Hamburger Abendblatt | Dossier | 1972

11 1972 von Absetzung bedroht, wird die Reihe am 3. Juni 1969 eingestellt – sieben Wochen bevor der erste Amerikaner den Mond betritt. Doch dann geschieht ein kleines TVWunder. Rund 150 lokale Fernsehstationen erwerben die Zweitrechte und bitten zur besten Sendezeit noch einmal in Galaxien, die nie ein Mensch zuvor gesehen hat. Und plötzlich wächst die Fan-Gemeinde schneller, als Spock eine Augenbraue lupfen kann. Ein Grund für den Erfolg liegt darin, dass Star Trek sehr abwechslungsreich daher kommt. Mal im Gewand eines Westerns, mal als Gangsterkrimi oder als Griechenmythos. Gleichzeitig zeichnet die Serie ein optimistisches Bild von der Zukunft. Auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges setzt Roddenberry mit Pavel Andreievich Chekov ausgerechnet einen Russen ans Steuer. Und Martin Luther King kämpft noch gegen die Rassentrennung, da versieht an Bord der Enterprise mit Nyota Uhura (Nichelle Nichols) bereits eine Afroamerikanerin in leitender Position ihren Dienst – und küsst sogar den Kapitän. Mehr noch: Während die USA immer mehr Soldaten nach Vietnam schicken, gilt für die Crew der Enterprise die „1. Direktive“: keine Einmischung in Angelegenheiten fremder Völker – selbst wenn die Action darunter leidet. So groß wird das weltweite Interesse an „Star Trek“, dass die Produktionsfirma die alte Mannschaft 1979 im Kino erneut starten lässt. Ein paar Jahre später darf im Fernsehen „Die nächste Generation“ unter Führung von Kapitän Picard auf der Kommandobrücke Platz nehmen. Geschichten aus der Raumstation „Deep Space 9“ und des Raumschiffs „Voyager“ - mit einer Frau auf dem Kommandosessel - runden das Angebot in den 90ern ab. Im neuen Jahrtausend werden – mit überschaubarem Erfolg – die frühen Jahre der Enterprise beleuchtet, dann wird es ruhiger im All. Doch längst herrscht wieder Leben zwischen den Sternen – vor allem dank der zahllosen Streaming-Dienste. Da gibt es nicht nur fast alle alten Serien zu sehen, sondern auch neue, wie „Star Trek Discovery“ oder „Picard“. Bereits 2009 hat Regisseur J.J. Abrams die Reihe im Kino neu belebt und die alte Crew mit neuen Darstellern in ein Paralleluniversum geschickt. Die so genannte Kelvin-Zeitlinie ermöglicht nicht nur völlig andere Abenteuer, sondern spielt mit bisher drei Filmen auch mehr als eine Milliarde Dollar ein. Abseits der Leinwand ist Star Trek ohnehin nie völlig in Vergessenheit geraten. Auch Deutschland ist Enterprise-Land geblieben. Bücher und Comics gibt es, wissenschaftliche Untersuchungen und Sprachkurse für diverse Alien-Idiome (Klingonisch-Deutsch/DeutschKlingonisch). Ganz zu schweigen von den sogenannten Conventions, einer Art Vollversammlung der Fans mit Tausenden von Besuchern und der Stars der Reihe als Ehrengäste. Und kaum eine Großstadt, in der vor Corona nicht regelmäßig ein „Star Trek“-Dinner stattfindet. Dabei diskutieren unter anderem Rechtsanwälte, Ärzte oder Ingenieure etwa über Vor- und Nachteile des Beamens oder den vulkanischen Sexualtrieb „Pon Farr“, der in der deutschen Synchronisation angesichts der jungen Zielgruppe zu schlichtem „Weltraumfieber“ wird. Oder es wird gemeinsam gerätselt, warum es eigentlich keine Sicherheitsgurte an den Stühlen der Crew gibt für den Fall, dass irgendeine feindlich gesinnte, außerirdische Lebensform das Raumschiff mal wieder ordentlich durchschüttelt. Immerhin: auf diese Frage kam angeblich sogar mal eine Antwort der Produktionsfirma „Weil sie dann nicht aus den Sitzen fallen könnte.“ Viele Visionen der Star Trek-Macher sind längst Wirklichkeit geworden. Türen, die sich automatisch öffnen, 1972 eine Sensation, hat heute fast jeder Discounter und die Communicator, mit denen sich die Crew untereinander verständigt, ähneln frappierend den klappbaren Smartphones des Jahres 2022. Auch in die Alltagssprache hat die Serie Einzug gehalten. Der an den schottischen Bordingenieur Montgomery Scott (James Doohan) gerichtete Satz „Beam me up, Scotty“ (auf lateinisch von Fans etwas frei übersetzt mit „transmitte sursum, Caledoni“), wird zu einem geflügelten Wort. Gefallen ist er allerdings in keiner der 79 Folgen, genau wie Harry ja auch nie für Derrick schon mal den Wagen holen sollte. Der meistgesprochene Satz der Reihe stammt vielmehr von Bordarzt Leonard „Pille“ McCoy (DeForest Kelley). Er ist es, der nach ausgiebiger Betätigung piepsender Gerätschaften seinem Captain mit ernster Miene immer wieder sagt, was der Zuschauer längst ahnt: „Er ist tot, Jim.“ „Er ist tot, Jim“ Dr. „Pille“ McCoy Meistgesprochener Satz in den Folgen von „Raumschiff Enterprise“ Die meisten Enterprise-Darsteller bleiben auch den Rest ihres schauspielerischen Lebens für die Zuschauer untrennbar mit der Weltraumsaga und ihren Rollen verbunden. Nur William Shatner kann sich von Kirk befreien, wird in den 80ern erst zu Polizeiveteran T.J. Hooker, bevor er als Staranwalt Denny Crane grandios durch die Serie „Boston Legal“ irrlichtert. Im hohen Alter aber kann er von seiner Rolle als Enterprise-Captain noch einmal profitieren. Denn im Oktober 2021 lädt ihn Amazon-Gründer Jeff Bezos zu einem zehnminütigen Flug an Bord einer „New Shepard“-Raumkapsel ein. Das macht den mittlerweile 90-jährigen Kanadier zum derzeit ältesten jemals ins All gereisten Mensch der RaumfahrtGeschichte. Man ahnt, was Mr. Spock dazu gesagt hätte: „Faszinierend“. Sie traten die Nachfolge der Ur-Besatzung an in „Raumschiff Enterprise - Das nächste Jahrhundert“. Unten in der Mitte: Patrick Stewart als Captain Picard. FOTO: IMAGO

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