verbohrter Antisemit und Nazi-Kollaborateur eigentlich ein geborener Herrenvolkswagenfahrer) zu lange an ihr festhielt. 1972 standen die modernen Käfer-Gegenentwürfe Polo und Golf mit wassergekühltem Frontantrieb, Heckklappe und nennenswerter Kofferraum, platzspendend kantiger italienischer Designerkarosserie sowie gefühlt doppelt so guten Fahrleistungen bei halbem Verbrauch bereits in den Startlöchern. So gerade stieg VW noch vom toten Pferd ab. 1974 war endgültig Schluss in Wolfsburg mit dem gerade noch gefeierten Typ 1, 1978 auch in Emden für den Export-Beetle, Karmann baute bis 1980 Käfer-Cabriolets mit dem charakteristischen Rucksack-Verdeck in Osnabrück, für den letzten Mexiko-Käfer kam das Aus 2003. Dem Wahn des Käfers als bestmöglichem Einsteigerauto unterlag auch ich. Der Funken Wahrheit hinter seiner vorgeblichen Zuverlässigkeit war, dass in der Nachkriegs- und Wirtschaftswunderzeit alle anderen Massenmobile schlicht viel unzuverlässiger waren. Mein erstes selbstgekauftes Auto war 1983 ein abgerittener Standard-Käfer für 1500 DM mit 34 PS, 6-VoltSchummerlicht, Reservehahn statt Benzinuhr, ein rollendes Rostloch mit irgendwo (wahrscheinlich beim TÜV) ergaunerten zwei Jahren TÜV und klemmendem Bremspedal, Einstieg am Ende nur noch über Beifahrerseite oder Fenster und durchlöchertem Bodenblech, damit das Wasser ablief. Ich fuhr immer nur allein. Endgültig beendete erst Mutters neuer VW Derby, also ein Polo mit Stufenheck, die Käfer-Blindheit. Das hätte man spätestens ‘72 erkennen müssen, dass der Volkswagen aus den 30er-Jahren war FOTO:PICTURE-ALLIANCE /DPA Neue Käfer brauchte das Land: Blick in die Wolfsburger Montagehalle. In den guten Jahren wie 1966 wurden jeweils rund eine Million Käfer hier gebaut FOTO: DPA Als die Welt noch schwarzweiß war: Käfer-Urlaubsidylle der 60er-Jahre.

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